Grenzabstand einer Stützmauer nach der Neufassung der Hessischen Bauordnung

Gericht

LG Gießen


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

21. 09. 1994


Aktenzeichen

1 S 173/94


Leitsatz des Gerichts

Von einer bis 1,10 m hohen und über 25 m entlang der Grundstücksgrenze errichteten Stützmauer zur Absicherung aufgeschütteten und damit künstlichen Geländes gehen „Wirkungen wie von Gebäuden“ i. S. von § 6 XIII 1 HBO n. F. aus mit der Folge der sich aus dieser Vorschrift ergebenden Abstandspflicht.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. nehmen den Bekl., ihren Grundstücksnachbarn, auf Beseitigung einer Stützmauer und auf Mitwirkung bei der Errichtung einer ortsüblichen Einfriedung in Anspruch. Das Grundstück des Bekl., das im Jahre 1992 mit einem Wohnhaus bebaut wurde, fällt aufgrund der Hanglage zum Grundstück der Kl. hin ab. Im Zuge seiner Baumaßnahmen errichtete der Bekl. eine Mauer entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Diese Mauer befindet sich in geringem Abstand zur Grenze ganz auf dem Grundstück des Bekl. Sie hat eine Länge von 25 Metern und ist - nachdem sie der Bekl. zwischenzeitlich ein Stück weit wieder abtragen ließ - zwischen 0,70 m und 1,10 m hoch. Den hinter der Mauer gelegenen Teil seines Grundstücks verfüllte der Bekl. bis zur Oberkante mit Erdreich. Die Kl. beanstanden die Mauer als nicht ortsüblich und nicht den Vorschriften des Bebauungsplanes über Einfriedungen entsprechend.

Das AG hat der Klage stattgegeben. Das Rechtsmittel des Bekl. war in der Sache unbegründet.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Kl. haben einen Beseitigungsanspruch gegen den Bekl. Dies ergibt sich allerdings nicht aus dem Gesichtspunkt der Errichtung einer nicht ortsüblichen Einfriedung. Ein Beseitigungsanspruch des Nachbarn (entsprechend § 1004 I 1 BGB) kommt zwar in Betracht, wenn ein Grundstückseigentümer entgegen dem Einfriedungsverlangen des Nachbarn gem. § 14 I HessNachbG auf seinem Grundstück eine Einfriedung schafft, deren Beschaffenheit den gesetzlichen Anforderungen (§ 15 HessNachbG) nicht genügt und einer gemeinsam zu errichtenden und zu benutzenden (§ 921 BGB) ordnungsgemäßen Einfriedung im Wege steht (vgl. BGH, NJW 1992, 2569 = LM H. 2/1993 § 1004 BGB Nr. 203 m. w. Nachw.; Hodes, Hessisches NachbarR, 4. Aufl., § 15 Rdnr. 1). Die Kl. haben aber schon nicht dargetan, daß sie vor der Errichtung der Mauer überhaupt ein bestimmtes Einfriedungsverlangen an den Bekl. gerichtet hätten. Abgesehen davon handelt es sich bei der Stützmauer des Bekl. nicht um eine Einfriedung. Dazu zählen nur solche Anlagen, die an oder auf der Grundstücksgrenze stehen und die Aufgabe haben, die Grenze zu sichern und das Grundstück vor unbefugtem Betreten durch Mensch und Tier zu schützen (Hodes, § 14 Rdnr. 1). Darum geht es vorliegend jedoch nicht. Vielmehr dient die Mauer des Bekl. der Anhebung des Geländeniveaus auf dessen Grundstück. Eine Bewertung der Mauer als (unzulässige) Einfriedung geht an dieser offen zu Tage liegenden Funktion vorbei, die vom Bekl. im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung auch bestätigt wurde.

Auch auf §§ 823 II, 249 S. 1 BGB in Verbindung mit einer privatrechtlichen Schutznorm können die Kl. ihr Beseitigungsverlangen nicht stützen. Die vom Bekl. vorgenommene Erdaufschüttung ist nicht als „Anlage“ i. S. von § 907 I 1 BGB zu bewerten. Darunter versteht das Gesetz nur solche Werke, von denen aus dem Nachbargrundstück sinnlich wahrnehmbare Stoffe unmittelbar zugeführt werden, nicht aber Bodenerhöhungen (BGH, NJW 1974, 53 (54) = LM Art. 14 (Cb) GrundG Nr. 22; NJW 1976, 1840 (1841) = LM Art. 14 [Fb] GrundG Nr. 13; NJW 1980, 2580 (2581) = LM NRW-NachbarrechtsG Nr. 9). § 909 BGB untersagt lediglich bestimmte Vertiefungen auf dem Grundstück. Auf Erhöhungen ist die Bestimmung nicht (entsprechend) anwendbar (BGH, NJW 1974, 53 = LM Art. 14 (Cb) GrundG Nr. 22; NJW 1976, 1840 = LM Art. 14 (Fb) GrundG Nr. 13; NJW 1980, 2586 = LM NRW-NachbarrechtsG Nr. 9).

Angesichts der vom Bekl. gezogenen Stützmauer droht dem Grundstück des Kl. auch nicht die Gefahr der Beschädigung durch Ablösung von Teilen der Aufschüttung (§ 908 BGB; vgl. BGH, NJW 1976, 1840 (1841) = LM Art. 14 (Fb) GrundG Nr. 13). Daß die von dem Bekl. vorgenommene Bodenerhöhung ein Ansteigen oder Absinken des Grundwasserspiegels bewirkt hätte, das die Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen auf dem Grundstück der Kl. hervorgerufen hat (§ 20 HessNachbG), ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Allerdings kommen als Schutzgesetz i. S. von § 823 II BGB auch Bebauungsvorschriften in Betracht, soweit sie nachbarschützende Wirkung haben (Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 145), was bei den bauordnungsrechtlichen Vorschriften über Abstandsflächen und Abstände der Fall ist. Auf die vom AG herangezogene Bestimmung des § 8 II Nr. 2 HessBauO a. F. (= § 6 XI Nr. 2 HessBauO n. F.) können sich die Kl. allerdings nicht berufen. Aus der dort normierten Zulässigkeit von Stützmauern zur Sicherung des natürlichen Geländes bis zu 1,50 m Höhe unmittelbar an der Nachbargrenze kann nicht im Umkehrschluß abgeleitet werden, daß Stützmauern zur Absicherung von Aufschüttungen an der Grenze keinesfalls zulässig sind. Vielmehr sind solche Mauern nach § 6 IX HessBauO n. F. (= § 8 X HessBauO a. F.) zu bewerten. Sie unterliegen der Abstandspflicht, soweit sie Anlagen darstellen, „von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen“, und der vorrangige Bebauungsplan nichts anderes vorsieht (§ 6 XIII S. 1 HessBauO n. F. bzw. § 8 XIV S. 1 HessBauO a. F.). Dies ist bei der vom Bekl. errichteten Stützmauer der Fall. Die Frage der „Wirkung wie von Gebäuden“ ist nicht schematisch, sondern nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Für Aufschüttungen ohne Stützmauern und für freistehende Mauern wird sie regelmäßig erst ab 1,50 m Höhe bejaht (Müller, Das BauR in Hessen, § 8 HessBauO a. F. Anm. 2.10.1.1 Stichworte „Aufschüttungen“, „Mauern“).

Dies kann für Stützmauern zur Absicherung künstlichen Geländes jedoch nicht gelten, da die für den Nachbarn negativen Wirkungen von Mauer und Aufschüttung in diesem Fall miteinander kumulieren. Ob deshalb Stützmauern, die nicht der Absicherung natürlichen Geländes dienen, immer unzulässig sind, sofern sie die für Gebäude notwendigen Abstandsflächen nicht einhalten, kann dahinstehen. Von einer bis zu 1,10 m hohen und über 25 m entlang der gesamten Grenze zum Nachbarn errichteten Stützmauer zur Absicherung künstlichen Geländes gehen jedenfalls Wirkungen wie von Gebäuden aus. Mit dieser Beurteilung befindet sich die Kammer in Übereinstimmung mit der Baubehörde, die nach dem Vortrag des Bekl. im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung die nachträgliche Erteilung einer Baugenehmigung für die Mauer von der Zustimmung der Kl. abhängig machte, weshalb der Bekl. schon keinen entsprechenden Bauantrag mehr stellte. Eine abweichende Regelung im Bebauungsplan ist nach der unstreitigen Auskunft der Baubehörde dem Bekl. gegenüber ebenfalls nicht anzunehmen (§ 286 ZPO).

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB § 823 II; HessBauO § 6 XIIIn. F.; HessNachbG