Zustandsstörerhaftung für fehlende Standfestigkeit von Pappeln

Gericht

AG Köln


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

19. 04. 1991


Aktenzeichen

114 C 816/90


Leitsatz des Gerichts

Der Grundstücksbesitzer muss im Rahmen des Möglichen dafür Sorge tragen, dass von seinen Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht. Insbesondere muss er die Standfestigkeit seiner Bäume sicherstellen.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. sind Eigentümer eines Hausgrundstücks in Köln. Die Bekl. ist Eigentümerin des Nachbargrundstücks. Am 28. 2. 1990 wurde eine auf dem Grundstück der Kl. stehende Pappel durch einen außergewöhnlich heftigen Sturm umgerissen und fiel mit ihrem oberen Teil auf das Grundstück der Bekl. Die Spitze beschädigte das Dach des Hauses der Bekl., so dass der Dachstuhl erneuert werden musste. Außerdem wurden etliche Fenster zerstört, durch die teilweise Zweige in das Haus hineinragten. Der Hofeingang und der Zugang zu den Mülltonnen auf dem Grundstück der Bekl. waren durch den Baum versperrt. Die Bekl. war verreist und nicht erreichbar, so dass der Schaden den Kl. von der Hausverwaltung der Bekl. mitgeteilt wurde. Die Kl. veranlassten die Beseitigung des auf dem Grundstück der Bekl. liegenden Baumteils und trugen die dafür entstandenen Kosten.

Das LG hat die Klage auf Erstattung der Kosten in Höhe von 2358,41 DM abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

1. Die Kl. haben gegen die Bekl. keinen Anspruch auf Zahlung von 2358,41 DM aus §§ 683, 670 BGB. Die Voraussetzungen für eine Geschäftsführung ohne Auftrag liegen nicht vor. Die Beseitigung des auf dem Grundstück der Bekl. liegenden Baumteils stellte für die Kl. kein fremdes, sondern ein eigenes Geschäft dar.

Die Bekl. konnte von ihnen gem. § 1004 BGB die Beseitigung verlangen, da die Kl. Zustandsstörer im Sinne dieser Vorschrift waren. Mit der Beseitigungspflicht der Kl. geht dabei deren Verpflichtung einher, auch die entstehenden Kosten zu tragen (Palandt-Bassenge, BGB, 50. Aufl. (1991), § 1004 Rdnr. 24; Soergel-Mühl, BGB, Bd. 6, SachenR, Stand: Sommer/Herbst 1989, § 1004 Rdnr. 118; Erman-Hefermehl, BGB, Bd. 2, 8. Aufl. (1989), § 1004 Rdnr. 26).

a) Der Baum beeinträchtigte das Eigentum der Bekl. unter anderem dadurch, dass er den Hofeingang und den Zugang zu den Mülltonnen versperrte und teilweise mit den Ästen durch die Fenster in ihr Haus ragte.

b) Die Kl. waren als Zustandsstörer für die Beseitigung verantwortlich. Allerdings ergibt sich ihre Verantwortlichkeit nicht nur aus dem Eigentum. Nach ständiger Rechtsprechung findet nämlich jede Störerhaftung dort ihre Grenze, wo die Beeinträchtigung ausschließlich auf dem Eingreifen von Naturkräften beruht und nicht auch auf eine von Menschenhand vorgenommene Veränderung des Grundstücks zurückzuführen ist (so schon RGZ 149, 205 (213); BGH, NVwZ 1990, 297 (298); NJW 1985, 1773 (1774); OLG Köln, VersR 1990, 401; BGHZ 19, 126 (129); BGHZ 90, 256 (266)).

Die Störerhaftung der Kl. ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Baum durch Naturkräfte entwurzelt wurde, da das Umstürzen des Baums nicht ausschließlich auf den starken Sturm, sondern auch darauf zurückzuführen ist, dass der Naturzustand des Grundstücks durch das Pflanzen des Baums verändert wurde.

aa) Die Frage, ob ein Naturereignis vorlag, beurteilt sich ausschließlich nach objektiven Kriterien und ist entgegen der Ansicht der Parteien nicht davon abhängig, ob der Baum gesund oder krank war. Die von den Kl. zu den Akten gereichte Pressemitteilung der Stadt Köln vom 1. 3. 1990 belegt ausreichend, dass am 28. 2. 1990 ein überdurchschnittlich starker Sturm wütete, der aufgrund seiner orkanartigen Ausmaße als Naturgewalt angesehen werden muss.

bb) Auch im weiteren kann der zwischen den Parteien streitige Gesundheitszustand des Baums dahinstehen: Wenn der Baum erkennbar krank gewesen wäre, ergäbe sich eine Zustandshaftung der Kl. schon daraus, dass sie es unterlassen hätten, ihn zu fällen, um ein Umstürzen bei stärkerem Sturm zu verhindern. Anerkanntermaßen hat nämlich derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück innehat, im Rahmen des Möglichen dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht und sie insbesondere auch gegen ein Umstürzen aufgrund fehlender Standfestigkeit zu sichern (BGH, NVwZ 1990, 297 (298)).

Aber auch wenn der Baum gesund gewesen sein sollte, ergäbe sich eine Zustandsverantwortlichkeit der Kl. daraus, dass sie oder die vorherigen Eigentümer des Grundstücks den Baum pflanzten, wodurch der Naturzustand des Grundstücks von Menschenhand verändert wurde. Dass das Grundstück der Kl. verändert wurde, steht nach Überzeugung des Gerichts fest; denn ihr Grundstück liegt in einem Wohngebiet. In Wohngebieten werden nicht nur Häuser gebaut, sondern auch Gärten angelegt. Es ist daher davon auszugehen, dass die Pappel im Rahmen der Bepflanzung des Grundstücks von den Kl. oder ihren Rechtsvorgängern, deren Handeln die Kl. sich zurechnen lassen müssten (vgl. schon RGZ 149, 205 (210); BGHZ 90, 256 (266); Erman-Hefermehl, § 1004 Rdnr. 18), angepflanzt wurde. Aus den zu den Akten gereichten Fotografien, die im Termin im Original vorgelegen haben, ergibt sich, dass das Grundstück jedenfalls kein ursprüngliches Pappelgrundstück ist. Der Naturzustand des Grundstücks wurde durch eine menschliche Handlung in dieser Weise verändert und mittelbar eine Vorbedingung dafür geschaffen, dass der Baum durch den Orkan überhaupt entwurzelt werden konnte (ebenso: Wolf, SachenR, 9. Aufl. (1990), Rdnr. 240; vgl. auch RGZ 149, 205 (211), wo die Errichtung eines Aussichtsstandes oder die Duldung des Verfalls seiner Fundamente als ausreichend angesehen wurde; wenn auch hier noch die Frage offengelassen wurde, ob das Pflanzen eines Baums ausreicht, um eine Zustandsstörereigenschaft zu begründen).

Die vorliegende Fallkonstellation unterscheidet sich von der Entscheidung BGH, NJW 1985, 1773 (1774), auf die die Kl. sich berufen. Eine Vergleichbarkeit ist nicht gegeben, weil sich in jenem Fall ein Hanggrundstück herabstürzte, in seinem Naturzustand befand und kein menschliches Handeln die Vorbedingung für das schädigende Ereignis geschaffen hatte. Aus demselben Grunde nicht vergleichbar sind die Entscheidungen BGH, NVwZ 1990, 297 (298), wo es um einen nicht angelegten Wald im Naturzustand ging und die Entscheidung des OLG Köln, VersR 1990, 401, die sich mit Steinschlag an einem natürlich gewachsenen Hang befasste.

Auch die Entscheidung des BGH (BGHZ 19, 126 (129)) gebietet keine andere Beurteilung. Der dort entschiedene Fall unterscheidet sich schon insofern von diesem Fall, als der Schaden dort nicht durch Naturkräfte, sondern durch einen Krieg herbeigeführt wurde. Eine mittelbare Verursachung der Störung durch den Eigentümer des Grundstücks wurde in jenem Fall abgelehnt, weil das durch Kriegseinwirkung zerstörte Bauwerk (eine Brücke) baulich in bestem Zustand gewesen sei. Daraus lässt sich nicht herleiten, dass eine Verantwortlichkeit der Kl. ausgeschlossen wäre, wenn der Baum ebenfalls in bestem Zustand gewesen wäre. Bei angepflanzten Bäumen verlangt der BGH keine regelmäßige Unterhaltung; vielmehr verlangt er vom Eigentümer eine Untersuchung nur dann, wenn besondere Anhaltspunkte für eine Erkrankung vorliegen (BGH, VersR 1974, 88 (90)). Im Unterschied dazu besteht bei baulichen Anlagen eine ständige Unterhaltspflicht. Das „Weniger“ an Überwachungspflicht bei Bäumen muss dadurch ausgeglichen werden, dass es ausreichend für die Begründung einer Zustandsverantwortlichkeit der Kl. ist, wenn diese gemäß der gängigen bereits dargestellten Definition den Naturzustand des Grundstücks durch eine eigene oder vom Voreigentümer durchgeführte menschliche Handlung so verändert haben, dass es im Zusammenwirken mit dem Naturereignis zu einer Beeinträchtigung des Eigentums der Bekl. kommen konnte.

c) Die Frage, ob für die Kl. vorhersehbar war, dass sie bzw. ihr Vorgänger die Vorbedingung für das Umstürzen des Baums auf das Grundstück der Bekl. geschaffen haben, war für das Recht der Bekl. auf Beseitigung der Beeinträchtigung ohne Bedeutung (vgl. RGZ 149, 205 (211)). Ebenso spielt die Frage eines eventuellen Verschuldens der Kl. keine Rolle (vgl. Palandt-Bassenge, § 1004 Rdnr. 10), da es hier nicht um Schadensersatzansprüche der Bekl. gegen die Kl., sondern nur um die Frage geht, wessen Aufgabe es war, den Baum vom Grundstück der Bekl. zu entfernen.

2. Ein Anspruch der Kl. gegen die Bekl. auf Zahlung von 2358,41 DM aus § 812 I BGB, der allenfalls in Form einer rechtsgrundlosen Bereicherung denkbar gewesen wäre, besteht nicht. Die Bekl. musste den Baum, wie soeben dargestellt, nicht selbst entfernen und auch die Kosten der Beseitigung nicht tragen.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht