Reisemangel bei Überbuchung der Reise - Nichtbeförderung eines Fluggastes wegen Überbuchung

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

10. 06. 1981


Aktenzeichen

28 O 236/80


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Schadensersatzanspruch des Fluggastes wegen Nichtbeförderung richtet sich nicht nach dem Warschauer Abkommen, sondern nach dem BGB.

  2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste Vertragsinhalt werden.

  3. Dem Schadensersatzanspruch des Fluggastes wegen Nichtbeförderung infolge Überbuchung steht nicht entgegen, daß es sich um einen sogenannten Billigflug handelt.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. buchte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn einen sogenannten Billigflug von Frankfurt nach New York am 31. 3. 1979. Die Bekl. händigte dem Kl. gegen Zahlung das Flugticket mit ok-Vermerk versehen aus. Unmittelbar vor dem Abflug wurde ihm und anderen Flugpassagieren durch Angestellte der Bekl. mitgeteilt, daß sie wegen Überbuchung des Fluges nicht befördert werden könnten. Der Kl. buchte für denselben Tag einen Flug über Paris nach New York mit der Air France, Concorde, übernachtete in Paris und nahm am nächsten Morgen den Anschlußflug der Air France nach New York, für den er Mehrkosten von 6042 DM aufzuwenden hatte. Der Kl. nimmt die Bekl. auf Schadensersatz in Anspruch. Die Bekl. trägt vor, der Beförderung des Kl. hätten die Tarifbestimmungen zugrunde gelegt. Gem. Nr. 12 B Nr. 1 II sei sie berechtigt, eine größere Anzahl von Platzreservierungen für einen Flug vorzunehmen als Sitzplätze in dem Flugzeug zur Verfügung stünden, da in der Regel 10 % der fest gebuchten Passagiere den Flug nicht anträten. Solche Überbuchungen seien somit organisatorisch bedingt, so daß der Passagier das Risiko der Nichtbeförderung mitzutragen habe. Ein Schadensersatzanspruch des Kl. in dem geltend gemachten Umfange bestehe auch deshalb nicht, weil nach ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck zu Art. XVII Nr. 3 i die Haftpflicht des Luftfrachtfühers auf die Erstattung der Beträge für Unterkunft, Verköstigung, Fernmeldeverbindungen und Bodentransport von und zum Flugplatz beschränkt sei. Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck hätten der Beförderung des Kl. und seiner Familie zugrunde gelegen. Darauf werde ausschließlich auf der Rückseite eines Flugtickets hingewiesen. Der Kl. habe im übrigen seine Schadensminderungspflicht dadurch verletzt, daß er es unterlassen habe, ihr Gelegenheit zu geben, für ihn über eine unmittelbare Kontaktaufnahme zur Air France eine Flugmöglichkeit ohne Mehrkosten gem. 278 der IATA Resolution zu schaffen. Gem. 278 der IATA Resolution, der sich sowohl sie selbst als auch die Air France unterworfen habe, sei die Air France verpflichtet, wegen Überbuchung nicht beförderte Passagiere auf ihren nicht voll ausgebuchten Flügen unterzubringen und zwar ohne Berechnung von Mehrkosten.

Das LG hat der Klage stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Bekl. ist dem Kl. zur Zahlung von 6042 DM unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung des zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages gem. § § 631, 325 I BGB verpflichtet. Der Schadensersatzanspruch des Kl. wegen Nichtbeförderung infolge Überbuchung richtet sich nach deutschem Recht und nach den Vorschriften des BGB. Durch das Warschauer Abkommen (BGBl 1958 II, 312 f.; 1964 II, 1995) ist der hier vorliegende Fall einer Nichtbeförderung wegen Überbuchung nicht erfaßt. Durch Art. 19 WarschAbk werden nur Schadensersatzansprüche wegen Verspätung eines Fluges geregelt (vgl. BGH, NJW 1979, 495). Vorliegend fand dagegen der Flug planmäßig statt. Die Nichtbeförderung des Kl. und seiner Familienangehörigen beruhte allein darauf, daß die Bekl. über die vorhandene Kapazität an freien Plätzen hinaus Buchungsverträge abgeschlossen hatte. Dabei handelt es sich nicht um ein typisches Risiko des Flugverkehrs, sondern um ein organisatorisch bedingtes Verhalten, das außerhalb des vom Warschauer Abkommen erfaßten Regelungsbereiches liegt (vgl. BGH, NJW 1979, 495).

Der Kl. kann gem. § 325 I BGB Ersatz des ihm aus der Nichterfüllung des Werkvertrages durch die Bekl. entstandenen Schadens verlangen. Die der Bekl. oblegene Leistung ist infolge eines Umstandes unmöglich geworden, den sie zu vertreten hat. Die Beförderung des Kl. und seiner Familienangehörigen ist infolge der unstreitigen Überbuchung unmöglich geworden. Der durch den ok-Vermerk auf den bestimmten Zeitpunkt am 31. 3. 1979 um 11 Uhr festgelegte Flug ist ein absolutes Fixgeschäft (vgl. BGHZ, 60, 14 (16) = NJW 1973, 318) ...

Die Voraussetzungen für eine vertragliche Beschränkung der Haftung der Bekl. gem. den Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste liegen nicht vor. Die Bekl. hat nicht dargelegt, daß und mit welchem Inhalt die Allgemeinen Beförderungsbedingungen Inhalt des mit dem Kl. geschlossenen Flugbeförderungsvertrages geworden seien. Auf den Vertrag der Parteien, der in Berlin in deutscher Sprache geschlossen wurde, findet deutsches Recht Anwendung. Es kann dahinstehen, ob sich auf den von der Bekl. verkauften Flugtickets ein Hinweis auf die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck befindet. Die Bekl. hat dazu weder den Wortlaut des Hinweises mitgeteilt noch die Flugtickets, die sich in ihren Händen befinden müssen, vorgelegt. Jedenfalls ist von der Bekl. nicht dargelegt, inwiefern sie damit die Voraussetzungen des § 2 AGB-Gesetz erfüllt hätte. Gem. § 2 I Nr. 2 AGB-Gesetz wären die AGB der Bekl. nur dann Bestandteil des Vertrages geworden, wenn sie bei dem Vertragsabschluß den Kl. auf ihre AGB hingewiesen und dem Kl. die Möglichkeit verschafft hätte, in zumutbarer Weise von deren Inhalt Kenntnis zu nehmen, sowie wenn der Kl. sich mit der Geltung der Bedingungen einverstanden erklärt hätte. Abgesehen davon, daß es bei einer Erklärung nur auf der Rückseite eines Flugtickets bereits an einem deutlichen Hinweis auf die Geschäftsbedingungen beim Vertragsabschluß fehlen dürfte - die Flugtickets werden in der Regel ausgehändigt, nachdem der Vertrag zustande gekommen ist -, ist nicht ersichtlich, inwiefern die Bekl. dem Kl. die AGB zur Kenntnis gebracht hätte. Die Bekl. hat die Behauptung des Kl., die Tickets seien in englischer Sprache abgefaßt und die Allgemeinen Beförderungsbedingungen seien nur in englischer Sprache abgefaßt und weder mit übergeben worden noch allgemein zugänglich, nicht bestritten.

Der Kl. kann von der Bekl. Erstattung der Kosten für den Ersatzflug mit der Air France verlangen. Dem Kl. ist ein Mitverschulden gem. § 254 BGB nicht anzulasten. Er hat nicht durch die Ausschlagung von Ersatzangeboten der Bekl. gegen seine Schadensminderungspflicht gem. § 254 II BGB verstoßen. Der Kl. hatte, nachdem feststand, daß die Bekl. ihre vertragliche Leistung nicht erbringen konnte, bei der Beschaffung eines Ersatzfluges die Sorgfalt zu wahren, mit der ein verständiger Mensch handeln würde, um sich selbst vor einer Vergrößerung des Schadens zu bewahren. In diesem Rahmen hätte der Kl. die von der Bekl. angebotenen Beförderungsmöglichkeiten unter der Voraussetzung annehmen müssen, daß mit dem Ersatzflug für ihn keine besonderen zusätzlichen Kosten und Mühen verbunden waren und der Zweck seiner Reise in die USA durch Zeitverzögerungen nicht gefährdet wurde. Es muß davon ausgegangen werden, daß die Bekl. nicht in der Lage war, den Kl. und seine Familienangehörigen noch am 31. 3. 1979 nach New York zu befördern. (Wird ausgeführt.)

Daraus, daß die Bekl. Flüge zu einem verbilligten Sondertarif anbot, ergibt sich für den Flugteilnehmer keine Verpflichtung, auf Ersatzflüge einzugehen, die unter Umständen erst zwei Tage später stattfinden. Die Bekl. bot ja gerade normale Flüge zu preislich günstigeren Bedingungen an.

Die Bekl. kann sich auch nicht darauf berufen, daß der Kl. sie nicht von der Buchung bei der Air France unterrichtete. Der Kl. konnte interne Vereinbarungen zwischen der Bekl. und der Air France nicht kennen. Diese waren auch in keiner Weise Vertragsbestandteil. Es wäre die Verpflichtung der Bekl. gewesen, den Kl. von Anfang an darauf hinzuweisen, daß er sich auch selbst bei einer anderen Fluggesellschaft um einen Flug bemühen könne und die Kosten intern mit der Bekl. verrechnet würden.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

WarschAbk Art. 19; AGB-Gesetz § 2 I Nr. 2; BGB § § 325 I, 254