Preisbestimmung bei fortgeltendem DDR–Rahmenvertrag über Fernwärmebelieferung
Gericht
OLG Naumburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
22. 12. 1993
Aktenzeichen
2 U 75/92
Staatliche Preisvorschriften der DDR, auf die ein Rahmenvertrag über die Belieferung eines Volkseigenen Betriebes mit Fernwärmeenergie Bezug nimmt, sind gem. §§ 3, 4 II DDR–PreisVO am 1. 7. 1990 außer Kraft getreten. Bei den Vorschriften handelt es sich insbesondere auch nicht um eine – zunächst weiter anwendbare – Preisregelung „gegenüber der Bevölkerung“ i. S. des § 2 DDR–PreisVO.
Dem Fernwärme–Versorgungsunternehmen (FVU) obliegt es, den Preis für die ab 1. 7. 1990 erfolgten Lieferungen nunmehr durch Erklärung gegenüber dem Abnehmer zu bestimmen (§ 32 I DMBilG). Die Bestimmung ist jedoch – vorbehaltlich besonderer Umstände im Einzelfall – nur billig und damit verbindlich, wenn sie dem üblichen Fernwärmepreis entspricht.
Den üblichen Preis kann das Gericht anhand einer Zusammenstellung von Durchschnittspreisen der FVU ermitteln. Eine Beschränkung auf Unternehmen aus dem alten Bundesgebiet begegnet insofern keinen Bedenken. Den Maßstab bilden Preise aus dem mittleren Tarifspektrum.
Das Gericht braucht nicht eine exakte rechnerische Ermittlung der üblichen Vergütung vorzunehmen, sondern ist zu einer Schätzung gem. § 287 ZPO berechtigt.
Die Darlegungs– und Beweislast für Umstände, die ausnahmsweise die Zuerkennung eines höheren als des üblichen Entgelts rechtfertigen, liegt beim FVU. Es genügt hierfür nicht, daß dem FVU von seinem eigenen Lieferanten noch der alte (überhöhte) Preis berechnet worden ist. Berücksichtigung finden können hingegen während einer Übergangsphase etwaige überdurchschnittliche Aufwendungen, die durch die Energieerzeugung als solche entstehen.
Die Parteien streiten über die Höhe des Entgelts, das die Kl. für die Lieferung von Dampfenergie im August und September 1990 – also kurz nach Herstellung der Währungs–, Wirtschafts– und Sozialunion – zu beanspruchen hat. Der Rechtsvorgänger der jetzigen Kl. (im folgenden: Kl.), belieferte den Rechtsvorgänger der jetzigen Bekl. (im folgenden: Bekl.), mit Fernwärme. Den Vertragsbeziehungen der Parteien lag ein sog. Rahmenvertrag vom 18. 4./17. 5. 1989 zugrunde. Hinsichtlich des zu zahlenden Entgelts nahm der Vertrag auf die zum damaligen Zeitpunkt geltenden Preisvorschriften der DDR, u. a. die DDR–Preisordnung Nr. 127, Bezug. Entsprechend diesen gesetzlichen Bestimmungen setzte sich das Entgelt im wesentlichen aus dem sog. Arbeitspreis für die tatsächlich gelieferte Fernwärmemenge und dem sog. Leistungspreis für die vereinbarte Maximalleistung zusammen, wobei dem Leistungspreis im Vergleich zu der Gestaltung der westdeutschen Tarife ein erheblich höheres Gewicht zukam. Auf der Grundlage der bisherigen Vorschriften rechnete die Kl. gegenüber der Bekl. jeweils auch den Fernwärmebezug für die Monate August und September 1990 ab. Die Bekl. hat die Rechnungen bis zum heutigen Tage jedoch nur zum Teil ausgeglichen, und zwar in der Höhe, die ihrer Berechnung nach auf die tatsächlich in Anspruch genommene Energiemenge entfällt. Im einzelnen hat die Bekl. auf die August–Rechnung vom 7. 9. 1990, die sich auf insgesamt 290558,95 DM belief, lediglich 106921,97 DM überwiesen. Die September–Rechnung vom 9. 10. 1990, mit der die Kl. eine Forderung von insgesamt 284299,65 DM geltend machte, hat ihre Vertragspartnerin nur zu einem Teilbetrag von 180904,89 DM bezahlt.
Mit der von ihr erhobenen Klage verlangt die Kl. nunmehr von der Bekl. den Ausgleich der noch offenstehenden Restansprüche, in Höhe von 183663,98 DM (August 1990) und 103394,76 DM (September 1990); hieraus errechnet sich die Klageforderung von insgesamt 287058,74 DM. Die Kl. hat die Auffassung vertreten, daß die bisherigen staatlichen Preisvorschriften für den Fernwärmebezug auch über den 1. 7. 1990 hinaus noch Geltung gehabt hätten. Die Verbindlichkeit der Vorschriften für den hier im Streit befindlichen Zeitraum ergebe sich aus § 2 DDR–PreisVO vom 25. 5. 1990. § 2 DDR–PreisVO enthalte nämlich u. a. Sonderregelungen für die Versorgung der „Bevölkerung“ mit Wärmeenergie; unter dem Begriff der „Bevölkerung“ seien aber alle nicht hoheitlich tätigen Endverbraucher zu verstehen. Im übrigen – so die Kl. weiter – sehe sie sich außerstande, der Bekl. hinsichtlich der fraglichen Zeit niedrigere Fernwärmepreise anzubieten, weil sie ihrerseits die Fernwärme von der Deutschen Reichsbahn im Jahre 1990 noch zu unveränderten Preisen bezogen habe; die Aufwendungen des FEW für Kohle seien erheblich gestiegen. Die Bekl. hat der Forderung der Kl. entgegengehalten, daß die ursprünglich maßgeblichen Preisvorschriften mit der Einführung der Währungs–, Wirtschafts– und Sozialunion außer Kraft getreten seien. Soweit § 2 DDR–PreisVO Ausnahmen bei der Anwendung gegenüber der „Bevölkerung“ vorgesehen habe, seien hierdurch von vornherein Wirtschaftsunternehmen – wie etwa der Rechtsvorgänger der Bekl. – nicht erfaßt worden. Mit ihren Rechnungskürzungen habe sie – die Bekl. – nur der Rechtspraxis in den alten Bundesländern entsprochen, nach der das Entgelt für Wärmeenergie jeweils anhand der tatsächlich in Anspruch genommenen Energiemenge ermittelt werde.
Das KreisG Wernigerode hat in seinem Urteil vom 14. 1. 1992 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das estinstanzliche Gericht sich im wesentlichen den Rechtsstandpunkt der Bekl. zueigen gemacht, daß die Preisregelungen der DDR für den hier interessierenden Bereich bereits ab dem 1. 7. 1990 ihre Geltung verloren gehabt hätten. Die Ausnahmebestimmung des § 2 DDR–PreisVO finde im vorliegenden Fall keine Anwendung, weil sie lediglich im Verhältnis zu der „Bevölkerung“ die staatlichen Preisvorgaben aufrechterhalten habe, zwischen „Bevölkerung“ und „Wirtschaft“ in diesem Zusammenhang jedoch eine Unterscheidung zu treffen sei.
Die Berufung der Kl. hatte nur zum geringen Teil Erfolg.
Die Bekl. ist gem. § 37 I 2 DDR–VG i. V. mit § 32 I DMBilG verpflichtet, an die Kl. für die Lieferung von Wärmeenergie im August 1990 – über die bereits überwiesenen 106921,97 DM hinaus – noch weitere 38371 DM zu bezahlen. Hinsichtlich des Monats September 1990 hat die Bekl. mit insgesamt 180904,89 DM bereits ein höheres Entgelt geleistet, als der Kl. unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit an sich zustünde.
1. Das von den Parteien am 18. 4./17. 5. 1989 begründete Schuldverhältnis unterlag im Zeitpunkt seiner Entstehung ausschließlich den Rechtsvorschriften der DDR, weil beide Vertragspartner dort ihren Geschäftssitz hatten und der Gegenstand des Vertrages keinen Bezug zum Recht der Bundesrepublik Deutschland aufwies. Anzuwenden war nach dem Inhalt des zwischen Volkseigenen Betrieben geschlossenen sog. „Rahmenvertrages“ das DDR–Vertragsgesetz gem. dessen §§ 1 und 2. . Daran hat sich auch durch die weitere Entwicklung nichts geändert.
Eine nach dem „Gesetz über die Änderung oder Aufhebung von Gesetzen der DDR“ vom 28. 6. 1990 (GBl DDR I, 483 ff.) durch den dort in § 3 neu in das Gesetz über Wirtschaftsverträge eingeführten § 331 II möglich gewordene Rechtswahl zugunsten des Gesetzes über Wirtschaftsverträge haben die Parteien nicht getroffen. Allerdings wurde das DDR–Vertragsgesetz durch § 4 des bereits erwähnten Gesetzes vom 28. 6. 1990 zum 1. 7. 1990 aufgehoben. Eine Übergangsregelung für Schuldverhältnisse, die vor dem 1. 7. 1990 entstanden waren (sog. Altfälle), ist nicht getroffen worden. Damit ist aber eine weitere Anwendbarkeit des DDR–Vertragsgesetzes auf Altfälle über den 30. 6. 1990 hinaus nicht ausgeschlossen. Denn Schuldverhältnisse sind, bei Fehlen einer ausdrücklich entgegenstehenden Bestimmung, nach dem Recht zu beurteilen, das zur Zeit der Verwirklichung ihres Entstehungstatbestandes gegolten hat. Von diesem Grundsatz geht ersichtlich auch die Regelung des Art. 232 § 1 EGBGB aus. Nach dieser Vorschrift bleibt das bisherige Recht, hier also insbesondere das DDR–Vertragsgesetz, auf vor dem Beitritt begründete Schuldverhältnisse anwendbar (zum ganzen BGH, NJW 1993, 259 (260); 1856 (1858)).
2. In den Monaten August und September 1990 hat die Kl. die Bekl. nach wie vor auf der Grundlage des sog. „Rahmenvertrages“ beliefert, den die Parteien am 18. 4./17. 5. 1989 – auch nach Ansicht der Bekl. wirksam – abgeschlossen haben. Der Vertrag enthielt, wie im Bereich der Energieversorgung üblich, keine Angabe eines konkreten Preises, sondern nahm seinerseits lediglich auf die „geltenden Preisbestimmungen" Bezug (s. § 1 Nr. 2 des Vertrages). Daß die Kl. in ihren Rechnungen vom 7. 9. sowie 9. 10. 1990 die damals einschlägigen Preisvorschriften der DDR – insbesondere die „Anordnung Nr. 127 über die Industriepreise für Wärmeenergie“ vom 30. 5. 1983 (GBl DDR I, 179 ff.) – beachtet und zutreffend angewandt hat, steht zwischen den Parteien außer Streit. Durchgreifenden Bedenken begegnet jedoch die Absicht der Kl., diese gesetzlichen Preise der Bekl. auch noch für die Zeit nach Herstellung der Währungs–, Wirtschafts– und Sozialunion zu berechnen. Die „Verordnung über die Aufhebung bzw. Beibehaltung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Preise“ – DDR–PreisVO – vom 25. 6. 1990 (GBl DDR I, 472 ff.) hat nämlich die der Berechnung zugrunde liegenden Bestimmungen beseitigt.
Sämtliche in der DDR verbindlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Preise sind gem. § 3 I 2 DDR–PreisVO am 1. 7. 1990 außer Kraft getreten. Die Aufhebung der Preisvorschriften erstreckte sich auch auf Dauerschuldverhältnisse, soweit sie – wie im vorliegenden Fall – noch nicht oder noch nicht voll erfüllt waren. § 4 II 1 DDR–PreisVO sah insofern ausdrücklich vor, daß die Verordnung auch in laufende Verträge eingreifen sollte. Soweit die Parteien deshalb in dem Rahmenvertrag vom 18. 4./17. 5. 1989 auf die „geltenden Preisbestimmungen" Bezug genommen haben, hat diese Verweisung ab dem 1. 7. 1990 ihre rechtliche Bedeutung verloren (vgl. BGH, NJW 1993, 1387 (1388 f.)).
Einer der gesetzlichen Ausnahmefälle, in denen das bisherige Preisrecht über den Stichtag hinaus (vorerst) beibehalten worden ist, liegt nicht vor. Zwar sollten nach § 2 I DDR–PreisVO u. a. die Vorschriften auf dem Gebiet der Preise für Waren und Leistungen der Energiewirtschaft fortgelten, soweit sie „gegenüber der Bevölkerung“ Anwendung fanden. Hiermit waren, wie sich aus der Anlage zur DDR–Preisverordnung ergibt, die „Energie–Tarif–Bestimmungen für die Bevölkerung (gültig ab 1. 1. 1984)" gemeint. Entgegen der Ansicht der Bekl. galten diese Tarifbestimmungen jedoch gerade nicht für industrielle Lieferbeziehungen, die zwischen volkseigenen Betrieben bestanden haben. Die DDR–Preisanordnung Nr. 127 vom 30. 5. 1983 (GBl DDR I, 179 ff.), die für das Vertragsverhältnis der Parteien maßgebend war, nimmt in § 4 eine eindeutige Unterscheidung zwischen Verbraucherpreisen für die Belieferung der Bevölkerung (Absatz 3) einerseits und Industriepreisen (Absatz 2) andererseits vor, wobei zu der zuerst genannten Gruppe auch die Lieferpreise für die persönlichen Hauswirtschaften der Mitglieder und Arbeiter der LPG und GPG sowie der Einrichtungen der Religionsgemeinschaften gerechnet wurden (s. § 3 II DDR–PreisAO). Von den beiden Preiskategorien waren jedoch nur die Verbraucherpreise in den „Wärmeenergie–Tarif–Bestimmungen für die Bevölkerung (WTB)" geregelt, während sich die Industriepreise nach den „Wärmeenergie–Tarif–Bestimmungen für die Wirtschaft (WTW)" richteten. Die Belieferung der Bekl. durch die Kl. erfolgte im vorliegenden Fall auf der Grundlage der „Wärmeenergie–Tarif–Bestimmungen für die Wirtschaft“. Die ursprüngliche Anwendbarkeit der „WTW“ läßt sich insbesondere § 5 Nr. 1 des Rahmenvertrages vom 18. 4./17. 5. 1989 entnehmen, wonach – nur – diese Tarifordnung gelten sollte. Die „Wärmeenergie–Tarif–Bestimmungen für die Wirtschaft (WTW)" gehören aber – anders als diejenigen für die Bevölkerung ("WTB“) – nicht zu den Preisregelungen, die § 2 DDR–PreisVO und die entsprechende Anlage von der generellen Preisfreigabe ausgenommen haben; sie sind deshalb gem. § 3 I DDR–PreisVO mit Wirkung ab 1. 7. 1990 außer Kraft getreten.
3. Die Vergütung, die der Kl. zur Abgeltung der Wärmeenergielieferungen an die Bekl. zusteht, beläuft sich für August 1990 auf 145292,37 DM und für September 1990 auf 142149,82 DM; nach Abzug der bereits geleisteten Zahlungen verbleibt lediglich eine Restforderung in Höhe von 38371 DM. Der Senat nimmt diese Festsetzung unter Billigkeitsgesichtspunkten gem. § 32 I DMBilG vor, der insofern § 4 II DDR–PreisVO ergänzt (s. BGH, NJW 1993, 1387 (1389)).
a) Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Bestimmung des Preises durch den Gläubiger (Kl.), ersatzweise das Gericht, bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken. Der Vertrag der Parteien vom 18. 4./17. 5. 1989, der – soweit es um die August– und September–Lieferung ging – erst nach dem 30. 6. 1990 zu erfüllen war, enthielt lediglich eine Bezugnahme auf die gesetzlichen Preisvorschriften, die Preisfestsetzung selbst ist hingegen bis zum 30. 6. 1990 nicht erfolgt. Als Preisfestsetzung i. S. des § 32 I DMBilG sieht der Senat die für die Parteien verbindliche Konkretisierung der abstrakten Preisregelung an, die sich in der Bezifferung des im Einzelfall zu zahlenden Entgelts niederschlägt (so bereits Senat, DtZ 1992, 291 (293)). Eine solche Konkretisierung hat die Kl. hier aber ersichtlich jeweils erst dann vorgenommen, wenn der Verbrauch des abgelaufenen Monats – von August und September 1990 – endgültig feststand.
b) Nach § 32 I DMBilG durfte die Kl. den gültigen Preis für die Wärmeenergielieferungen ab 1. 7. 1990 durch Erklärung gegenüber dem zur Zahlung Verpflichteten, also der Bekl., bestimmen. Von dieser Befugnis hat sie erst in ihrer Berufungsbegründung vom 27. 4. 1992 Gebrauch gemacht, und zwar in dem Sinne, daß der nach den bisherigen staatlichen Vorschriften ermittelte Preis auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen der angemessene, billige Preis ist. Allerdings hat sie ihr Bestimmungsrecht auf § 315 BGB und nicht unmittelbar auf § 32 I DMBilG gestützt. Die unzutreffende Bezeichnung der maßgebenden Rechtsvorschrift vermag an der Wirksamkeit der Erklärung aber nichts zu ändern.
c) Die Preisbestimmung durch die Kl. wäre für die Bekl. nur dann verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspräche (§ 32 I 2 DMBilG). Ein Entgelt von insgesamt 290585,95 DM für die Energielieferungen im August 1990 und von weiteren 284299,65 DM für September 1990 sieht der Senat jedoch als unangemessen und nicht mehr im Einklang mit Treu und Glauben stehend an. Er setzt den billigen Preis jeweils auf 50 % des von der Kl. verlangten Entgelts, also – ohne Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen – auf 145292,97 DM und auf 142149,82 DM, fest.
Zur Beantwortung der Frage, was unter dem Begriff der „Billigkeit“ i. S. des § 32 I DMBilG zu verstehen ist, bedarf es zunächst eines Rückgriffs auf die Vorschrift des § 315 BGB; denn § 32 I DMBilG gewährt dem Gläubiger ein den §§ 315, 316 BGB vergleichbares Leistungsbestimmungsrecht (Horn, Das Zivil– und WirtschaftsR im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl. (1992), § 8 Rdnr. 11; vgl. ferner Budde/Geißler/zur Lippe, in: Budde/Forster, DMBilG, 1991, § 32 Rdnrn. 9 f.). Im Rahmen des § 315 BGB kommt es, wenn ein Entgelt festzusetzen ist, entscheidend auf den Wert der zu vergütenden Leistung an (BGH, NJW 1966, 539 (540); WM 1983, 1006). Der „billige“ Preis gem. § 32 I DMBilG hat sich in gleicher Weise an der taxmäßigen, bei Fehlen einer taxmäßigen Vergütung an der üblichen Vergütung auszurichten (Budde/Geißler/zur Lippe, § 32 Rdnrn. 9 u. 11; Senat, DtZ 1992, 291 (294), wobei die dort erwähnten weiteren Faktoren für den vorliegenden Fall keine Rolle spielen, s. dazu noch unten).
Eine Bundestarifordnung besteht lediglich für den Elektrizitäts– und den Gasbezug, nicht aber für die Versorgung mit Fernwärme. In Betracht kommt deshalb nur eine Heranziehung der Preise, die normalerweise in vergleichbaren Fällen für die Belieferung mit Wärmeenergie berechnet worden sind. Anhaltspunkte zur Ermittlung eines angemessenen Entgelts hat der Sachverständige D in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. 8. 1993 sowie der ergänzenden mündlichen Anhörung vom 13. 10. 1993 aufgezeigt.
In einer Tabelle hat der Sachverständige die Durchschnittspreise verschiedener Fernwärme–Versorgungsunternehmen für das Jahr 1990 zusammengestellt, und zwar jeweils diejenigen der vier teuersten und der vier preiswertesten Unternehmen sowie diejenigen von drei Unternehmen, die lediglich Heizwerke – also keine Heizkraftwerke – betreiben. Allerdings berücksichtigt diese Zusammenstellung von vornherein nur Energieversorgungsunternehmen aus dem alten Bundesgebiet. Eine solche Beschränkung begegnet jedoch im Ergebnis keinen Bedenken; sie führt insbesondere auch nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung der – unter den wirtschaftlichen Bedingungen eines neuen Bundeslandes tätigen – Kl. Der Senat hat dem Sachverständigen in diesem Zusammenhang u. a. die Frage vorgelegt, ob die Erzeugung und der Transport der Wärmeenergie hier für die Deutsche Reichsbahn bzw. die Stadt B. mit Erschwernissen verbunden war, die die Berechnung eines höheren als des üblichen Entgelts erfordern oder zumindest nahelegen. Zu diesem Beweisthema hat der Sachverständige sich wie folgt geäußert:
„Die FW–Durchschnittspreise, die sich für die Bekl. in 1990 ergeben haben, sind aus dieser Sicht als ungewöhnlich hoch einzustufen. Wenn in diesem Zusammenhang dem Grunde nach und qualitativ berücksichtigt wird, daß bei der Erzeugung und dem Transport der FW in B. Erschwernisse bestanden haben und noch bestehen (keine Kraftwärmekopplung, „ungünstiger“ Brennstoff, hohe Verluste bei der Erzeugung und dem Transport der FW u. ä.), so müssen allerdings auch die „Begünstigungen“ gesehen werden. Sie bestanden – im Vergleich zu dem Betrieb entsprechender Fernwärmeversorgungsanlagen in den alten Bundesländern – im wesentlichen in beachtlich geringeren (spezifischen) Lohnaufwendungen und der Tatsache, daß praktisch keine Aufwendungen/Kosten für Umweltschutzmaßnahmen angefallen sind, weil Entschwefelungs–, Entstickungs– und Entstaubungsanlagen nicht vorhanden waren. Wahrscheinlich waren auch keine Kapitalkosten für die vorhandenen Altanlagen aufzuwenden. Insofern kann ich z. Zt. keinen wesentlichen Grund erkennen, der die verhältnismäßig hohen Durchschnittspreise, welche die Stadtwerke B. in 1990 berechneten, stützen könnte/würde."
Der Sachverständige bestätigt also zwar das Vorhandensein einer Reihe von Produktionsnachteilen auf seiten der Kl., verweist zugleich jedoch auch auf die Kostenvorteile, die der Standort des FEW der Reichsbahn auf dem Gebiet der damaligen DDR mit sich brachte. In der Saldierung dieser Umstände ergeben sich für den Gutachter keine – meßbaren – Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Diese Auffassung macht sich der Senat zueigen. Der Einwand der Kl., man könne nicht „Äpfel mit Birnen vergleichen", entbehrt demgegenüber jeder Konkretisierung und erscheint außerdem nicht stichhaltig. Die Berechtigung der von der Kl. vorgenommenen Preisbestimmung beurteilt sich in erster Linie nach der Kostenbelastung, die das Unternehmen zur damaligen Zeit zu tragen gehabt hat. Auf dieser Ebene, nämlich soweit es um den finanziellen Aufwand für die Energieerzeugung geht, läßt sich aber sehr wohl eine Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Anbietern und Produktionsverfahren herstellen. Im Gegensatz hierzu böten die Tarife von in der ehemaligen DDR ansässigen Fernwärme–Unternehmen, auf die die Kl. sich während des Rechtsstreites bezogen hat, keine geeignete Grundlage für eine Bestimmung des angemessenen Preises. Diese Unternehmen befanden sich in dem hier interessierenden Zeitraum (August/September 1990) in der gleichen Phase der Umstellung und Neuorientierung wie die Kl., so daß ihre Tarife deshalb auch ähnlichen Bedenken ausgesetzt sind. Darüber hinaus sind Preise, die – nach der Aufhebung der staatlichen Preisvorschriften in der DDR – erst einen Monat zuvor in Kraft getreten waren, kaum als Maßstab für die Üblichkeit geeignet.
Von den Fernwärme–Durchschnittspreisen, die der Sachverständige in seiner Tabelle mitgeteilt hat, ermöglichen am ehesten diejenigen der Stadtwerke K. eine Orientierung bei der Beurteilung des von der Kl. geforderten Preises. Die Stadtwerke K. haben im Jahre 1990 – ähnlich wie die Kl. – nur ein Heizwerk ohne Kraftwärmekopplung betrieben. Als Brennstoff gelangte in dem Heizwerk (auch) Kohle zum Einsatz, wobei die dort verwendete Steinkohle zwar teurer ist als die Braunkohle, aber auch einen größeren Brennwert besitzt. Darüber hinaus verdienen die Vergleichsentgelte der Stadtwerke K. aus der Sicht des Senats auch deshalb besondere Beachtung, weil sie sich im mittleren Bereich der Tarife sämtlicher von dem Sachverständigen berücksichtigten Unternehmen bewegen (vgl. etwa bei 1500 h/a: VEBA G. 86,85 DM/MWh;W. Stadtw. 51,67 DM/MWh; Stadtw. K. 67,58 DM/MWh). Unter den in der Tabelle genannten Unternehmen befinden sich – wie bereits erwähnt – neben zwei anderen Betreibern von „einfachen“ Heizwerken die vier teuersten und die vier preiswertesten Anbieter. Angesichts dieser Auswahl erscheint die Annahme gerechtfertigt, daß die Preise der Stadtwerke K. im Jahre 1990 auf dem Markt für Fernwärmeenergie insgesamt einen Durchschnittswert verkörperten. Dies gilt jedenfalls bei einem Lieferumfang von 1500 bis 2000 Jahresvollbenutzungsstunden, also dem Rahmen, in dem sich der vorliegende Fall bewegt.
Eine exakte rechnerische Ermittlung der „üblichen“ Vergütung, die die Kl. von der Bekl. für die Wärmeenergie–Lieferungen im August und September 1990 verlangen durfte, ist nicht möglich. Vielmehr macht der Senat von der ihm gem. § 287 II ZPO eingeräumten Befugnis Gebrauch, den angemessenen Preis – auf der Grundlage der von dem Sachverständigen aufgezeigten tatsächlichen Anhaltspunkte – im Wege der Schätzung zu bestimmen. Jede mathematische Berechnungsformel, die nur eine „richtige“ Lösung zuließe, würde bereits deshalb nicht zu überzeugen vermögen, weil ihre Grundlage von zahlreichen Ungenauigkeiten und Unwägbarkeiten beeinflußt wäre. So weichen selbst die Durchschnittspreise der von dem Sachverständigen ausgewählten westdeutschen Energieunternehmen um bis zu 68 % voneinander ab. Die Tabelle des Gutachtens weist darüber hinaus sogar für dasselbe Fernwärme–Unternehmen differierende Durchschnittspreise aus, je nachdem, ob es sich um die Veröffentlichung des Bundesverbandes der Energie–Abnehmer e. V. (VEA) oder die „Fernwärmewirtschaft international–VWI“, und um welche Anschlußleistung es sich handelt. Außerdem hat der Sachverständige in seinem Gutachten mehrfach deutlich gemacht, daß die Höhe des im Einzelfall zu zahlenden Entgelts auch von dem Verhältnis zwischen Leistungspreis/Jahresgrundpreis und Arbeitspreis einerseits und der Jahresvollbenutzungsstundenzahl andererseits abhängt; die degressive Wirkung des Festkostenanteils ist jeweils unterschiedlich ausgeprägt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen erscheint im vorliegenden Fall eine Herabsetzung des Entgelts auf 50 % der ursprünglichen Rechnungsforderungen berechtigt. Der Sachverständige hat den Gesamtpreis, den die Kl. geltend macht, für August 1990 auf 39,15 DM/GJ bzw. 140,92 DM/MWh und für September 1990 auf 37,35 DM/GJ bzw. 134,44 DM/MWh – und zwar jeweils einschließlich der Kosten für das verlorengegangene Kondensat – beziffert. Der Unterschied zwischen den beiden Monaten ist darauf zurückzuführen, daß die Kl. im September einen um 6,48 DM/MWh geringeren Arbeitspreis – 47,16 DM/MWh statt 53,64 DM/MWh – berechnet hat. Demgegenüber belief sich der Durchschnittspreis der Stadtwerke Kempen im Jahre 1990 bei 1500 h/a auf 18,77 DM/GJ bzw. 67,58 DM/MWh und bei 2000 h/a auf 18,06 DM/GJ bzw. 65,02 DM/MWh. Bei der gebotenen überschlägigen Betrachtung mußten die Abnehmer des Vergleichsunternehmens, der Stadtwerke K., also nur etwa die Hälfte des Entgelts bezahlen, das die Kl. für ihre Wärmeenergielieferungen von der Bekl. verlangt. Der Senat ist aus diesem Grunde der Auffassung, daß ein um die Hälfte verringerter Preis im vorliegenden Fall der Billigkeit i. S. des § 32 I DMBilG entspricht.
Weitere Faktoren sind im Rahmen der Billigkeitsentscheidung hier weder zugunsten der Kl. noch zugunsten der Bekl. zu berücksichtigen (zur Bedeutung derartiger weiterer Umstände s. Senat, DtZ 1992, 291 (294); Horn, § 8 Rdnr. 11).
Soweit die Kl. sich darauf beruft, daß sie ihrerseits für den Bezug der Fernwärme im Jahre 1990 einen unveränderten Preis an die Deutsche Reichsbahn habe bezahlen müssen, vermag dieser Gesichtspunkt sie bereits deshalb nicht zu begünstigen, weil in der Lieferbeziehung zwischen Reichsbahn und Kl. ebenfalls eine Anpassung nach § 32 I DMBilG in Betracht kommt. Ein höheres als das bisher ermittelte Entgelt könnte die Reichsbahn – und damit auch die Kl. – nur dann möglicherweise beanspruchen, wenn die Erzeugung der Wärmeenergie in den ostdeutschen Kraftwerken im allgemeinen oder im Werk B. im besonderen einen überdurchschnittlichen Aufwand erfordert hätte. Da Maßnahmen mit dem Ziel der Kostensenkung erfahrungsgemäß erst nach Ablauf einer gewissen Zeit ihre volle Wirkung entfalten, könnte es in dem genannten Fall der Billigkeit entsprechen, dem Energielieferanten für die Übergangsphase nach dem 1. 7. 1990 auch ein höheres als das übliche Entgelt zuzuerkennen. Die Darlegungs– und Beweislast für das Vorliegen derartiger besonderer Umstände trifft jedoch den Gläubiger, im vorliegenden Fall also die Kl. (s. BGH, NJW 1992, 171 (174) zu der – vergleichbaren – Bestimmung des § 315 BGB). Die überdurchschnittlichen Aufwendungen könnten etwa anhand von Kostenkalkulationen für das klagende und für vergleichbare (westdeutsche) Fernwärmeunternehmen belegt werden. Ein solcher Vortrag der Kl. fehlt jedoch vollständig. Der bloße allgemeine Hinweis, die Kosten für Kohle seien erheblich gestiegen, reicht jedenfalls nicht aus, um den Anspruch auf einen höheren „billigen“ Preis substantiiert zu begründen.
Andererseits vermag auch die Berechnung der Bekl., die zu den von ihr vorgenommenen Abzügen geführt hat, nicht zu überzeugen. Die Bekl. ist jeweils von der in dem betreffenden Monat in Anspruch genommenen höchsten Wärmeleistung, d. h. für August 1990 lediglich von 2,8 MW und für September 1990 von 6,63 MW, ausgegangen. Diese Beschränkung hat der Sachverständige in seinem Gutachten als vollkommen unüblich und sehr ungewöhnlich bezeichnet, weil sie dem Fernwärmeunternehmen jede gesicherte Grundlage für eine Kosten–/Preiskalkulation entziehe. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Ebensowenig kann die Kl. einen geringeren „billigen“ Preis mit dem Hinweis auf die Ungenauigkeit der verwendeten Meßeinrichtungen durchsetzen. Allerdings hat der Gutachter einen Meßfehler in der Größenordnung von ca. +/– 15 % als nicht unrealistisch eingeschätzt. Dieser Meßfehler findet seine Erklärung zum einen in der ungenügenden apparativen Ausstattung, aber auch darin, daß der Dampf im August/September 1990 in einer für die Betriebsverhältnisse überdimensionierten Winterleitung (mit entsprechender Meßblende) transportiert werden mußte, weil die Sommerleitung einen Defekt aufwies. Zumindest ein Teil der Ursachen für die aufgetretenen Meßungenauigkeiten fiel in den unmittelbaren Verantwortungsbereich der Bekl.; die defekte Sommerleitung stand nämlich im Eigentum des Industriebetriebes. Darüber hinaus hat die Bekl. in Kenntnis der vorhandenen Meßeinrichtungen Wärmeenergie abgenommen, ohne zum damaligen Zeitpunkt irgendwelche Bedenken zu äußern. Aus diesem Grunde ist sie nunmehr gem. § 242 BGB gehindert, einen Teil der an sich geschuldeten Vergütung wegen möglicher Meßfehler einzubehalten. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die damalige Einrichtung die Gewinnung von auch nur einigermaßen verwertbaren Meßergebnissen unmöglich gemacht hätte. Dafür fehlen aber nach dem Gutachten des Sachverständigen genügende Anhaltspunkte.
4. Im Ergebnis konnte die Kl. deshalb für die Energielieferung im August 1990 ein Entgelt von insgesamt 145292,97 DM und für die Lieferung im September 1990 ein weiteres Entgelt von 142149,82 DM verlangen. Da die Bekl. unstreitig an die Kl. für August 1990 bereits Zahlungen in Höhe von 106921,97 DM geleistet hat, verbleibt insofern noch eine Restforderung in Höhe von 38371 DM. Anders verhält es sich für den Monat September 1990. Die Zahlungen belaufen sich insofern bereits auf 180904,98 DM, was bedeutet, daß die Kl. bereits mehr als den „billigen“ Preis erhalten hat. Ein weiterer Vergütungsanspruch steht ihr nicht zu.
Allerdings kommt auch keine „Verrechnung“ zwischen dem ausstehenden Restbetrag für August 1990 und der zu hohen Zahlung für September in Betracht. Eine solche Aufrechnung würde voraussetzen, daß der Bekl. ein Rückerstattungsanspruch hinsichtlich der zuviel gezahlten Vergütung zustünde. Das ist jedoch nicht der Fall. In der vorbehaltlosen Überweisung von 180904,89 DM für September liegt die Anerkennung einer Zahlungsverpflichtung in dieser Höhe. Für eine Preisbestimmung gem. § 32 I DMBilG ist unter diesen Umständen kein Raum mehr.
5. Eine Verzinsung der Hauptforderung kann die Kl. erst ab der Zustellung der Berufungsbegründung, d. h. ab 27. 1. 1992, verlangen. Denn erst zu diesem Zeitpunkt hat die Kl. als Gläubigerin die Bestimmung des neuen Preises gem. § 32 I DMBilG vorgenommen. Solange die Leistung der Bekl. aber noch nicht bestimmt war, konnte die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs nicht eintreten, somit auch keine Zinsforderung entstehen (s. BGH, NJW 1993, 1387 (1390)).
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