Tierlärm als wesentliche Beeinträchtigung

Gericht

LG Ingolstadt


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

30. 11. 1989


Aktenzeichen

4 O 1279/88


Leitsatz des Gerichts

Eine wesentliche Beeinträchtigung (auch in einer ländlichen Gegend) durch das Krähen von im nachbarlichen Wohnbereich gehaltenen Hähnen, liegt schon wegen der typischen Geräuschentwicklung vor.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien sind Nachbarn. Ihre Wohngrundstücke liegen, durch einen unbebauten Grundstücksstreifen getrennt, innerhalb eines als Mischgebiet ausgewiesenen Bereichs der ca. 3000 Einwohner zählenden Gemeinde A. Das Wohnhaus des Kl. liegt in einer Entfernung von ca. 30 Metern vom Grundstück des Bekl., wobei die Schlafzimmerfenster der Kl. zum Grundstück des Bekl. hin liegen. Auf dem Grundstück des Bekl. wurde schon von dessen Eltern Hühnerhaltung betrieben. Seit 1986 züchtet der Bekl. Geflügel in der Weise, daß er jährlich bis zu 20 Hähnchen aufzieht, die dann bis zum Winter auf zwei bis vier Hähne reduziert werden, je nachdem, wieviele Tiere der Bekl. für seine Zucht benötigt.

Durch eine Straße getrennt führt südlich der Grundstücke der Kl. und des Bekl. in einer Entfernung von etwa 200 Metern eine Bahnlinie vorbei. In einer Entfernung von etwa 500 Metern von den Grundstücken der Parteien befindet sich eine Bundesstraße, die dort in einer Brücke über die Bahnlinie geführt wird. Eine Gemeindeverordnung zum Schutz vor ruhestörendem Lärm gibt es nicht. Die Kl. begehren die Verurteilung des Bekl. dahingehend, daß dieser die Hähne an Werktagen in der Zeit von 20.00 Uhr bis 8.00 Uhr sowie an Sonntagen zusätzlich bis 10.00 Uhr und ab 14.00 Uhr im geschlossenen Raum sowie in den Zwischenzeiten im Freien nicht mehr als zwei Hähne halten darf.

Das LG hat der Klage im wesentlichen stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Die Kl. können von dem Bekl. nach §§ 906, 1004 I BGB die Unterlassung der Beeinträchtigungen durch die Geräuschemissionen des vom Bekl. gehaltenen Geflügels verlangen, soweit diese nicht nur unwesentlich sind oder es sich um ortsübliche Geräusche handelt. Der Bekl. bestreitet selbst nicht, daß die von den von ihm gezüchteten Hähnen ausgehenden Geräusche auf dem Grundstück der Kl. zu hören sind. Sie tragen lediglich vor, daß es sich um eine ortsübliche Beeinträchtigung handele, die im übrigen unwesentlich sei. Nach Auffassung des Gerichts haben die Kl. den Beweis dafür erbracht, daß von dem Grundstück des Bekl., bedingt durch die Geflügelzucht, Emissionen ausgehen und ihr Grundstück dadurch beeinträchtigt ist.

Die als Zeugen vernommenen Kinder der Kl. haben bekundet, daß im Sommer Fenster geschlossen werden mußten, weil die Hähne auf dem Grundstück des Bekl. laut gekräht haben. Zwar hat sich der Lärm nach den Bekundungen der Zeugen - wohl auch im Hinblick auf den anhängigen Rechtsstreit - im Sommer 1989 reduziert; auch im Jahr 1989 kam es jedoch zu Ruhestörungen dahingehend, daß ein ungestörter Aufenthalt im Freien nicht gewährleistet war. Darüber hinaus entspricht es der Lebenserfahrung, daß die von den Zeugen bestätigte Anzahl von zehn bis fünfzehn Hähnchen bzw. Hähnen eine ganz erhebliche Lärmquelle darstellten, die das Grundstück der Kl. beeinträchtigt. Dem Vorbringen der Kl. gegenüber konnte der Bekl. nicht beweisen, daß die von seinem Grundstück ausgehende Geräuschentwicklung das Grundstück der Kl. nur unwesentlich beeinträchtigt. Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt oder nicht, ist auf das Empfinden eines Durchschnittsbenutzers abzustellen und nicht auf das subjektive Empfinden des Gestörten. Für ein Wohngrundstück ist dabei maßgeblich, ob das Wohnen selbst an Annehmlichkeit verliert. Bei einer Einwirkung von Geräuschen entscheidet dabei die Häufigkeit, die Frequenz und die Tageszeit.

Unter diesen Gesichtspunkten mag zwar die übliche Hühnerhaltung innerhalb eines Mischgebiets besonders bei bereits bestehendem höheren Lärmpegel der Umgebung hinzunehmen sein. Die Kl. brauchen aber nicht die Geräusche hinzunehmen, die durch eine Hühnerhaltung entstehen, die von der üblichen abweicht. Zur Beurteilung, ob von dem Grundstück des Bekl. nur unwesentliche Geräuschemissionen ausgehen, brauchte das vom Bekl. angebotene Sachverständigengutachten nicht erholt werden. Die Lautstärke des Hahnengeschreis stellt nämlich nur eine Komponente für die Beurteilung dar, ob die vom Grundstück des Bekl. ausgehenden Geräusche wesentlich oder unwesentlich sind. Zu berücksichtigen ist daneben insbesondere, daß das Krähen eines Hahnes von kurzzeitigen Impulsen mit hoher Frequenz bestimmt ist, die im Vergleich zu einem Dauergeräusch als wesentlich lästiger empfunden werden. Dazu kommt, daß zwischen den Grundstücken der Kl. und des Bekl. keinerlei schalldämmende Einflüsse vorhanden sind, so daß sich der von den Hähnen ausgehende Lärm ungehindert auf das nur 30 Meter entfernte Wohnhaus der Kl. hin ausbreiten kann. Schließlich stellt sich bei einem periodischen Krähen, wie es der Zeuge R bei seiner Einvernahme geschildert hat, bei dem Gestörten eine Erwartungshaltung ein, aus der heraus die plötzlichen und schrillen Töne des Krähens als besonders lästig empfunden werden. So haben auch die Gerichte regelmäßig bereits die von einem Hahn ausgehenden Geräusche als eine wesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks angesehen (vgl. u. a. LG München, NJW-RR 1989, 1178 ff.).

Die Frage, ob Tierlärm eine wesentliche Beeinträchtigung darstellt, hängt jedoch auch von der Ortsüblichkeit ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich bei A. um eine auch landwirtschaftlich genutzte Gegend handelt, in der Hühnerhaltung auch heute noch üblich ist. Die Kl. sind somit jedenfalls zur Duldung einer Hahnhaltung verpflichtet, die innerhalb eines landwirtschaftlichen Anwesens üblicherweise gegeben ist. Dagegen hat der Bekl. den Nachweis dafür nicht erbringen können, daß auch eine Hühnerzucht - wie von ihm betrieben - der Ortsüblichkeit des Gebiets entspricht, in dem die Anwesen der Parteien liegen. Der von ihm angebotene Beweis beschränkt sich darauf, daß die von ihm benannten Zeugen eine der Tierhaltung des Bekl. vergleichbare Tierhaltung betreiben. Trotz Hinweises des Gerichts hat der Bekl. sein Vorbringen nicht weiter substantiiert. Er hat insbesondere nicht dargelegt, wie viele Hähne bzw. Hennen von den benannten Zeugen im einzelnen gehalten werden.

Bei der Beurteilung, ob das Krähen der Hähne die Nutzung des Grundstücks der Kl. wesentlich beeinträchtigt, ist auch der Geräuschpegel der Umgebung mit zu beachten. In der Nähe der Grundstücke der Parteien führt eine Bahnlinie und eine Bundesstraße vorbei. Bei Würdigung all dieser Umstände und im Hinblick auf eine Ortsüblichkeit der ländlichen Hühnerhaltung ist der Kl. daher zur Duldung der Haltung von zwei Hähnen verpflichtet. Er kann in diesem Umfang die Unterlassung von Beeinträchtigungen durch die Geflügelzucht vom Bekl. verlangen. Ob der Bekl. seine Zucht auch in Zukunft weiter betreiben kann, muß allerdings ihm selbst überlassen bleiben. Der Bekl. kann selbst entscheiden, welche Möglichkeiten es für ihn gibt, die Hühnerzucht weiter aufrecht zu erhalten, das Geflügel jedoch so unterzubringen, daß eine über das oben bestimmte ortsübliche Maß hinausgehende Beeinträchtigung der Kl. vermieden wird.

Bei dem vom Gericht durchgeführten Augenschein konnte dazu bereits festgestellt werden, daß die vom Bekl. bisher ergriffenen baulichen Maßnahmen nicht geeignet sind, die Lautstärke der krähenden Hähne zu dämpfen.

Da aber auch bei einem Halten von zwei Hähnen das Krähen während der Nacht, in den frühen Morgenstunden und während der Mittagspause an Sonn- und Feiertagen eine wesentliche Beeinträchtigung des Eigentums der Kl. darstellt, die auch nicht ortsüblich ist, brauchen sie in diesen Zeiten vom Grundstück des Bekl. ausgehende Geräusche nach §§ 1004 II, 906 I BGB nicht zu dulden. Zur Vermeidung von Beeinträchtigungen war daher festzulegen, daß die vom Kl. gehaltenen Hähne täglich von 21.00 Uhr abends bis 7.00 Uhr morgens und an Sonn- und Feiertagen zusätzlich von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr schalldicht aufzubewahren sind.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht