Kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch für Schäden infolge ungewöhnlich heftigen Sturms
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
23. 04. 1993
Aktenzeichen
V ZR 250/92 (München)
Pflanzt oder unterhält der Eigentümer auf seinem Grundstück einem Baum und stürzt dieser infolge eines ungewöhnlich heftigen Sturms auf das Nachbargrundstück, so sind die damit verbundenen Beeinträchtigungen dem Eigentümer regelmäßig dann nicht als Störer i. S. des § 1004 I BGB zuzurechnen, wenn der Baum gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähig gewesen ist. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II 2 BGB kommt dann nicht in Frage.
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in H., auf denen sie mit ihren Ehegatten wohnen. Am Abend des 26.2.1990 stürzten während eines ungewöhnlich starken Unwetters ("Wiebke“) bei Sturmböen mit Windstärken neun bis zehn nach Stammbruch zwei ausgewachsene Fichten vom Grundstück der Bekl. auch auf das Grundstück des Kl. und beschädigten dort das Garagendach und das Vordach der Hauseingangstür. Der Kl. ist der Meinung, die beiden Fichten hätten rechtzeitig entfernt werden müssen. Sie seien erkennbar an Rotfäule erkrankt gewesen und hätten nur deswegen den Windböen nicht standgehalten. Er verlangte von der Bekl. und ihrem Ehemann 11018,69 DM, die nach seiner Behauptung für die Beseitigung der Schäden aufgewendet werden mussten.
Das LG hat mit Teil- und Grundurteil die Klage nur in Richtung gegen die Bekl. dem Grunde nach wegen Bestehens eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs für gerechtfertigt erklärt und sie im übrigen abgewiesen. Das OLG hat auf die Berufung der Bekl. diese Entscheidung unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Kl. dahin abgeändert, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird. Die - beschränkt auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch zugelassene - Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.
I. Das BerGer. verneint - wie das LG - einen Schadensersatzanspruch des Kl. aus unerlaubter Handlung wegen Verletzung der Verkehrssicherheit mangels Verschuldens. Es lehnt auch einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gegen die Bekl. in entsprechender Anwendung von § 906 II 2 BGB ab, weil dem Kl. zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch aus § 1004 BGB zugestanden habe, da die Bekl. nicht als Störer im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden könne. Dies hält den Revisionsangriffen stand.
II. Dem Kl. steht ein - verschuldensunabhängiger - nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 II 2 BGB gegen die Bekl. nicht zu.
1. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift käme in Betracht, wenn der Kl. aus besonderen Gründen rechtlich oder tatsächlich gehindert gewesen wäre, einen ihm zustehenden Primärrechtschutz geltend zu machen (vgl. z. B. BGHZ 85, 375 (384); BGHZ 90, 255 (262); BGHZ 111, 158 (162 ff.) m. w. Nachw.). Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch tritt insoweit an die Stelle des primären Abwehranspruchs nach § 1004 I BGB, der auf Beseitigung oder Unterlassung der Beeinträchtigungen gerichtet ist (BGH aaO), setzt also voraus, dass die Bekl. einem solchen Abwehranspruch des Kl. ausgesetzt war. So liegt es hier aber nicht.
2. Der Abwehranspruch aus § 1004 I BGB setzt voraus, dass die Bekl. als Störer verantwortlich ist. Dazu reicht nach der Rechtsprechung des BGH die bloße Stellung als Eigentümer des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, nicht aus (BGHZ 28, 110 (111 f.); die Beeinträchtigung muss vielmehr wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen (BGHZ 90, 255 (266); BGH, NJW 1985, 1773 (1774); WM 1991, 1609 (1610); Senat, ZIP 1993, 200 (205), jeweils m. w. Nachw.). Durch Naturereignisse ausgelöste Beeinträchtigungen sind ihm allenfalls dann als Störer zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn sie erst durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden sind (vgl. BGHZ 90, 255 (266) m. w. Nachw.). Weitere Voraussetzungen für die Zurechnung einer Beeinträchtigung ist aber auch dann, dass der vom Eigentümer geschaffene oder geschuldete Zustand eine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück gebildet hat (vgl. Medicus, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1004 Rdnr. 39).
Das bloße Anpflanzen und Aufziehen von widerstandsfähigen Bäumen begründet eine solche Gefahrenlage regelmäßig noch nicht. Dass auch dann bei Naturkatastrophen Schäden nicht auszuschließen sind, ändert, wie das BerGer. zutreffend ausgeführt hat, daran nichts. Denn derartige, ganz ungewöhnliche, von außen hinzutretende Ereignisse sind zwar denkbar, normalerweise aber nicht zu erwarten; vor ihrem Eintritt geht von den auf dem Grundstück angepflanzten Bäumen, die gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähig sind, keine ernsthafte Gefahr für das Nachbargrundstück aus (vgl. KG, OLG 1977, 494 (496)). Eine Verantwortlichkeit im Rahmen des § 1004 I BGB kann den Grundstückseigentümer deshalb erst dann treffen, wenn von ihm unterhaltene Bäume infolge Krankheit oder Überalterung diese Widerstandskraft eingebüßt haben. Die letztere Frage braucht hier indessen nicht vertieft zu werden, weil sie für die Entscheidung des Falles unerheblich ist.
a) Nach den Feststellungen des BerGer. (§ 561 ZPO) ist dem Kl. durch das Umbrechen der kleineren, an Rotfäule erkrankten Fichte kein nennenswerter zusätzlicher Nachteil entstanden. Der größere Baum aber ist in seiner Standfestigkeit nicht beeinträchtigt gewesen und hat deshalb bis zum Beginn des Unwetters am 26. 2. 1990 für das Nachbargrundstück keine ernsthafte Gefahr bedeutet, die einer Beeinträchtigung i. S. des § 1004 I 1 BGB gleichzustellen gewesen wäre.
b) Dies hat sich erst während des ungewöhnlich starken Sturms geändert, als der Stamm brach und die Fichte auf das Nachbargrundstück stürzte. Zu diesem Zeitpunkt aber stand es, wie das BerGer. mit Recht ausgeführt hat, nicht mehr in der Macht der Bekl., die Gefahrenlage zu beseitigen. Die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks war ihr nunmehr aus diesem Grunde nicht als Störerin zuzurechnen.
c) Soweit die Revision meint, dieses Ergebnis sei mit anderen Senatsentscheidungen unvereinbar, ist ihr darin nicht zu folgen. Dies gilt zunächst von den Fällen des Eindringens der Wurzeln von Straßenbäumen in die Abwasserleitungen eines benachbarten Grundstücks (BGHZ 97, 231 ff.; BGHZ 106, 142 ff.). Denn in jenen Fällen war die Beeinträchtigung allein aus der natürlichen Entwicklung des Wurzelbereichs, also aus dem vom Willen des Eigentümers getragenen natürlichen Wachstum, entstanden (vgl. Senat, ZIP 1993, 200 (205)); bereits das Eindringen der Wurzeln in das Nachbargrundstück stellte eine von dessen Eigentümer grundsätzlich abwehrbare (§§ 1004 I, 910 BGB) Störung des Grundeigentums dar. Hier dagegen wurde die Einwirkung auf das Nachbargrundstück erst durch ein zusätzliches, von außen einwirkendes besonderes Naturereignis ausgelöst, das auch nicht mittelbar auf den Willen der Bekl. zurückgeführt werden kann.
Im Schrotblei-Fall (BGHZ 111, 158 (162)) beruhte die Zuführung von Grobimmissionen zumindest mittelbar ebenfalls auf dem Willen des Betreibers der Schießanlage, ohne dass es eines zusätzlichen Naturereignisses bedurfte. Gleiches gilt insoweit für sonstige Entscheidungen, in denen ein Ausgleichsanspruch wegen Beeinträchtigungen anerkannt worden ist, gegen die der Eigentümer nach § 1004 I BGB entweder aus rechtlichen Gründen nicht vorgehen durfte (vgl. BGHZ 48, 98 (104); BGHZ 60, 119 (123); BGHZ 110, 17 (23)) oder aus tatsächlichen Gründen nicht vorgehen konnte (vgl. etwa BGHZ 90, 255 (263); ferner Hagen, in: Festschr. f. Hermann Lange, 1992, S. 483 (500 ff.)).
d) Entgegen der Meinung der Revision kommt ein Anspruch des Kl. auch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung, selbst wenn er von der beschränkten Zulassung des Rechtsmittels erfasst sein sollte, nicht in Betracht. Dadurch, dass der Kl. die zur Beseitigung der Beeinträchtigung erforderlichen Arbeiten hat durchführen lassen, wäre die Bekl. nur dann von einer Verpflichtung befreit und damit auf sonstige Weise i. S. des § 812 I 1 BGB bereichert, wenn dafür kein rechtlicher Grund bestanden hätte, weil der Kl. von ihr die Beseitigung der Störung verlangen konnte (BGHZ 97, 231 (234); BGHZ 106, 142 (143)). Das aber ist, wie dargelegt, gerade nicht der Fall.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen