Einfriedung gegenüber Nachbargrundstück - Ortsüblichkeit einer Grundstückseinfriedung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

22. 05. 1992


Aktenzeichen

V ZR 93/91 (Köln)


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Grundstückseigentümer kann Beseitigung einer auf dem Nachbargrundstück errichteten Einfriedung verlangen, wenn diese nach ihrer Beschaffenheit (hier. eine 2 m hohe Mauer) das Erscheinungsbild der gem. §§ 32 I, 35 I NRWNachbG geforderten ortsüblichen Einfriedung (hier: einer 1 m hohen Hecke) erheblich stören würde.

  2. Die Frage, ob die nach §§ 32 I, 35 I NRWNachbG verlangte Grundstückseinfriedung ortsüblich ist, beurteilt sich nach den in dem maßgeblichen Vergleichsgebiet bestehenden Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz.

  3. Liegt das Grundstück des gem. § 32 I NRWNachbG einfriedungspflichtigen Eigentümers innerhalb einer in sich geschlossenen, von der weiteren Umgebung abgehobenen Siedlung, so kann sich auf dieses Gebiet die Prüfung beschränken, welche Art der Einfriedung ortsüblich ist.

  4. Hat der Eigentümer von sich aus - und nicht nach Maßgabe des § 32 I NRWNachbG - sein Grundstück eingefriedet, ohne das Einverständnis des Nachbarn einzuholen, so kann er dessen später geltend gemachtem Anspruch auf Herstellung der nach § 35 I NRWNachbG gebotenen ortsüblichen Einfriedung nicht entgegenhalten, die schon vorhandene Einfriedung sei bei ihrer Errichtung noch nicht ortsunüblich gewesen.

  5. Die Vorschrift des § 4 II NRWNachbG ist auf solche Anlagen entsprechend anwendbar, die in gleicher Weise wie ein Gebäude den Lichteinfall dauernd beeinträchtigen.

Tatbestand

Zum Sachverhalt: Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die sie jeweils mit einem darauf neu errichteten Reihenhaus von der Firma S-GmbH erworben haben. Beide Grundstücke gehören zu einer von dieser Firma geplanten und erstellten Siedlung mit insgesamt 13 Reihenhäusern. Die Verträge des Bauträgers mit den einzelnen Erwerbern nehmen auf die Baubeschreibung Bezug. Darin heißt es: "Die Grundstücksgrenzen der Häuser sind durch eine Heckenbepflanzung gekennzeichnet." Geplant hatte der Bauträger Buchenhecken in Höhe von einem Meter. Die Bekl. ließen den Vorgarten ihres Hauses nicht durch eine Hecke, sondern durch eine zwei Meter hohe Mauer einfrieden. Mit Schreiben an die Bekl. vom 6. 3. 1987 verlangte die Kl. den Abriß der Mauer an der gemeinsamen Grenze und Einfriedung durch eine Buchenhecke. Die Kl. hat beantragt, die Bekl. zur Beseitigung der entlang der gemeinsamen Grenze verlaufenden Mauer zu verurteilen. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen: I. Das BerGer. meint, die Bekl. seien gern. § 1004 BGB i. V. mit § 50 NRWNachbG verpflichtet, die von ihnen errichtete Mauer an der Grenze zum Grundstück der Kl. zu beseitigen. Die Mauer widerspreche dem in § 35 NRWNachbG aufgestellten Erfordernis einer ortsüblichen Grundstückseinfriedung, weil der Bauträger Buchenhecken als ortsübliche Art der Einfriedung "planerisch festgelegt" habe und dies den Parteien bei Erwerb ihrer Grundstücke bekannt gewesen sei. Daher habe die Kl. darauf vertrauen dürfen, daß die Hecke errichtet werde. Das müßten die Bekl. hinnehmen.

Das angefochtene Urteil hält nicht in allen Punkten den Revisionsrügen stand.

1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Urteils. Nach § 35 I NRWNachbG muß eine Einfriedung ortsüblich sein. Zwar greift diese Bestimmung nur ein, wenn der eine von dem anderen Nachbarn gem. § 32 I NRWNachbG Einfriedung an der gemeinsamen Grenze verlangt, nicht stets auch schon dann, wenn der Nachbar lediglich aus eigenem Entschluß sein Grundstück einfriedet (BGHZ 73, 272 [273/274] = NJW 1979, 1408 = LM § 1004 BGB Nr. 153). Indessen übersieht die auf diese Rechtslage verweisende Revision, daß die Kl. mit Schreiben ihres Anwalts vom 6. 3. 1987 von der Bekl. Einfriedung durch eine Buchenhecke gefordert hat. Hätte die Kl. Anspruch auf eine derartige Einfriedung, so könnte sie nach § 10041 BGB i. V. mit § 50 NRWNachbG Beseitigung der schon errichteten Mauer verlangen, weil diese - abgesehen von deren Standort zu einem Teil auf der Grenze - das Erscheinungsbild der anzulegenden Grenzhecke unbestreitbar wesentlich stören würde (Senat, NJW 1979, 1409 [1410] = LM § 1004 BGB Nr. 154 und NJW 1985, 1458 [1459f.] = LM § 922 BGB Nr. 6; in diesem Sinne auch schon das Senatsurteil BGHZ 73, 272 = NJW 1979, 1408 = LM § 1004 BGB Nr. 154). Insoweit spielt der von der Revision hervorgehobene Umstand keine Rolle, daß sich die Klage nur auf Beseitigung der Mauer und nicht zugleich auf Herstellung der Grenzhecke richtet. Die Kl. war nicht gehalten, den einen mit dem anderen Anspruch in einer Klage zu verbinden.

2. Unzutreffend ist aber die Auffassung des BerGer., die Mauer sei deswegen nicht ortsüblich, weil den Parteien bei Erwerb ihrer Grundstücke von dem Bauträger dessen Planung einer einheitlichen Abgrenzung aller Parzellen der Reihenhaussiedlung durch Buchenhecken bekannt gewesen sei. Diese Planung konnte nicht die ortsübliche Art einer Einfriedung bestimmen, denn Maßstab der Ortsüblichkeit sind die tatsächlich bestehenden Verhältnisse in dem zum Vergleich heranzuziehenden Gebiet, und zwar zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung über diesen Streitpunkt in der Tatsacheninstanz. Dieser Grundsatz ist im Rahmen der nachbarrechtlichen Vorschrift des § 906 BGB anerkannt (BGH, NJW 1976, 1204 [1205] = LM § 906 BGB Nr. 48 allg. Auff.). Er gilt auch für den vorliegenden Fall, daß ein Grundstückseigentümer gem. § 32 I, 35 I NRWNachbG von seinem Nachbarn Errichtung der ortsüblichen Einfriedung verlangt (Schäfer, NRWNachbG, 8. Aufl., § 35 Anm. 1, S. 133), folgerichtig ebenso dann, wenn im Rechtsstreit, wie hier, darüber zu entscheiden ist, ob Beseitigung einer auf dem Nachbargrundstück bereits erstellten Einfriedung beansprucht werden kann, weil diese das Erscheinungsbild der geforderten ortsüblichen Einfriedung erheblich beeinträchtigen würde. Damit läßt sich auch den berechtigten Erwägungen Rechnung tragen, die das BerGer. zu der fehlerhaften Annahme veranlaßt haben, schon die vom Bauträger erstellte Planung einer einheitlichen Abgrenzung der Parzellen durch Buchenhecken als zwischen den Nachbarn verbindlich anzusehen. Hat ein Grundstückseigentümer von sich aus, und nicht nach Maßgabe des § 32 I NRWNachbG, eine Einfriedung errichtet, ohne das Einverständnis des Nachbarn einzuholen, so kann er dem späteren Anspruch dieses Nachbarn auf Herstellung der ortsüblichen Einfriedung - auf gemeinsame Kosten (§ 37 I NRWNachbG) - nicht entgegenhalten, die schon vorhandene Einfriedung sei bei ihrer Errichtung noch nicht ortsunüblich gewesen. Anders wäre es nur im Falle der Verwirkung des Anspruchs. Liegen die Nachbargrundstücke - wie hier - innerhalb einer mit Wissen der Eigentümer von dem Bauträger einheitlich geplanten Siedlung, muß jeder Eigentümer damit rechnen, daß sein Nachbar den Einfriedungsanspruch erst nach Fertigstellung der Siedlung geltend macht, weil dann erst zu erkennen ist, ob dort Einfriedungen der geplanten einheitlichen Art tatsächlich so auch errichtet worden sind. Die Bekl. können mithin die KI., wenn.die von ihr verlangte Einfriedung durch eine Buchenhecke jetzt ortsüblich sein sollte, nicht darauf verweisen, daß die von ihnen an die gemeinsame Grenze gesetzte Mauer wegen des damals noch nicht vollendeten Zustands der Siedlung nicht ortsunüblich gewesen sei.

Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz waren alle Reihenhausparzellen außer derjenigen der Bekl. durch Hecken abgegrenzt, wie sich aus der vorn LG bei einer Ortsbesichtigung getroffenen Feststellung ergibt. Das BerGer. hat jedoch offengelassen, ob nach den tatsächlichen Verhältnissen nur dieses Gebiet und nicht auch die andersartige Einfriedungen aufweisende Umgebung zum Vergleich heranzuziehen ist. Sollten danach aber nicht allein Hecken, sondern auch Mauern die ortsübliche Art der Einfriedung darstellen, wovon das LG ausgegangen ist, so könnten die Bekl. zwischen beiden Möglichkeiten wählen (Senat, NJW 1979, 1408 [1409 a. E.] = LM § 1004 BGB Nr. 153 - insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 73, 272; Schäfer, NRWNachbG, 8. Aufl., § 35 Anm. 1, S. 132 m. w. Nachw.). Diese Wahl hätten sie dadurch getroffen, daß sie auf dem Verbleib der Mauer bestehen.

Tatrichterlicher Feststellungen bedarf deshalb das hier maßgeberide Vergleichsgebiet. Dessen Grenze kann nach den jeweiligen Urnständen enger oder weiter gezogen werden und braucht sich nicht mit der Ortsgrenze zu decken (vgl. BGHZ 111, 63 [72] = NJW 1990, 2465 = LM § 906 BGB Nr. 83). Das Erfordernis der Ortsüblichkeit i. S. des § 35 I 1 NRWNachbG soll den Belangen der Nachbarn an einer ihnen auch optisch und ästhetisch zumutbaren Beschaffenheit der Einfriedung Rechnung tragen (BGHZ 73, 272 [275] = NJW 1979, 1408 = LM § 1004 BGB Nr. 153; Senat NJW 1979, 1409 [1410] = LM § 1004 BGB Nr. 154). Zu diesem Zweck kann auch ein Vergleich bloß mit der engeren, in Sichtweite gelegenen Umgebung angebracht sein, wenn dort nach Art der Grundstücke vergleichbare Verhältnisse bestehen. Sollte sich das Hausgrundstück der Bekl. trotz seiner Randlage so in die von dem Bauträger an der G-Gasse erstellte Reihenhausanlage einfügen, daß sich insgesamt der Eindruck einer in sich geschlossenen, von der Wohnbebauung der weiteren Umgebung abgehobenen Siedlung ergibt, so könnte folglich auf dieses Gebiet die Prüfung beschränkt werden, welche Art der Einfriedung ortsüblich ist.

Daß etwa der Vertrag zwischen dem Bauträger und den Bekl. diesen zugunsten der Kl. (§ 328 BGB) die Verpflichtung auferlegt hat, eine von der damals vorgesehenen Grenzhecke abweichende Art der Einfriedung zu unterlassen (vgl. Senat, NJW 1975, 344 = LM § 328 BGB Nr. 48), ist weder ersichtlich noch behauptet. Daher ist die Feststellung nicht entbehrlich, ob der Einfriedungsanspruch der Kl. dem Maßstab der Ortsüblichkeit entspricht.

3. Nicht zu beanstanden ist, daß der Tatrichter die Behauptung der Bekl., sie hätten vor Errichtung der Mauer die Zustimmung der Kl. eingeholt, aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils als unbewiesen angesehen hat. Die Revision zeigt keinen Fehler der Beweiswürdigung auf. Sie begründet auch nicht, wieso der Tatrichter jedenfalls ein stillschweigendes Einverständnis der Kl. hätte annehmen müssen. Soweit die Revision dem Berufungsurteil entgegenhält, daß sich die Mauer nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand beseitigen lasse (vgl. Senat, NJW 1979, 1409 [1410 a. E] = LM § 1004 BGB Nr. 154), weist sie nicht auf einen entsprechenden Tatsachenvortrag hin. Der von der Revision angeführte Umstand, daß nach Abriß der Mauer überhaupt keine Einfriedung mehr vorhanden wäre, entzieht dem Beseitigungsverlangen der Kl. nicht die Berechtigung, denn dieser Anspruch schafft nur die Voraussetzung für die mit Schreiben vom 6. 3. 1987 geforderte Einfriedung durch eine Hecke, sofern allein diese - was bisher ungeklärt ist - ortsüblich sein sollte. Unbeachtlich ist die weitere Rüge, das BerGer. habe die Behauptung der Bekl. übergangen, daß der jetzige Mieter des Hausgrundstücks der Kl. die Mauer "begrünt" habe und mit dieser Einfriedung einverstanden sei. Denn es ist allein Sache des Eigentümers, ob er zur Duldung einer nicht ortsüblichen Einfriedung bereit ist.

II. Das angefochtene Urteil ist nicht im Ergebnis aus anderen Gründen richtig (§ 563 ZPO).

Die Behauptung der KI., die Mauer entziehe ihrem Vorgarten und einem neben dem Hauseingang befindlichen Fenster Licht und Luft, hat das LG zu Recht als unerheblich angesehen. Solche von einem Nachbargrundstück ausgehenden negativen Einwirkungen sind grundsätzlich nicht unzulässig i. S. der §§ 903, 906, 907, 1004 BGB (Senat, BGHZ 88, 344 [345] = NJW 1984, 729 = LM § 1004 BGB Nr. 161; BGHZ 113, 384ff. = NJW 1991, 1671). Hier liegt auch keine unzumutbare Beeinträchtigung vor, die unter dem Aspekt der durch das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis gebotenen gegenseitigen Rücksichtnahme ausnahmsweise einen Abwehranspruch begründen könnte (vgl. dazu BGHZ 113, 384 [389ff.] = NJW 1991, 1671). Nach § 4 II NRWNachbG muß von einem vorhandenen Fenster zur Wahrung des Lichtrechts bei späterer Errichtung eines Nachbargebäudes ein Abstand von zwei Metern eingehalten werden. Diese Bestimmung ist zwar auch auf sonstige Anlagen entsprechend anwendbar, die in gleicher Weise wie ein Gebäude den Lichteinfall dauernd beeinträchtigen (Senat, LM NRW-NachbarrechtsG Nr. 8 = WM 1979, 897), dann folgerichtig auch auf eine das Nachbargrundstück einfriedende Mauer; die Kl. hat aber nicht behauptet, daß der Mindestabstand von zwei Metern zwischen ihrem Fenster und der Mauer fehlt. Aus der "Grenzdarstellung" in dem vom LG eingeholten Gutachten des Sachverständigen E vom 15. 6. 1989 ergibt sich ein weitaus größerer Abstand. Diesei entspricht mithin demjenigen Abstand, den § 4 II NRWNachbG als zumutbar ansieht. Die öffentlichrechtliche Vorschrift des § 6 NRWBauO über die Einhaltung von Abstandsflächen erlaubt in Abs. 11 Nr. 2 geschlossene Einfriedungen, also auch eine Mauer, bis zu der hier gewahrten Höhe von zwei Metern. Da bauordnungsrechtliche Bestimmungen, die den Grenzabstand regeln, auch dem Interesse des Nachbarn an ausreichender Belichtung und Belüftung seines Grundstücks sowie an einem freien Ausblick dienen (BGHZ 66, 354 [357] = NJW 1976, 1888 = LM § 823 [Bf] BGB Nr. 63), eine zwei Meter hohe Mauer aber bauordnungsrechtlich als Einfriedung gestattet ist, läßt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus der Höhe der Mauer auf eine unzumutbare Beeinträchtigung des Eigentums der Kl. schließen.

III. Die Entscheidung hängt mithin davon ab, ob die von den Bekl. errichtete Mauer die ortsübliche Einfriedung darstellt. Diese Frage bedarf - wie ausgeführt - tatrichterlicher Klärung. Daher ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das BerGer. zurückzuverweisen.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB § 1004; NRWNachbG §§ 4 II, 32 I, 35 I, 50