Unterhalt bei Karrieresprung
Gericht
OLG Schleswig
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
24. 01. 2003
Aktenzeichen
10 UF 209/01
Die Höhe des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen, und zwar grundsätzlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung. Nach der Zielsetzung des Gesetzgebers sollen Ehegatten auch noch während der Trennung an der Entwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse teil haben.
Dieser Grundsatz gilt jedoch bei Veränderungen der Einkommensverhältnisse nur insoweit, als diese nicht auf einer unerwarteten, vom Normalfall erheblich abweichenden Entwicklung seit der Trennung beruhen. Ob bei einer Einkommenssteigerung eine normale Entwicklung und damit ein prägendes Einkommen vorliegt, richtet sich bereits nach den Verhältnissen bei der Trennung. Prägend können nur Einkünfte sein, deren Wurzeln im gemeinsamen Zusammenleben liegen. Daher sind Veränderungen nach der Trennung nicht zu berücksichtigen, wenn Sie auf einer unerwarteten Entwicklung, insbesondere einen „Karrieresprung“ beruhen.
Ein Karrieresprung ist nicht schon während der intakten Ehe angelegt, wenn sich entsprechende berufliche Veränderungen in dieser Zeit zerschlugen und tatsächlich erst nach Trennung der Ehepartner eingetreten sind.
Eine Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit besteht für den Unterhaltsberechtigten erst, wenn die Kinder die Grundschulzeit beendet haben (10./11. Lebensjahr).
Wird gleichwohl, ohne dazu verpflichtet zu sein, aus freien Stücken und nicht aus wirtschaftlicher Not eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, so liegt keine unzumutbare Tätigkeit vor. Die daraus erzielten Einkünfte sind nicht überobligatorisch, und daher auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Im Februar 1996 trennten sich die Parteien. Zu Beginn des Jahres 1998 wurde bei der D. Bank AG eine Arbeitsstelle „Fachkraft Problemkredite” im Bereich Kreditmanagement und Kreditsekretariat in F. ausgeschrieben, worauf sich der Beklagte erfolgreich zum 1.5.1998 bewarb. Aus diesem Grunde stieg sein Bruttoeinkommen um mehr als ein Drittel. 1999 kehrte er nach erfolgreicher Bewerbung als Abteilungsleiter zu seinem früheren Arbeitgeber zurück.
Die Parteien stritten im Wesentlichen darum, ob bei dem Beklagten eine unerwartete Einkommenssteigerung nach einem „Karrieresprung” eingetreten ist.
Dies hat das AG bei seiner angefochtenen Entscheidung verneint. Ferner hat es die Auffassung vertreten, dass das Einkommen der Klägerin als überobligatorisch zu bewerten sei und hat es deshalb bei der Unterhaltsberechnung um 20 % ermäßigt.
Gegen die Verurteilung zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung und meint, bei ihm liege unerwartet ein „Karrieresprung” vor, so dass lediglich fiktiv seine Einkünfte als Gruppenleiter der D. Bank ab Dezember 1999 fortzuschreiben seien. Darüber hinaus arbeite die Klägerin auch nicht überobligationsmäßig, da sie – unstreitig – schon während der Ehe der Parteien im bisherigen Umfang berufstätig war.
Die Berufung des Beklagten hatte zum Teil Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Der Beklagte schuldet der Klägerin dem Grunde nach gem. den §§ 1570 und 1573 Abs. 2 BGB nachehelichen Ehegattenunterhalt als Betreuungs- bzw. Aufstockungsunterhalt.
1. Bei der Unterhaltsberechnung ist von den Einkünften des Beklagten nach seiner bisherigen Tätigkeit als Gruppenleiter bei der D. Bank auszugehen. Zwar erhielt der Beklagte in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von Dezember 1999 bis heute wesentlich höhere Einkünfte, zuletzt als Abteilungsleiter der vorgenannten Bank. Diese Einkünfte sind jedoch bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Klägerin gem. § 1578 BGB nicht zugrunde zu legen. Nach § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen, und zwar den Verhältnissen im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung (BGH v. 24.9.1993 – XII ZR 136/92, NJW 1994, 935; v. 25.2.1987 – IVb ZR 36/86, NJW 1987, 1551). Nach der Zielsetzung des Gesetzgebers soll der berechtigte Ehegatte an dem Lebenszuschnitt beteiligt werden, wie er sich bis zu diesem Zeitpunkt der Ehe entwickelt hat (BT-Drucks. 7/650, 136), da die Ehe auch während der Trennung bis zur rechtskräftigen Scheidung fortbesteht und die eheliche Lebensgemeinschaft grundsätzlich jederzeit wieder aufgenommen werden könnte, so dass die Ehegatten bis dahin auf der Grundlage ihrer Lebensverhältnisse miteinander verbunden sind. Daher prägen auch auf Dauer angelegte Einkommensveränderungen zwischen Trennung und Scheidung i.d.R. die ehelichen Lebensverhältnisse, da die Ehegatten auch während der Trennung bis zur Rechtskraft der Scheidung an der Entwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse grundsätzlich teilnehmen (BGH NJW 1999, 717). Dieser Grundsatz gilt jedoch nach der Rspr. des BGH bei beruflichen Entwicklungen, insb. bei Veränderungen der Einkommensverhältnisse, nur insoweit, als die Veränderungen nicht auf einer unerwarteten, vom Normalverlauf erheblich abweichenden Entwicklung der Einkommensverhältnisse seit der Trennung beruhen (BGH v. 31.3.1982 – IVb ZR 652/80, NJW 1982, 2063; v. 8.2.1984 – IVb ZR 54/82, NJW 1984, 1685). Als Zeitpunkt für die Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse ist beim nachehelichen Unterhalt zwar die Rechtskraft der Scheidung maßgebend, die Frage, ob bei einer Einkommenssteigerung eine „normale” Entwicklung und damit ein prägendes Einkommen vorliegt, richtet sich aber bereits nach den Verhältnissen bei der Trennung. Denn prägend können nur Einkünfte sein, deren Wurzeln im gemeinsamen Zusammenleben liegen (BGH v. 23.11.1983 – IVb ZR 21/82, NJW 1984, 292). Daher sind Veränderungen nach der Trennung dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie auf einer unerwarteten Entwicklung beruhen. Unerwartet sind z.B. Einkommenssteigerungen nach einem „Karrieresprung” (Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rz. 64 m.w.N.).
Ein entspr. „Karrieresprung” ist bei dem Beklagten eingetreten. So hat sein Arbeitgeber mit Schreiben vom 12.9.2002 auf der Grundlage seines beruflichen Werdeganges bescheinigt, dass sein Arbeitgeberwechsel ab Mai 1998 einen vom üblichen Karriereverlauf im Bankensektor abweichenden Karrieresprung darstellt. Dies wird letztlich auch dadurch bestätigt, dass der Beklagte nach dem Realschulabschluss eine Berufsausbildung zum Bankkaufmann absolvierte, die er mit der Note „befriedigend” abgeschlossen hat. Insoweit ist die berufliche Entwicklung des Beklagten unter Zugrundelegung einer Einkommenssteigerung von mehr als 1/3 als „unerwartet” zu bezeichnen.
Auch nach dem Vorbringen der Klägerin ist dieser „Karrieresprung” nicht schon während der intakten Ehe angelegt worden, da entspr. berufliche Veränderungen des Beklagten sich in dieser Zeit zerschlugen und tatsächlich erst nach Trennung der Parteien eingetreten sind.
Deshalb sind bei der Unterhaltsberechnung im Gegensatz zur Auffassung des AG nicht die tatsächlich erzielten Einkünfte des Beklagten ab Dezember 1999 bei der Unterhaltsberechnung zugrunde zu legen, sondern es ist vielmehr fiktiv mit seinen fortzuschreibenden Einkünften als Gruppenleiter der D. Bank ab Dezember 1999 zu rechnen. Daher sind die Einwände der Klägerin zu den tatsächlichen Einkünften des Beklagten für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich.
2. Abweichend von der Entscheidung des AG beruhen die Einkünfte der Klägerin nicht auf einer unzumutbaren Tätigkeit und sind somit auch nicht als überobligationsmäßig zu bewerten.
Zwar bewirkt die gemeinschaftliche Verantwortung der Eltern für ihre Kinder, dass bei deren Betreuung regelmäßig erst gearbeitet werden muss, wenn die Kinder ein bestimmtes Alter erreicht haben. Nach st. Rspr. des Senats beginnt dieses Alter erst ab dem 10./11. Lebensjahr (Beendigung der Grundschulzeit). Andererseits ist aber zu beachten, dass in vielen Fällen beide Eheleute während des Zusammenlebens berufstätig sind, obwohl sie kleine Kinder haben. Zum Teil erfolgt dies aus Not, weil der Ehepartner zur Finanzierung des gemeinsamen Haushalts zu wenig verdient, zum Teil beruht dies aber auch auf persönlichen Vorstellungen der Eheleute über die Gestaltung ihrer Ehegemeinschaft und damit aus freien Stücken. Nach der Rechtsprechung des BGH ist das aus der Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen nur im ersten Fall überobligatorisch, während im zweiten Fall es als nachhaltig und dauerhaft zu bezeichnen ist, da es aus einer zumutbaren Tätigkeit stammt (BGH FamRZ 1998, 1501 [1502]). Konkrete Anhaltspunkte, dass die während der Ehezeit ab 1.4.1990 aufgenommene Berufstätigkeit der Klägerin (Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 28,9 Stunden) aus einer wirtschaftlichen Not der Eheleute aufgenommen wurde, liegen nicht vor. Insoweit geht der Senat davon aus, dass die Erwerbstätigkeit der Klägerin aus freien Stücken aufgenommen wurde und deshalb nicht als überobligatorisch anzusehen ist. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass es den Parteien vor der Trennung bzw. der Klägerin nach der Trennung ohne weiteres gelungen ist, die gemeinsamen Kinder durch die Großeltern mütterlicherseits zu betreuen. Darüber hinaus arbeitet die Klägerin auch nach der Trennung weiterhin – wie zuvor – nur teilschichtig, nämlich mit 30 Wochenstunden.
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