Hälftige Anrechnung des auf das Kind entfallenden Kindergelds

Gericht

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats)


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

12. 01. 2001


Aktenzeichen

1 BvQ 38/00


Leitsatz des Gerichts

Zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Außer-Vollzug-Setzung von § 1612b V BGB in der seit dem 1. 1. 2001 geltenden Fassung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

§ 1612b BGB wurde durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. 11. 2000 (BGBl I, 1479) dahin geändert, dass die gem. § 1612b I BGB angeordnete hälftige Anrechnung des auf das Kind entfallenden Kindergelds nicht wie bisher unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außer Stande ist, Unterhalt in Höhe des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten, sondern bereits, soweit er zur Leistung von Unterhalt in Höhe von 135% des Regelbetrags außer Stande ist. Die Ast. machten geltend, durch den erweiterten Ausschluss der Kindergeldanrechnung in ihren Grundrechten aus Art. 1 I, 2 I, 3 I GG sowie Art. 6 I i.V. mit Art. 20 GG verletzt zu sein. Durch die Neuregelung entstünden ihnen finanzielle Nachteile, die es ihnen teilweise unmöglich machen würden, sowohl ihren eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren als auch das ihnen zustehende Umgangsrecht mit ihren Kindern auszuüben und den damit verbundenen Erziehungsauftrag zu erfüllen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Nach § 32 I BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Könnte Letzteres nicht festgestellt werden, müsste der Ausgang eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 [74f.] = NVwZ 1994, 893 L; BVerfGE 92, 126 [129f.] = NJW 1995, 1665; BVerfGE 93, 181 [186f.] = NJW 1996, 114; BVerfGE 94, 334 [347] = DtZ 1996, 309; st. Rspr.). Dabei ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn - wie hier - eine gesetzliche Regelung außer Vollzug gesetzt werden soll (vgl. BVerfGE 93, 181 [186] = NJW 1996, 114; BVerfGE 94, 334 [347f.] = DtZ 1996, 309). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen, so darf das BVerfG in Sonderheit von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (vgl. BVerfGE 82, 310 [313] = NVwZ 1991, 259). Der Erlass einer solchen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn sie zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. BVerfGE 3, 34 [37]). Darüber hinaus können wirtschaftliche Nachteile, die Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, im Allgemeinen die Aussetzung zum gemeinen Wohl nicht begründen (vgl. BVerfGE 3, 34 [37] = NJW 1953, 1385; BVerfGE 6, 1 [4] = NJW 1956, 1673).

2. Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde zulässig und nicht offensichtlich unbegründet wäre. Denn auch wenn dies anzunehmen sein sollte, bliebe das Eilrechtsschutzbegehren erfolglos, da die dann gebotene Folgenabwägung zu Ungunsten der Ast. ausfiele.

a) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde jedoch später als zulässig und begründet, besteht die Gefahr, dass den Ast. ein Geldbetrag in Höhe von bis zu 135 DM monatlich weniger für ihren Unterhalt und die Ausübung ihres Umgangsrechtes mit ihren Kindern zur Verfügung steht und sie diesen Geldbetrag nicht zurückerstattet bekommen, da der geleistete Unterhalt von den unterhaltsberechtigten Kindern verbraucht worden ist, so dass eine Rückerstattung ausscheidet.

b) Ergeht die einstweilige Anordnung, wird die angegriffene Bestimmung also außer Vollzug gesetzt, so steht den unterhaltsberechtigten Kindern der Ast. in der fraglichen Zeit ein Betrag in Höhe von bis zu 135 DM monatlich weniger für ihren Unterhalt zur Verfügung. Der gesetzgeberische Zweck, die wirtschaftliche Lage minderjähriger Barunterhaltsberechtigter zu stärken und ihnen unter Wahrung des Selbstbehalts der Unterhaltspflichtigen einen Barunterhaltsanspruch in Höhe ihres Barexistenzminimus zu sichern, würde nicht erreicht.

c) Bei Anwendung des oben bezeichneten strengen Maßstabes führt die Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass die nachteiligen Folgen für das Wohl von Kindern, denen durch eine Aussetzung der angegriffenen Vorschrift ihr Existenzminimum vorenthalten würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die von den Ast. im Falle des Misserfolgs ihres Eilrechtsschutzbegehrens zu gewärtigen sind. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass den Ast. auf jeden Fall ihr über dem Existenzminimum liegender Selbstbehalt verbleibt, so dass eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB § 1612b I, V; BVerfGG § 32 I