Stornierungsgebühren - Verzögerung einer Reisestornierung in Erwartung erfolgreicher Tumorbehandlung

Gericht

AG München


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

11. 05. 2000


Aktenzeichen

121 C 7132/00


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Obliegenheit zur unverzüglichen Stornierung verlangt die Absage einer gebuchten Kreuzfahrt, wenn nach vorbestehendem Dickdarmtumor eine Lebermetastase diagnostiziert wird, welche wiederholter Chemotherapiebehandlung bedarf.

  2. Nach allgemeiner Lebenserfahrung und objektiver Würdigung der Krankheitsumstände ist bereits mit der Kenntnis der neu aufgetretenen Lebermetastase eine unerwartete schwere Erkrankung eingetreten. Mit der Unzumutbarkeit der Teilnahme an einem Langstreckenflug und einer mehrwöchigen Kreuzfahrt, welche für eine Zeit drei Monate nach Feststellung der Metastase gebucht war, ist zu rechnen.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl., der zusammen mit Familienangehörigen im April 1998 eine Kreuzfahrt (Weltreise) für die Zeit vom 23. 3. 1999 bis 28. 4. 1999 gebucht hatte, stornierte diese Reise am 4. 2. 1999. Nach Ansicht der Bekl. wäre die Stornierung schon am 3. 12. 1998 erforderlich gewesen. Beim Vater des Kl., bei dem bereits ein Lebertumor diagnostiziert worden war, wurde im November 1998 festgestellt, dass dieser Tumor bösartig war und dass er einer Metastase eines früheren Dickdarmtumors entsprach. Es wurde bei ihm dann eine Chemotherapie durchgeführt. Deren erster Zyklus endete im Dezember 1998, ein zweiter Zyklus wurde im Januar durchgeführt. Im Anschluss daran erfolgte die Operation der isolierten Lebermetastase am 22. 2. 1999. Der Kl. hat die Meinung vertreten, er habe, da die Ärzte eine Operabilität erst zu einem Zeitpunkt nach der Reise erwartet hätten, annehmen können, dass die Reise möglich sein werde.

Seine Klage auf Ersatz des von der Bekl. nicht ersetzten Teils der Stornokosten hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Kl. kann keine weiteren Versicherungsleistungen aus der Reiserücktrittsversicherung von der Bekl. fordern. Unter Berücksichtigung des Selbstbehalts von 100 DM hat ihm die Bekl. die geschuldeten Stornokosten ersetzt.

Zwischen den Parteien bestand eine Reiserücktrittsversicherung. Vertragsinhalt waren die Versicherungsbedingungen gem. AVB-RR 97. Nach diesen Versicherungsbedingungen, die dem Kl. ausgehändigt wurden und zwar nach deren § 3 Nr. 1, war der Kl. verpflichtet, den Reisevertrag sofort nach Eintritt des Versicherungsfalls zu stornieren. Dieser Verpflichtung ist der Kl. nicht nachgekommen, ebenso wenig seine Familienangehörigen. Bei dem Vater des Kl., der vorher an Dickdarmkrebs gelitten hatte, wurde eine Metastase in der Leber festgestellt. Damit liegt eine Erkrankung vor, die aus objektiver Sicht einen Reiseantritt als nicht zumutbar erscheinen lässt. Es ist dabei von der objektiven Sicht eines verständigen Dritten auszugehen. Die Zumutbarkeit ist allein unter Berücksichtigung des Krankheitsbilds und der Krankheitssymptome sowie der Art der gebuchten Reise zu beurteilen.

Dem Vater des Kl. und auch dem Kl. war am 28. 11. 1998 mitgeteilt worden, dass keine gutartige Lebergeschwulst, sondern ein bösartiger Lebertumor vorlag und dass dieser umgehend zu behandeln war. Es wurde mitgeteilt, dass man mit zwei Zyklen von Chemotherapien erreichen wolle, dass der Tumor operabel werde. Es wurde auch umgehend mit der Behandlung begonnen. Der Vater des Kl. musste sich vom 3. 12. bis 18. 12. 1998 in stationäre Behandlung begeben. Dabei wurde der erste Zyklus einer Chemotherapie durchgeführt und der zweite Zyklus im Januar 1999. Nach den Feststellungen in der ärztlichen Bescheinigung war der Vater des Kl. im November und Dezember 1998 nur wenig beeinträchtigt durch diese Leiden und in seinem Allgemeinzustand nur leicht reduziert bei normalem Ernährungszustand. Er wäre damals durchaus reisefähig gewesen. Aber es war ja mit einer zweiten Chemotherapie im Januar zu rechnen mit dem Ziel eine Operabilität des Tumors zu erreichen. Durch die Behandlung war ja keine Heilung der unerwarteten schweren Erkrankung eingetreten, sondern man erreichte nur einen gewissen Stillstand, mit der Aussicht auf jederzeitig erforderliche Operation.

Der weitere Verlauf der Erkrankung war völlig ungewiss, d.h. wie aus der ärztlichen Bescheinigung selbst hervorgeht, war der Vater des Kl. nur reisefähig, wenn eine Operabilität nicht hätte erreicht werden können und dann auch nur, soweit man das damals im Dezember 1998 voraussehen konnte.

Die Pflicht zur Stornierung besteht nach den Versicherungsbedingungen schon dann, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung wiederum aus objektiver Sicht mit der Reiseunfähigkeit oder der Unzumutbarkeit des Reiseantritts zu rechnen ist, und wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen. Der Zeitpunkt zur Pflicht der Stornierung war schon mit Beginn der stationären Behandlung im Dezember 1998 eingetreten. Damals waren hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Chemotherapie wahrscheinlich zur Operabilität führen werde und dass man sobald wie möglich versuchen werde, durch eine Operation den Lebertumor zu entfernen, um weitere Metastasen zu verhindern.

Angesichts der Schwere der Erkrankung und der Art der gebuchten Reise, die mit verschiedenen Anstrengungen verbunden war, so mit einem Langstreckenflug und der mehrwöchigen Kreuzfahrt mit Ausflügen etc., war bei Beginn der Chemotherapie nicht mehr damit zu rechnen, dass der Vater des Kl. diese Strapazen durchstehen werde und die Reise dann im März 1999 antreten könne.

Der Kl. musste auch mit Komplikationen in der Behandlung, vor allem auch bei der Chemotherapie rechnen und durfte sich nicht darauf verlassen, dass der Vater im März die Reise antreten könne. Die Ärzte hatten ihm das keineswegs versichert, sondern nur, dass er im Falle einer Nichtoperabilität wahrscheinlich die Reise durchstehen könne, so im Sinne einer „letzten Reise“.

Die Aufrechterhaltung der Buchung bis Anfang Februar stellte unter den gegebenen Umständen einen grob fahrlässigen Verstoß gegen die Obliegenheitspflicht des § 3 Nr. 1 AVB-RR 97 dar und einen Verstoß gegen die versicherungsvertragliche Schadensminderungspflicht des § 6 Nr. 1 lit.a Nr. 2 AVB-AB 97, § 62 VVG. Bei einer Kündigung der Reise Anfang Dezember 1998 wären nur Rücktrittsgebühren in Höhe von 2% des Reisepreises angefallen. Diese hat die Bekl. erstattet.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

AVB-RR 97 § 3 Nr. 1