Anspruch auf Kindergeld während Auslandsaufenthalts - Freiwilliger Sprachunterricht als Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Nr. 2a EstG

Gericht

FG Nürnberg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

18. 02. 1998


Aktenzeichen

V 255/97


Leitsatz des Gerichts

Wird zur Vorbereitung auf ein Romanistikstudium im Anschluß an das Abitur freiwillig eine Sprachenschule in Spanien besucht, gehört die Sprachausbildung zur Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a EstG

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Streitig ist, ob der Besuch einer Sprachenschule in Spanien im Anschluß an das Abitur bei einem nachfolgenden Studium der Romanistik (Schwerpunkt Spanisch) „Ausbildung“ i.S. des § 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger (Kl.) steht Kindergeld für die Tochter zu, weil die Tochter in dieser Zeit für einen Beruf i.S. der Kindergeldvorschriften ausgebildet wurde (§§ 64 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V. m. § 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG).

Für Kinder besteht u.a. ein Kindergeldanspruch des Berechtigten, wenn das über 18 Jahre alte Kind das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird (§ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG). Die am 3. 3. 1977 geborene Tochter des Kl. ist auch nach Ablegung des Abiturs in der Folgezeit als Kind nach den Vorschriften des § 32 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen, der Kl. hat daher Anspruch auf Kindergeld. Ab August 1996 hat der Tatbestand der (längstens 4-monatigen) Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten vorgelegen (§ 32 Abs. 4 Nr. 2b EStG). Ab Oktober 1996 hat sich die Tochter wiederum in einer Ausbildung nach § 32 Abs. 4 Nr. 2a befunden. Der Besuch der Sprachenschule in Spanien ist - im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten (Bekl.) - eine Ausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG.

Vorbereitende Sprachausbildung nach Verwaltungsauffassung keine Berufsausbildung

Der Begriff der Berufsausbildung ist im Gesetz nicht definiert. Allgemein wird darunter die Ausbildung, d.h. die Vermittlung des für den Beruf typischen Könnens (Vermittlung der für den Beruf notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse) im Rahmen eines geordneten Ausbildungsganges verstanden (vgl. R 180 EStR 1996; Kanzler, in: H/H/R, EStG, § 32 Anm. 93; Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem 10. Abschn. des EStG - DA-Fam EStG 2.2121 Anhang 6 und BFH v. 11. 10. 1984, VI R 69/83, BStBl II 1985, 91, DStR 1985, 90), um eine gesicherte Lebensstellung erreichen zu können.

Zur Berufsausbildung gehört u.a. auch der Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen sowie ein Hochschulstudium. Die Finanzverwaltung (H 180 EStR 1996) und die Arbeits- und Finanzverwaltung (DA-Fam EStG 63.3.2, Anhang 6 zu DA-Fam EStG Tz. 2.213) erkennen den Besuch einer Hochschule als Berufsausbildung an, wenn und solange das Kind als ordentlich Studierender immatrikuliert ist und das Studium einen bestimmten Abschluß zum Ziele hat. Zur Berufsausbildung zählt danach auch ein nach der maßgeblichen Ausbildungs- oder Prüfungsordnung vorgeschriebenes Praktikum (Anhang 6 zu DA-Fam EStG Tz. 2.2121 Abs. 7, H 180 EStR 1996).

Eine vorbereitende Sprachausbildung zur Aufnahme eines Studiums (Anhang 6 zu DA-Fam EStG Tz. 2.2121 Abs. 8) wie auch die (zeitweise) Beurlaubung z.B. zur Ableistung eines in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung nicht vorgesehenen Praktikums gelten danach nicht als Berufsausbildung. Sie werden nach Verwaltungsauffassung als Unterbrechung der Berufsausbildung angesehen mit der Folge, daß der Anspruch auf Kindergeld für den Unterbrechungszeitraum entfällt.

Sprachkurs muß nicht in Ausbildungs- und Prüfungsordnung vorgeschrieben sein

Der Senat ist im Streitfall der Auffassung, daß die Zeit des Besuchs der Sprachenschule und der sprachlichen Fortbildung (Privatunterricht) in Valencia bzw. Chiva keine Unterbrechung der Berufsausbildung der Tochter des Kl. nach Ablegung des Abiturs und vor Aufnahme des Romanistikstudiums darstellt. Es entspricht der Lebenserfahrung (BFH v. 15. 1. 1960, VI 310/58 U, BStBl II 1960, 118, 119), daß mit dem Besuch der Sprachenschule gute Voraussetzungen für das Romanistikstudium geschaffen werden.

Im Gegensatz zur Verwaltungsauffassung ist die Anerkennung eines ausbildungsfördernden Sprachkurses an einer Sprachenschule, zusätzlich verbunden mit dem Privatunterricht, nicht allein davon abhängig, ob ein solcher Sprachkurs in der maßgeblichen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für das in Deutschland absolvierte Studium vorgeschrieben ist. Wobei es zur Überzeugung des Senats ohne Bedeutung ist, ob ein solcher Kurs vor Aufnahme des Studiums besucht wird oder im Rahmen eines bereits angetretenen Studiums der Romanistik, das Studium (kurzfristig) unterbrochen wird (vgl. FG Nürnberg v. 15. 12. 1997, V 318/97). In beiden Fällen liegt (weiterhin) eine „Ausbildung“ i.S. von § 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG vor.

Die Bekl. mißt den Vorschriften der Ausbildungs- und Prüfungsordnung bei den einschlägigen Studiengängen in Zusammenhang mit der Auslegung des Begriffes Berufsausbildung zu Unrecht anspruchsbegründende oder anspruchsausschließende Bedeutung bei.

Steuerlicher Begriff der Berufsausbildung geht über Ausbildungsberufe hinaus

Zwar kommt bei der steuerlichen Begriffsbestimmung der Berufsausbildung der jeweiligen maßgebenden Ausbildungs- und Prüfungsordnung eine wichtige Funktion zu, d.h. das Durchlaufen des vorgesehenen Bildungsganges entsprechend den hierfür einschlägigen Ausbildungsvorschriften und Ausbildungsordnungen präjudiziert ein Ausbildungsverhältnis. Es besteht aber keine Bindung derart, daß nur eine streng nach den Ausbildungsordnungen durchlaufene Ausbildung als Berufsausbildung im steuerlichen Sinne gelten kann. Hierzu verweist der Senat auf das rechtskräftige Urteil vom 7. 5. 1997, V (VI) 366/96, in dem der Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH (BFH v. 8. 11. 1972, VI R 309/70, BStBl II 1973, 139) eine Berufsausbildung auch dann als solche anerkannt hat, wenn es sich nicht um einen Ausbildungsberuf nach den Vorschriften des Berufsausbildungsgesetzes (BBiG) handelt. Es wird auch auf das Senatsurteil vom 21. 10. 1997, Az. V 125/97, verwiesen, in dem die Unterbrechung eines Lehramtsstudiums zur Ableistung eines sprachlichen und pädagogischen Praktikums im Ausland als Ausbildung angesehen worden ist. Ähnlich das Urteil des FG Düsseldorf vom 18. 9. 1997 (10 K 1201/97 Kg, EFG 1998, 103) für ein im Anschluß an das Abitur aufgenommenes Sprachenstudium an einem College in den USA.

Im Hinblick auf die Regelung des Kindergeldes im Einkommensteuerrecht und die Ausgestaltung als „Steuervergütung“ (§ 31 Satz 3 EStG) mit der Option auf den Kinderfreibetrag (§ 31 Satz 4 EStG) ist von einem steuerrechtlichen Ausbildungsbegriff auszugehen, der, was das Kindergeld und die Gewährung des Kinderfreibetrages betrifft, einheitlich zu bestimmen ist. Ein Rückgriff auf die sozialrechtliche Ausgestaltung nach dem früheren Kindergeldrecht (BKGG a.F.), insbesondere auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte zum Ausbildungsbegriff verbietet sich daher.

Wesentlich für den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung ist, daß die Ausbildung berufstypisches Können zur späteren Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vermittelt. Ein mehrmonatiger Sprachkursus an einer Sprachenschule in der Landessprache Spanisch verbunden mit Privatunterricht erfüllen zur Überzeugung des Senats die Voraussetzungen der zielgerichteten Berufsausbildung, ohne daß es darauf ankommt, ob ein solcher Sprachkurs in der Prüfungs- und Ausbildungsordnung für das Studium Romanistik vorgesehen ist.

Besuch der Sprachenschule verursacht keine Unterbrechung der Ausbildung

Eine Unterbrechung der Ausbildung nach dem Abitur durch den Besuch der Sprachenschule in Spanien ist nicht gegeben, gerade weil es für das Vorliegen einer zielgerichteten Ausbildung spricht, daß unmittelbar im Anschluß an den Besuch der Sprachenschule ein einschlägiges Studium aufgenommen worden ist. Ein von der Ausbildung „losgelöster“ längerer Auslandsaufenthalt für anderweitige Zwecke i.S. einer Unterbrechung der Ausbildung hat nicht vorgelegen. Unstreitig ist auch der zeitliche Aufwand der Sprachenausbildung derart, daß die Arbeitskraft der Tochter hierfür überwiegend in Anspruch genommen worden ist, d.h. sie wegen der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Ausbildung gehindert war, sich selbst den ausreichenden Lebensunterhalt zu verdienen.

Im übrigen ist anerkannt, daß für Berufe, zu deren Ausübung umfassende Kenntnisse fremder Sprachen benötigt werden, und für die eine geregelte Ausbildung mit berufsqualifizierendem Abschluß nicht vorgesehen ist (Luftstewardeß, Fremdsprachenkorrespondent usw.), ein Auslandsaufenthalt zum Erlernen der Sprache selbst im Rahmen eines sog. „au-pair-Verhältnisses“ als Berufsausbildung angesehen werden kann (vgl. Anhang 6 DA-Fam EStG 2.215 Abs. 5 m.w.N.). Der Kl. hat darauf zu Recht hingewiesen. Es ist insoweit nach Auffassung des Senates seitens der Verwaltung nicht konsequent, entsprechende Auslandsaufenthalte - wie hier - die in unmittelbarem Bezug zum Studium und damit zur Ausbildung stehen, nicht als Berufsausbildung anzuerkennen.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht

Normen

EStG § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a