Frist für Vaterschaftsanfechtungsklage
Gericht
OLG Brandenburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
10. 05. 2001
Aktenzeichen
15 UF 95/00
Die Beschwer des Rechtsmittelführers ist grundsätzlich (materiell) danach zu bestimmen, ob er ganz oder zum Teil verurteilt wurde, mag er dem widersprochen haben oder nicht.
Die bestehenden Fristen für die Vaterschaftsanfechtungsklage sind aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutz der Interessen des Kindes gerechtfertigt und erforderlich. Wird die hiernach maßgebliche Anfechtungsfrist versäumt, gilt der Anfechtende selbst dann weiter als der rechtliche Vater, wenn seine biologische Vaterschaft nachweislich ausgeschlossen ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Mit der Ende Juli 1998 erhobenen Klage macht der Kl. geltend, er sei nicht Vater der nunmehr 14 Jahre alten Bekl. In der gesetzlichen Empfängniszeit und zum Zeitpunkt ihrer Geburt war er mit ihrer Mutter verheiratet; die Ehe wurde 1988 geschieden. Er behauptet, bis 1997 habe er keinerlei Zweifel daran gehabt, dass er der leibliche Vater der Bekl. sei. Er habe deswegen bis dahin auch stets eine enge Vater-Tochter-Beziehung zu ihr gehabt. Erstmals im März 1997 habe seine jetzige Ehefrau - er hat 1995 wieder geheiratet - davon gesprochen, die Bekl. stamme nicht von ihm ab, und angegeben, dass ihr dies kurz vor ihrer Eheschließung im Jahre 1995 durch die Mutter der Bekl. mitgeteilt worden sei. Die Bekl. bzw. ihre sie vertretende Mutter ist der Klage von Anfang an im Wesentlichen damit entgegengetreten, dass der Kl. die gesetzliche Anfechtungsfrist versäumt habe. Er habe positiv gewusst, dass sie während der gesetzlichen Empfängniszeit eine außereheliche Beziehung unterhalten habe. Er habe sie nämlich in dieser Zeit mit dem Zeugen W nackt im Ehebett liegend angetroffen, als er von einer Wochenendreise vorzeitig und überraschend zurückgekehrt sei.
Nachdem die Mutter der Bekl. in erster Instanz von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, holte das AG ein Blutgruppengutachten ein. Nach dessen Ergebnis ist auszuschließen, dass die Bekl. vom Kl. abstammt. Vor diesem Hintergrund trat die Bekl. der Klage in der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht mehr entgegen, sondern schloss sich dem Klageantrag an.
Mit Urteil vom 3. 3. 2000 hat das AG hiernach festgestellt, dass die Bekl. nicht das eheliche Kind des Kl.sei. Hiergegen wendet sich die Bekl. mit der Berufung. Zum Beweis ihrer Behauptung, der Kl. habe bereits vor ihrer Geburt gewusst, dass nicht er allein als Vater in Betracht komme, hat sie sich auf das Zeugnis ihrer Mutter, ferner auf das ihrer angeheirateten Großmutter, der Zeugin K, sowie des als Vater in Betracht kommenden Zeugen W berufen. Der Senat hat die angebotenen Beweise erhoben. Alle Zeugen haben die Behauptungen der Bekl. bestätigt.
Auszüge aus den Gründen:
I. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden (§§ 516, 518f. ZPO). Sie ist nicht deswegen unzulässig, weil es an einer Beschwer der Bekl. fehlte, nachdem die Entscheidung der ersten Instanz auf zuletzt übereinstimmenden Antrag beider Parteien ergangen ist. Die Beschwer des Rechtsmittelführers ist grundsätzlich (materiell) danach zu bestimmen, ob er ganz oder zum Teil verurteilt wurde, mag er dem widersprochen haben oder nicht (h.M., vgl. BGH, JZ 1955, 423 [424], m.abl. Anm. von Lent, 425; BGH, ZZP 74 [1961], 362 [364], m.Anm. von Habscheid, 367 [369f.]; BGH, NJW 1975, 539f.; OLG Koblenz, NJW-RR 1993, 462; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., Vorb. § 511 Rdnr. 19; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., Vorb. § 511 Rdnr. 19; Musielak/Ball, ZPO, 2. Aufl., Vorb. § 511 Rdnr. 13; Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., Vorb. § 511 Rdnr. 17a; a.A. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 136 II. 3.c [S. 812]; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., Einl. V vor § 511 Rdnrn. 84ff.). Eine solche (materielle) Beschwer der Bekl. ist im Streitfall ohne weiteres gegeben, weil der Kl. mit seiner gegen sie gerichteten Vaterschaftsanfechtungsklage im ersten Rechtszug erfolgreich war.
II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Der Kl. gilt trotz der nach dem vom AG eingeholten Abstammungsgutachten ausgeschlossenen biologischen Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB i.V. mit § 54 V FGB, Art. 234 § 7 II EGBGB als Vater der Bekl., weil er die gesetzliche Vaterschaftsvermutung nicht innerhalb der hierfür vom Gesetz bestimmten Ausschlussfrist angefochten hat (§§ 1592, 1599ff., 1600b I, 1600c BGB). Die danach bestehende Vaterschaft hätte er nach § 62 FGB bzw. § 1600b I BGB i.V. mit Art. 234 § 7 II EGBGB nur binnen eines bzw. zweier Jahre nach dem Zeitpunkt anfechten können, in dem er von den Umständen erfahren hatte, die gegen seine Vaterschaft sprechen. Auch die längere Frist des BGB ist durch die Ende Juli 1998 eingereichte Klage nach Überzeugung des Senats nicht gewahrt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht vielmehr fest, dass er bereits im Herbst 1985 davon wusste, dass seine damalige Ehefrau, die Mutter der Bekl., in der gesetzlichen Empfängniszeit (auch) mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt hatte.
1. Die gesetzliche Anfechtungsfrist beginnt mit der Kenntnis eines Sachverhalts, der die Ehelichkeit ernstlich in Frage stellt, d.h. die nicht ganz fernliegende Möglichkeit nichtehelicher Abstammung des Kindes begründet. Die Kenntnis des Sachverhalts soll nach dem Gesetz als erster Anstoß genügen, den als Vater Geltenden zu veranlassen, sich über die Erhebung der Anfechtungsklage schlüssig zu werden (BGHZ 9, 336 [337] = NJW 1953, 980; BGH, FamRZ 1979, 1007 [1008] = NJW 1980, 1335; BGH, FamRZ 1990, 507 [509] = NJW 1990, 2813). Es kommt mithin allein darauf an, ob er Kenntnis von solchen Umständen hatte, die es bei objektiver und verständiger Beurteilung als möglich erscheinen lassen, dass das Kind nicht von ihm gezeugt ist (vgl. BGHZ 61, 195 = FamRZ 1973, 592 [593] = NJW 1973, 1875). Ein solcher Umstand ist es ohne weiteres, die spätere Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit „in flagranti“ mit einem anderen Mann zu überraschen.
2. Behauptet - wie hier - der anfechtende Vater einen innerhalb der Anfechtungsfrist liegenden Zeitpunkt der Kenntniserlangung i.S. von § 62 FGB bzw. § 1600b I BGB, trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Kenntnis bereits früher erlangt hat, das bekl. Kind (h.M.vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 59. Aufl., § 1600b Rdnr. 3; Mutschler, in: MünchKomm, BGB, 3. Aufl., § 1600h a.F. Rdnr. 2). Den ihr obliegenden Beweis hat die Bekl. mit der Aussage des Zeugen W erbracht. Der Senat sieht keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder der inhaltlichen Richtigkeit seiner Bekundungen ernsthafte Zweifel zu hegen:
Zuerst im Jahre 1983 habe er mit der damals noch unverheirateten Kindesmutter eine im selben Jahr wieder beendete Beziehung gehabt. Im Frühjahr 1985 habe dann die Mutter der Bekl. das Verhältnis wieder aufgenommen und ihm erklärt, ihre zwischenzeitlich mit dem Kl. eingegangene Ehe verliefe nicht gut. Seit dieser Zeit habe sie ihn regelmäßig in seiner Wohnung in B. - sie wohnte in P. - besucht. Im Herbst (September/Oktober) 1985 habe sie ihn erstmals zu sich - für ein ganzes Wochenende - in die Ehewohnung eingeladen, als der Kl. eine Kurzreise ins Ausland unternommen habe. Er habe die Nacht von Samstag auf Sonntag mit ihr verbracht; am Morgen hätten sie beide unbekleidet im Bett gelegen, als der Kl. überraschend und vorzeitig nach Hause gekommen und sie so vorgefunden habe. Der Kl. habe ihn sofort aus der Wohnung gewiesen und die Kindesmutter in die Badewanne geschickt. Danach sei sein Verhältnis zur Kindesmutter zu Ende gewesen, da es ihm - ihr gegenüber - äußerst peinlich gewesen sei, von ihrem Ehemann in dieser Weise überrascht worden zu sein. Ein letztes Mal habe sich die Kindesmutter noch einmal etwa zweieinhalb Monate später bei ihm gemeldet, um ihm mitzuteilen, dass sie schwanger sei und er als Vater des Kindes in Betracht komme. Das habe ihn stark irritiert, da er kein Kind mit ihr habe bekommen wollen. Sie habe ihn jedoch mit der Erklärung beruhigt, sie habe sich wieder mit dem Kl. ausgesöhnt, der sich in jedem Fall ein Kind von ihr wünsche. Danach habe er von der Kindesmutter erst wieder etwas aus Anlass dieses Verfahrens gehört. Eine bildliche Erinnerung an den Kl. habe er nicht; dazu sei die Begegnung mit ihm zu kurz gewesen und liege zu lange zurück.
Diese Bekundungen sind in sich schlüssig und nachvollziehbar; sie beruhen erkennbar auf im Kern lebendiger Erinnerung und sind in sich widerspruchsfrei. Keiner Frage auch des Senats - ist der Zeuge ausgewichen, auch wenn sie für ihn unangenehme Punkte berührte oder betraf.
Umstände, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprächen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere seine ruhige und besonnene Art sowie sein rundweg seriös erscheinendes Auftreten stehen ebenso wie die zurückhaltende Offenheit seiner Darstellung und der Antworten auf ihm gestellte Fragen sprechen für seine Vertrauenswürdigkeit. Dies hat der Kl. nicht durch die - in nicht nachgelassenem Schriftsatz geäußerte - Vermutung erschüttern können, der Zeuge verstehe sich anscheinend auch heute noch gut mit der Kindesmutter, so dass ihm „gar nichts anderes übrig geblieben“ sei, als „(ihre) Version … vor Gericht zu bestätigen, weil dies voraussehbar wohl das kleinere Übel für ihn“ gewesen sei. Diese wenig konkrete Behauptung lässt keinen tatsächlichen Sachverhalt erkennen, der die in den Raum gestellte Vermutung stützen könnte.
Da der Senat seine Überzeugung davon, dass der Kl. bereits zu dem von der Bekl. bezeichneten Zeitpunkt Kenntnis von den gegen seine Vaterschaft sprechenden Umständen gehabt hatte, allein aus den glaubhaften Bekundungen des Zeugen W gewonnen hat, kommt es auf die vom Kl. angezweifelte Glaubhaftigkeit der dieses Beweisergebnis nur stützenden Aussagen der Zeuginnen T und K nicht maßgeblich an.
3. Es mag wenig befriedigend erscheinen, wenn eine Verwandtschaftsbeziehung rechtlich aufrechterhalten bleibt, die biologisch nicht besteht. Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung der Anfechtungsfrist diesen Fall aber bewusst in Kauf genommen (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1995, 643 [644]). Die Regelung ist auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Grundgesetz vereinbar, weil die Einführung von Fristen für die Vaterschaftsanfechtungsklage vor dem Hintergrund der durch sie geschaffenen Rechtssicherheit und des Schutzes der Interessen des Kindes gerechtfertigt und erforderlich ist (vgl. EuGH, NJW 1986, 2176 [2177]; BVerfG, NJW 1975, 208; BGH, FamRZ 1991, 325).
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