Unzureichende Fristenkontrolle bei Rechtsmittelaufträgen
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
19. 06. 2001
Aktenzeichen
VI ZR 22/01
Ein Rechtsanwalt, der einen anderen Rechtsanwalt mit der Einlegung einer Berufung beauftragt, muss darauf achten, dass der mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragte Rechtsanwalt den Auftrag innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist bestätigt.
... Die Bekl hat gegen das sie beschwerende Urteil des LG D vom 10. 11. 2000, das ihren Prozessbevollmächtigten erster Instanz am 22. 11. 2000 zugestellt worden ist, am 18. 1. 2001 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie hat die Berufung nach Verlängerung fristgemäß begründet.
Ihren Wiedereinsetzungsantrag hat sie darauf gestützt, der für Fristendinge in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten erster Instanz allein zuständige Bürovorsteher K, der dort seit mehr als 30 Jahren ohne Beanstandungen tätig sei, habe zwar im Notfristenkalender für die Sache eine Vorfrist zur Kontrolle der Wahrung der Berufungsfrist notiert. Diese werde erst gelöscht, nachdem er Erledigung der Notfrist festgestellt habe. Nach Notierung der Frist sei beschlossen worden, den Vorgang an die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten zweiter Instanz weiterzugeben. Deshalb habe K am 14. 12. 2000 veranlasst, dass das Urteil nebst erstinstanzlicher Handakte mit der Post abgesandt wurde. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen habe K dann aber die notierte Vorfrist nicht beachtet und deshalb auch eine Nachfrage vergessen, ob die Akte bei den Berufungsanwälten eingegangen sei. Infolgedessen sei der Ablauf der Berufungsfrist erst bemerkt worden, als die Prozessbevollmächtigten zweiter Instanz nach Eingang der Akte am 8. 1. 2001 den Bürovorsteher K davon in Kenntnis gesetzt hätten.
Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 4. 4. 2001 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Kl als unzulässig verworfen. Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 9. 4. 2001 zugestellten Beschluss hat die Bekl am 20. 4. 2001 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiterverfolgt.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO steht entgegen, dass die Fristversäumung von den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Bekl verschuldet worden ist und das der Bekl zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO).
1. Allerdings weist die Bekl mit Recht darauf hin, dass der Bürovorsteher K - hätte er die eingetragene Vorfrist beachtet - bei den Berufungsanwälten telefonisch hätte nachfragen können, ob Berufung eingelegt sei. Die Fristversäumung beruht jedoch nicht auf diesem, der Bekl nicht zuzurechnenden Verschulden des Bürovorstehers, sondern auf einer schuldhaft unzureichenden Organisation der Fristenkontrolle bei Rechtsmittelaufträgen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. 9. 1998 - XII ZB 99/98 - VersR 1999, 1303, 1304; Senat, Beschluss vom 8. 4. 1997 - VI ZB 8/97 VersR 1997, 895).
2. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung mit Recht zu Grunde gelegt, dass die Prozessbevollmächtigten der Bekl keine ausreichenden Maßnahmen getroffen haben, um vor Ablauf der Berufungsfrist durch Vorlage der Handakten an den sachbearbeitenden Anwalt die Übernahme des Mandats durch einen Berufungsanwalt sicherzustellen.
a) Die Sorgfaltspflichten des einen anderen Anwalt mit der Einlegung einer Berufung beauftragenden Anwalts erschöpfen sich nicht im rechtzeitigen Absenden des Auftragsschreibens. Er muss vielmehr dafür Sorge tragen, dass der mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragte Anwalt den Auftrag innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist bestätigt, und den rechtzeitigen Eingang dieser Bestätigung überwachen. Bleibt die Mandatsbestätigung des zweitinstanzlichen Anwalts aus, ist der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte verpflichtet, rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist Rückfrage zu halten. Grund dafür ist, dass er im Falle der Ablehnung des Mandats durch den zunächst beauftragten Anwalt in der Lage sein muss, den Rechtsmittelauftrag noch rechtzeitig einem anderen, zur Mandatsübemahme bereiten Anwalt zu erteilen, um die Durchführung des Rechtsmittels zu gewährleisten (vgl. BGHZ 105, 116, 117 f.; BGH, Beschluss vom 8. 11. 1999 - II ZB 4/99 - NJW 2000, 815; Beschluss vom 7. 12. 1993 - XI ZR 207/93 - VersR 1994, 956; Senatsbeschluss vom 13. 11. 1992 - VI ZB 21/92 VersR 1993, 770). Auf Verzögerungen durch den Postlauf kommt es dabei nicht an.
Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn mit dem Rechtsmittelanwalt im Einzelfall oder allgemein abgesprochen ist, dass dieser Rechtsmittelaufträge annehmen, prüfen und ausführen werde. In diesem Fall kann sich der Absender eines Schreibens zur Rechtsmittelbeauftragung grundsätzlich darauf verlassen, dass der Auftrag den Prozessbevollmächtigten für die Rechtsmittelinstanz rechtzeitig erreicht und dieser den Auftrag ausführt. Verzögerungen des Postverkehrs braucht sich der Absender des Auftragsschreibens bei dieser Fallgestaltung nicht zurechnen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. 9. 2000 - 1 BvR 2104/99 - NJW 2001, 1566; BGHZ 105,116,119; BGH, Beschluss vom 7.11.1995 XI ZB 21/95 - NJW-RR 1996, 378; vom 8. 11. 1999 - II ZB 4/99 - aaO; Senatsbeschluss vom 4. 4. 2000 - VI ZB 3/00 - NJW 2000, 3071). Tatsachen, die eine solche Einigkeit zwischen den beteiligten Rechtsanwälten nahe legten, sind hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich und werden auch mit der Beschwerde nicht geltend gemacht.
b) Entgegen der Ansicht der Bekl durften ihre Prozessbevollmächtigten die hiernach gebotenen Kontrollmaßnahmen nicht ausschließlich dem Bürovorsteher überlassen. Mit Recht legt das OLG seiner Beurteilung die vom BGH im Beschluss vom 8. 11. 1999 (II ZB 4/99 - NJW 2000, 815) aufgestellten Grundsätze zu Grunde. Hiernach sind die dort, wie auch im vorliegenden Fall, getroffenen Maßnahmen - nämlich Notierung der Berufungsfrist mit einer Vorfrist - nicht ausreichend, weil sie auf Fallgestaltungen abgestimmt sind, in denen der Anwalt selbst das Rechtsmittel bei dem Gericht einlegt, bei dem er zugelassen ist. Hat er jedoch den Rechtsmittelauftrag einem anderen Rechtsanwalt zu erteilen, so muss er durch Weisungen an das Büropersonal sicherstellen, dass ihm bei Ausbleiben der Bestätigung der Mandatsübernahme durch den beauftragten Rechtsanwalt die Handakten noch so rechtzeitig vorgelegt werden, dass er notfalls den Rechtsmittelauftrag noch fristwahrend einem übernahmebereiten Anwalt erteilen kann. Diese Vorlage der Handakten muss, wie der BGH aaO ausgeführt hat, durch die Eintragung einer entsprechenden Frist abgesichert werden. Das Bestehen einer solchen Anweisung haben die Bekl jedoch nicht geltend gemacht, sondern ersichtlich die Überwachung des Rechtsmittelauftrags allein dem Bürovorsteher überlassen. Das reicht nicht aus, weil in solchen Fällen aus den dargelegten Gründen eine Überwachung des Rechtsmittelauftrags und notfalls sofortiges Handeln durch den Rechtsanwalt selbst geboten war. Mithin stellt das Fehlen der erforderlichen Anweisung einen organisatorischen Mangel im Büro der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten dar, der gem. § 85 Abs. 2 ZPO den Bekl zuzurechnen ist und deshalb der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegensteht ...
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