Berechnung des Kindesunterhalts
Gericht
OLG Koblenz
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
19. 09. 2001
Aktenzeichen
9 UF 62/01
Hat das Familiengericht im Ehescheidungsverbundurteil Kindesunterhalt auch für die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung ausgeurteilt und ist die Scheidung inzwischen rechtskräftig geworden, widerspräche es in grobem Maße der Prozessökonomie und wäre vom Sinn und Zweck des Verbundes nicht gedeckt, das Urteil allein wegen des Verstoßes gegen die Vorschriften über den Verbund aufzuheben. Das Berufungsgericht hat dann über den Kindesunterhalt für die Zeit vor und nach Rechtskraft der Scheidung einheitlich zu befinden.
Zur Sicherung des Existenzminimums minderjähriger Kinder ist der Unterhaltspflichtige gehalten, alle Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerlast auszuschöpfen.
Neben einer vollschichtigen Tätigkeit erzielte Nebeneinkünfte - geringen Umfangs - sind bei Ermittlung des Unterhaltsbedarfs minderjähriger Kinder nicht zu berücksichtigen, wenn der Mindestunterhalt gedeckt ist; diese sind allenfalls bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Bedeutung.
Auch beim Kindesunterhalt bemisst sich der Wert mietfreien Wohnens im eigenen Haus nach der ersparten ortsüblichen Miete für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende angemessene kleinere Wohnung (wie beim Ehegattenunterhalt). Dies gilt auch nach Rechtskraft der Scheidung für eine Übergangszeit jedenfalls dann, wenn das Haus beiden Ehepartnern gehört, der andere also an einer Verwertung mitwirken muss, und einem weiteren ehelichen Kind als Wohnung dient.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Das AG - FamG - hat die Ehe der Parteien durch Scheidungsverbundurteil geschieden. Die Scheidung ist rechtskräftig geworden, die geschiedenen Eheleute streiten nunmehr über den Unterhalt für ihre vier gemeinsamen Kinder. Drei minderjährige Kinder leben bei der Ast., ein volljähriges Kind lebt beim Ag.
Das AG - FamG - hatte über den Kindesunterhalt für die Zeit der Trennung und für die Zeit nach der Scheidung entschieden und den Ag. zur Zahlung verurteilt. Die Berufung der Ast. war teilweise erfolgreich und führte zur Verurteilung des Ag. zu weiteren Zahlungen.
Auszüge aus den Gründen:
Der Ag. schuldet der Ast. für die minderjährigen Kinder R (geboren 1983), A (geboren 1988) und M (geboren 1992) weitergehenden Unterhalt (§§ 1602, 1603, 1610 BGB).
Die Ast. ist insoweit auch über die Rechtskraft der Scheidung hinaus bis zum Abschluss des anhängigen Unterhaltsverfahrens gem. § 1629 III BGB prozessführungsbefugt (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 60. Aufl., § 1629 Rdnr. 34 m.w. Nachw.).
Dass die Klage nicht nur den Unterhalt für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung betrifft, sondern entgegen § 623 I 1 ZPO auch Unterhalt für die Zeit des Getrenntlebens in das Scheidungsverbundverfahren einbezogen hat, ist, nachdem die Scheidung zwischenzeitlich rechtskräftig wurde, unerheblich. Zwar kann der Unterhalt für die Trennungszeit grundsätzlich nicht im Verbund mit dem Scheidungsverfahren geltend gemacht werden, so dass das FamG das Verfahren über den Unterhalt für die Zeit vor der Scheidung hätte abtrennen und in einem isolierten Verfahren verhandeln müssen (vgl. Johannsen/Henrich/Sedemund/Treiber, EheR, 3. Aufl., § 623 Rdnr. 3 m.w. Nachw.). Jedoch wäre es, nachdem die Scheidung rechtskräftig und nur noch der Kindesunterhalt zu regeln ist, vom Sinn und Zweck des Verbundes nicht mehr gedeckt und es widerspräche in grobem Maße der Prozessökonomie, den einheitlichen Anspruch auf Kindesunterhalt für die Trennungszeit und für die Zeit nach der Scheidung prozessual aufzuteilen und im anhängigen Verfahren nur über den nachehelichen Kindesunterhalt zu entscheiden, während die Klage für die davorliegende Zeit - obwohl ebenfalls in der Sache entscheidungsreif - in die erste Instanz zurückverwiesen werden müsste, um sie dort abzutrennen und in einem isolierten Verfahren zu verhandeln. Daher befindet der Senat (entgegen OLG Dresden, FamRZ 1998, 1389) über den gesamten klagegegenständlichen Unterhaltszeitraum.
Das für die Bestimmung des Unterhalts maßgebliche Einkommen des Ag. entnimmt der Senat den vorgelegten Verdienstbescheinigungen, wobei der Ag. sich jedoch so behandeln lassen muss, als hätte er sich im Hinblick auf die anfallenden Werbungskosten einen Steuerfreibetrag auf die Lohnsteuerkarte eintragen lassen. Zur Sicherung des Existenzminimums seiner minderjährigen Kinder war er nämlich gehalten, diese Möglichkeit zur Verringerung der Steuerlast auszuschöpfen.
Aus gleichem Grund ermittelt der Senat das für das Jahr 2001 maßgebliche Nettoeinkommen durchgängig, wie im Vorjahr, auf der Grundlage der Steuerklasse II/0,5. Der Ag. hätte nämlich die ihm zugeteilte, die Steuerklasse I/0,0 ausweisende Lohnsteuerkarte entsprechend abändern lassen können, weil der bei ihm lebende Sohn P sich trotz Vollendung des 18. Lebensjahres weiterhin in Schulausbildung befand.
Aufwendungen für die Fahrten zur Arbeitsstelle sind - abweichend von der üblichen Pauschalierung - für insgesamt 240 Arbeitstage im Jahr anzuerkennen, nachdem der Ag. im Einzelnen die Notwendigkeit zusätzlicher Fahrten auf Grund seiner Tätigkeit als Redakteur dargelegt hat. Soweit die Ast. dies ohne konkreten Gegenvortrag bestreitet, ist dies im Hinblick darauf, dass ihr die Arbeitsabläufe aus der Zeit des Zusammenlebens mit dem Ag. bekannt sich, unzureichend (§ 138 I und III ZPO), zumal die erhöhte Anzahl an Fahrten auch steuerlich anerkannt wurde.
Nebeneinkünfte aus einer neben dem Beruf als Zeitungsredakteur ausgeübten Gewerbetätigkeit sind zur Unterhaltsbestimmung nicht heranzuziehen. Solange der Mindestunterhalt der Kinder gesichert ist, sind solche Einkünfte nämlich nicht anrechenbar, weil der Unterhaltsschuldner neben einer vollschichtigen Berufstätigkeit zur Ausübung einer Nebentätigkeit nicht verpflichtet ist (Kalthoener/Büttner, Die Rspr. zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rdnr. 747). Lediglich zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit können diese Einkünfte Berücksichtigung finden.
Als Wohnwert für das „mietfreie“ Wohnen im eigenen Haus ist - wie beim Trennungsunterhalt (vgl. BGH, NJW 1998, 2821) - zunächst die ersparte ortsübliche Miete für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende angemessene kleinere Wohnung in Ansatz zu bringen. Diese schätzt der Senat - ebenso wie das FamG - auf 800 DM monatlich. Ab Rechtskraft der Scheidung - diese ist mit Ablauf des 11. 6. 2001 eingetreten (§§ 705, 629a III, 222 II ZPO) - trifft den Ag. zwar die unterhaltsrechtliche Obliegenheit zu möglichst ertragreicher Nutzung oder Verwendung seines Vermögens (BGH, NJW 2000, 2349), was beim Kindesunterhalt nicht anders beurteilt werden kann als in vorgenannter Entscheidung für den Ehegattenunterhalt, so dass nach rechtskräftiger Entscheidung grundsätzlich der objektive Mietwert des Objekts in die Berechnung einzustellen ist. Jedoch ist dem Ag. - auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Ast. als Miteigentümerin an einer Verwertung oder Vermietung des Objekts mitwirken muss und das Haus zur Zeit auch dem gemeinsamen Sohn P noch als Wohnung dient - eine Übergangszeit bis zur Realisierung des vollen Nutzungswertes einzuräumen, so dass zunächst weiterhin die ersparte Miete anzusetzen ist.
Vom Wohnwert sind die Zahlungen auf die beim Erwerb des Hauses eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten einschließlich Tilgung abzusetzen, weil diese notwendigerweise mit der Schaffung des Wohneigentums verbunden waren. Darüber hinaus sind zu berücksichtigen die verbrauchsunabhängigen Hausnebenkosten. Dies sind die Grundsteuer B sowie die wiederkehrenden Beiträge für Wasser und Niederschlagswasser; die in den vorgelegten Bescheiden der Verbandsgemeinde S vom 26. 1. 2000 und 22. 1. 2001 darüber hinaus ausgewiesenen Wasser- und Schmutzwasservorauszahlungen hingegen sind verbrauchsabhängig und daher aus dem verbleibenden Selbstbehalt zu zahlen.
Die Steuernachzahlungen hat das FamG zu Recht in Abzug gebracht, weil die Kinder an dem höheren Einkommen des Ag. bis einschließlich 1999 partizipiert haben.
Darüber hinaus sind die Verbindlichkeiten aus der Umschuldung des Girokontos mit einem Teilbetrag von 350 DM monatlich unterhaltsrechtlich anzuerkennen. Nachdem der Ag. dargelegt hat, dass das im Zusammenhang mit dem Hausbau angelegte Girokonto bereits während des Zusammenlebens überzogen war und die Ast. bis zur Trennung Ende 1996 Vollmacht über dieses Konto besaß, ist davon auszugehen, dass die Parteien das bis dahin aufgelaufene Debet gemeinsam verursacht haben, so dass auch die Lebensverhältnisse der Kinder hiervon geprägt waren.
Es kann dem Ag. unterhaltsrechtlich nicht vorgeworfen werden, dass er zur Verringerung der auf dem Girokonto anfallenden hohen Überziehungszinsen diese Verbindlichkeit umgeschuldet hat. Soweit hierin allerdings auch nach 1996 verursachte weitere Kontoüberziehungen einbezogen sind, kann er diese der Ast. nicht entgegenhalten, weil nicht erkennbar ist, dass sie aus unterhaltsrechtlich anzuerkennenden Gründen notwendig waren.
Ausweislich des Kontoauszuges vom 30. 9. 1996 belief sich der Negativsaldo des Girokontos zu dieser Zeit auf rund 17000 DM. In Anbetracht des Anstiegs bis Mitte des Jahres 1990 auf über 35000 DM geht der Senat davon aus, dass der Saldo zur Zeit der Trennung jedenfalls nicht niedriger war, so dass für die unterhaltsrechtlich anzuerkennende Umschuldung ein Kreditbedarf von 17000 DM zu Grunde zu legen ist. Dieser wäre bei Ansatz des im Vertrag vom 29. 7. 1999 vereinbarten Zinssatzes von 8,8% und einer - unter Berücksichtigung der erhöhten Unterhaltsverpflichtungen gegenüber vier minderjährigen Kindern zu verlangenden - Erstreckung auf eine Laufzeit von 60 Monaten mit einer Monatsrente von rund 350 DM zurückzuführen gewesen (§ 287 ZPO). Zahlungen auf das Darlehen hat der Ag. belegt.
Der vom FamG berücksichtigte Bedarfskontrollbetrag der Düsseldorfer Tabelle wird vom erkennenden Senat nicht angewandt, weil es nicht gerechtfertigt erscheint, die bereits an der unteren Grenze des tatsächlichen Barbedarfs minderjähriger Kinder liegenden Tabellenbeträge zu Gunsten des Unterhaltsverpflichteten weiter herabzusetzen; der notwendige Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen ist durch den ihm zu belassenden Selbstbehalt sichergestellt.
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