Pkw-Schaden durch herabgefallenen Kastanienast
Gericht
AG Frankfurt a. M.
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
11. 06. 1993
Aktenzeichen
33 C 418/93 - 27
Der Grundstückseigentümer haftet nicht für auf Naturgewalten beruhende besondere Gefahren. Der Eigentümer eines Grundstücks hat jedoch dafür Sorge zu tragen, dass nicht aufgrund mangelnder Pflege Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer entstehen.
Der Kl. ist gemäß Vertrag vom 8. 8. 1973 Mieter einer im Eigentum der Bekl. stehenden Wohnung. Mit Vertrag vom 1. 8. 1986 mietete er von der Bekl. einen Abstellplatz für das Abstellen eines Pkw. Der vom Kl. dafür geschuldete Mietzins beträgt 5 DM pro Monat. Der Abstellplatz liegt unter einem etwa vier Stockwerke hohen, gesunden Kastanienbaum. § 4 des Mietvertrages lautet: „Das Abstellen bzw. die Einstellung des Kraftfahrzeugs erfolgt auf eigene Gefahr des Mieters. Eine etwaige Versicherung des Fahrzeugs oder sonstiger Sachen gegen Feuer, Diebstahl, Beschädigung oder sonstige Risiken ist Sache des Mieters; das Wohnungsunternehmen übernimmt keine Haftung für diese Gegenstände“. Im Jahre 1990 wurden Fahrzeuge des Kl. und anderer Mieter durch herabfallende Baumteile und Früchte beschädigt. Im Jahre 1991 erteilte die Stadt eine Erlaubnis zum Fällen des Baumes. Die Bekl. war dazu nicht bereit. Nachdem die Bekl. im Oktober 1991 den Baum letztmalig durch ein Fachunternehmen auslichten ließ, wurde das Fahrzeug des Kl. - ein 1990 erstmals zugelassener Pkw - am 20. 8. 1992 durch herabfallende, von einem Sturm mit einer Windgeschwindigkeit von 160 km/h losgerissene Äste an Dach, Motorhaube und linkem Kotflügel beschädigt.
Das AG hat die auf Zahlung von 7100 DM gerichtete Schadensersatzklage abgewiesen.
Der Kl. hat wegen des ihm am 20. 8. 1992 entstandenen Schadens weder einen vertraglichen noch einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen die Bekl. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Haftungsausschluss in § 4 des Mietvertrages wirksam ist. Die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Haftungsgrundlagen sind nämlich nicht erfüllt.
Als Grundlage eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs kommt § 538 I BGB in Betracht. Demnach kann ein Mieter vom Vermieter Schadensersatz verlangen, wenn ein Mangel der Mietsache bei Abschluss des Vertrages vorhanden ist oder der Vermieter einen später auftretenden Mangel zu vertreten hat oder wenn der Vermieter mit der Beseitigung eines Mangels in Verzug gerät. Ein solcher Anspruch ist aber ausgeschlossen, wenn der Mieter bei Abschluss des Vertrages den Mangel kannte (§ 539 S. 1 BGB). Dieser Ausschluss tritt nur dann nicht ein, wenn der Vermieter bei Vertragsschluss die Beseitigung des Mangels zusagt oder der Mieter die Mietsache nur unter Vorbehalt annimmt (vgl. Kraemer, in: Bub/Treier, Hdb. d. Geschäfts- und Wohnraummiete, III Rdnr. 1404).
Vorliegend kann offen bleiben, ob die Tatsache, dass der vom Kl. gemietete Parkplatz unter der steitgegenständlichen Kastanie liegt, entsprechend der Ansicht des Kl. als Mangel der Mietsache zu betrachten ist. Die Lage des Parkplatzes war dem Kl. bei Vertragsschluss nämlich bekannt. Damit kannte er die Umstände, die er für den Mangel der Mietsache hält. Die Behauptung, bei Vertragsschluss sei nicht absehbar gewesen, dass von der Kastanie eine erhebliche Gefahr ausgehe, ist nicht nachvollziehbar. Es ist allgemein bekannt, dass zur Reifezeit von Kastanien Früchte herabfallen, dass bei starken Stürmen Äste auch von gesunden Bäumen abgerissen werden können und dass durch derartige Ereignisse in Reichweite der Bäume geparkte Autos beschädigt werden können. Aus welchen Gründen dies dem Kl. bei Vertragsschluss nicht klar gewesen sein soll, ist unverständlich. Es mag allenfalls so gewesen sein, dass der Kl. die Tragweite derartiger Gefahren unterschätzt hat. Eine solche Fehleinschätzung des Gewichtes der Gebrauchsbeeinträchtigung beseitigt aber die Kenntnis des diese verursachenden Mangels nicht (vgl. Kraemer, in: Bub/Treier, III Rdnr. 1405). Der Kl. hat auch nicht behauptet, dass die Bekl. bei Vertragsschluss die Beseitigung der Kastanie zugesagt oder dass er den Mietvertrag nur unter Vorbehalt geschlossen hat.
Auch auf eine andere vertragliche Grundlage kann der vorliegende Anspruch nicht gestützt werden. Die Grundsätze des Verschuldens bei Vertragsschluss sind neben der Sonderregelung von § 538 BGB unanwendbar, soweit es um - hier allein denkbare - Ansprüche wegen fehlender Aufklärung über Mängel der Mietsache geht (Kraemer, in Bub/Treier, III Rdnr. 1326). Ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung kommt neben § 538 BGB nur bei Vertragsverletzungen in Betracht, bei denen es nicht um einen schadensverursachenden Mangel der Mietsache geht (Kraemer, in: Bub/Treier, III Rdnr. 1326). Dies ist vorliegend aber der Fall, da haftungsbegründender Umstand die fehlende Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch, also ein Sachmangel, sein soll.
Der Kl. hat auch keinen Anspruch gem. § 823 I BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Bekl. Eine solche Verletzung wurde nicht dargelegt. Allerdings ist der Ausgangspunkt des Kl. zutreffend, dass derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Gelände ausübt, dafür zu sorgen hat, dass von auf dem Gelände befindlichen Einrichtungen oder vom Bewuchs des Geländes keine Gefahr für andere ausgeht. Allerdings besteht diese Pflicht nur im Rahmen des dem Verfügungsberechtigten Möglichen und Zumutbaren. Welche Sicherungsmaßnahmen noch zumutbar sind, ist von den jeweiligen Umständen des Falles abhängig (vgl. Staudinger/Schäfer, BGB, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 342). Bei an Verkehrswegen wachsenden Bäumen hat der Sicherungspflichtige zunächst dafür zu sorgen, dass sie nicht zu einem physischen Hindernis für den Verkehr werden. Der Sicherungspflichtige muss weiterhin gewährleisten, dass ein Baum nicht aufgrund mangelhafter Pflege Gefahren für den Verkehr schafft. Hingegen muss der Sicherungspflichtige weder für den Verkehr bekannte natürliche Eigenschaften noch für auf Naturgewalten beruhende besondere Gefahren einstehen. Zu letzteren gehören auch Gefahren durch von außergewöhnlich starken Winden abgerissene Äste. Eine derartige Gefahr haben die Verkehrsteilnehmer als unvermeidlich hinzunehmen (vgl. Kunz, VersR 1982, 1032 (1033)).
Soweit der Kl. geltend macht, die Bekl. habe den Baum schon deshalb entfernen müssen, weil zur Reifezeit herabfallende Kastanien Schäden an seinem Auto verursachen können, steht dem entgegen, dass dies ein natürlicher Umstand ist, der weder für Verkehrsteilnehmer, die sich in die Reichweite des Baums begeben, überraschend ist noch eine außergewöhnliche Gefahr schafft und daher hinzunehmen ist.
Soweit der Kl. sich auf die Gefahr herabfallender Äste beruft, könnte er nur Erfolg haben, soweit diese Gefahr auf unzureichender Pflege des Baums durch die Bekl. beruht. Dies ist jedoch nicht ersichtlich. Soweit der Kl. dies in der mündlichen Verhandlung vom 30. 4. 1993 behauptet hat, hat er keinerlei Tatsachen vorgetragen, die eine solche Annahme stützen könnten. Die Bekl. hat unstreitig im Oktober 1991 den Baum von einem Fachunternehmen auslichten lassen. Dass seitdem irgendeine auf mangelnder Pflege beruhende Gefahr von dem Baum ausgegangen ist, hat der Kl. nicht dargelegt. Bei dem Sturm vom 20. 8. 1992 handelte es sich aber, was auch der Kl. nicht bestreitet, um eine außerordentliche Naturgewalt. Für eine solche ist der Sicherungspflichtige nicht verantwortlich. Wenn entsprechend der Ansicht des Kl. die Verantwortlichkeit des Sicherungspflichtigen derart weit zu ziehen wäre, müsste letztlich jeder in der Nähe von Straßen und Parkplätzen stehende Baum beseitigt werden. Dass dies eine unangemessene Überbewertung der Interessen der Verkehrsteilnehmer wäre, bedarf keiner weiteren Darlegung.
Auch durch die Tatsache, dass die Bekl. die Fläche als Parkplatz vermietet, erhöht sich ihre Verantwortlichkeit für den auf dieser Fläche befindlichen Baum nicht so weit, dass sie für von außerordentlichen Naturgewalten verursachte Schäden haften müsste. Im Gegenteil dürfte bei der geringen Höhe des Mietzinses von gerade 5 DM pro Monat die vorhandene natürliche Gefahr durch den Baum bereits berücksichtigt sein. Bei einem derartigen Preis kann der Kl. jedenfalls nicht die Sicherheit einer Garage erwarten. Nicht erheblich ist schließlich, ob der Baum zu nahe an einem Gebäude steht oder nicht. Durch eine derartige Pflichtverletzung hätte die Bekl. jedenfalls nicht gegen eine gegenüber dem Kl. als Fahrzeugeigentümer bestehende Schutzpflicht verstoßen.
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