Eigentum an verrutschter (Grenz-)Mauer
Gericht
OLG Frankfurt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
15. 11. 1991
Aktenzeichen
10 U 2/91
Ein Mauer, die auf dem eigenen Grundstück errichtet wurde, bleibt im Eigentum des Errichters (Grundstückseigentümers), auch wenn im Nachhinein die Mauer ohne Zutun des Errichters auf das Grundstück des Nachbarn verrutscht ist.
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Hanglage, wobei das tiefergelegene Grundstück der Bekl. zwecks Schaffung eines Treppenaufgangs bis Straßenniveau vertieft worden ist. Zwischen den Grundstücken wurde vor ca. 80 Jahren eine Bruchsteinmauer errichtet, deren Eckpunkte sich auf dem höher gelegenen Grundstück des Kl. befinden. Ausweislich des 1988 erstellten Abmarkungsprotokolls weist der Verlauf der Mauer eine talwärts gerichtete Bauchung auf das Grundstück der Bekl. in etwa hälftiger Mauerstärke auf. Die Vertiefung des Treppenaufganges wird durch eine auf dem Grundstück der Bekl. errichtete Stützmauer abgestützt. Im Mai 1987 stürzte der oberhalb des Treppenaufgangs befindliche Teil der Bruchsteinmauer ein, worauf der Kl. diese ohne Rücksprache mit den Bekl. durch Anbringung von Betonfertigteilen mit einem Kostenaufwand von 10130,95 DM instandsetzen ließ. Der Kl. hat behauptet, die Mauer sei seinerzeit im heutigen Verlauf auf der Grenze als eine beiden Grundstücken dienende Grenzmauer errichtet worden, weshalb die Bekl. die Hälfte der Instandsetzungskosten abzüglich des ihnen durch den Einsturz entstandenen Schadens von 2030,41 DM zu tragen hätten. Widerklagend haben die Bekl. beantragt, den Kl. zum Ersatz des auf ihrem Grundstück entstandenen Schadens (unstreitig 2030,41 DM) zuzüglich Erstattung der Gärtnerkosten (366,80 DM) und anteiliger Abmarkungskosten (147,18 DM) zu verurteilen, sowie festzustellen, daß die Mauer zwischen den Flurstücken 270/2 (A-9) und dem Flurstück 167/2 (A-7) als Bestandteil des Grundstückes Flurstück 170/2 Alleineigentum des Kl. ist.
Das LG hat der Klage unter teilweiser Abweisung der Widerklage entsprochen. Das OLG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben.
Dem Kl. steht kein Ersatzanspruch gem. § 922 S. 2 BGB zu, denn entgegen der Auffassung des LG kann die Mauer nicht als Grenzeinrichtung i. S. des § 921 BGB angesehen werden. Zwar wird heute die Mauer in der im Abmarkungsprotokoll ersichtlichen Weise durch die gemeinsame Grenze geschnitten, doch reicht dies allein nicht aus, sie zur Grenzeinrichtung zu machen. Es konnte für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob die Mauer für beide Grundstücke von Vorteil war, insbesondere ob sie in Ansehung der auf dem Grundstück der Bekl. vorhandenen gesonderten Stützmauer Stützfunktion am Treppenaufgang ausübte oder nicht, denn Voraussetzung einer Grenzeinrichtung ist in jedem Falle, daß sie mit Zustimmung des Nachbarn als Grenzeinrichtung geschaffen wurde (vgl. Staudinger-Beutler, BGB, 12. Aufl., § 921 Rdnr. 5; BGHZ 91, 282 = NJW 1984, 2463; Hodes, NJW 1955, 1782; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1991, 656). Hieran fehlt es jedoch. Aufgrund der vorhandenen Unterlagen, insbesondere des Auszuges aus der Reinkarte sowie den Feststellungen des Sachverständigen, steht zur Überzeugung des Senats fest, daß die Mauer vor gut 80 Jahren auf dem Grundstück des heutigen Kl. entlang der Grenze errichtet wurde und erst im Laufe der Jahre aufgrund des auf sie wirkenden Erddruckes um etwa halbe Mauerstärke talwärts auf das Grundstück der heutigen Bekl. „ausbauchte“. Hierfür spricht zum einen, daß das Grundstück der Kl. vor dem der Bekl. bebaut wurde, was sich aus dem Auszug der Reinkarte, die die Bebauung auf dem Grundstück A-9 einschließlich der Mauer ausweist, ergibt. Beide Eckpunkte der eingezeichneten Mauer befinden sich nach den Feststellungen des Sachverständigen auch heute noch auf dem Grundstück der Kl., so daß mit dem Sachverständigen als gesichert gelten kann, daß die Mauer seinerzeit zwischen den beiden Eckpunkten gerade verlaufend auf dem Grundstück des Kl. ohne Inanspruchnahme des Grundstückes der Bekl. errichtet wurde und somit im alleinigen Eigentum der Rechtsvorgänger des Kl. stand.
An dieser Rechtslage änderte sich dadurch, daß die Mauer im Laufe der Jahrzehnte um einige Zentimeter talwärts driftete, nichts. Dieses Phänomen ist gesetzlich nicht geregelt, denn der Gesetzgeber ging ersichtlich davon aus, daß der Erdkörper fest und die mit ihm verbundenen Bestandteile unverrückbar seien (vgl. Dehner, NachbarR, 6. Aufl., § 24 VII 4), doch ist insoweit auf die ratio des § 912 BGB abzustellen. Wenn der Gesetzgeber in § 912 schon anordnet, daß ein von Menschenhand auf das Nachbargrundstück überbautes Gebäude im Alleineigentum des Überbauenden bleibt, so muß dies erst recht gelten, wenn das Gebäude korrekt auf dem eigenen Grundstück errichtet und erst später ohne Zutun des Errichters auf das Nachbargrundstück verschoben wird (so auch Dehner, § 24 VII 4). Auch insoweit muß gelten, daß niemandem gegen seinen Willen eine Grenzeinrichtung aufgezwungen werden kann, die sich nicht nur zu seinem Nachteil auf seinem Grundstück befindet, sondern für deren Herstellungs- bzw. Erhaltungsaufwand er auch noch - anteilig - aufkommen soll (vgl. Hodes, NJW 1955, 1782; BGH, NJW 1984, 2463; Staudinger-Beutler, § 921 Rdnr. 5; Soergel-Baur, BGB, 11. Aufl., § 928 Rdnr. 5).
Etwas anderes hätte nur gelten können, wenn die Bekl. nachträglich der Nutzung der Mauer als Grenzeinrichtung zugestimmt hätten, was indessen nicht der Fall ist. Eine ausdrückliche Zustimmung wird vom Kl. nicht behauptet, eine stillschweigende, die grundsätzlich ausreichen würde (vgl. Hodes, NJW 1955, 1782; Dehner, § 7 I 1) scheidet vorliegend aus, da den Bekl. bzw. ihren Rechtsvorgängern das „Abwandern“ der Mauer auf bzw. über die Grenze nicht bekannt war, so daß ihre Untätigkeit nicht als Zustimmung gewertet werden kann (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 50. Aufl., § 182 Rdnr. 3; Dehner, § 7 I 1).
Da somit die Mauer nach wie vor im Alleineigentum des Kl. steht - lediglich
der in Anspruch genommene Grundstücksteil der Bekl. verblieb in deren Eigentum -
ist allein er unterhaltspflichtig mit der Folge, daß die Klage abzuweisen und
der Widerklage stattzugeben war. Der Kl. bestreitet nicht, daß durch den
Einsturz der Mauer den Bekl. die in der Klageerwiderung aufgeführten und im
einzelnen belegten Schäden in Höhe von zusammen 2397,21 DM entstanden sind, für
die der Kl. nach § 836 BGB haftet. Einen Entlastungsbeweis hat der Kl. nicht
angetreten. Darüber hinaus schuldet der Kl. Erstattung der zur Feststellung des
Grenzverlaufs entstandenen Abmarkungskosten nach § 919 I, III BGB in Höhe
unstreitiger 147,18 DM, so daß unter Einschluß des vom LG zugesprochenen
Teilbetrages von 330,58 DM insgesamt der Betrag von 2544,39 DM nebst
Prozeßzinsen zuzusprechen war.
Schließlich haben die Bekl. im Hinblick auf
künftige Erhaltungsmaßnahmen ein rechtliches Interesse an der Feststellung, daß
die strittige Mauer im Alleineigentum des Kl. steht, weshalb der Widerklage in
vollem Umfange zu entsprechen war.
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