Stornierungsgebühren - Unzulässige AGB eines Reiseveranstalters

Gericht

OLG Frankfurt


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

17. 12. 1981


Aktenzeichen

6 U 26/81


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Bereichsausnahme des § 11 Nr. 1 AGB-Gesetz für Leistungen, auf deren Preise § 99 II Nr. 1 GWB Anwendung findet, gilt nicht für Reiseveranstalter. Reiseveranstalter sind keine Flugunternehmen, und preisrechtlich genehmigte Beförderungstarife sind lediglich Kalkulationsposten im Angebot der Reiseveranstalter.

  2. Die Preisanpassungsklausel eines Reiseveranstalters an die Flugtarife ist unwirksam, wenn sie einschränkungslos gilt und nicht die Möglichkeit vorsieht, sich vom Vertrage zu lösen.

  3. Eine pauschalierte Rücktrittsgebühr, die der Reiseveranstalter der Höhe nach ausschließlich nach der Zeitdauer zwischen Rücktrittserklärung und Reisebeginn bemißt, ist unwirksam, weil sie mit dem wesentlichen Grundgedanken des § 651 i BGB nicht zu vereinbaren ist. Auch muß aus der Klausel hervorgehen, daß die Möglichkeit des Nachweises eines geringeren Schadens besteht (§ 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz).

  4. Eine Klausel, wonach Umbuchungen wie ein Rücktritt, verbunden mit einer Neuanmeldung der Reise, behandelt werden, ist nach § 10 Nr. 5 AGB-Gesetz unwirksam (Verbot fingierter Erklärungen).

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. ist ein rechtsfähiger Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Die Bekl. ist ein deutsches Reiseunternehmen, das den Reiseveranstalter G-Reisen übernommen hat. Dessen Reise- und Zahlungsbedingungen sahen unter anderem vor:

"Nr. 4.4. 1. Sollten sich nachträglich Veränderungen der behördlich festgelegten oder genehmigten Beförderungstarife, der Steuern oder öffentlichen Abgaben ergeben, sind wir zu einer auch nachträglichen Anpassung unserer Preise an die veränderte Situation berechtigt.
Nr. 5.3. Die pauschalierten Rücktrittsgebühren betragen je angemeldeten Teilnehmer:
bis 30 Tage vor Reisebeginn: 4%
ab 29. bis 22. Tag vor Reisebeginn: 8%
ab 21. bis 15. Tag vor Reisebeginn: 25%
ab 14. bis 7. Tag vor Reisebeginn: 40%
ab 6. Tag vor Reisebeginn: 50%
des Reisepreises.
Nr. 5.5.2. Die Bearbeitungsgebühr für Änderungen bis 30 Tage vor Reiseantritt beträgt 20 DM. Spätere Änderungen müssen wir Ihnen wie einen Rücktritt mit nachfolgender Neuanmeldung berechnen."

Der Kl. hat beantragt, der Bekl. zu untersagen, für Reiseverträge, bei denen dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen erbracht wird, wörtlich oder inhaltsgleich die vorstehend wiedergegebenen Bestimmungen in AGB zu verwenden.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

... I. Die Bekl. muß die Bedingung, die ihr die Möglichkeit einer Preisanpassung im Falle einer Erhöhung der Flugtarife oder der behördlichen Abgaben oder Steuern eröffnet, an den Vorschriften des § 11 Nr. 1 AGB-Gesetz messen lassen, das aber führt dazu, daß diese Klausel unwirksam ist. Die Bereichsausnahme nach § 11 Nr. 1 AGB-Gesetz i. V. mit § 99 GWB gilt für die Bekl. nicht. In dem GWB sind nämlich nur die Flugunternehmen selbst angesprochen, darunter auch die Charterunternehmen (Immenga-Mestmäcker, GWB, § 99 Rdnr. 48; Gleiß-Hootz, Gemeinschaftskomm., § 99 Rdnr. 12). Zu den dort angesprochenen Flugunternehmen gehört die Bekl. aber nicht. Die Bekl. kann sich insoweit auch nicht mit den Hilfsunternehmen, wie etwa den Flughafenbetrieben, vergleichen, denn auch deren Tätigkeit wird genehmigt, wie sich aus § 43 LuftVZO (WuW/E BGH 1200 - Vermittlungsprovision für Flugpassagen) ergibt. Aus der Tatsache, daß allmählich Linienfluggesellschaften ähnliche Angebote wie Reiseveranstalter unterbreiten, folgt ebenfalls nicht, daß es geboten wäre, die Bekl. den Flugunternehmen gleichzustellen. Bei Erlaß des AGB-Gesetzes war nämlich diese Entwicklung bereits absehbar, und es war bekannt, daß die Ausnahmevorschrift des § 99 GWB auf Reiseveranstalter nicht angewandt wird. Bei dieser Sachlage sind die Gerichte nicht befugt, eine von dem Gesetzgeber getroffene Entscheidung zu korrigieren. Obwohl die Entwicklung erkennbar war, hat der Gesetzgeber nämlich durch die Verweisung auf § 99 GWB die Reiseveranstalter insoweit von den Vorschriften des AGB gerade nicht freigestellt. Zutreffend hat das LG dargelegt, daß Sinn der Ausnahmeregelung ist, Beförderungsunternehmen eine einheitliche neue Preisfestsetzung für einen bestimmten Zeitpunkt zu ermöglichen. Nur die Unternehmen, die die Massenbeförderung auch tatsächlich durchführen, sind von dieser Ausnahme betroffen. Bei den Verträgen zwischen den Reiseveranstaltern und dem Reisegast kommt aber der Gesichtspunkt der Wahrung der Einheitlichkeit des Preisgefüges nicht zum Tragen, denn den Reisenden werden nicht Preise oder Tarife für bestimmte Beförderungsleistungen in Rechnung gestellt, sondern die Pauschalpreise gelten für die insgesamt angebotenen Reiseleistungen. Die Tarife sind innerhalb dieses Angebots nur Kalkulationsposten. Unterfällt damit die Klausel der Bekl. dem in § 11 Nr. 1 AGB-Gesetz angeordneten Verbot kurzfristiger Preisänderung, ist die verwandte Klausel unwirksam.

Vergeblich beruft sich die Bekl. darauf, sie habe keine Möglichkeit, die Preiserhöhungen weiterzugeben. Der Gesetzgeber hat nämlich eine Wertung dahingehend getroffen, daß dieses Risiko von der Bekl. als Veranstalterin zu tragen ist und nicht von den Kunden. Die von dem LG vorgenommene Interessenabwägung entspricht der Wertung des Gesetzgebers, daß das Risiko der Veränderung einzelner Kalkulationsposten des Angebots dem Verwender der AGB auferlegt ist, der die Rechte, die die Vertragsfreiheit gibt, für sich in Anspruch nimmt, und der zudem viel eher in der Lage ist, das Risiko abzuschätzen (Senat, NJW 1979, 985). Der BGH (NJW 1980, 2133) hat in gleicher Weise für die Umsatzsteuer entschieden. Es sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die für die in der Klausel genannten Beförderungstarife, Steuern und Abgaben eine andere Beurteilung zuließen. Organisatorische Gründe kommen nicht in Betracht, denn es ist Sache der Bekl., hier für Abhilfe zu sorgen. Dem Gesetzgeber war bekannt, daß AGB häufig im Interesse der Rationalisierung vereinbart werden (vgl. etwa Kötz, Gutachten zum 50. DJT 1974, A 13ff.). Gleichwohl hat er die in Klauselwerken eröffnete Möglichkeit kurzfristiger Preisänderungen mißbilligt.

Dem LG ist auch darin zu folgen, daß die Klausel in ihrer Ausgestaltung gegen § 9 II Nr. 1 AGB-Gesetz verstößt, denn sie enthält eine unangemessene Benachteiligung der Kunden der Bekl. Sie gilt nach ihrem Wortlaut nämlich einschränkungslos. Den Reiseteilnehmern wird selbst bei erheblichen Preissteigerungen nicht das Recht zur Lösung vom Vertrag zugebilligt, und es ist keine Bestimmung darüber in der Klausel enthalten, bis zu welchem Betrag, gegebenenfalls bis zu welcher Größenordnung, automatische Preiserhöhungen aufgrund der Erhöhung der Beförderungstarife, Steuern und öffentlichen Abgaben hinzunehmen sind. Der Senat hat in seinen Entscheidungen 6 U 185/79 (BB 1980, 1550) und 6 U 30/80 (WRP 1981, 396) darauf hingewiesen, daß Preisänderungsklauseln gegenüber Letztverbrauchern in AGB unwirksam sind, wenn sie einschränkungslos gelten sollen und nicht eine Lösungsmöglichkeit vom Vertrag eröffnen. Dem stimmt auch Micklitz (BB 1981, 635) mit gewissen Einschränkungen zu. Zwar ist hier anders als in den entschiedenen Fällen die Berechtigung zur Preiserhöhung an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Aber gerade die Beförderungsentgelte können sich grundlegend verändern, denn sie sind von der internationalen Entwicklung, den Preisen für Kraftstoffe und dem Verhältnis der Währungen zueinander, soweit es sich um IATA-Preise handelt, abhängig (vgl. dazu Urteil des Senats 6 U 111/81). Der Verbraucher, dessen Möglichkeiten, die Vertragsfreiheit für sich in Anspruch zu nehmen, durch die AGB beschränkt sind, darf hier nicht einseitig festgelegt werden, vielmehr muß für ihn die Möglichkeit bestehen bleiben, gerade bei besonders erheblichen Veränderungen der Beförderungsentgelte, die auf den ihm berechneten Preis durchschlagen, sich vom Vertrage lösen zu können.

II. Auch die Klausel über die pauschalierte Berechnung der Kosten der Bckl. im Falle des Rücktritts ist unwirksam. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kosten von der Bekl. betriebswirtschaftlich zutreffend und vertretbar kalkuliert sind. Selbst wenn das der Fall ist, wie das LG ausgeführt hat, ist diese Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 9 11 Nr. 1 AGB-Gesetz unwirksam. Die Bekl. weicht nämlich bei der Berechnung von der zwingend (§ 651 k BGB) im Gesetz (§ 651 i II BGB) vorgesehenen Berechnungsweise ab. Zwar darf die Bekl. auch pauschaliert (§ 651 i III BGB) eine angemessene Entschädigung unter Berücksichtigung der ersparten Aufwendungen und der anderweitigen Verwendung der Reiseleistung verlangen. Die Bekl. bringt demgegenüber in der Klausel aber zum Ausdruck, daß ihr "pauschalierte Rücktrittsgebühren" zustehen sollen. Es ist der Klausel nicht zu entnehmen, daß sie auf der vom Gesetz (§ 651 i II BGB) vorgesehenen Berechnungsweise aufbaut, und ob sie diese zum Inhalt hat oder nicht. Nur wenn das der Fall wäre, könnte angesichts der zwingenden Bestimmung des § 651 i III BGB die Wirksamkeit der Klausel in Betracht kommen. Darüber hinaus ist die Klausel aber auch wegen eines Verstoßes gegen § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz unwirksam. Soweit Löwe (in: MünchKomm, § 651 e Rdnr. 14) und Erman-Seiler (BGB, 7. Aufl., § 651 i Rdnr. 8) ausführen, derartige Pauschalen könnten an der Vorschrift des § 11 Nr. 5b AGB-Gesetz nicht gemessen werden, treffen deren Bedenken für den hier vorliegenden Fall nicht zu, denn die genannten Autoren sind nur der Auffassung, daß Klauseln, die den Vorschriften des § 651 i II, III entsprechen, an § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz nicht zu messen seien. Hier aber ist, wie ausgeführt, die Klausel inhaltlich nicht nach § 651 i II, III BGB gestaltet. Die Bekl. macht vielmehr der Sache nach einen Schadensersatzanspruch geltend. Dann aber darf den Kunden der Bekl. nicht der Nachweis abgeschnitten werden, ein Schaden sei überhaupt nicht oder in wesentlich geringerem Umfang eingetreten, § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz. Das geschieht durch die beanstandete Klausel. Zwar besagt sie das nicht ausdrücklich. Es mag auch nicht erforderlich sein, daß in der Klausel ausdrücklich die Möglichkeit des Gegenbeweises verlautbart wird (so Frank-Werner, BB 1977, 21; Hensen, in: Ulmer-Brandner-Hensen, AGB-Gesetz, 3. Aufl., § 11 Nr. 5 Rdnr. 18; Löwe, in: Löwe-Graf v. Westphalen-Trinkner, AGB-Gesetz § 11 Nr. 5 Rdnr. 12, gegen Schlosser, in: Staudinger-Schlosser, § 11 Nr. 5 AGB-Gesetz Rdnr. 20); § 11 Nr. 5 b AGB-Gesetz ist aber bereits dann verletzt, wenn sich aus der Formulierung der Klausel ergibt, daß der Gegenbeweis ausgeschlossen sein soll (Palandt-Heinrichs, BGB, 41. Aufl., § 11 AGB-Gesetz 5b bb; OLG Stuttgart, NJW 1981, 1106; Senat in 6 U 14/80). Das ist hier der Fall. Für den in der Regel rechtsunkundigen Vertragspartner der Bekl. ist nicht erkennbar, daß er den Gegenbeweis führen kann. Aus der Formulierung, die Bekl. "könne" die pauschalierten Gebühren verlangen, ist zwar zu folgern, daß sie es tun kann, nicht tun muß. Für den Kunden wird aber dadurch gerade nicht erkennbar, daß auch er bei einer Auseinandersetzung den Anspruch der Bekl. bestreiten kann. Ihm wird - in Abweichung von dem Gesetz - ein geschlossenes System dargestellt. Ihm wird die Möglichkeit genommen, überhaupt zu erkennen, daß er gegenüber der Bekl. eine andere Rechtsposition, und zwar eine für ihn günstigere, einnehmen kann. Dadurch wird für den Vertragspartner der Bekl., die die Gestaltungsmöglichkeiten der Vertragsfreiheit einseitig für sich in Anspruch nimmt, die rechtliche Lage weiter erschwert. Das aber stellt eine unangemessene Benachteiligung dar.

III. Auch die die Umbuchung betreffende Klausel ist wegen Verstoßes gegen das AGB-Gesetz unwirksam. Zutreffend hat das LG zunächst herausgearbeitet, daß die Unwirksamkeit dieser Klausel bereits aus der Verknüpfung mit der Klausel über die Berechnung der Pauschalgebühren folgt.

Ein weiterer, die Unwirksamkeit der Klausel ergebender Grund ist deren Verstoß gegen § 10 Nr. 5 AGB-Gesetz. Die von dem Kl. beanstandete Klausel betrifft die im Falle einer Änderung der Reise zusätzlich anfallenden Kosten, wobei sich aus dem Zusammenhang mit der vorangehenden Bedingung ergibt, daß auch Änderungen hinsichtlich des Reisetermins, des Reiseziels, der Unterkunft, der Beförderungsart und der Abflugshäfen betroffen sind. Der Vertragspartner der Bekl., der eine derartige Änderung des Reisevertrages begehrt, gibt dadurch nicht etwa zu erkennen, daß er einen neuen Reisevertrag abschließen wolle, sondern er möchte nur einzelne Leistungen austauschen. Die Bekl. aber behandelt diesen Antrag auf Änderung des Reisevertrages als einen Rücktritt verbunden mit einem Neuabschluß. Damit gibt sie der Willenserklärung ihres Kunden eine Inhaltsbestimmung, die dieser nicht vorgenommen hat, sie fingiert damit eine Rücktrittserklärung. Gerade solche Fiktionen will das Gesetz in § 10 Nr. 5 AGB-Gesetz dem Verwender von Klauseln unmöglich machen, da auch hierdurch die Gleichordnung zwischen den Vertragspartnern in erheblichem Maße gestört wird. Vergeblich beruft sich die Bekl. insoweit darauf, sie müsse einem Mißbrauch vorbeugen können, der nur in dem Hinausschieben des Reisetermins bestehen könne. Wenn die Bekl. der Auffassung ist, daß diese Gefahr ernsthaft besteht, muß es ihr vorbehalten bleiben, dem zu begegnen, indem sie eine diesen Fall betreffende Klausel vorsieht.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

AGB-Gesetz § 11 Nr. 1 5b, Nr. 5, 9 II Nr. 1; GWB § 99; BGB § 651 i