Holzschuppen im Bauwich und überhoher Sichtblendenzaun
Gericht
OLG Frankfurt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
07. 01. 1988
Aktenzeichen
3 U 189/86
Auf Verlangen des Nachbarn, ungeachtet des Ausgangs im verwaltungsrechtlichen Verfahren, ist ein auf einem Einfamilienhausgrundstück innerhalb des Bauwichs ohne Genehmigung errichteter Holzschuppen auf den Bauwichabstand zurückzuführen.
Auf Verlangen des Nachbarn ist ein in 40 cm Abstand von der Grundstücksgrenze verlaufender, bis zu 2,8 m hoher Sichtblendenzaun bis auf die Höhe der üblichen Grundstückseinfriedung zurückzuführen.
Zum Sachverhalt:
Die Parteien, Eigentümer benachbarter, jeweils mit einem Einfamilienhaus bebauter Grundstücke streiten wegen eines 5,3 m langen und 3,7 m breiten Holzlagerschuppens, den der Bekl. 1981 mit der Längsseite in 80 cm Abstand zur Grundstücksgrenze verlaufend gebaut hat, und wegen eines 13 m langen und bis zu 2,8 m hohen Holzgeflechtzauns, den der Bekl. parallel zur Grundstücksgrenze im Abstand von 40 cm im Anschluß an den Schuppen errichtet hat. Die Kl. begehren Beseitigung des Schuppens, soweit er in den Bauwich von 3 m hineinragt, und Abtragung der Sichtblende auf eine Höhe von 1,5 m.
Das LG hat dem ersten Antrag (Schuppen) stattgegeben und den zweiten Antrag (Sichtblende) abgewiesen. Die Berufung des Bekl. hatte keinen Erfolg, die Berufung der Kl. führte zum Erfolg auch wegen des zweiten Antrags.
Aus den Gründen:
... 1. Wie vom LG zutreffend erkannt, ist der Anspruch der Kl. auf Entfernung des Holzlagerschuppens, soweit dieser in dem 3 m breiten Bauwich steht, d. h. eine solche Mindestabstandsfläche zur gemeinsamen Grundstücksgrenze der Parteien nicht einhält, gegen den Bekl. aus § 823 II BGB i. V. mit § 7 I, III Nr. 1 HessBauO hier begründet.
Der Schuppen ist ein Gebäude i. S. von § 2 II HessBauO. Daß er nach den örtlichen planungsrechtlichen Bestimmungen (Bebauungsplan) innerhalb des durch die genannten HessBauO-Vorschriften normierten Bauwichs habe gebaut werden dürfen oder sogar dort habe gebaut werden müssen (vgl. § 7 II HessBauO), ist beklagtenseits weder dargetan noch ersichtlich. Das Gegenteil erhellt vielmehr aus dem Schreiben des Kreisausschusses - Kreisbauamt - des Rheingau-Taunus-Kreises vom 24. 7. 1987 und ebenso daraus, daß die Bauaufsichtsbehörde unter dem 13. 10. 1982 den Abriß des unstreitig ohne Baugenehmigung erstellten Schuppens wegen materieller Baurechtswidrigkeit (mangelnde Genehmigungsfähigkeit auf Grund unzulässiger Überschreitung der Grenzabstandflächen) verfügt hatte. Ob dieser Abrißverfügung im vom Bekl. gegen sie angestrengten Verwaltungsstreitverfahren, wo sie in erster Instanz aufgehoben wurde, Bestand haben wird oder nicht, ist für den vorliegenden Zivilrechtsstreit weder vorgreiflich (vgl. dazu die Beschwerdeentscheidung des Senats, Beschl. v. 13. 5. 1985 - 3 W 3/85) noch überhaupt rechtlich von Relevanz.
Denn auch dann, wenn es bei der behördlichen (öffentlichrechtlichen) Abrißverfügung letztlich nicht sein Bewenden haben sollte, bleibt es gleichwohl dabei, daß ohne einen baubehördlichen Dispens (Befreiung) von zwingenden Normen des materiellen Baurechts der Schuppen an der Stelle, an der er auf dem Anwesen des Bekl. (mit nur 80cm Grenzabstand zum Grundstück der Kl.) steht, nachträglicher Erteilung einer Baugenehmigung nicht zugänglich ist.
Die mit seiner Errichtung verletzten Bauwich-Vorschriften von § 7 I, III HessBauO sind ferner nicht nur öffentlichrechtlicher Natur, sondern - wie den Kl. einzuräumen ist - nach richtiger und, soweit ersichtlich, weit überwiegend vertretener Rechtsmeinung auch Schutzgesetze i. S. von § 823 II BGB für den angrenzenden Grundstücksnachbarn (vgl. etwa BGHZ 66, 354 = NJW 1976, 1888 m. w. Nachw.). Dieser, ihr Schutzgesetzcharakter ist zwar insofern nur ein bedingter, als er mit baubehördlichem Dispens (= Befreiung gem. § 94 II HessBauO) entfällt (s. BGHZ 66, 354 = NJW 1976, 1888). Indessen ist eine dahingehende Befreiung dem Bekl. bis heute weder gewährt worden noch - unstreitig - von ihm auch nur nachgesucht. Daß mit ihrer Erteilung im übrigen nicht gerechnet werden kann, hat die Bauaufsichtsbehörde ihm - dem Bekl. - zudem mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 24. 7. 1987 an die Zeugin S unmißverständlich zu verstehen gegeben. Gleichviel, ob das Bauaufsichtsamt den Abriß des Schuppens künftig - öffentlichrechtlich - noch erzwingt oder nicht, können die Kl. hiernach unter den gegebenen Umständen nach bürgerlichem Recht vom Bekl. verlangen, daß er im Wege des Schadensersatzes (§ 823 II BGB) den Schuppen an der Stelle, wo er sich derzeit befindet, abträgt, genauer: insoweit dort beseitigt, als der Bau im Bauwich von 3 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze der Parteien steht. Der einschlägigen - auch nachbarschützenden - Bauwich-Norm hat der Bekl. mit dem Bau des Schuppens nämlich schuldhaft, ja zur Überzeugung des Senats nach Lage der Dinge vorsätzlich, zuwidergehandelt. (Wird näher ausgeführt.)
2. Im Ergebnis sachlich gerechtfertigt ist - entgegen dem Erkenntnis erster Instanz - auch der Anspruch der Kl. auf Abtragung der Holzgeflecht-Sichtblende auf eine Höhe von nicht mehr als (an jeder Stelle) 1,50 m ab Bodenkante.
Insoweit greifen zwar nicht § 823 II BGB, § 7 HessBauO Platz, da es sich bei dem 13 m langen Sichtblenden-Holzgeflechtzaun um eine - wie im folgenden noch näher auszuführen sein wird - Einfriedigung handelt, Einfriedigungen jedoch den vorgeschriebenen Grenzabstandsflächen (3 m) nicht unterfallen (vgl. § 7 IV). Einschlägig sind dagegen hier die Bestimmungen der §§ 14, 15 HessNachbG. Nach ihnen kann der Eigentümer eines bebauten Grundstücks, an das - wie vorliegend - ein anderes bebautes Grundstück angrenzt, von dem Eigentümer des letzteren die Mitwirkung bei der Errichtung einer ortsüblichen Zaun-Einfriedigung auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze verlangen (§ 14 I 2, II HessNachbG). Läßt sich eine ortsübliche Einfriedigung nicht feststellen, so ist als Grenzzaun ein 1,20 m hoher verzinkter Maschendrahtzaun zu setzen, sofern nicht öffentlichrechtliche Bestimmungen eine andere Art der Einfriedigung vorsehen (§ 15 HessNachbG).
Nun ist im Streitfall, wie die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, ein - etwa 1m hoher - (wegen seines Alters stellenweise erneuerungsbedürftiger) Maschendrahtzaun als Grenzzaun auf der gemeinschaftlichen Grundstücksgrenze der Parteien bereits seit langen Jahren vorhanden. Hinter diesem Zaun und in lediglich 40cm Abstand zu ihm befindet sich jedoch nunmehr auf dem Grundstück des Bekl. die, eine Teilstrecke von 13m parallel zur Grenze entlangführende, erheblich höhere Holz-Sichtblende. Sie bildet in diesem Grenzbereich mit dem - vom Nachbargrundstück der Kl. aus gesehen - vor ihr stehenden Maschendrahtzaun als Einfriedigung praktisch eine Einheit (vgl. dazu Hodes-Dehner, Hess. NachbarR, 4. Aufl. (1986), § 15 Rdnr. 1), was zur Folge hat, daß sich entlang dieser 13m das frühere Bild der Grenzeinfriedigung wesentlich verändert hat und dieses Bild dort jetzt weniger von dem alten, niedrigen Drahtzaun als vielmehr entscheidend von der Sichtblende geprägt wird.
Bei dem derart gelagerten Sachverhalt läuft das Recht der Kl. auf Mitwirkung des Bekl. an der Herstellung (und Unterhaltung) eines der Vorschrift von § 15 HessNachbG entsprechenden Grenzzaunes (§ 14 I 2, II HessNachbG) aber im Ergebnis auf nichts anderes als auf die Beseitigung der - gegen ihren, der Kl., Willen - vom Bekl. angebrachten Holzgeflecht-Sichtblende hinaus (s. Hodes-Dehner, § 15 Rdnr. 1; vgl. ferner, wenn auch für das nordrheinwestfälische Recht, BGHZ 73, 272 = NJW 1979, 1408). Daß in der Länge dieser Sichtblende die Einfriedigung gegenwärtig nicht ortsüblich ist, leidet keinen Zweifel. Für das Vorhandensein ähnlich beschaffener Holz-Zäune von 1,8-2,8 m Höhe (!) im Grenzbereich von bebauten Grundstücken der näheren Umgebung fehlt hier jeder tatsächliche Anhalt und ist auch dem Sachvortrag des Bekl. nichts zu entnehmen. Ebenso unzweifelhaft ist, daß öffentlichrechtliche Bestimmungen Einfriedigungen solcher Art und Höhe in dem dortigen Gebiet nicht vorschreiben.
Der alte (an verschiedenen Stellen schadhafte) Maschendrahtzaun, welcher sich auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze der Parteien befindet, entspricht dagegen jedenfalls in etwa der von § 15 HessNachbG geforderten Einfriedigung, was im übrigen auch daraus geschlossen werden kann, daß er seit langen Jahren als Grenzzaun steht, ohne daß von einer der Parteien irgendwann insoweit etwas gegen ihn erinnert wurde, d. h. weder der Bekl. noch die Kl. jemals seine angebliche Ortsunüblichkeit gerügt und vom anderen Nachbarn deswegen die Herstellung einer anders beschaffenen Grenzeinfriedigung - anstelle des ca. 1m hohen Maschendrahtzaunes - verlangt haben. Um das frühere optische Erscheinungsbild dieser nach wie vor vorhandenen Grenz-Einzäunung (entlang der ganzen Grenze) wiederzugewinnen, können die Kl. demnach zu Recht vom Bekl. die Entfernung der Sichtblende fordern. Ob sich das als Anspruch unmittelbar aus §§ 14, 15 HessNachbG ergibt (so Hodes-Dehner, § 15 Rdnr. 1) oder seine Grundlage in § 1004 BGB, Art. 124 EGBGB i. V. mit §§ 14, 15 HessNachbG hat (vgl. BGHZ 73, 272 = NJW 1979, 1408; BGH, NJW 1979, 1409), kann dabei im Ergebnis auf sich beruhen.
Daß das Begehren der Kl. nicht auf die gänzliche Beseitigung des Sichtblenden-Holzgeflechtzaunes gerichtet ist, sondern nur auf die Abtragung dieses Zauns bis zur verbleibenden Höhe von (überall) nicht mehr als 1,50m ab Bodenoberkante, gereicht den Kl. ferner für den Erfolg ihrer Klage nicht zum Nachteil.
Zwar ist richtig, daß bei bebauten Grundstücken der Anspruch des einen Nachbarn gegen den andern auf dessen Mitwirkung bei Herstellung einer dem Gesetz (im hessischen Raum § 15 HessNachbG) entsprechenden Grenzeinfriedigung geht und die bloße Beseitigung einer anders beschaffenen Einzäunung an oder auf der gemeinsamen Grenze für sich allein zivilrechtlich nach den §§ 14, 15 HessNachbG grundsätzlich nicht beansprucht werden kann (vgl. Dehner, NJW 1975, 1972). So liegt der zu beurteilende Fall jedoch aus den dargelegten Gründen nicht. Vielmehr stünde den Kl., wie ausgeführt, hier sogar das Recht zu, vom Bekl. die vollständige Entfernung der Sichtblende zu verlangen, um so die alten, ersichtlich ortsüblichen Grenzzaunverhältnisse (Maschendrahtzaun) wieder zu schaffen. Demgegenüber ist es ein minus, wenn sie den Sichtblendenzaun nur bis auf eine Höhe von 1,50m abgetragen haben wollen. Ihr diesbezügliches Entgegenkommen gegenüber dem Bekl. kann nicht zur Abweisung der Klage führen, welche, wäre sie auf die Abtragung (Beseitigung) des ganzen Sichtblenden-Zauns gerichtet, ebenfalls vollen Erfolg hätte haben müssen.
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