Stornierungsgebühren - Reiserücktrittskostenversicherung bis Reiseantritt (Einchecken)

Gericht

OLG Dresden


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

28. 08. 2001


Aktenzeichen

3 U 1338/01


Leitsatz des Gerichts

In einer Reiserücktrittskostenversicherung ist unter dem Reiseantritt als dem Zeitpunkt, bis zu dem ein Rücktritt den Versicherungsfall auslösen kann, bei einer Flugreise der Beginn des Eincheckens zu verstehen.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. hatte für sich und seine Familie eine Pauschalreise (mit Flug) nach Mexiko zum Gesamtpreis von 15290 DM gebucht. Für diese Reise hatte er bei der Bekl. eine Reiserücktrittskostenversicherung abgeschlossen. Nachdem die Familie des Kl. mit dem Einchecken begonnen hatte, wurde der Kl. durch die Flughafeninformation ausgerufen. Nachdem er bzw. seine Ehefrau dort erfahren hatte, dass die - zwei Tage später verstorbene - Schwiegermutter des Kl. seit dem frühen Morgen diesen Tages im Koma lag, holte der Kl. die Koffer zurück und „stornierte“ sofort am Flughafen die Reise. Für den „Nichtantritt“ der Reise stellte ihm der Veranstalter Stornokosten in Höhe von 12232 DM in Rechnung. Die Bekl. erkannte das Vorliegen eines versicherten Rücktrittsgrundes (unerwartete schwere Erkrankung einer Risikoperson) an, verweigert aber die Leistung, da der Rücktritt erst nach Reiseantritt erfolgt sei.

Die Klage auf Ersatz der Stornokosten, in zweiter Instanz auf 9785,60 DM herabgesetzt, hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die ihm entstandenen Stornokosten kann der Kl. von der Bekl. nicht erstattet verlangen. Der geltend gemachte Anspruch steht dem Kl. nicht nach § 1 Nr. 1 der Reisebedingungen der Bekl. in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag zu.

Zwar hat sich der Kl. für den Fall, dass die Stornierung der Reise aus bestimmten Rücktrittsgründen erfolgt, mit dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag dagegen versichert, die auf Grund eines solchen Rücktritts dem Reiseveranstalter geschuldeten Stornogebühren selbst tragen zu müssen. Auch besteht zwischen den Parteien kein Streit darüber, dass mit der unerwarteten schweren Erkrankung der Schwiegermutter des Kl. ein solcher versicherter Rücktrittsgrund eingetreten ist.

Allerdings setzt § 1 Nr. 1 der Reisebedingungen der Bekl. für eine Leistungspflicht der Bekl. voraus, dass der Rücktritt vor Reiseantritt erfolgt. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall gewesen.

Der Leistungsfreiheit der Bekl. steht dabei zunächst nicht eine etwaige Unklarheit des Begriffs „Reiseantritt“ mit den Folgen des § 5 AGBG entgegen; mit Blick darauf, dass sich der Reisende mit der Reiserücktrittskostenversicherung gerade gegen die Kosten einer Stornierung absichern will, wird mit diesem nach Ansicht des Kl. unklaren Begriff ersichtlich auf den Reisebeginn i.S. des § 651i I BGB abgestellt, der für die Frage entscheidend ist, ob ein Rücktritt zu einem bloßen Anspruch des Veranstalters auf - gemeinhin als Stornokosten bezeichnete - Entschädigung (§ 651 II BGB) führt, oder ob der gesamte Reisepreis zu entrichten bleibt. Somit wird von der Bekl. ein zwar unbestimmter Rechtsbegriff, der aber eben auch vom Gesetz selbst so gebraucht wird, verwandt. Im Übrigen genügt für die Annahme einer Unklarheit i.S. des § 5 AGBG nicht bereits, dass ein in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwandter Begriff auslegungsbedürftig ist. Die Geschäftsbedingungen brauchen insoweit nicht klarer zu sein als das Gesetz selbst.

Des Weiteren ist es nicht zu beanstanden, dass das LG mit dem Eincheckvorgang die Reise als angetreten angesehen hat, da damit ein Teil der ersten Reiseleistung „Hinflug“ in Anspruch genommen worden sei. Dies entspricht weiten Teilen der insoweit ergangenen Rechtsprechung (vgl. etwa LG Hannover, NJW-RR 1986, 602 [603]; LG Stuttgart, TranspR 1991, 349; LG Traunstein, r+s 1999, 472 [473]; AG Traunstein, NVersZ 1999, 428 = VersR 1999, 1279). Zwar ist dem Kl. zuzugeben, dass in den dort zu Grunde liegenden Fällen - mit Ausnahme des vom LG Stuttgart entschiedenen, wo der Rücktritt nach Aufgabe des Gepäcks, jedoch vor Betreten der Maschine erfolgt war - zum Zeitpunkt der „Stornierung“ die Versicherten das Flugzeug jeweils bereits betreten hatten. Gleich wohl lassen die zitierten Entscheidungen erkennen, dass danach grundsätzlich auf den Eincheckvorgang (bzw. dessen Beginn) als (teilweise) Inanspruchnahme der ersten gebuchten Reiseleistung abzustellen und dass infolgedessen dann, wenn der Reisende sogar bereits das Flugzeug betreten habe, erst recht von einem Reiseantritt auszugehen sei.

Der Senat hält diese Rechtsprechung für richtig. Eine Reise ist angetreten im Sinne der Bedingungen der Bekl. - und hat begonnen i.S. des § 651i I BGB -, wenn die erste gebuchte Reiseleistung wenigstens teilweise in Anspruch genommen wird. Dabei ist das Einchecken am Flugschalter keine selbstständige Reiseleistung, sondern Teil der (ersten) gebuchten Reiseleistung Flug, wobei hier dahinstehen kann, wann diese Reiseleistung endet und ob Hin- und Rückflug als einheitliche Reiseleistung anzusehen sind. Genügt für den Reiseantritt auch die nur teilweise Inanspruchnahme der ersten gebuchten Reiseleistung, und betrachtet man als solche in Fällen der vorliegenden Art den (Hin-)Flug mit den gleichsam vorgeschalteten Leistungen (insbesondere Eincheckvorgang), so bedeutet dies zugleich, dass die Reise angetreten ist und begonnen hat, wenn das Einchecken seinerseits begonnen worden ist. Dies kann vorliegend aber nicht zweifelhaft sein, da der Kl. selbst vorgetragen hat, zum Zeitpunkt des Rücktritts seien bereits sämtliche Koffer auf die Waage gehoben, von der zuständigen Mitarbeiterin der Fluggesellschaft mit den Zielortaufklebern versehen und jeweils auf das Laufband befördert worden gewesen. Erst nachdem die Koffer wieder zurückgeholt und ihm, dem Kl., seine Flugtickets wieder ausgehändigt worden seien, habe er sich schließlich am Schalter des Reiseveranstalters die Stornierungsbestätigung eingeholt.

Den Beginn des Eincheckvorgangs hält der Senat für einen geeigneten, auch nachträglich sicher feststellbaren Zeitpunkt, ab welchem von einem Reiseantritt zu sprechen ist. Diese nach außen hin klar erkennbare Zäsur ist damit auch nicht, wie der Kl. meint, willkürlich. Vielmehr lässt sich dann, wenn ein derartiges zeitliches Moment wie der Reiseantritt bzw. -beginn für Bestehen oder Ausschluss von Rechten maßgeblich ist, schlechthin nicht vermeiden, dass im Einzelfall der Betroffene mit seinen Ansprüchen ausgeschlossen ist, obwohl er die Wahrung seiner Rechte nur ganz knapp verfehlt hat.

Der in dessen Urteil vom 12. 7. 2001 (213 C 13153/01) geäußerten Auffassung des AG München, wonach im Rahmen einer dort offensichtlich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB abgeleiteten Interessenabwägung in bestimmten Konstellationen das Vertrauensschutzinteresse des versicherten Reisenden dem legitimen Interesse des Versicherers an hinreichender Rechtssicherheit im Hinblick auf die Bestimmung des Zeitpunkts eines Reiseantritts gegenüber zu stellen ist, vermag der Senat nicht zu folgen. Ungeachtet dessen unterscheidet sich der dort entschiedene Fall von dem hier zu beurteilenden Sachverhalt insoweit, als dort nach den Feststellungen des Gerichts der Eincheckvorgang zumindest in Teilen vom Flugpersonal „betrieben“ wurde, obwohl der Versicherungsnehmer sich nur noch um seine zuvor vor den Augen des Personals bewusstlos zusammengebrochene Mitreisende kümmerte. In derartigen Fällen mag in der Tat zu fragen sein, ob dann das regelmäßig zum Reiseantritt führende Einchecken am Flughafen noch „mit Wissen und Wollen“ des Reisenden erfolgt, ob also, mit anderen Worten, überhaupt eine Reiseleistung in Anspruch genommen wird. So liegt der Fall hier aber nicht. Vielmehr lässt sich dem Vorbringen des Kl. nichts dafür entnehmen, dass er, bis er dann die Koffer zurückzuholen gebeten hat, mit dem Beginn und der Fortsetzung des Eincheckvorgangs nicht einverstanden gewesen wäre.

Schließlich kann der Kl. auch nichts zu seinen Gunsten daraus herleiten, dass der Reiseveranstalter ihm gegenüber offenkundig nicht den gesamten Reisepreis gefordert hat, sondern auf „Stornobasis“ (80% des Reisepreises) abgerechnet hat. Zwar hat sich der Kl. gerade gegen das Tragenmüssen derartiger „Stornogebühren“ versichert. Gleichwohl ist der vorbezeichnete Umstand kein Indiz dafür, dass die Reise zum Zeitpunkt des Rücktritts des Kl. noch nicht angetreten war. Die Frage, ob zum Zeitpunkt der Stornierung die Reise bereits begonnen hatte, ist nach den dargelegten objektiven Kriterien zu beantworten und nicht danach, wie es der Reiseveranstalter, der immerhin auch aus Kulanz von der Geltendmachung des gesamten Reisepreises abgesehen haben mag, gesehen hat. Genauso wenig kann eine zwischen Reiseveranstalter und versichertem Reisenden etwa bestehende Übereinkunft, dass die Reise zum Zeitpunkt des Rücktritts noch nicht angetreten war und deshalb „nur“ Stornogebühren zu zahlen sind, die Bekl. binden - dies wäre ein nach der einschlägigen Rechtsordnung grundsätzlich unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. Schließlich ist auch nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die Bekl., sich - etwaigen - für den Reisenden günstigeren Bedingungen des Reiseveranstalters, wonach auch bei einem Rücktritt erst nach Reiseantritt nur Stornogebühren und nicht der gesamte Reisepreis fällig werden, dergestalt gleichsam unterworfen hätte, dass sie immer dann Leistungen aus der Reiserücktrittskostenversicherung erbringen wolle, wenn im Verhältnis zwischen versichertem Reisenden und Reiseveranstalter nur Stornogebühren (und nicht der gesamte Reisepreis) fällig werden.

Rechtsgebiete

Reiserecht