Ersetzung der Einwilligung bei Adoption
Gericht
BayObLG
Art der Entscheidung
Beschluss über weitere Beschwerde
Datum
06. 05. 1997
Aktenzeichen
1Z BR 148/96
Zur Ermittlungspflicht des Gerichts bei einem Antrag des Kindes auf Ersetzung der Einwilligung zur Adoption.
Die Nichtzahlung von Unterhalt allein begründet keine gröbliche Pflichtverletzung.
Die Belehrung und Beratung durch das Jugendamt im Fall der Einwilligungsersetzung wegen Gleichgültigkeit eines Elternteils kann im Ersetzungsverfahren nachgeholt werden.
Auszüge aus den Gründen:
II.
Die zulässige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung.
1. Das LG hat die Ersetzung der Einwilligung in die Annahme [des 1987 geborenen Kindes durch seinen Stiefvater] abgelehnt. Es hat auf die Ausführungen des VormG Bezug genommen und im Verhalten des Beteiligten [Bet.] zu 3 keine gröbliche und anhaltende Pflichtverletzung gegenüber seinem Kind gesehen. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Bet. zu 3 tatsächlich in der Lage gewesen sei, überhaupt wesentliche Beiträge zum Unterhalt zu leisten, zumal er auch noch weiteren Unterhaltspflichten nachzukommen habe. Auch sei das Kind dem Bet. zu 3 nicht gleichgültig, wie sein Verhalten in der Vergangenheit gezeigt habe. Eine besonders schwere Pflichtverletzung oder dauernde Unfähigkeit zur Pflege und Erziehung des Kindes lägen ebenfalls nicht vor. Das Unterbleiben der Annahme würde den Bet. zu 1 außerdem nicht unverhältnismäßig benachteiligen.
2. Die Ausführungen des LG sind nicht frei von Rechtsfehlern (§§ 27 I FGG, 550 ZPO), denn das LG hat die Voraussetzungen für eine Ersetzung der Einwilligung zur Annahme nicht umfassend geprüft und die vorhandenen Aufklärungsmöglichkeiten nicht in dem gebotenen Umfang ausgeschöpft.
a) Zutreffend sind die Vorinstanzen von der Anwendung deutschen Rechts (Art. 22, 23 EGBGB) ausgegangen und haben angenommen, daß die Ersetzung der Einwilligung des Bet. zu 3 in die Annahme wegen anhaltender gröblicher Pflichtverletzung nicht in Betracht kommt (§ 1748 I S. 1 Hs. 2 BGB).
aa) Steht einem Elternteil die elterliche [elterl.] Sorge nicht zu, so ist bei der Frage der Pflichtverletzung auf die ihm noch obliegenden Pflichten abzustellen (BayObLG, FamRZ 1994, 1348; Soergel/Liermann, BGB, 12. Aufl., Rz 10, Erman/Holzhauer, BGB, 9. Aufl., Rz. 11, MünchKomm/Lüderitz, BGB, 3.Aufl., Rz. 6, Palandt/Diederichsen, BGB, 56. Aufl., Rz. 5, jeweils zu § 1748). Eine gröbliche Verletzung der elterl. Pflichten kann auch darin liegen, daß ein Elternteil trotz bestehender Leistungsfähigkeit seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind nicht nachkommt (BayObLG, FamRZ 1994, 1348, 1349; Staudinger/Frank, BGB, 12. Aufl., Rz. 16, Erman/Holzhauer, Rz. 12, MünchKomm/Lüderitz, Rz. 6, jeweils zu § 1748).
bb) Dem Bet. zu 3 verblieb seit der Scheidung der Ehe und nach Aussetzung der Umgangsbefugnis für drei Jahre mit Beschluß v. 27. 4. 1994 als wesentliche elterl. Pflicht lediglich die Pflicht zur Unterhaltsleistung. Dieser Pflicht ist der Bet. zu 3 seit November 1993 nicht mehr nachgekommen. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, daß die Vorinstanzen aus der Nichtleistung des Unterhalts keine anhaltende gröbliche Pflichtverletzung abgeleitet haben. Denn eine gröbliche Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht von erschwerenden Umständen begleitet wird, etwa weil das Kind infolge der Nichtleistung Not leidet (vgl. BayObLG, FamRZ 1994, 1348; Erman/Holzhauer, § 1748 Rz. 12). Dies ist nicht der Fall. Auch sonstige Gründe für die Annahme eines gröblichen Verstoßes durch Verletzung der Unterhaltspflichten sind nicht ersichtlich. Das Ermittlungsverfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung aufgrund der Anzeige des Kreisjugendamts [JA] v. 28.1. 1994 hat nicht zu einer Verurteilung wegen Unterhaltspflichtverletzung geführt; die frühere Verurteilung wegen Unterhaltspflichtverletzung liegt schon mehrere Jahre zurück.
b) Dagegen halten die Ausführungen des LG, soweit es die Ersetzung der Einwilligung wegen Gleichgültigkeit von vornherein ausschließt, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§§ 27 I FGG, 550 ZPO). Die Feststellung des LG, aus dem Verhalten des Bet. zu 3 in der Vergangenheit sei zu schließen, daß ihm der Bet. zu 1 nicht gleichgültig sei, reicht als Begründung nicht aus. Es hat bei Prüfung dieser Voraussetzung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG). Das Vorbringen des Bet. zu 1 und der festgestellte Sachverhalt hätten ferner Anlaß zu weiteren Ermittlungen gegeben (§ 12 FGG; vgl. BGHZ 40, 54, 57; BayObLGZ 1983, 153, 161 = FamRZ 1983, 1061).
aa) Gleichgültig verhält sich ein Elternteil dann, wenn er gegenüber dem Kind und seiner Entwicklung teilnahmslos ist. Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn ihn das Kind und dessen Schicksal nicht interessieren (BayObLG, FamRZ 1994, 1348; OLG Hamm, FamRZ 1991, 1103, 1106) oder wenn er es an einer persönlichen Zuwendung völlig fehlen läßt (Staudinger/Frank, Rz. 25, MünchKomm/Lüderitz, Rz. 9, jeweils zu § 1748). Gleichgültigkeit kann allerdings auch dann bejaht werden, wenn der "Besitzanspruch" des Elternteils auf das Kind keiner echten gefühlsmäßigen Bindung entspricht, sondern anders motiviert ist, z. B. durch Eifersucht, verletzten Stolz, Neid, Rachsucht, Böswilligkeit oder durch die bloße Besorgnis um das eigene Wohl (BayObLG, DAVorm 1981, 131, 138 = FamRZ 1981, 604 [Lse]; OLG Hamm, FamRZ 1991, 1103, 1106).
bb) Der Bet. zu 1 hat vorgetragen, daß der Bet. zu 3 kein echtes Interesse mehr an ihm zeige. Dieser habe Ende 1993 mitgeteilt, daß er keinen Unterhalt mehr leisten könne und für einige Monate nach Südamerika fahre. Seither habe er ihm gegenüber weder an Geburtstagen noch an Feiertagen durch irgendwelche Gesten sein Interesse gezeigt. Auch hat der Bet. zu 3 es abgelehnt, trotz eindringlicher Schreiben die ihm durch das JA angebotene Beratung anzunehmen. Die Anhörung durch das VormG am 8. 1. 1996 erbrachte keinen Hinweis auf ein echtes Interesse an seinem Kind, sondern enthielt nur eine Drohung gegenüber dem Gericht.
Aufgrund dieses Verhaltens hätten daher die Vorinstanzen der Frage nachgehen müssen, ob der Bet. zu 3 tatsächlich überhaupt nicht in der Lage ist, wenigstens teilweise seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind nachzukommen, oder ob die Nichtleistung der Unterhaltspflicht ebenfalls ein Indiz für eine inzwischen eingetretene Gleichgültigkeit des Bet. zu 3 gegenüber dem Bet. zu 1 ist. Die Akten des weiteren Ermittlungsverfahrens gegen den Bet. zu 3 wegen Unterhaltspflichtverletzung könnten hierüber Aufschluß geben und hätten beigezogen werden müssen. Auch hätte das JA über den Sachstand in der Unterhaltsangelegenheit und die eingeleiteten Maßnahmen sowie über das Verhalten des Bet. zu 3 in dieser Sache befragt werden können.
Bei der Würdigung, ob die Einwilligung des Bet. zu 3 in die Annahme gegenüber dem Kind zu ersetzen ist, wird im übrigen zu berücksichtigen sein, daß das Gesetz an das äußere Verhalten anknüpft und es genügen läßt, wenn das gesamte Verhalten zu dem Schluß führt, daß dem Elternteil das Kind gleichgültig ist (BayObLG, DAVorm 1981, 131, 138 = FamRZ 1981, 604 [Lse]; OLG Hamm, FamRZ 1991, 1103, 1106).
cc) Das VormG kann wegen Gleichgültigkeit, die nicht zugleich eine anhaltende gröbliche Pflichtverletzung ist, die Einwilligung erst ersetzen, wenn der Elternteil vom JA über die Möglichkeit ihrer Ersetzung belehrt, entsprechend § 51 II SGB VIII beraten worden ist und seit der Belehrung mindestens drei Monate verstrichen sind (§ 1748 II S. 1 BGB). Die vom Gesetz geforderte Belehrung und Beratung kann auch noch während des Ersetzungsverfahrens vorgenommen werden (vgl. OLG Köln, FamRZ 1987, 203, 205; Soergel/Liermann, §1748 Rz. 20). Auf das Verhalten, das der Bet. zu 3 nach der Belehrung und Beratung an den Tag legt, wird es bei der Beurteilung maßgeblich ankommen.
c) Die Frage, ob das Unterbleiben der Annahme als Kind dem Bet. zu 1 zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde (§ 1748 I S. 1 BGB), kann nicht allein unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, daß das Kind auch ohne Adoption in der Familie seiner Mutter gut versorgt wird (vgl. BayObLG, DAVorm 1990, 381, m.w.N. = FamRZ 1990, 799 [LSe]. Der Bet. zu 1 ist nach der Stellungnahme des JA im Umgangsverfahren verunsichert; er will in erster Linie Ruhe und Harmonie in der Familie, in der er jetzt lebt. Es wurde vorgetragen, daß er bei Unterbleiben der Annahme großem psychischen Druck ausgesetzt wäre.
Die Interessen des Kindes und des die Einwilligung verweigernden Elternteils sind gegeneinander abzuwägen. Die Ersetzung muß erforderlich sein, um die infolge des Versagens des Elternteils eingetretene oder drohende Gefahr für eine gesunde Entwicklung des Kindes abzuwenden (BayObLG, FamRZ 1975, 232, 233). Dabei sind auch die psychischen Folgen für das Kind im Fall des Unterbleibens der Adoption zu berücksichtigen.
3. Wegen der weiteren erforderlichen Ermittlungen sind die Entscheidungen des VormG und das LG aufzuheben. Der Senat verweist die Sache an das VormG zurück (vgl. Keidel/Kuntze, FG, 13. Aufl., § 27 FGG Rz. 66c).
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