Zur Frage der Zulässigkeit einer Kündigung bei beabsichtigtem Abriss und Neubau

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

16. 08. 1996


Aktenzeichen

64 S 343/95


Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kläger, die das Haus, in dem die Beklagten eine Wohnung gemietet haben, erworben haben, haben das Mietverhältnis gekündigt, weil sie das Haus abreißen und durch einen Neubau ersetzen wollen.

Ihre Räumungsklage hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Die Kündigungserklärung vom 23.1.1995 ist - anders als die vom 14.12.1995 - bereits formalen Bedenken ausgesetzt. Es ist zweifelhaft, ob das Kündigungsschreiben den Anforderungen des § 564b II BGB genügt, nachdem grundsätzlich die Kündigungsgründe in dem Kündigungsschreiben anzugeben sind. Bei einer Kündigung wegen Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung sind die vorgesehene Verwertung und die wirtschaftlichen Folgen bei Nichtdurchführung der Maßnahmen darzulegen (vgl. Emmerich/Sonnenschein, Miete, § 564b BGB Rdnr. 81). Zwar ist im Kündigungsschreiben keine ins einzelne gehende Kalkulation erforderlich, die Kl. haben sich im vorliegenden Fall jedoch auf einen allgemeinen Hinweis auf drohende erhebliche wirtschaftliche Nachteile beschränkt (vgl. zu den Anforderungen an die Angabe der Kündigungsgründe: LG Berlin, WuM 1989, 254).

Letztlich kann die Frage der formalen Wirksamkeit der Kündigungserklärung vom 23.1.1995 offen bleiben. Es fehlt bei beiden Kündigungserklärungen am einzig in Betracht kommenden Kündigungsgrund nach § 564b I Nr. 3 S. 1 BGB. Der geplante Abriß und Neubau ist eine „wirtschaftliche Verwertung" im Sinne der zuletzt zitierten Vorschrift (vgl. Grapentin, in: Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- u. Wohnraummiete, 2. Aufl. (1993), IV Rdnr. 78). Denn nach Art. 14 GG ist es grundsätzlich Sache des Eigentümers, ob er das Grundstück durch Vermietung, Verkauf oder bauliche Veränderung nutzen will. Dieser Freiheit ist bei Auslegung des § 564b BGB Rechnung zu tragen (BVerfG, NJW 1989, 972 = WuM 1989, 118). Die Wirksamkeit der Kündigungen scheitert jedoch an dem Kriterium des erheblichen Nachteils für die Kl. Das BVerfG hat den Begriff des erheblichen Nachteils in Abwägung der Privatnützigkeit des Eigentums mit der Sozialpflichtigkeit eingegrenzt (BVerfG, NJW 1989, 972 = WuM 1989, 118). Einerseits reicht nicht jeder wirtschaftliche Nachteil, andererseits darf nicht gefordert werden, daß die wirtschaftliche Existenz des Vermieters bei Nichtdurchführung der geplanten Maßnahme gefährdet würde. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, daß die Einbußen für den Vermieter die Nachteile des Wohnungsverlusts für den Mieter weit übersteigen (wobei es nicht auf die individuelle Situation des konkreten betroffenen Mieters ankommt; diese ist erst im Rahmen des § 556a BGB zu berücksichtigen).

Zunächst ist somit die Einbuße der Vermieter zu quantifizieren, dann die Einbuße dem Erhaltungsinteresse des Mieters gegenüber zu stellen. Im Verlaufe des Rechtsstreits haben die Kl. durch Einreichung einer Aktennotiz der X vom 30.5.1996 sowie einer „Wirtschaftlichkeitsberechnung“ der Hausverwaltung (ohne Datum) zu der Frage der Einbußen, die sie zu erwarten haben, sofern das Grundstück nicht neu bebaut wird, weiter vorgetragen. (Zu der Notwendigkeit, die Einbußen durch Vorlage einer Wirtschaftlichkeitsberechnung zu konkretisieren, vgl. LG Göttingen, WuM 1984, 133; LG Hannover, WuM 1981, 42; Grapentin, in: Bub/Treier, IV Rdnr. 82a). Die Darlegungen sind nunmehr hinreichend substantiiert, sie leiden jedoch an einem entscheidenden Mangel. Die Kl. hätten zu den auf das straßenseitige Haus entfallenden Anschaffungskosten (inkl. Nebenkosten und Finanzierungskosten) die Kosten für notwendige Instandsetzungsarbeiten (inkl. Finanzierungskosten) addieren, die Kosten auf den einzelnen Monat umrechnen und davon den maximal erzielbaren Mietzins (für beide Wohnungen) abziehen müssen. Dem sich daraus ggf. ergebenden Betrag der Unterdeckung pro Monat hätten sie ihre finanzielle Situation im Falle eines Neubaus (Anschaffungskosten für das Grundstück plus Bebauungskosten plus Finanzierungskosten, umgerechnet auf den Monat abzüglich der maximal erzielbaren Miete) gegenüber stellen müssen. Diese Gegenüberstellung wird zwar in der - unübersichtlichen - „Wirtschaftlichkeitsberechnung“ versucht, aber im Rahmen des Kostenvergleichs von der Neubauvariante zur Situation bei Erhaltung der Bausubstanz werden einmal die Anschaffungskosten für das Grundstück, auf dem das Haus Nr. 1 steht, angesetzt (in der Erhaltungsvariante), bei der Neubauvariante jedoch weggelassen. Werden die Kapitalkosten von 28882 DM für die Anschaffung des Grundstücks berücksichtigt, ist die Neubauvariante nicht mehr günstiger. Die Unterdeckung von (40467 DM + 28882 DM =) 69349 DM würde die gegenwärtige Unterdeckung in Höhe von 53970 DM übersteigen. Zudem tragen die Kl. nicht vor, daß sie alle Möglichkeiten zur Mieterhöhung ausgenutzt haben.

Die Berechnungsvariante Gebäudeerhaltung plus Modernisierungsinvestitionen schließlich berücksichtigt nicht die Mietsteigerungsmöglichkeit nach § 3 MHRG. Der Hinweis der Kl., daß ohnehin schon die Obergrenze der Mietspiegelwerte erreicht sei, greift nicht durch. Mit Modernisierungszuschlägen kann der Mietzins durchaus das Niveau des Ortsüblichen übersteigen (vgl. Emmerich/Sonnenschein, § 3 MHRG Rdnr. 21). Eine Obergrenze ergibt sich insoweit nur aus § 5 WiStrG oder § 134 BGB i.V. mit § 302a StGB.

Rechtsgebiete

Mietrecht