Unterhalt in Verbindung mit Erwerbsunfähigkeit

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

17. 12. 1997


Aktenzeichen

2 UF 195/91


Leitsatz des Gerichts

Der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten, der vier Jahre nach der Scheidung und nach fast vierjähriger Angestelltentätigkeit wegen einer schon während der Ehe vorhandenen, damals aber ohne Auswirkungen auf die Berufstätigkeit gebliebenen Psychose erwerbungsunfähig geworden ist, kann - mangels einschlägigen Einsatzzeitpunktes bzw. zeitlichen Zusammenhangs - nicht auf §§ 1572 Nr. 4, 1573 Abs. 4 BGB (Krankheitsunterhalt), bei Vorliegen entsprechender Billigkeitsgründe aber auf § 1576 BGB (Billigkeitsklausel) gestützt werden.

Tatbestand


Tatbestand:

Die jetzt 45 Jahre alte Klägerin nimmt den Beklagten auf nachehelichen Unterhalt in Anspruch. Ihre am 23.05.1970 geschlossene Ehe wurde mit Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Pforzheim vom 22.12.1977 - 1 F 168/77 -rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Der Versorgungsausgleich wurde durchgeführt.

Zum Zeitpunkt des Scheidungsurteils waren beide Parteien berufstätig, die Klägerin allerdings erst seit Mitte November 1977. Der Beklagte erzielte ein monatliches Nettoeinkommen von rund 3.600,00 DM, die Klägerin als Verwaltungsangestellte ein solches von rund 1.250,00 DM. Sie ist gelernte Industriekauffrau und hatte diese Tätigkeit als Stenokontoristin auch mit Unterbrechungen vor und zu Anfang der Ehe ausgeübt. Anfang 1973 beendete sie ihre Erwerbstätigkeit und lebte dann gemeinsam mit ihrem Mann als Hausfrau vier Jahre lang in Afrika.

Nach der Trennung von ihm Ende 1976 befand sich die Klägerin im März 1977 erstmals in ambulanter Behandlung wegen einer psychotischen Episode (vgl. Schreiben der Landesklinik Nordschwarzwald vom 19.09.1989; AS I 15). Am 14.11.1977 nahm sie wieder eine Erwerbstätigkeit auf, zunächst sechs Monate auf Probe und dann fest angestellt im öffentlichen Dienst.

Im Scheidungstermin vom 22.12.1977 schlossen die Parteien eine Scheidungsfolgenvereinbarung zur Regelung des Unterhalts, zur Zuweisung der Ehewohnung und zur Verteilung des Hausrates und des Vermögens. Die Vereinbarung zum Unterhalt hat folgenden Wortlaut:

1. Der Antragsteller verpflichtet sich, an die Antragsgegnerin unabhängig von deren Verdienst ab 01.01.1978 auf die Dauer von zwei Jahren einen Unterhaltsbetrag von monatlich DM 300,00 zu bezahlen.
Sollte die Antragsgegnerin arbeitslos werden, ohne dass die Voraussetzungen für die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bestehen, ist der Antragsteller verpflichtet, ihr während der Dauer der Arbeitslosigkeit einen monatlichen Unterhalt von DM 1.100,00 zu bezahlen, auf den die monatlichen DM 300,00 nach Ziffer 1 anzurechnen sind. Außerdem sind von ihm in diesem Fall die Beiträge zur Krankenversicherung zu bezahlen.

In den auf die Scheidung folgenden Jahren übte die Klägerin zunächst ihren Beruf weiter aus. Ab 01.04.1980 besuchte sie einen Weiterbildungskurs zur Fremdsprachenkorrespondentin und erhielt insoweit Unterhaltsgeld. Infolge einer Verschlimmerung ihrer psychischen Erkrankung wurde sie krankgeschrieben und erhielt vom 07.10. bis 19.10.1980 sowie vom 11.11.1980 bis zum 21.04.1981 Krankengeld, anschließend in der Zeit vom 22.04.1981 bis zum 20.03.1982 Arbeitslosengeld und ab dem 22.03.1982 wieder kurzfristig Unterhaltsgeld. Seit dem 14.04.1982 gilt die Klägerin als erwerbsunfähig und seit dem 14.10.1982 bezieht sie auf ihren Antrag eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese beläuft sich nach Abzug des anteiligen Krankenversicherungsbeitrags ab 30.06.1990 auf 1.023,80 DM (vgl. AS I 119), ab 01.07.1991 auf 1.075,44 DM (AS II 185) und ab 01.07.1992 1.105,93 DM (AS II 187).

Die Klägerin begehrt ab 15.06.1989 einen monatlichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 1 100,00 DM. Sie macht geltend, dass sie infolge ihrer psychischen Erkrankung, die noch während bestehender Ehe aufgetreten sei, ihren Unterhalt durch die eigene Erwerbstätigkeit nicht habe nachhaltig sichern können. Sie ist des weiteren der Ansicht, dass die zwischen den Parteien am 22.12.1977 getroffene Unterhaltsvereinbarung ihren Unterhaltsansprüchen nicht im Wege stehe, da damit nach Ablauf der Befristung kein Unterhaltsverzicht bezweckt gewesen sei. Hinsichtlich der Unterhaltsberechnung geht sie weiterhin von einem monatlichen durchschnittlichen Nettoeinkommen des Beklagten von mindestens 3.600,00 DM aus, so dass sich bei Anwendung der Differenzmethode ihr Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente auf 1.100,00 DM im Monat belaufe.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er ist der Ansicht, dass nach dem ausdrücklichen Willen der Parteien die Unterhaltsleistungen längstens für die Dauer von zwei Jahren hätten erfolgen sollen, wofür insbesondere spreche, dass sich die Klägerin zum fraglichen Zeitpunkt in der Probezeit befunden habe, so dass nur ein noch bestehendes restliches Arbeitsplatzrisiko hätte abgesichert werden sollen. Im Übrigen habe die Klägerin nach der Scheidung über vier Jahre in einem Arbeitsverhältnis gestanden und ausreichend Gelegenheit gehabt, ihren Unterhalt nachhaltig zu sichern.

Das Familiengericht hat der Klage ab August 1990 in voller Höhe stattgegeben und für den Zeitraum davor wegen fehlender Verzugsvoraussetzungen abgewiesen. Es hat einen Unterhaltsanspruch der Klägerin gemäß § 1572 Nr. 4 BGB bejaht, weil der Aufstockungsunterhaltsanspruch nach § 1573 Abs. 2 BGB zum Zeitpunkt der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit weggefallen sei. Einen Unterhaltsanspruch aus § 1573 Abs. 4 BGB hat das Familiengericht dagegen abgelehnt, weil die Klägerin ihren Unterhalt nachhaltig gesichert hatte. Im Vergleich der Parteien vom 22.12.1977 hat es keinen Unterhaltsverzicht gesehen. Die Höhe des Unterhalts hat es mit 3/7 der Differenz des unstreitigen Nettoeinkommens des Beklagten von monatlich mindestens 3 600,00 DM und der Rente der Klägerin von monatlich ca. 1.025,00 DM bemessen.

Gegen das ihm am 17.07.1991 zugestellte Urteil wendet sich die Berufung des Beklagten vom 13./15.08.1991. Er macht auch in der zweiten Instanz geltend, dass mit der Vereinbarung vom 22.12.1977 eine abschließende Unterhaltsregelung getroffen werden sollte, jedenfalls für den Fall, dass die Klägerin ihre Arbeitsstelle behalten kann. Auch wenn diese Regelung nicht als Unterhaltsverzicht ausgelegt werden sollte, bestünde kein Unterhaltsanspruch, da der Unterhalt der Klägerin im Sinne von § 1573 Abs. 4 BGB nachhaltig gesichert gewesen sei. Schließlich macht er geltend, dass ein Unterhaltsanspruch auch nach § 1573 Abs. 5 BGB nicht mehr bestehe, da es 13 Jahre nach der Scheidung der siebenjährigen Ehe unbillig sei, ihn noch weiter in Anspruch zu nehmen.

Der Beklagte hat in der Berufungsinstanz folgenden Antrag gestellt:

Das Urteil des Amtsgerichts vom 11.07.1991 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.


Die Klägerin hat Zurückweisung der Berufung beantragt.

Sie wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag, dass die Unterhaltsvereinbarung vom 22.12.1987 nicht nur für die Dauer von zwei Jahre habe gelten sollen und kein abschließender Verzicht gewollt gewesen sei und macht zusätzlich geltend, mit der Regelung in § 2 des Vergleichs vom 22.12.1977 sei ein lebenslanger Unterhaltsanspruch auch für den Fall der Erwerbsunfähigkeit bezweckt gewesen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 06.10.1992). Im Übrigen schließt sich die Klägerin den Ausführungen des familiengerichtlichen Urteils an und verweist noch darauf, dass eine Ehedauer von 7 1/2 Jahren nicht mehr als kurz im Sinne des § 1579 Nr. 1 BGB angesehen werden könne.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat die Akten - 1 F 168/77 - des Amtsgerichts Pforzheim wegen Ehescheidung zu Informationszwecken beigezogen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Klageabweisung.

1.
Die Klägerin hat keinen vertraglichen Unterhaltsanspruch aus dem Vergleich vom 22.12.1977. Welche Umstände damals Geschäftsgrundlage waren und welche tatsächlichen Veränderungen deshalb zu einer Anpassung des Vertrages führen können, richtet sich nach den Vorstellungen, die für die Parteien bei der vertraglichen Festsetzung des Unterhalts bestimmend waren (vgl. BGH, FamRZ 1979, 210).

Der Senat legt den Vergleich dahin aus, dass die Klägerin nach der Vorstellung beider Parteien eine angemessene Tätigkeit im Sinne des § 1574 BGB bei Ehescheidung ausgeübt hat und dass, weil im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses eine nachhaltige Sicherung des Unterhalts noch nicht eingetreten war, nur im Falle der Arbeitslosigkeit und bei Nichtbezug von Leistungen des Arbeitsamtes ein in der Höhe begrenzter Unterhaltsanspruch gegeben sein sollte. Dafür dass die Parteien an einen Fall der krankheitsbedingten Erwerbslosigkeit bzw. ein Wiederauftreten oder Verschlimmerung des psychotischen Zustandes der Klägerin bei Vergleichabschluss gedacht haben, gibt es keine Anhaltspunkte. Soweit die Klägerin den Vergleich auch auf diesen Fall angewendet wissen will, steht dem der eindeutige Wortlaut entgegen, der von "arbeitslos" spricht und gegebenenfalls sogar einen Krankenvorsorgeunterhalt vorsieht, während eine entsprechende Absicherung nach gelungenem Wiedereinstieg in das Berufsleben im Falle des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente (Anspruchsvoraussetzung ist nach dem früheren Rentenrecht lediglich eine mehrjährige Erwerbstätigkeit gewesen) nicht erforderlich gewesen wäre. Letzteres spricht auch dafür, dass zugunsten der Klägerin gerade kein zeitlich unbegrenzter Unterhaltstatbestand geschaffen werden sollte Mit einem Verzicht auf die Einsatzzeitpunkte des § 1572 BGB. Für einen über die gesetzlichen Regelungen hinausgehenden Verpflichtungswillen des Beklagten hat die Klägerin auch keine weiteren Umstände vorgetragen, die eine erweiternde Auslegung zuließen. Wenn man nicht überhaupt eine zeitliche Begrenzung jeglichen Unterhaltsanspruchs nach Ablauf von zwei Jahren annehmen will - wie es der Beklagte tut -, liegt allenfalls eine Regelungslücke vor, die auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden kann, wenn ausführliche gesetzliche Regelungen - wie im Recht des nachehelichen Unterhalts - herangezogen werden können (vgl. zum Vorrang des dispositiven Rechts MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, Rdn. 28 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 51. Aufl., Rdn. 4 ff., jeweils zu § 157). Es ist daher jedenfalls dann, wenn sich der Wille der Parteien bei Vertragsabschluss, wie hier, nicht eindeutig feststellen lässt, lediglich von einer vertraglichen Modifikation des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs auszugehen (vgl. BGH, FamRZ 1988, 933, 935) und im Zweifel auf die gesetzliche Regelung der §§ 1569 ff. BGB zurückzugreifen. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin kann daher nicht auf § 2 des Vergleichs gestützt werden.

2.
Das Familiengericht hat den Unterhaltsanspruch der Klägerin auf § 1572 Nr. 4 BGB gestützt. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass von dem berechtigten Ehegatten vom Zeitpunkt des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 1573 BGB wegen Krankheit eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Danach kann die Klägerin (Teil-)Anschlussunterhalt nur in demselben beschränkten Umfang verlangen, in dem zuvor ein Unterhaltsanspruch nach § 1573 BGB bestanden hätte (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 501, 502 für § 1572 Nr. 2). Die Einsatzzeitpunkte des § 1572 Ziff. 2-4 BGB schließen damit eine völlige Neuberechnung des Unterhalts im Falle der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit aus. Krankheiten, die erst nach den Einsatzzeitpunkten auftreten, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keinen Unterhaltsanspruch mehr begründen (vgl. Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 4. Aufl., Rdn. 365).

a)
Ein Unterhaltsanspruch nach § 1573 Abs. 1 BGB hätte nur dann bestanden, wenn die Klägerin bis zum Zeitpunkt der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit noch keine angemessene Erwerbstätigkeit gefunden gehabt hätte. Dies ist aber ersichtlich nicht der Fall, weil sie bei der Ehescheidung eine ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeit ausgeübt hatte.

b)
Der Einsatzzeitpunkt des § 1573 Abs. 3 BGB erfasst nur Fälle, in denen im Anschluss an Kindererziehung, Krankheit oder Ausbildung eine Erwerbsfähigkeit vorlag, aber trotz ausreichender Bemühungen keine angemessene Erwerbstätigkeit gefunden werden konnte und dann der Bedürftige wegen Krankheit keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen konnte (Verlängerung des Einsatzzeitpunktes wegen Übergangsschwierigkeiten). Auch solche Übergangsschwierigkeiten bestanden ersichtlich nicht. Dass der Klägerin wegen ihrer Umschulung zur Fremdsprachenkorrespondentin, die sie im Jahre 1980 begann, Ausbildungsunterhalt zugestanden hätte, ist nicht einmal von ihr selber behauptet worden.

c)
Auch ein Anspruch aus § 1573 Abs. 4 BGB, der voraussetzt, dass der Unterhalt durch eigene Einkünfte noch nicht nachhaltig gesichert ist, hat dem Grunde nach im Einsatzzeitpunkt nicht bestanden wie das Familiengericht zu Recht angenommen hat weil die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit erst viel später eingetreten ist.

Für eine "nachhaltige" Sicherung des Unterhalts ist grundsätzlich maßgebend, ob die Erwerbstätigkeit des geschiedenen Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Aufnahme nach objektiven Maßstäben und allgemeiner Lebenserfahrung mit einer gewissen Sicherheit als dauerhaft angesehen werden konnte oder ob befürchtet werden musste, dass der Bedürftige sie durch außerhalb seiner Entschließungsfreiheit liegende Umstände in absehbarer Zeit wieder verlieren würde (BGH, NJW 1986, 375). Dabei sind auch Umstände in die Beurteilung einzubeziehen, die zwar schon zu diesem Zeitpunkt bestanden, die aber erst später zutage getreten sind, wie etwa eine latent bestehende Krankheit, wegen der die angestrebte Stellung in absehbarer Zeit wieder aufgegeben werden musste. Der Fall ist hier im Grundsatz nicht anders zu beurteilen wie bei einem Anspruch nach § 1572 Nr. 1 BGB unmittelbar, lediglich um den Zeitpunkt der Arbeitsplatzsicherung hinausgeschoben.

Dass ein naher zeitlicher Zusammenhang vorhanden sein muss, ist allgemeine Meinung (vgl. MünchKomm/Richter, BGB, 2. Aufl., Rdn. 9 zu § 1572; Heiß/Heiß, Unterhaltsrecht, S. 1.27; Johannsen/Henrich/Voelskow, Eherecht, 2. Aufl., Rdn. 7 zu § 1572; Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 2. Aufl., Teil IV, Rdn. 134). Eine feste Zeitgrenze wie etwa bei § 1579 Nr. 1 BGB hat sich bisher nicht herausgebildet, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass diese krankheitsabhängig ist und nicht für jeden Fall gleich beurteilt werden kann (lediglich Heiß/Heiß, S. 1.29 geht davon aus, dass es nach Ablauf von zwei Jahren gewöhnlich am Zusammenhang mit der Ehe fehlen wird). Als Beispiele werden insoweit genannt die Dauer einer Inkubationszeit (OLG Stuttgart, aaO.) oder eine erst später feststellbare Erkrankung wegen multiple Sklerose (im Fall des BGH, FamRZ 1981, 1163 war die Krankheit allerdings bei Eheschließung schon vorhanden und hatte sich vor der Ehescheidung schubhaft verschlimmert, sodass es auf einen engen zeitlichen Zusammenhang mit einem späteren Einsatzzeitpunkt nicht mehr ankam). In der Rechtsprechung sind - soweit ersichtlich - bisher erst zwei Entscheidungen zum zeitlichen Zusammenhang veröffentlicht worden. Im Fall des OLG Stuttgart in FamRZ 1983, 501 verschlimmerte sich ein bei Vergleichsabschluss bestehendes Unterschenkelgeschwür etwa sechs Monate später dermaßen, dass eine regelmäßige Erwerbstätigkeit nicht mehr in Betracht kam, und im Fall des BGH in FamRZ 1987, 684 lag bereits bei der Ehescheidung eine teilweise Erwerbsunfähigkeit wegen mehrerer Leiden vor, die sich eineinhalb Jahre später so verschlimmerten, dass völlige Erwerbsunfähigkeit eintrat. In beiden Fällen wurde die spätere Erwerbsunfähigkeit noch dem Einsatzzeitpunkt zugeordnet.

Der vorliegende Fall ist nicht vergleichbar. Unbestritten ist die Klägerin infolge einer Psychose seit dem 14.04.1982 erwerbsunfähig. Dieser Zeitpunkt liegt über vier Jahre nach der Ehescheidung und fast vier Jahre nach Ende der Probezeit mit dann fester Anstellung im öffentlichen Dienst. Ein solcher zeitlicher Zusammenhang genügt für eine Rückbeziehung auf den Einsatzzeitpunkt nicht. Die Klägerin hat zwar vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass sie schon während der Ehe psychisch erkrankt war und ihre jetzige psychische Erkrankung im Zusammenhang mit ihrer ambulanten psychiatrischen Behandlung im Jahre 1977 zu sehen sei, bei der eine psychotische Episode mit paranoidem Erleben infolge der Trennungsproblematik festgestellt wurde. Jedoch war dieser Zustand trotz der grundsätzlich nicht auszuschließenden Wiederholungs- und Verschlimmerungsgefahr bei der Arbeitsaufnahme im November des gleichen Jahres offensichtlich überwunden und hat in der nächsten Zeit zu keinen Ausfällen und Einschränkungen bei der Berufstätigkeit geführt. Dass sich die Klägerin später teilweise in psychologischer Behandlung befunden hatte - wie sie im Einzelrichtertermin angegeben hat - ändert an der zunächst grundsätzlich gegebenen Erwerbsfähigkeit nichts. Ein Ansatzpunkt für eine mögliche Verschlimmerung des Krankheitsbildes findet sich erst wieder im April 1980, also über zwei Jahre nach der Scheidung, als sie sich zur Fremdsprachenkorrespondentin weiterbilden lassen will. Daraus folgt aber nicht, dass eine - auch nur teilweise - krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit bestanden hätte. Das gilt entsprechend für die - einmal unterbrochene - Krankschreibung von Oktober 1980 bis April 1981, da aufgrund des anschließenden Bezugs von Arbeitslosengeld, davon auszugehen ist, dass das Arbeitsamt die Klägerin für erwerbsfähig und auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar hielt. Für eine andere, ihr günstigere Beurteilung hat die Klägerin trotz des Hinweises in Ziff. 2 des Beschlusses des Einzelrichters im Termin vom 06.10.1992 nichts vorgetragen. Angesichts dieser Umstände hält der Senat einen ausreichend engen zeitlichen Zusammenhang für nicht gegeben.

d)
Ein (Aufstockungs-)Unterhaltsanspruch nach § 1573 Abs. 2 BGB kommt als Rechtfertigung für einen Anspruch aus § 1572 Ziff. 4 bereits begrifflich nicht in Betracht, da er auch ohne die Erkrankung der Klägerin als Teilunterhalt weiterbestehen würde (im Ergebnis ebenso Heiß/Heiß, aaO., S. 1.27a, die § 1573 Abs. 2 BGB bei den Einsatzzeitpunkten des § 1573 Nr. 4 BGB nicht aufführen).

Der vom Familiengericht angenommene Unterhaltstathestand nach § 1572 Nr. 4 BGB scheidet daher für einen Unterhaltsanspruch der Klägerin aus.

3.
Ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 Nr. 1 oder § 1573 Abs. 4 Satz 1 BGB unmittelbar greift ebenfalls nicht ein. Insoweit liegt der Fall nämlich nicht anders wie oben unter 2 c, weil kein ausreichend enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit und der Scheidung bzw. dem Zeitpunkt der nachhaltigen Sicherung des Unterhalts besteht.

4.
In Betracht kommt allerdings ein Unterhaltsanspruch nach § 1576 BGB, der als subsidiärer Auffangtatbestand dann eingreifen kann, wenn die Versagung von Unterhalt nach den §§ 1570 - 1575 BGB im Einzelfall grob unbillig wäre. ob dies auch für den hier gegebenen Fall einer schicksalhaften Erkrankung außerhalb der gesetzlichen Einsatzzeitpunkte gilt, ist umstritten. Teilweise wird vertreten, dass insoweit die Vorschrift des § 1572 mit den, Einsatzzeitpunkten abschließenden Charakter habe und keine Lücke für die Anwendung des § 1576 BGB lasse (Palandt/Diedrichsen, BGB, 51. Aufl., Rdn. 1 zu § 1567; Heiß/Heiß, Unterhaltsrecht, S. 1.81/82) und andernfalls die Billigkeitsklausel uferlos ausgeweitet würde (vgl. Kalthoener/Büttner, NJW 1991, 402). Teilweise wird gerade in einer schicksalhaften Erkrankung ein "schwerwiegender Grund" im Sinne des § 1576 BGB gesehen, weil es sonst kaum Anwendungsfälle für die Billigkeitsklausel gebe (Soergel/Häberle, BGB, 12. Aufl., Rdn. 10 zu § 1567; offen gelassen in BGH 1990, 496, 499). Im vorliegenden Fall scheitert die Anwendung von § 1576 BGB jedoch daran, dass die Nichtgewährung von Unterhalt nicht grob unbillig ist; denn zum einen bekommt die Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die über den Sozialhilfesätzen liegt, zum anderen ist der Senat der Ansicht, dass die Tatsache der schicksalshaften Erkrankung allein nicht genügt, sondern weitere besondere Umstände, die nicht unbedingt in der Ehe angelegt zu sein brauchen, die aber einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schaffen (vgl. Heiß/Heiß, aaO., S. 1.78) hinzukommen müssten, um eine grobe Unbilligkeit bejahen zu können, wie z.B. frühere Vermögensaufwendungen der Klägerin zugunsten des Beklagten oder seine Pflege während einer früheren schweren Erkrankung. An solchen Umständen fehlt es hier.

5.
Bleibt allein ein Unterhaltsanspruch nach § 1573 Abs. 2 oder Abs. 4 Satz 2 BGB, der allerdings nur in der Differenz der fortgeschriebenen fiktiven Einkünfte der Klägerin aus ihrer früheren Erwerbstätigkeit und dem eheangemessenen Unterhalt bestehen würde. ob dieser dem Grunde nach eingreift, kann dahinstehen, weil ein Aufstockungsunterhalt an der Befristungsmöglichkeit nach § 1573 Abs. 5 BGB scheitert. Seine Voraussetzungen sieht der Senat ab 1986, also sieben Jahre nach der Scheidung, als erfüllt an. Diese Vorschrift ist erst mit dem Unterhaltsänderungsgesetz vom 20.02.1986 eingeführt worden. Sie ist allerdings hier anwendbar, weil die Klage erst danach erhoben wurde.

Bei der Abwägung sind als relevante Umstände insbesondere zu berücksichtigen die Betreuung von gemeinschaftlichen Kindern, die Dauer der Ehe, mögliche Erkrankungen sowie durch die Ehe bedingte berufliche Nachteile. Bei einer kinderlosen Ehe von sieben Jahren Dauer - auf eine kurze Ehedauer im Sinne des § 1579 Ziff. 1 BGB ist hier entgegen der Ansicht der Klägerin nicht abzustellen (vgl. BGH, FamRZ 1990, 857, wonach im Regelfall der Grenzbereich bei über 10 Jahren liegt) - und angesichts des Grundsatzes der unterhaltsrechtlichen Eigenverantwortlichkeit nach vollzogener Scheidung erscheint es unbillig, von dem Beklagten eine lebenslange Lebensstandardgarantie zu verlangen (vgl. OLG Schleswig in FamRZ 1989, 1092. OLG Düsseldorf, FamRZ 1992, 951; KG, FamRZ 1992, 948); denn der Klägerin war zunächst der Wiedereinstieg in das Berufsleben gelungen und das Einkommensgefälle zwischen den Parteien ist nicht ehebedingt, sondern beruhte auf ihren unterschiedlichen beruflichen Qualifikationen. Dies gilt im vorliegenden Fall trotz der schicksalshaften Erkrankung der Klägerin, denn es kommt hier hinzu, dass von der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit im April 1982 bis zur Klageerhebung im November 1989 mehr als 7 Jahre vergangen sind und der Beklagte darauf vertrauen durfte, dass er nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen werden würde. Für eine Befristung spricht im Übrigen auch der frühere Vergleich, dessen Auslegung es eher nahe legt, nach einer Übergangszeit bis Ende 1979 eine unterhaltsrechtliche Selbstverantwortlichkeit der Parteien anzunehmen als eine lebenslange Nachwirkung an eheliche Bindungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

8.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.

Vorinstanzen

AG Pforzheim, 4 F 130/89, 11.07.1991

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB § 1572 Nr. 4, § 1573 Abs. 4, § 1576