Anspruch des Zahlvaters gegen den „wirklichen“ Vater eines nichtehelichen Kindes

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

17. 02. 1993


Aktenzeichen

XII ZR 238/91 (Zweibrücken)


Leitsatz des Gerichts

  1. Ein Scheinvater kann wegen des Unterhalts, den er seinem vermeintlichen Kinde geleistet hat, grundsätzlich erst Rückgriff nehmen, wenn die Vaterschaft dessen, den er für den Erzeuger hält, mit Wirkung für und gegen alle feststeht.

  2. Eine zur Realisierung dieses Rückgriffsanspruchs notwendige Klärung der Vaterschaft des angeblichen Erzeugers kann nicht als Vorfrage in einem Regreßprozeß durchgesetzt werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. wurde durch Urteil des AG Kaiserslautern vom 15. 7. 1960 als sogenannter Zahlvater im Sinne des damals geltenden § 1717 BGB zu Unterhaltsleistungen an den am 2. 12. 1955 nichtehelich geborenen P verurteilt. Er zahlte daraufhin für die Zeit bis zum 30. 11. 1972 in monatlichen Teilbeträgen insgesamt 16575 DM. Als P im Jahre 1988 auch einen vorzeitigen Erbausgleich beanspruchte, erwirkte der Kl. gegen ihn das - rechtskräftige - Urteil des AG Bayreuth vom 20. 7. 1989, das feststellte, daß der Kl. nicht der Vater des P ist. Der Kl. begehrt die Erstattung seiner Unterhaltszahlungen zuzüglich Zinsen. Soweit die Klage ursprünglich auch gegen die Mutter des P (frühere Bekl. zu 2) gerichtet war, hat er sie in der Berufungsinstanz zurückgenommen. Den Bekl. zu 1 (fortan: Bekl.) hält er für den einzig in Betracht kommenden wirklichen Vater des P, nachdem ein anderer Mann schon durch ein Amtsgerichtsurteil vom 7. 2. 1958 als Erzeuger ausgeschlossen worden sei. Der Bekl. bestreitet, der Kindesmutter innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt zu haben.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl., mit der er noch einen Zahlungsanspruch in Höhe von 31152,40 DM nebst Prozeßzinsen geltend gemacht hat, ist erfolglos geblieben. Seine -zugelassene - Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Nachdem rechtskräftig feststeht, daß der Kl. nicht der Vater des P ist, hat er dem Kind seit dessen Geburt den Unterhalt als „Dritter“ i. S. des § 1615b II BGB geleistet. Infolgedessen ist der Unterhaltsanspruch, den das Kind gegen seinen wirklichen Vater hatte, kraft Gesetzes auf den Kl. übergegangen (§ 1615b I 1 BGB). Der Kl., der stets nur den Regelunterhalt (§ 1615f BGB) gezahlt hat, kann diesen der Höhe nach unstreitigen Betrag von 16575 DM ohne Rücksicht darauf erstattet verlangen, daß es sich um Unterhalt für die Vergangenheit handelt (§ 1615d BGB). Dieser Anspruch richtet sich „gegen den Vater“. Als Vater des P ist der Bekl. bisher weder durch Anerkennung noch durch eine gerichtliche Entscheidung mit Wirkung für und gegen alle festgestellt (§ 1600a S. 1 BGB). Die Rechtswirkungen der Vaterschaft können aber, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt, erst vom Zeitpunkt dieser Feststellung an geltend gemacht werden (§ 1600a S. 2 BGB). Eine solche Feststellung kann nicht im Unterhaltsverfahren oder im Erstattungsprozeß getroffen werden, sondern nur durch Anerkenntnis oder in einem Rechtsstreit, der ausschließlich die Feststellung des Bestehens der nichtehelichen Vaterschaft zum Gegenstand hat und der den besonderen gesetzlichen Verfahrensvorschriften der §§ 641 bis 641k ZPO unterliegt. Klagebefugt sind insoweit nur das Kind oder der Mann, der das Kind gezeugt hat (§ 1600n I BGB).

2. a) Die Revision vertritt den Standpunkt, die danach bestehende sogenannte Rechtsausübungssperre dürfe jedenfalls dann kein Hindernis bilden, wenn - wie hier - das inzwischen volljährige Kind kein Interesse an der Erhebung der Feststellungsklage erkennen lasse und der als Erzeuger in Betracht kommende Mann seine Vaterschaft bestreite und daher ebenfalls nicht bereit sei, unter Berufung auf eine von ihm gerade geleugnete Zeugung des Kindes die Statusklage zu erheben. Lasse man in solchen Fällen keine Inzidentfeststellung der Vaterschaft im normalen Zivilprozeß zu, werde die Verwirklichung des in § 1615b II BGB gerade geschaffenen Regreßanspruches sogleich wieder vereitelt. Ein am Sinn der gesetzlichen Regelung und an Art. 3 I GG orientiertes Verständnis müsse das Ergebnis vermeiden, daß die Durchsetzbarkeit des Anspruchs aus § 1615b BGB von dem zufälligen Umstand abhänge, ob einer der in § 1600n BGB Genannten die Klage auf Feststellung der Vaterschaft erhebe oder nicht. Es müsse daher angenommen werden, daß auch die prozessuale Befugnis des Kindes, die Vaterschaft feststellen zu lassen, jedenfalls insoweit auf den Scheinvater (Kl.) übergegangen sei, als sie benötigt werde, den übergegangenen Unterhaltsanspruch durchzusetzen.

Für ihre Auffassung kann sich die Revision vor allem auf Mutschler (in: MünchKomm, 3. Aufl., § 1600a Rdnr. 15) stützen, der dafür eintritt, im Wege der Rechtsanalogie zu den §§ 1615o BGB, 641d ZPO eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft im Regreßprozeß zwischen Scheinvater und Erzeuger des Kindes zuzulassen, um eine „Anspruchsvereitelung trotz bestehender Anspruchsnorm" zu vermeiden (ähnlich Raiser, FamRZ 1986, 942 (945)). Andere Autoren befürworten die Außerachtlassung der Rechtsausübungssperre nur für Sonderfälle, etwa wenn die Personen, die nach § 1600n BGB antragsberechtigt sind, verstorben sind (Odersky, NichtehelichenG, 4. Aufl., § 1600a BGB Anm. VI 8; Engel, Der Rückgriff des Scheinvaters wegen Unterhaltsleistungen, S. 24 f.; Böckermann, in: RGRK, 12. Aufl., § 1600a Rdnr. 40). Gleiches wird befürwortet, wenn die nach dem Gesetz allein antragsbefugten Personen es böswillig oder arglistig unterlassen, die nach § 1600a S. 1 BGB vorausgesetzte Rechtslage zu schaffen (Odersky, § 1600a BGB Anm. VI 8; Böckermann, in: RGRK, § 1600a Rdnr. 41; a. A.: Engel, S. 25; Soergel-Gaul, BGB, 12. Aufl., § 1600a Rdnr. 15, die ebenso wie Gernhuber, Lehrb. d. FamR, 3. Aufl., § 57 I 7, und Nehlsen-v. Stryk, FamRZ 1988, 225 (236) - zu 5 - eine solche Rechtsfolge nur aus § 826 BGB bei sittenwidrigem Verhalten jener Personen herleiten wollen).

b) Das BerGer. hat es zu Recht abgelehnt, sich über die Sperre des § 1600a S. 2 BGB hinwegzusetzen.

Es kann dahinstehen, ob die Rechtsausübungssperre des § 1600a S. 2 BGB eine Durchbrechung erführe, wenn der Kl. seinen Anspruch gegen den Bekl. auf Deliktsrecht, insbesondere § 826 BGB, stützen könnte. Denn das BerGer. hat keine Tatsachen festgestellt, die gegen den Bekl. den Vorwurf eines unerlaubten oder sittenwidrigen Handelns zu begründen vermögen. Es hat es im Gegenteil als verständlich beurteilt, daß der Bekl. nach den früheren Erklärungen der Kindesmutter annimmt, nicht der Erzeuger des P zu sein. Die Revision führt hiergegen auch keine Angriffe.

Jedenfalls können andere Ansprüche, insbesondere nach § 1615b II BGB übergegangene Unterhaltsansprüche, von der Sperre des § 1600a S. 2 BGB nicht freigestellt und eine zu ihrer Realisierung notwendige Klärung der Vaterschaft nicht als Vorfrage in einem der Disposition der Parteien überlassenen Zivilprozeß durchgesetzt werden. Zwar läßt das Gesetz - wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt - Ausnahmen von der in § 1600a S. 2 BGB normierten Sperre zu. Abgesehen von Sonderregelungen im Sozialversicherungs- und Versorgungsrecht (vgl. dazu Soergel-Gaul, § 1600a Rdnr. 18) und für Fälle von Fehl- bzw. Totgeburten, in denen eine Vaterschaftsfeststellung nicht möglich ist (vgl. Soergel-Gaul, § 1600a Rdnr. 14), handelt es sich bei den vom Gesetz zugelassenen Ausnahmen aber um Fälle, in denen im Interesse des Kindes oder seiner Mutter dringende, zeitlich jedoch begrenzte Unterhaltsansprüche im Wege von einstweiligen Verfügungen (§§ 1615o BGB und 641d ZPO) geregelt werden können. Entgegen der Auffassung von Raiser (FamRZ) läßt sich daraus nicht allgemein der Grundsatz entnehmen, daß „bei bestimmten Tatbestandskonstellationen eine inzidente Feststellung der Vaterschaft zugelassen werden muß, wenn schutzwürdige Belange auf dem Spiel stehen, hinter denen die Sperrwirkung des § 1600a S. 2 BGB aus Gründen der Gerechtigkeit zurückzutreten hat“. Einem derartigen Schluß steht schon entgegen, daß aus einer Ausnahmevorschrift nicht auf einen allgemeinen Grundsatz geschlossen werden kann. In der Sache ist die vorgeschlagene Rechtsanalogie vor allem deshalb bedenklich, weil sie dem in § 1600a BGB als Teil der Reform des Nichtehelichenrechts zum Ausdruck gekommenen Bestreben des Gesetzgebers zuwiderläuft, dem nichtehelichen Kind einen für und gegen alle wirkenden Status zu geben und seine Zuordnung zum Vater im Sinne eines echten Verwandtschaftsverhältnisses herbeizuführen (zutr. Nehlsen-v. Stryk, S. 236). Nach dem früheren Recht konnten Abstammungsverfahren und sogenannte Zahlvaterschaftsprozesse nebeneinander oder unabhängig voneinander betrieben werden, so daß auch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bestand. Demgegenüber soll durch § 1600a S. 1 BGB gesichert werden, daß grundsätzlich nur noch entweder aufgrund Anerkennung oder nach gerichtlicher Feststellung in einem besonderen, der Amtsermittlung unterliegenden Verfahren Rechtsfolgen aus der biologischen Tatsache einer nichtehelichen Vaterschaft gezogen werden können. Diesem Bestreben liefe es zuwider, wenn es (wieder) erlaubt würde, jemanden als Vater des Kindes in Anspruch zu nehmen, bevor die statusrechtliche Zuordnung auf einem der beiden vom Gesetz dafür allein vorgesehenen Wege erfolgt ist. Es kann auch nicht anerkannt werden, daß das Interesse eines Dritten, der wie hier der Kl. in der Vergangenheit als Scheinvater zu Unrecht auf Unterhalt in Anspruch genommen worden ist, stets höher zu bewerten ist als die Interessen der anderen Beteiligten. Hier ist der vom Kl. geltend gemachte Betrag zwar verhältnismäßig hoch, weil er dem P bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres zu Unrecht Unterhalt geleistet hat und die Tatsache, daß er nicht der wirkliche Vater ist, nicht schon alsbald nach dem Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes (1. 7. 1970), sondern erst nach mehr als dreißig Jahren festgestellt worden ist. Würde die Inzidentfeststellung aber für bestimmte, etwa auf den Verdacht oder das Verhalten der antragsberechtigten Personen abstellende Konstellationen zugelassen, hätte das zur Folge, daß auch schon wegen verhältnismäßig geringer Beträge ein bisher weder vom Kind noch von dessen Mutter als Erzeuger benannter Mann aus behauptetem übergegangenen Recht gem. § 1615b BGB verklagt werden könnte und sich den zur Vaterschaftsfeststellung erforderlichen Untersuchungen (§ 372a ZPO) unterziehen müßte. Das müßte zu kaum überwindlichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Zu bedenken ist aber vor allem, daß das nach § 1600n BGB neben dem Erzeuger allein antragsberechtigte Kind anerkennenswerte Gründe besitzen kann, seine Abstammung zu dem vom Dritten als biologischen Kindesvater benannten Mann nicht feststellen zu lassen. Die durch die Feststellung eintretenden Rechtsfolgen (z. B. im Unterhalts- und Erbrecht) können ebenso unerwünscht und belastend sein wie die Tatsache der Abstammung selbst. Aus einem Rechtsstreit zwischen Scheinvater und angeblichem Erzeuger ergeben sich zwar keine unmittelbaren Rechtsfolgen für das Kind; dessen Interessen werden aber durch die tatsächlichen Auswirkungen einer inzidenten Feststellung gleichwohl berührt. In der beschränkten Antragsbefugnis des § 1600n BGB und in dem Verbot, eine Vaterschaft außerhalb der vom Gesetz zur Verfügung gestellten Verfahrensweise geltend zu machen, konkretisiert sich das gem. Art. 2 I GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Kindes. Die Befugnis des Kindes nach § 1600n I BGB ist nach der Grundkonzeption des Gesetzes kein bloßes Nebenrecht zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, sondern ein höchstpersönliches Recht, das auch die Befugnis einschließt, es nicht geltend zu machen (vgl. zu der rechtsähnlichen Vorschrift des § 1593 BGB BVerfG, NJW 1989, 891 = FamRZ 1989, 255; Senatsurteil BGHZ 80, 218 (221) = NJW 1980, 1372 = LM § 1593 BGB Nr. 9). Der Revision kann daher auch nicht in der Auffassung gefolgt werden, diese Befugnis gehe - etwa analog den §§ 401, 402 i. V. mit 412 BGB - kraft Gesetzes mit dem Unterhaltsanspruch des Kindes auf den Scheinvater über.

Danach sind keine rechtfertigenden Gründe erkennbar, die nach Wortlaut und Zweck klare gesetzliche Regelung des § 1600a S. 2 BGB zu übergehen und über die im Gesetz selbst vorgesehenen Ausnahmen hinaus die Durchsetzung eines Anspruchs des Scheinvaters gegen den angeblichen Erzeuger zuzulassen, bevor die Vaterschaft anerkannt oder festgestellt ist (ebenso OLG Köln, FamRZ 1978, 834 (835); Stolterfoht, FamRZ 1971, 341 (343); Engel, S. 24 ff.; Nehlsen-v. Stryk, S. 236; Schröder, Anm. zu AG Euskirchen, FamRZ 1990, 200; Staudinger-Göppinger, BGB, 12. Aufl., § 1600a Rdnr. 6, 30 ff.; Palandt-Diederichsen, BGB, 52. Aufl., § 1600a Rdnr. 11, § 1615b Rdnr. 2). Es kommt infolgedessen nicht mehr darauf an, ob dem geltend gemachten Anspruch die vom Bekl. erhobene Einrede der Verjährung entgegensteht, was die Revisionserwiderung für den Fall vertritt, daß der Anspruch des Kl. ausnahmsweise nicht der Sperre des § 1600a S. 2 BGB unterliegen sollte.

3. Der Kl. kann auch nicht aus anderen Rechtsgründen seine Aufwendungen vom Bekl. erstattet verlangen. Einem solchen Anspruch stände das Hindernis des § 1600a S. 2 BGB in gleicher Weise entgegen wie dem durch gesetzliche Anordnung übergegangenen Unterhaltsanspruch des Kindes. Letzteres gilt - wie das BerGer. zu Recht ausgeführt hat - auch für einen eventuellen Bereicherungsanspruch, so daß offenbleiben kann, ob der wirkliche Vater im Hinblick darauf, daß der gesetzliche Unterhaltsanspruch des Kindes gegen ihn gem. § 1615b II BGB auf den Scheinvater übergegangen ist, überhaupt etwas auf Kosten des Scheinvaters erlangt hat.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht