Rückständiger Kindesunterhalt als unbillige Härte für den Erzeuger

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

02. 12. 1999


Aktenzeichen

2 UF 265/98


Leitsatz des Gerichts

  1. Ist der leibliche Vater in der Annahme seiner Vaterschaft damit einverstanden, dass das Kind dem Scheinvater untergeschoben wird, ist er nicht redlich, weshalb die Zahlung rückständigen Kindesunterhalts für ihn selbst dann keine unbillige Härte i.S. von § 1613 III 1 BGB darstellt, wenn der Scheinvater die Anfechtung seiner Vaterschaft hinsichtlich der Anfechtungsfrist erschlichen haben sollte.

  2. Hat der Scheinvater den nach § 1607 III 2 BGB auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch durch Rechtsgeschäft auf das Kind zurückübertragen, kann der gegen den leiblichen Vater gerichteten Unterhaltsforderung des Kindes kein früheres, unredliches Verhalten des Scheinvaters entgegengehalten werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl., welcher dem Bekl., seinem nicht ehelichen Kind, zur Leistung von Regelunterhalt verpflichtet ist, begehrt im so genannten Nachverfahren den Erlass rückständiger Unterhaltsbeträge sowie des laufenden Unterhalts bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Die Mutter des bekl. Kindes hatte im Jahre 1985 den später als dessen Vater geltenden Z geheiratet. Innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit (12. 2. - 13. 6. 1988) hatte sie mit dem Kl. eine intime Beziehung. Am 10. 12. 1988 brachte sie den Bekl. zur Welt. Im Dezember 1992 trennte sie sich von ihrem Ehemann. Die Ehe wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 22. 2. 1996 geschieden. Zugleich wurde die elterliche Sorge für den Bekl. der Mutter übertragen. Noch vor der Scheidung hatte Z im Februar 1996 gegen den Bekl. die Ehelichkeitsanfechtungsklage erhoben. Mit am 5. 9. 1996 rechtskräftig gewordenem Urteil vom 11. 6. 1996 wurde festgestellt, dass Z nicht der Vater des Bekl. ist.

Mit dem Kl. des vorliegenden Verfahrens am 9. 5. 1997 zugestellten Anträgen begehrte nunmehr der Bekl. des vorliegenden Verfahrens die Feststellung, dass der Kl. des vorliegenden Verfahrens sein Vater sei, sowie dessen Verurteilung zur Zahlung des Regelunterhalts für die Zeit von seiner Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Im Laufe dieses Verfahrens wurde auf Grund eines außergerichtlich erhobenen Blutgruppengutachtens festgestellt, dass die Vaterschaft des Kl. des vorliegenden Verfahrens praktisch erwiesen sei. Hierauf anerkannte dieser mit Jugendamtsurkunde vom 28. 1. 1998 seine Vaterschaft zum Bekl. Mit Erklärungen vom 10. 3. 1998 trat Z dem Bekl. dessen Unterhaltsansprüche gegen den Kl. insoweit ab, als diese wegen erbrachter Unterhaltsleistungen gem. § 1615b BGB a.F. auf Z übergegangen waren. Der Bekl. hatte seit 1. 3. 1996 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten. Die insoweit auf das Land übergegangenen Unterhaltsansprüche wurden mit Erklärung vom 16. 3. 1998 von der Unterhaltsvorschusskasse auf den Bekl. im Wege einer Rückabtretung übertragen. Mit Urteil vom 28. 4. 1998 wurde der Kl. des vorliegenden Verfahrens verurteilt, an den Bekl. des vorliegenden Verfahrens seit dessen Geburt bis zum vollendeten 18. Lebensjahr den Regelunterhalt zu zahlen, soweit der Unterhaltsanspruch des Bekl. des vorliegenden Verfahrens gegen den Kl. des vorliegenden Verfahrens nicht auf die Stadt ab 1. 3. 1996 wegen Leistungen von Unterhaltsvorschuss übergegangen seien. Das Gericht begründete sein Urteil u.a. damit, dass der Kl. des vorliegenden Verfahrens gem. §§ 1615f. BGB a.F. zur Zahlung des Regelunterhalts verpflichtet sei. Da die Rückabtretung der nach dem UVG übergeleiteten Unterhaltsansprüche nicht zulässig gewesen sei, sei die Klage jedoch insoweit abzuweisen gewesen, als für das Kind nach diesem Gesetz Leistungen erbracht worden seien. Das Urteil wurde dem Kl. am 11. 5. 1998 zugestellt.

Mit seiner am 30. 6. 1998 eingereichten Klage macht der Kl. das Nachverfahren anhängig. Bis Februar 1996 befinde er sich wegen rückständigen Kindesunterhalts nicht in Verzug, da bis zu diesem Zeitpunkt keine Inverzugsetzung gem. § 1613 BGB vorliege und § 1615i BGB a.F. nach dem seit 1. 7. 1998 geltenden Recht ersatzlos gestrichen sei. Ferner werde ein Teil des Kindesunterhalts von dessen Großmutter mütterlicherseits aufgebracht. Im Übrigen sei es unbillig, wenn er Unterhalt für den Bekl. zahlen solle, da die Kindesmutter und ihr früherer Ehemann das Feststellungsurteil vom 11. 6. 1996 erschlichen hätten. Zum damaligen Zeitpunkt sei die zweijährige Ausschlussfrist gem. § 1594 I a.F. BGB verstrichen gewesen. Er - der Kl. - sei nämlich im Februar 1988 mit der Kindesmutter in Urlaub gewesen. Als sie nach diesem Urlaub die Schwangerschaft bemerkt habe, habe sie ihm gegenüber geäußert, sie wolle ihren Ehemann im Glauben halten, das Kind stamme von ihm. Da jedoch das Kind diesem nicht ähnlich gesehen habe, sei schon im Jahre 1991 in dem gemeinsamen Bekanntenkreis offen darüber gesprochen worden, dass er der Vater des Kindes sei, was der frühere Ehemann der Kindesmutter auf diesem Wege auch erfahren habe. Der Kl. will in Abänderung des Urteils vom 28. 4. 1998 ab Geburt des Bekl. (am 10. 12. 1988) keinen Unterhalt für den Bekl. zahlen. Der Bekl. trägt vor, er sei bis zum Vaterschaftsanerkenntnis des Kl. aus Rechtsgründen gehindert gewesen, diesem gegenüber Kindesunterhalt geltend zu machen, weshalb er gem. § 1613 II Nr. 2a BGB n.F. den Unterhalt ab seiner Geburt geltend machen könne. Fernerhin habe er seinen Unterhaltsanspruch mit seiner am 5. 5. 1997 eingereichten Klage geltend gemacht. Soweit er Unterhaltsleistungen von seiner Großmutter erhalten habe, hätten diese nicht zur Entlastung des Kl. gedient; es habe sich vielmehr um Zuwendungen für ihn selbst gehandelt. Im Übrigen bestreitet er, dass die Feststellung seiner Nichtehelichkeit mit Urteil des AG vom 11. 6. 1996 erschlichen worden sei. Sowohl seine Mutter, als auch der Scheinvater seien bis Weihnachten 1995 davon ausgegangen, dass er dessen Kind sei.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Zu Recht hat das AG die Klage abgewiesen, da der Kl. gemäß dem Urteil vom 28. 4. 1998 in dem dort festgesetzten Rahmen ab Geburt des Bekl. verpflichtet ist, an diesen zumindest den Regelunterhalt zu zahlen.

1. Dem AG ist darin zu folgen, dass sich der Kl. nicht darauf berufen kann, die Zahlung des rückständigen Unterhalts ab Geburt des Bekl. stelle für ihn eine unbillige Härte i.S. des § 1613 III 1 BGB dar.

Die Abänderungsklage wurde am 30. 6. 1998 innerhalb der Dreimonatsfrist des § 643a II 2 ZPO a.F. anhängig. Gem. Art. 5 § 2 II Nr. 1 KindUG bleibt für Nachverfahren wie dem vorliegenden das vor dem 1. 7. 1998 geltende Verfahrensrecht maßgebend. An die Stelle der materiellrechtlichen Vorschrift des § 1615 BGB a.F. ist jedoch ab dem 1. 7. 1998 die Vorschrift des § 1613 III 1 BGB n.F. getreten. Dem Wortlaut beider Vorschriften ist zu entnehmen, dass sich durch die Neufassung an Sinn und Zweck der Regelung nichts geändert hat.

Der Gesetzgeber wollte mit der Möglichkeit der Stundung oder des Erlasses rückständigen Unterhalts ausschließlich die Möglichkeit schaffen, die wirtschaftliche Belastung des Unterhaltsschuldners aus der rückwirkenden Geltendmachung des Anspruchs zu mildern, um seine Fähigkeit zur Leistung des laufenden Unterhalts zu erhalten und ihm nicht jegliche Motivation zur Zahlung des Unterhalts zu nehmen. Die Vorschrift dient dem Schuldner- wie auch dem Gläubigerschutz, da nur ein Schuldner, welcher nicht überschuldet ist, dem Unterhaltsgläubiger nützt (Staudinger/Eichenhofer, BGB, 1997, § 1615i.a.F. Rdnr. 23 m.w.Nachw.; LG Ulm, FamRZ 1995, 633 [634]). Da beim Erlass zudem zu berücksichtigen ist, dass er nicht mehr rückgängig zu machen ist, kommt er nur in Betracht, wenn der Unterhaltsschuldner während des Zeitraums, in dem er Unterhalt schuldet, subjektiv redlich war, der laufende Unterhalt für das Kind, andere Kinder oder den Ehegatten objektiv gefährdet wäre und diese Gefährdung nicht durch mildere Mittel, wie z.B. Stundung oder Herabsetzung des rückständigen Unterhalts, abgewendet werden kann (Staudinger/Eichenhofer, § 1615i a.F. Rdnr. 23; LG Ulm, FamRZ 1995, 633 [634], jeweils m.w.Nachw.).

Für einen Erlass fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung. Der Kl. war nach seinem eigenen Vortrag von Anfang an nicht redlich, d.h. er ging davon aus, Vater des Bekl. zu sein und war damit einverstanden, dass das Kind dem Scheinvater untergeschoben wurde. Aus diesem Grunde bedarf es auch keiner Prüfung, ob es für den Unterhaltspflichtigen eine unbillige Härte i.S. des § 1613 III 2 BGB darstellt, wenn sich - wie hier der Kl. behauptet - der Scheinvater in Kenntnis der Tatsachen mehr als vier Jahre lang einer Ehelichkeitsanfechtung verschließt, um dann unter Leugnung der Anfechtungsfrist des § 1600b I BGB wirksam die Ehelichkeit des Kindes anzufechten.

Auch für einen Erlass oder eine Stundung wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Kl. und damit verbundener Gefährdung seiner laufenden Unterhaltsverpflichtungen (Staudinger/Eichenhofer, § 1615 a.F. Rdnr. 23) besteht kein Anlass. Da er - nach seinem Vortrag - seit Geburt des Bekl. damit rechnen musste, als Vater zum Unterhalt herangezogen zu werden, ist es ihm zuzumuten, zur Leistung des geltend gemachten rückständigen Regelunterhalts auf seinen im Wesentlichen aus Immobilien bestehenden Vermögensstamm zurückzugreifen.

2. Der Kl. kann nicht damit gehört werden, er sei mangels Verzugs bezüglich des hier allein interessierenden Regelunterhalts nicht zur Leistung bis Februar 1996 rückständig gewordenen Unterhalts verpflichtet.

Bis zum 30. 6. 1998 konnte der Bekl. von seinem Vater Unterhaltsbeträge, welche vor der Anerkennung der Vaterschaft fällig geworden sind, auch für die Vergangenheit verlangen (§ 1615d BGB a.F.). Hieran hat sich durch das ab 1. 7. 1998 in Kraft getretene KindUG nichts geändert, da nach § 1613 II Nr. 2a BGB n.F. der Bekl. in jedem Falle den Unterhalt auch für den Zeitraum fordern kann, in welchem er aus rechtlichen Gründen an dessen Geltendmachung gehindert war. Der Kl. hat mit Jugendamtsurkunde vom 28. 1. 1998 seine Vaterschaft anerkannt. Erst ab diesem Zeitpunkt war der Bekl. rechtlich in der Lage, ihn auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen, weshalb er für die vorausgegangene Zeit keiner Inverzugsetzung bedurfte.

3. Der Anspruch des Bekl. auf den vollen rückständigen Unterhalt ist auch nicht verwirkt. Die Regelung des § 1611 BGB betrifft die Verwirkung der Unterhaltsansprüche volljähriger oder verheirateter Kinder und ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, weshalb gem. Abs. 2 der genannten Vorschrift der Unterhaltsanspruch eines minderjährigen unverheirateten Kindes in der Regel nicht verwirkt werden kann (Wendl/Scholz, UnterhaltsR, 4. Aufl., § 2 Rdnr. 479).

Von der Rechtsprechung wird allerdings anerkannt, dass die Annahme eines Verwirkungstatbestandes im Falle der Geltendmachung rückständigen Unterhalts für ein minderjähriges Kind eingreifen könne, wenn - bei geklärter Unterhaltspflicht - Unterhaltsleistungen erst nach mehr als einem Jahr gefordert werden und der Unterhaltsschuldner auf Grund besonderer Umstände nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) davon ausgehen durfte, der Unterhalt werde nicht mehr geltend gemacht (OLG Düsseldorf, FamRZ 1989, 776; OLG Hamburg, FamRZ 1990, 1271 [1273]).

Vorliegend ist ein solcher Fall jedoch nicht gegeben. Zunächst war die Unterhaltspflicht des Kl. nicht geklärt. Bis zur Anerkennung der Vaterschaft mit Jugendamtsurkunde vom 28. 1. 1998 konnte der Kindesunterhalt dem Kl. gegenüber aus Rechtsgründen nicht geltend gemacht werden. Danach wurde der Kindesunterhalt vor Ablauf eines Jahres eingeklagt. Damit scheidet das so genannte Zeitmoment aus. Es fehlt aber auch das so genannte Umstandsmoment. Der Kl., welcher - wie dargelegt - nach seinem Vortrag damit einverstanden war, dass der Bekl. dem Scheinvater untergeschoben wurde, konnte nicht damit rechnen, dass die - aus seiner Sicht - gleichfalls unredliche Kindesmutter dies auf Zeit und Dauer decken werde. Das kollusive Zusammenwirken Unredlicher vermag keinen Vertrauenstatbestand i.S. des § 242 BGB zu begründen.

4. Insoweit, als die Großmutter mütterlicherseits für den Lebensunterhalt des Bekl. aufkam, wurde der Kl. nicht von einer Unterhaltspflicht befreit, da sie nicht diesen mit ihren Zuwendungen begünstigen wollte.

5. Der Kl. kann auch nicht mit seiner Behauptung durchdringen, die Mutter des Bekl. habe - für diesen handelnd - ihm gegenüber auf Unterhalt verzichtet. Davon abgesehen, dass eine derartige Verzichtserklärung der Zustimmung des damals sorgeberechtigten Scheinvaters bedurft hätte (§ 1627 BGB), konnte für die Zukunft auf Kindesunterhalt nicht verzichtet werden (§ 1614 I BGB).

6. Der Kl. ist der Ansicht, der Scheinvater sei nicht gehindert gewesen, den rückständigen Unterhalt vor den Zeitpunkten des § 1613 I BGB geltend zu machen, da er seit 1991 gewusst habe, nicht Vater des Bekl. zu sein. Deshalb habe dieser nicht den rückständigen Kindesunterhalt nach § 1613 II BGB fordern können. Mithin könne auch der Bekl. als Zessionar sich nicht darauf berufen.

Der Kl. verkennt, dass an den Bekl. keine originäre Forderung des Scheinvaters abgetreten wurde. Ihm wurde vielmehr der eigene Anspruch auf Kindesunterhalt, der im Wege eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 1607 III 2 BGB auf den Scheinvater übergegangen war, durch Rechtsgeschäft zurückübertragen. Der Bekl. selbst war aber mangels Feststellung der Vaterschaft des Kl. i.S. des § 1613 II Nr. 2a BGB gehindert, diesen auf Kindesunterhalt in Anspruch zu nehmen. Da der Unterhaltsanspruch des Bekl. gegen den Kl. erst mit Feststellung der Vaterschaft entstand und im Zeitpunkt des Entstehens auf den Scheinvater überging, kann sich dessen früheres Verhalten nicht auf die zwischen den Parteien selbst entstandene Unterhaltsverbindlichkeit auswirken.

7. Die mit Erklärung vom 10. 3. 1998 erfolgte Rückabtretung des Unterhaltsanspruchs des Bekl. war wirksam. Wie unter 6. dargestellt, war der Unterhaltsanspruch durch cessio legis (§ 1607 III 2 BGB) in den Grenzen des § 1610 BGB auf den Scheinvater übergegangen, wobei sich der Bedarf nach der Lebensstellung des Kl. richtet, da der minderjährige Bekl. seine Lebensstellung von diesem ableitet. In eben diesem Umfang erfolgte die Rückabtretung. Sie war damit hinreichend bestimmt, zumal von einer rechtsgeschäftlich vorgenommenen Zession keine genauere Bestimmtheit verlangt werden kann als von dem - denselben Anspruch betreffenden - gesetzlichen Forderungsübergang.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht