Unterhalt in Verbindung mit Erwerbsunfähigkeit
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
26. 08. 1997
Aktenzeichen
2 UF 93/97
Dem Bezieher einer Erwerbsunfähigkeitsrente steht ein
Erwerbstätigenbonus (hier: 1/7) nicht zu.
Auch ein Unterhaltsanspruchs nach § 1572 BGB kann einer Begrenzung nach § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB unterliegen.
Die Frage einer Begrenzung nach § 1578 Abs.1 S. 2 BGB kann nur im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsprüfung beantwortet werden, wobei die Höhe des ungekürzten Unterhaltsanspruchs und das dem Verpflichteten verbleibende Einkommen in die Erwägung einzubeziehende Umstände sind.
Anders als in den Fällen der §§ 1582 oder 1573 Abs. 5 BGB gibt es bei § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB keine absolute Zeitgrenze, auch wenn sich eine Ehedauer von zehn Jahren (hier: neun Jahre und neun Monate) dem Grenzbereich nähert, in dem der Dauer der Ehe durchschlagendes Gewicht zukommt.
Die Begrenzung des Unterhaltsanspruchs (hier: auf 320 DM im Monat bei einem vollen eheangemessenen Unterhalt von rund 660 DM) zwölf Jahre nach der Scheidung ist angemessen, wenn der Unterhaltsberechtigte außer seiner während der Ehezeit aufgetretenen Erkrankung keine ehebedingten Nachteile erlitten hat und der volle angemessene Selbstbehalt von zur Zeit 1.800 DM zur Verfügung steht (hier: Summe aus Erwerbsunfähigkeitsrente und Unterhalt beträgt 1.894 DM).
Einem Unterhaltsberechtigten, der wegen einer schweren Erkrankung eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht und der eine regelmäßige Arbeitstätigkeit nicht mehr erbringen kann, ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterhaltsrechtlich nicht zumutbar.
Die zweimalige Beförderung eines Beamten nach der Scheidung ist unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen, da dieser Umstand noch in der Ehe angelegt ist und den Rahmen des in der Ehe Erreichbaren nicht sprengt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist teilweise begründet.
Das angefochtene Urteil hält in zwei Punkten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zum einen werden die beiderseitigen Einkommen im Rahmen der Differenzmethode in die Unterhaltsberechnung eingestellt, obwohl es sich beim Einkommen der Klägerin um eine Erwerbsunfähigkeitsrente handelt, ihr also der Erwerbstätigenbonus von 1/7 nicht zusteht. Zum anderen verkennt das Amtsgericht, dass auch der Anspruch aus § 1572 BGB einer Kürzungsmöglichkeit unterliegt, nämlich derjenigen aus § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB. Diese Bestimmung ist nach unbestrittener Auffassung auf alle Unterhaltsansprüche anwendbar (BGH, FamRZ 1986, 886). Diese Gesichtspunkte zwingen zu einer Neuberechnung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin und der Prüfung der Frage, ob eine Begrenzung des Unterhalts nach § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB angebracht ist.
Die Frage der Begrenzung der Höhe des Unterhaltsanspruchs kann nur im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsprüfung, wie sie das Gesetz vorsieht, geprüft werden. Im Rahmen derselben ist die Höhe des ungekürzten Unterhaltsanspruchs der Klägerin und das dem Beklagten verbleibende Einkommen ein in die Erwägung einzu- beziehender Umstand.
Der Klägerin steht ein Unterhaltsanspruch aus § 1572 BGB zu.
Soweit der Beklagte sich gegen den Grund des Anspruchs wehrt und
die Auffassung vertritt, ungeachtet der von ihr bezogenen
Erwerbsunfähigkeitsrente könne und müsse sie eine ihr in
begrenztem Umfang verbliebene Erwerbsfähigkeit ausnutzen und
gegebenenfalls im Rahmen der Geringverdienergrenzen
hinzuverdienen, vermag der Senat dem nicht beizupflichten. Die
Klägerin leidet unter cerebralen Krampfanfällen, die erstmals
1978 aufgetreten sind und am 02.07.1980 zu einer längeren
Krankheit mit der Folge des Verlustes des Arbeitsplatzes als
Zahnarzthelferin geführt haben. Seither ist sie, nachdem ein
Umschulungsversuch wegen infolge der hierdurch eingetretenen
Belastung vermehrt aufgetretener Krampfanfälle als aussichtslos
abgebrochen werden musste, nicht mehr beschäftigt gewesen.
Nachdem sie zunächst Berufsunfähigkeitsrente erhalten hatte,
bezieht sie, beginnend noch in der Ehe, durchgängig bis heute
Erwerbsunfähigkeitsrente. Unter diesen Umständen scheidet die
Annahme einer Erwerbsfähigkeit, und zwar auch in begrenztem
Umfang, von vorn herein aus. Davon abgesehen erscheint die
Klägerin, insbesondere auch nach dem persönlichen Eindruck, den
der Senat von ihr im Termin gewonnen hat, nicht vermittelbar.
Nach den vorliegenden Gutachten kann zudem von ihr eine
regelmäßige Tätigkeit nicht geleistet werden. Auch eine Arbeit
in den Grenzen des abgabefreien Bereichs erfordert aber eine
gewisse Regelmäßigkeit und stellt damit eine von der Klägerin
nicht mehr zu erbringende Belastung dar.
Die Klägerin ist auch unterhaltsbedürftig, da sie von ihrer
Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von
bis 30.06.1996: 1.531,45 DM
bis 30.06.1997: 1.538,54 DM
ab 01.0,7.1997: 1.563,92 DM
ihren Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen § 1578 Abs.
1 Satz 1 BGB) nicht sicherstellen kann. Sie hat damit nach §
1572 BGB, unabhängig davon, dass sie im Falle einer
Erwerbstätigkeit diesen Bedarf ebenfalls nicht in vollem Umfang
erwirtschaften könnte, einen Anspruch aus § 1572 BGB auf den
vollen eheangemessenen Bedarf (BGH, FamRZ 1993, 789, 791).
Die Höhe desselben bemisst sich aus der Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin einerseits und andererseits dem Einkommen des Beklagten. Dieser bezog ausweislich der Jahresverdienstbescheinigung 1996 (Bl. 121 der Akten) in diesem Zeitraum ein Nettoeinkommen von 3.615,42 DM monatlich. Dieses Einkommen ist auch ungeachtet der Beförderung des Beklagten in der Ehe angelegt, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Beamten eine zweimalige Beförderung nicht den Rahmen des in der Ehe Erreichbaren sprengt (BGH, FamRZ 1982, 684: A 11 nach A 14). Setzt man vom Einkommen die unstreitige Krankenversicherung mit 347,00 DM ab und addiert die Steuererstattung, die dem Beklagten im Jahre 1996 nach Abzug der der Klägerin im Rahmen des Realsplittings erstatteten Beträge mit monatsanteilig 108,41 DM zugeflossen ist, verbleiben 3.376,83 DM. Fahrtkosten können als nicht ausreichend substantiiert angesichts des Bestreitens der Klägerin und des Umstandes, dass sie auch im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, nicht abgesetzt werden. Nach Abzug des Erwerbstätigenbonus, den der Senat mit 1/7 bemisst, ergibt sich ein anrechenbares Einkommen des Beklagten von 2.894,42 DM. Zieht man hiervon die Rente der Klägerin in der jeweils unterschiedlichen Höhe ab und teilt die Differenz durch 2, ergibt sich ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von rund 681,00 DM bis 30.06.1996, von 678,00 DM bis 30.06.1997 und von 665,00 DM ab 01.07.1997. Darauf hat der Beklagte bis zum 31.10.1996 monatlich 320,00 DM gezahlt.
Die Zuerkennung von Unterhalt in dieser Höhe ist gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB unbillig. Nach dieser Vorschrift kann die Bemessung des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) zeitlich begrenzt und danach auf den angemessenen Unterhalt abgestellt werden, soweit insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe sowie der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit eine zeitlich unbegrenzte Bemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen unbillig wäre. Das ist hier der Fall.
Die Dauer der Ehe rechnet von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des zur Scheidung führenden Antrags (BGH, FamRZ 1986, 886, 887). Sie betrug vorliegend 9 Jahre und 9 Monate. Im Rahmen des § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB gibt es anders als etwa in den Fällen der § 1582 oder 1573 Abs. 5 BGB eine absolute Zeitgrenze nicht. So kann selbst nach 26-jähriger Ehedauer nicht von vornherein eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs ausgeschlossen sein, doch wäre das außergewöhnlich (BGH, FamRZ 1990, 857). Allerdings nähert sich eine Ehedauer von 10 Jahren dem Grenzbereich, in dem vorbehaltlich stets zu berücksichtigender besondere Umstände des Einzelfalls - der Dauer der Ehe durchschlagendes Gewicht zukommt (BGH, FamRZ 1990, 857, 859). Der Billigkeitsgesichtspunkt "Dauer der Ehe" steht in Anbetracht der im vorliegenden Fall erreichten Ehedauer damit nicht von vornherein einer Herabsetzung des Unterhalts entgegen. Es ist vielmehr unter Einbeziehung der sonstigen Billigkeitsgesichtspunkte, die das Gesetz nennt, die Frage einer Herabsetzung zu erwägen. Dabei ist auf die Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit abzustellen, also auf die ehebedingte Unterhaltsbedürftigkeit. Eine zeitliche Begrenzung des vollen Unterhalts kommt hiernach umso weniger in Betracht, je mehr die Bedürftigkeit auf ehebedingten Nachteilen beruht (BGH, FamRZ 1989, 483, 486). Diese können auch in gesundheitlichen Schäden bestehen (BGH, aaO.).
Vorliegend ist die Ehe kinderlos geblieben. Die Klägerin hat bis zu ihrer Erkrankung voll in ihrem Beruf als Arzthelferin mitgearbeitet. Sie ist mithin durch Haushaltsführung und Kinderbetreuung in keiner Weise in ihrer beruflichen Entwicklung beeinträchtigt worden. Ihre Bedürftigkeit beruht ausschließlich aus der während der Ehe aufgetretenen Erkrankung, die nach dem oben Gesagten zwar als ehebedingter Nachteil in Betracht kommt, andererseits aber die zeitliche Begrenzung des Unterhalts auch nicht ausschließt (BGH, FamRZ 1990, 860). Wenn die Klägerin nicht geheiratet hätte, stünde sie einkommensmäßig heute nicht anders da als jetzt. Die Parteien haben nur 9 Jahre bis zur Trennung zusammengelebt und alsdann hat ihr der Beklagte nach Rechtskraft der Scheidung am 03.08.1985 regelmäßig Unterhalt von zuletzt 320,00 DM monatlich gezahlt. Die Zuerkennung des vollen eheangemessenen Unterhalts von, wie dargestellt, 660,00 bis 680,00 DM erscheint nach Auffassung des Senats eine Überstrapazierung des Gesichtspunktes der nachehelichen Solidarität.
Andererseits muss der Klägerin auch im Falle des § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB der angemessene Bedarf verbleiben. Diesen kann sie mit ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente, die den sogenannten notwendigen Eigenbedarf nur geringfügig überschreitet, nicht sicherstellen. Der von dem Beklagten erstrebte völlige Wegfall des Unterhaltsanspruchs kommt deshalb von Gesetzes wegen nicht in Betracht. Der angemessene Selbstbehalt beläuft sich derzeit auf 1.800,00 DM. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass das schwere Schicksal der Klägerin zwar in der Ehe angelegt ist, andererseits aber finanzielle ehebedingte Nachteile nicht vorliegen und deshalb die Zuerkennung eines lebenslangen vollen Aufstockungsunterhalt an die bei der Scheidung erst 31 Jahre alte, heute 43 Jahre alte Klägerin unangemessen erscheint, hält der Senat die Weiterzahlung des vom Beklagten bisher geleisteten Betrages von 320,00 DM monatlich für angemessen. Der Klägerin stehen dann ab 01.07.1997 rund 1.894,00 DM, also etwas mehr als der angemessene Eigenbedarf, zur Verfügung. Das ist aber mit Rücksicht auf die Höhe des Einkommens des Beklagten und gewissen krankheitsbedingten Mehrbedarf der Klägerin angebracht.
Entsprechend war das angefochtene Urteil abzuändern. Da der Beklagte bis zum 31.10.1996 die der Klägerin zustehenden monatlich 320,00 DM gezahlt hat, ist die Klage bis zu diesem Zeitpunkt abzuweisen, im Übrigen das angefochtene Urteil auf den Betrag von 320,00 DM monatlich herabzusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO.
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