Einfriedung gegenüber Nachbargrundstück - Einsturzgefahr einer Mauer auf Grundstücksgrenze

Gericht

OLG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

05. 12. 1990


Aktenzeichen

9 U 101/90


Leitsatz des Gerichts

  1. Eine Mauer auf der Grenze zweier Grundstücke ist nur dann Grenzeinrichtung i. S. von §§ 921, 922 BGB, wenn sie mit Zustimmung beider Nachbarn errichtet oder erhalten worden ist.

  2. Wer eine Mauer auf der Grenze ohne Zustimmung des Nachbarn errichtet hat, ist als Störer verpflichtet, Maßnahmen zur Beseitigung einer Einsturzgefahr zu ergreifen.

Tatbestand

Zum Sachverhalt: Die Kl. begehrt von der Bekl., Vorkehrungen zu treffen und zu unterhalten, die eine Schädigung ihres Grundstücks durch eine Mauer sowie eine dahinter befindliche Bodenerhöhung verhindern sollen. Die Kl. ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. An dieses Grundstück grenzt westlich der Friedhof der Bekl. an, der von einer circa 1,45 m hohen und etwa 0,25 m breiten verputzten Ziegelmauer, die vor etwa 30 Jahren von der Bekl. errichtet worden ist, abgeschlossen wird. Die Mauer steht (mit Ausnahme weniger Zentimeter an der südlichen Grundstücksgrenze) auf der Grenze zwischen den Grundstücken der Parteien und weist an mehreren Stellen Rißbildung auf. Die Kl. hat geltend gemacht, die Mauer sei ohne Zustimmung der Eigentümer der benachbarten Grundstücke errichtet worden und einsturzgefährdet. Sie habe erst 1987 erfahren, daß sich die Mauer teilweise auf ihrem Grundstück befindet.

Das LG hat die Klage auf Verurteilung der Bekl., geeignete Maßnahmen durchzuführen, die den drohenden Einsturz der das Grundstück trennenden Mauer verhindern, abgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen: I. Die Kl. kann von der Bekl. gem. § 1004 I BGB verlangen, daß diese Schutzvorkehrungen ergreift, damit Schädigungen ihres Grundstücks durch die Mauer und - wie im Wege der Klageerweiterung beansprucht - durch die Bodenerhöhung verhindert werden. Durch den Zustand der Mauer und - wegen der hieraus resultierenden Einsturzgefahr - auch durch das bis zur Mauerkrone angefüllte Erdreich wird das Eigentum der Kl. an ihrem Grundstück beeinträchtigt. Die Bekl. ist als Zustandsstörerin zur Beseitigung der Beeinträchtigungen verpflichtet.

1. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, daß die Mauer einsturzgefährdet ist. Der Sachverständige S kommt in seinem schriftlichen Gutachten vom 3. 8. 1989 zu dem Ergebnis, daß die Mauer infolge zu geringer Gründung und des Eindringens von Wasser wegen Fehlens einer oberen Abdeckung nicht mehr standsicher sei; sie befinde sich "in einem so schlechten Zustand, daß auch durch eine eventuelle Reparatur ein Verfall nicht mehr aufzuhalten" sei. Bedenken gegen die Richtigkeit dieser auf eigenen Untersuchungen und Berechnungen eines vom Sachverständigen hinzugezogenen Statikers beruhenden Feststellungen bestehen nicht.

Die damit feststellbar drohende Gefahr des Einsturzes der Mauer und die damit zwangsläufig verbundene Gefahr des Abrutschens des bis zum Mauerrand erhöhten Erdreichs auf das Grundstück der Kl. stellen bereits eine Eigentumsbeeinträchtigung dar, da hierfür eine ernsthafte Bedrohung ausreicht (vgl. BGH, LM § 906 BGB Nr. 19; KG, OLGZ 1977, 494; BayObLG, NJW-RR 1987, 1040; Staudinger-Gursky, BGB, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 154 in. w. Nachw.).

2. Die Bekl. haftet als Störerin auf Beseitigung dieser Gefährdung. Allerdings befindet sich die Mauer nur teilweise auf ihrem Grundstück und steht deshalb auch nur insoweit in ihrem Eigentum, denn unabhängig davon, ob es sich bei der Mauer um eine Grenzeinrichtung handelt, findet eine reale lotrechte Eigentumsteilung durch die Grenze statt (vgl. RGZ 162, 209 [212]; OLG Düsseldorf, OLGZ 1978, 190; Soergel-Baur, BGB, § 921 Rdnr. 8; Erman-Hagen, BGB, 8. Aufl., § 921 Rdnr. 1). Obwohl damit der auf dem Grundstück der Kl. befindliche Teil der Mauer in deren Eigentum steht, sie deshalb an sich für den baulichen Zustand dieses Teils selbst verantwortlich ist, kann sie wegen der besonderen Umstände dieses Falls von der Bekl. verlangen, daß diese allein die von der Mauer ausgehende Gefährdung beseitigt.

a) § 922 BGB steht dem Abwehranspruch der Kl. nicht entgegen. Selbst wenn die Mauer von ihrer Funktion her die Voraussetzungen für eine gemeinsame Grenzeinrichtung i. S. des § 921 BGB erfüllen sollte, finden die Vorschriften der §§ 921, 922 BGB deshalb keine Anwendung, weil nicht festgestellt werden kann, daß die Kl. oder deren Rechtsvorgänger dem Bau der Mauer auf dem Grundstück der Kl. zugestimmt haben. Diese Zustimmung ist Voraussetzung für eine gemeinsame Grenzeinrichtung und die sich daraus ergebende gemeinschaftliche Unterhaltungspflicht, weil es nicht der Willkür eines Grundstückseigentümers überlassen bleiben kann, ohne oder gar gegen den Willen seines Nachbarn eine Grenzeinrichtung zu schaffen, dafür Grund und Boden des Nachbarn in Anspruch zu nehmen und diesen dann als notwendige Folge der Grenzeinrichtung mit den Unterhaltskosten zu belasten (BGHZ 91, 282 = NJW 1984, 2463 m. w. Nachw.).

Daß die Mauer mit ausdrücklicher Zustimmung der Kl. oder deren Rechtsvorgänger errichtet worden ist, macht die Bekl. selbst nicht geltend. Allerdings kann eine Zustimmung auch in der schweigenden Hinnahme einer Grenzeinrichtung liegen. Bei einer schon länger existierenden Einrichtung, die sich objektiv wegen ihrer Vorteilhaftigkeit für beide Seiten als Grenzeinrichtung darstellt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß sie auch dem Willen beider Angrenzer entspricht (vgl. Soergel-Baur, § 921 Rdnr. 5). Dies setzt aber voraus, daß der Nachbar weiß oder zumindest damit rechnet, daß die Einrichtung auf der Grenze steht. Darlegungs- und beweispflichtig hierfür ist die Bekl. (BGHZ 91, 282 = NJW 1984, 2463). Die Kl. macht geltend, erst im Jahre 1987 hiervon erfahren zu haben. Dann aber kann die schweigende Hinnahme der Mauer nicht als Zustimmung zu einer Grenzeinrichtung gewertet werden. Es oblag hiernach der Bekl., Umstände vorzutragen, die dafür sprechen, daß die Kl. zu einem früheren Zeitpunkt bereits den genauen Grenzverlauf erfahren hat. Daran fehlt es. (Wird ausgeführt.)

Eine (rückwirkende) Zustimmung zur Grenzeinrichtung liegt auch nicht darin, daß die Kl. in diesem Rechtsstreit nicht Beseitigung, sondern (letztlich nur) Sanierung der Mauer verlangt. Jedenfalls hat die Kl. unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie die Mauer in ihrem derzeitigen Zustand nicht dulden will, und nicht Kostenbeteiligung, sondern Herstellung eines ungefährlichen Zustandes allein durch die Bekl. verlangt. Sie hat damit die Mauer gerade nicht für die Vergangenheit als Grenzeinrichtung i. S. des § 921 BGB akzeptiert. Ob die Mauer nach Sanierung oder Neuerrichtung nunmehr für die Zukunft als Grenzeinrichtung mit den sich daraus ergebenden gemeinschaftlichen Unterhaltspflichten anzusehen ist, weil von der Kl. der Standort der Mauer in Kenntnis des Grenzverlaufs geduldet wird, bedarf hier nicht der Entscheidung.

b) Dem Abwehranspruch der Kl. steht nicht entgegen, daß sie selbst Eigentümerin des auf ihrem Grundstück befindlichen Teils der Mauer ist. Da sie der Inanspruchnahme ihres Grundstücks nicht zugestimmt hat, hat sie gegen die Bekl. an sich einen Anspruch auf Entfernung des überbauten Mauerteils (§ 1004 BGB). Gegenüber diesem weitgehenden Störungsbeseitigungsanspruch könnte sich die Bekl. nicht mit Erfolg auf das Teileigentum der Kl. berufen. Mit der Berufung hierauf hätte sie auch dann keinen Erfolg, wenn die Mauer bereits eingestürzt, von ihr durch eine neue ersetzt worden wäre und sie die Kl. auf anteilmäßige Kostenerstattung in Anspruch nehmen würde. Für diesen Fall würde eine Kostenbeteiligungspflicht der Kl. deshalb ausscheiden, weil sie der Grenzüberschreitung durch die Bekl. gerade nicht zugestimmt hat (BGHZ 91, 282 = NJW 1984, 2463). Dann aber kann nichts anderes für den Fall gelten, daß die Kl. die Bekl. - was letztlich in deren wirtschaftlichem Interesse liegt - nicht auf völlige Beseitigung in Anspruch nimmt, sondern - vorbeugend - nur Beseitigung des ihr Grundstück gefährdenden Zustandes verlangt. Ansonsten wäre die Kl., will sie einer Beteiligung an den nicht unerheblichen Instandsetzungskosten entgehen, gezwungen, die Bekl. entweder auf vollständige Beseitigung in Anspruch zu nehmen oder zuzuwarten, bis sich die Gefährdung durch Einsturz der Mauer realisiert hat. Im vorliegenden Fall wäre die Kl. voraussichtlich auf die letztgenannte Alternative angewiesen, weil der Beseitigungsanspruch - wofür vieles spricht - verjährt ist. Folge wäre, daß die Kl. auf längere Zeit aus Sicherheitsgründen ihr Grundstück nicht in vollem Umfang nutzen könnte. Ein solches Ergebnis erscheint angesichts des Umstandes, daß die Bekl. rechtswidrig Eigentum der Kl. für ihre Zwecke in Anspruch genommen hat und diese deshalb grundsätzlich nicht mit den Unterhaltungskosten belasten kann, nicht hinnehmbar.

3. Zu Recht ist der mit der Berufung verfolgte Klageantrag allgemein auf Vorkehrungen zum Schutz vor Schädigungen durch die Mauer und die Bodenerhöhung gerichtet. Es muß der Bekl. überlassen bleiben, die erforderlichen Maßnahmen auszuwählen, durch die die Beeinträchtigung behoben werden kann (vgl. Soergel-Mühl, § 1004 Rdnr. 217 m. w. Nachw.). Soweit die Kl. allerdings zusätzlich verlangt, daß die Bekl. Vorkehrungen unterhält, handelt es sich um eine nicht zulässige Klage auf künftige Leistung (§ 257 ZPO).

4. Der Abwehranspruch ist ungeachtet des Alters der Mauer nicht verjährt. Die 30jährige Verjährungsfrist (§§ 194, 195, 198 BGB) ist nicht abgelaufen, da mit jeder der noch gegenwärtigen Einwirkungen der Anspruch neu entsteht (BGH, DB 1972, 2056).

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB §§ 921, 922, 1004 I