Pflanzabstand im Wohnungseigentum - Schattenwurf einer Magnolie
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
21. 10. 2002
Aktenzeichen
15 W 77/02
Vom Miteigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft kann verlangt werden, dass eine auf einer Sondernutzungsfläche zu nah an die Grenze gesetzte Pflanze beseitigt wird, auch wenn laut Landesrecht dieser Anspruch verjährt wäre. Dem Beseitigungsanspruch kann allenfalls entgegengehalten werden, dass er nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwirkt sei.
Wenn ein landesrechtliches Nachbargesetzt vorgibt, welche Grenzabstände für Pflanzen gelten, ist dies allenfalls im Rahmen der Interessenabwägung der Wohnungseigentümer als Mindestvorgabe zu berücksichtigen. Die landesrechtlichen Vorschriften haben bei Sondernutzungsflächen allenfalls eine Leitbildfunktion. Auch bzgl. der Frage, welche Pflanzabstände zur Grenze einer Sondernutzungsfläche eingehalten werden müssen, bestimmt sich das Verhältnis von Wohnungseigentümern untereinander nach dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 14 WEG) und nach der Teilungserklärung.
Die Bet. zu 1 bis 8 bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft, deren Verwalterin die Bet. zu 9 ist. Die Bet. zu 1 erwarben die im Erdgeschoss des Hauses M gelegenen Wohnungen Nr. 5 und 6 des Aufteilungsplans etwa im Jahre 1982. Dem Sondereigentum an diesen Wohnungen sind in der Teilungserklärung vom 30. 7. 1981 Terrassenflächen zugeordnet, die im rückwärtigen Bereich des Grundstücks an eine Gartenfläche angrenzen, an der ein Sondernutzungsrecht für den jeweiligen Eigentümer der Wohnung Nr. 1 des Aufteilungsplans begründet ist; diese Wohnung haben die Bet. zu 2 im Jahre 1989 erworben. Bereits im Jahre 1982 befand sich nahe der Terrasse eine junge Magnolie. Diese ist inzwischen auf eine Höhe von ca. 6 m herangewachsen. Die Bet. zu 1 fühlen sich in der Nutzung der Terrasse durch den Schattenwurf der Magnolie beeinträchtigt. Die Bet. zu 1 haben beim AG beantragt, die Bet. zu 2 zur Beseitigung der Magnolie, hilfsweise dazu zu verpflichten, die Magnolie so weit in der Krone auszulichten und zu beschneiden, dass keine Äste in den Luftraum über der Terrasse hineinragen und die Terrasse nicht mehr von der Magnolie beschattet wird, des weiteren nach Beseitigung des der Magnolie anhaftenden Wolllausbefalls es in Zukunft sicher zu stellen, dass Exkremente der die Magnolie befallenden Wollläuse nicht mehr auf die Terrasse gelangen.
Das AG hat ohne Vorliegen entsprechender Erklärungen der Bet. zu 1 und 2 die Erledigung der Hauptsache festgestellt, soweit die Bet. zu 1 mit dem Hilfsantrag die Entfernung in den Luftraum über der Terrasse hineinragender Äste verlangt haben. Im Übrigen hat es die Anträge der Bet. zu 1 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben die Bet. zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihre bisherigen Anträge weiter verfolgt haben. Das LG hat in Abänderung der Entscheidung des AG und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels auf den letztgenannten Hilfsantrag die Bet. zu 2 verpflichtet sicherzustellen, dass zukünftig keine Exkremente von in der Magnolie lebenden Wollläusen auf die Terrasse der Bet. zu 1 fallen können. Die sofortige weitere Beschwerde hatte Erfolg.
II. In der Sache hat das LG ausgeführt, dass es einer näheren Prüfung eines sich aus § 1004 BGB möglicherweise ergebenden Abwehranspruchs nicht bedürfe. Selbst wenn von der Magnolie relevante störende Einflüsse auf das Sondereigentum der Bet. zu 1 ausgingen, sei ein Beseitigungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 47 I 1 NWNachbG ausgeschlossen.
Zur Beurteilung der Frage, welche Beeinträchtigungen durch Anpflanzungen im Verhältnis von Wohnungseigentümern hinzunehmen seien, seien die Grundsätze der Nachbarrechtsgesetze der jeweiligen Länder entsprechend heranzuziehen. Der Grundgedanke der Vorschrift des § 47 I 1 NWNachbG, wonach ein Nachbar, der nicht innerhalb von sechs Jahren nach dem Anpflanzen eines störenden Gewächses Beseitigungsklage erhoben habe, einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, auf den der andere Nachbar sich verlassen dürfe, treffe erst recht auf das Verhältnis von Wohnungseigentümern zu, die infolge ihres Gemeinschaftsverhältnisses noch enger untereinander verbunden seien, als dies bei zufälligen Grundstücksnachbarn der Fall sei.
Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Rechtliche Grundlage des geltend gemachten Beseitigungsanspruchs ist die Vorschrift des § 1004 I 1 BGB i.V. mit § 15 III WEG. Danach kann jeder Wohnungseigentümer einen Gebrauch u.a. des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, der dem Gesetz und den Vereinbarungen (der Teilungserklärung) und Beschlüssen entspricht. Das aus dem Sondernutzungsrecht fließende alleinige Gebrauchsrecht der Bet. zu 2 an der Gartenfläche schließt die Befugnis ein, die Fläche grundsätzlich nach Belieben und eigenem Geschmack gärtnerisch zu gestalten. Der Sondernutzung sind jedoch wie dem Gebrauch des Sondereigentums durch das Gesetz und die Rechte Dritter Grenzen gesetzt (vgl. § 13 I WEG). Auch für die Ausübung des Sondernutzungsrechts gilt daher die das Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer prägende Regelung des § 14 Nr. 1 WEG. Von dem Sondernutzungsrecht darf nur in solcher Weise Gebrauch gemacht werden, dass dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maße hinaus ein Nachteil erwächst. Dieses Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme erfordert im Einzelfall eine konkrete Abwägung der berechtigten Nutzungsinteressen der beteiligten Wohnungseigentümer.
In diesem Rahmen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in geeigneten Fällen die landesrechtlichen Vorschriften der Nachbarrechtsgesetze auf Grund ihrer Leitbildfunktion in die Abwägung der gegenseitigen Interessen einbezogen werden können, weil sie das Maß grenzüberschreitender Einwirkungen beschreiben, die im Verhältnis von Grundstücksnachbarn hingenommen werden müssen (BayObLGZ 1982, 69; DWE 1985, 28; NJW-RR 1987, 846; NZM 1999, 848 = ZMR 1999, 348; KG, OLGZ 1987, 410; NJW-RR 1996, 464). Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine wertende Einbeziehung nachbarrechtlicher Vorschriften in die nach dem WEG vorzunehmende Interessenabwägung, nicht jedoch um eine pauschale analoge Anwendung der nachbarrechtlichen Vorschriften. Denn die Vorschriften über die Grenzabstände von Gehölzen beziehen sich auf die gärtnerische Nutzung im Grenzbereich selbstständiger benachbarter Grundstücke. Dieser Regelungsbereich findet innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft am ehesten eine Entsprechung, wenn an einer Gartenfläche des gemeinschaftlichen Eigentums mehrere selbstständige Sondernutzungsrechte begründet worden sind. Andererseits kann die konkrete Ausgestaltung der Nutzungsbefugnisse innerhalb einer Wohnungseigentumsanlage durch die Teilungserklärung durchaus ein gegenüber den nachbarrechtlichen Vorschriften erhöhtes Maß an Rücksichtnahme erfordern, insbesondere im Verhältnis zwischen der gärtnerischen Nutzung eines sondernutzungsberechtigten Wohnungseigentümers gegenüber dem unmittelbar angrenzenden Sondereigentumsbereich (Wohnbereich) eines anderen Wohnungseigentümers (zutr. OLG Köln, WE 1997, 230 [231]).
Bereits daraus folgt, dass die Ausschlussfrist des § 47 NWNachbG im Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer keine analoge Anwendung finden kann. Es handelt sich im Übrigen um eine landesrechtliche materielle Ausschlussfrist, die im bundesrechtlich durch das WEG abschließend geregelten Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer keine Grundlage findet. Der Vorrang des Bundesrechts schließt es aus, eine hier nicht vorgesehene materielle Ausschlussfrist durch analoge Anwendung einer landesrechtlichen Regelung zu begründen. Es bleibt deshalb dabei, dass der geltend gemachte Beseitigungsanspruch im Verhältnis der Wohnungseigentümer zueinander lediglich nach § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung ausgeschlossen sein kann. So zu entscheiden sieht sich der Senat nicht in einer eine Vorlagepflicht (§ 28 II FGG) begründenden Weise durch die Entscheidung des BayObLG (BayObLGZ 1982, 69) gehindert. (Wird ausgeführt.)
Die Entscheidung des LG erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 27 I 1 FGG, § 561 ZPO). Für die Annahme einer Verwirkung des Beseitigungsanspruchs fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen. Das Zeitmoment des Verwirkungstatbestands setzt voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs ein längerer Zeitraum verstrichen ist. Von einer illoyal verspäteten Geltendmachung des Anspruchs kann in diesem Zusammenhang nur ausgegangen werden, wenn seit dem Zeitpunkt, ab dem die Magnolie durch ihren Wuchs eine Höhe erreicht hat, in dem sie sich störend auf die Nutzung der Terrassenfläche auswirkt und die Bet. zu 1 deshalb Veranlassung zur Geltendmachung eines Beseitigungsanspruchs hatten, ein längerer Zeitraum verstrichen ist (zutr. OLG Köln, WE 1997, 230 [232]). Die Richtigkeit dieses Ansatzes zeigt sich auch daran, dass im Bereich der - hier nicht gegebenen - Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 47 NWNachbG nichts anderes gilt, soweit der Beseitigungsanspruch darauf gestützt wird, dass Ziersträucher im Verlauf mehrere Jahre den von ihrer Wuchshöhe abhängigen Grenzabstand gem. § 41 II 1 NWNachbG - die Wuchshöhe darf das Dreifache des Abstands zum Nachbargrundstück nicht übersteigen - nicht einhalten . In einem solchen Fall wird die Ausschlussfrist des § 47 NWNachbG erst in Lauf gesetzt, wenn der vom Gesetz vorgeschriebene Abstand infolge des Wachstums der Anpflanzung nicht mehr gewahrt ist (vgl. Schäfer, NwNachbG, 11. Aufl., § 47 Rdnr. 5 m.w. Nachw.); diesen Gesichtspunkt hätte das LG auch im Rahmen der von ihm vorgenommenen Anwendung des § 47 NWNachbG ergänzend berücksichtigen sollen. Zu dem Zeitpunkt, in dem sich das Wachstum der Magnolie störend auf die Nutzung der Terrasse auszuwirken begonnen hat, ist von den Bet. nichts vorgetragen. Dasselbe gilt im Hinblick auf das Umstandsmoment des Verwirkungstatbestands, also die Frage, inwieweit die Bet. zu 1 durch ihr Verhalten für die Bet. zu 2 einen Vertrauenstatbestand dahin geschaffen haben, dass ein Beseitigungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werde.
Die Entscheidung der Kammer kann deshalb keinen Bestand haben. Der Senat muss die Sache an das LG zurückverweisen, weil es zur Vorbereitung der Sachentscheidung noch weiterer tatsächlicher Feststellungen (§ 12 FGG) bedarf, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht getroffen werden können. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens und damit der Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung ist zwar nur der Hauptantrag auf Beseitigung der Magnolie, auf dessen Weiterverfolgung sich die sofortige weitere Beschwerde beschränkt. Soweit das LG dem letzten Hilfsantrag der Bet. zu 1 entsprochen hat, steht diese Entscheidung unter der auflösenden Bedingung, dass nach Zurückverweisung der Sache dem Hauptantrag stattgegeben wird (BGHZ 106, 219 = NJW 1989, 1486). Der mit dem ersten Hilfsantrag verfolgte Anspruch auf Rückschnitt der Magnolie stellt sich indessen gegenüber dem Hauptantrag nicht als ein Aliud, sondern lediglich als Beschränkung des Umfangs der verfolgten Beseitigung dar. Die Frage, ob ein Rückschnitt der Magnolie möglich ist, kann dabei in zweierlei Hinsicht von Bedeutung sein: Im Verhältnis von Wohnungseigentümern ist die Geltendmachung eines Abwehranspruchs gegenüber Beeinträchtigungen, die von einem durch den Sondernutzungsberechtigten gepflanzten Strauch ausgehen, regelmäßig auf einen Rückschnitt beschränkt, wenn auf diese Weise dem Rücksichtnahmegebot Rechnung getragen werden kann (BayObLG, DWE 1995, 28; NJW-RR 1996, 464 [465]). Umgekehrt kann sich ein Beseitigungsanspruch daraus ergeben, dass sich nach der Art des erreichten Wachstums des Strauches ein Rückschnitt als unmöglich erweist.
Für die sachliche Beurteilung des Anspruchs kommt es deshalb zunächst darauf an festzustellen, ob die Magnolie im Hinblick auf ihren Standort und die erreichte Höhe ihres Wachstums unter Berücksichtigung der Maßstäbe des § 41 I , II 1 NWNachbG den erforderlichen Abstand zu der Grenze der Terrassenfläche einhält. Im Hinblick darauf, dass die Sondernutzungsfläche unmittelbar an die dem Sondereigentum der Bet. zu 1 zugeordnete Terrassenfläche angrenzt, ergibt sich aus den nachbarrechtlichen Grenzabständen eine Mindestvorgabe, die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots auch im Verhältnis der Wohnungseigentümer zu wahren ist. Entgegen dem mit ihrem Hilfsantrag verfolgten Begehren haben die Bet. zu 1 allerdings keinen Anspruch darauf, dass keinerlei Schatten auf ihre Terrassenfläche fallen darf (KG, NJW-RR 1996, 464). Andererseits hält der Senat die von dem LG im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag vorgenommene Bewertung nicht für zutreffend, angesichts der Form der Krone der Magnolie könne eine dauerhafte Beschattung oder Verdunkelung der Terrasse ausgeschlossen werden; denkbar seien lediglich gewisse wandernde Schatten, die von den Bet. zu 1 jedoch hinzunehmen seien. Abgesehen davon, dass diese Ausführungen nicht auf hinreichenden tatsächlichen Feststellungen (§ 12 FGG) beruhen, weil das Maß der Beeinträchtigung der Nutzung der Terrassenfläche durch den Schattenwurf der Magnolie anhand der im Termin vom 8. 11. 2001 vorgelegten Lichtbilder nicht zuverlässig beurteilt werden kann, enthält die nachbarrechtliche Vorschrift unter Berücksichtigung des nach § 41 II 1 NWNachbG von der Höhe des Strauches abhängigen Grenzabstands einen geeigneten Beurteilungsmaßstab dafür, welches Maß der Verschattung auch im Verhältnis der Wohnungseigentümer zueinander jedenfalls nicht mehr hingenommen werden muss.
Da es sich bei der Magnolie - entgegen der bisherigen von den Bet. verwendeten Terminologie - nicht um einen Baum, sondern um ein Laubziergehölz handeln dürfte, (vgl. Briloer, Bäume, Sträucher u. Hecken im NachbarR, 5. Aufl., S. 64, 65), richtet sich der bei deren Anpflanzung einzuhaltende Grenzabstand nach § 41 I Nr. 2 NWNachbG. Da es sich bei den hier bekannten Arten der Magnolie um einen stark wachsenden Zierstrauch i.S. des § 41 I Nr. 2a NWNachbG handelt, wie das bisherige Höhenwachstum von 6 m belegt, ist bei deren Anpflanzung ein Grenzabstand von 1 m zu beachten. Nach Abs. 2 S. 1 der Vorschrift vergrößert sich der einzuhaltende Grenzabstand in der Weise, dass die Höhe des Strauches das Dreifache seines Abstands zur Grenze nicht überschreiten darf. Bei einer Höhe von 6 m muss der Grenzabstand also mindestens 2 m betragen.
Sofern es darauf noch ankommen sollte, bleibt ergänzend zu prüfen, ob unter den besonderen örtlichen Gegebenheiten selbst bei Einhaltung der Grenzabstände des § 41 NWNachbG von der Magnolie Beeinträchtigungen für die Nutzung der Terrassenfläche der Bet. zu 1 ausgehen, die ihnen unter Berücksichtigung des Rücksichtnahmegebots nicht zugemutet werden können. Dies setzt nähere tatsächliche Feststellungen über den bei einer Wahrung des Grenzabstands verbleibenden Umfang des Schattenwurfs in der Jahreszeit voraus, in der die Terrasse hauptsächlich benutzt wird. Feststellungen dazu werden sich voraussichtlich nur im Rahmen einer Ortsbesichtigung, ggf. unter Zuziehung eines geeigneten Sachverständigen, treffen lassen.
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