Reiserücktritt wegen höherer Gewalt nach Erdbeben in Mexiko

Gericht

LG Köln


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

28. 03. 2001


Aktenzeichen

10 S 395/00


Leitsatz des Gerichts

Heftige Regenfälle, Überschwemmungen und Erdbeben, wie sie im 3. Quartal 1999 in Mexiko auftraten, ergeben für eine Rundreise, die circa eine Woche nach diesen Ereignissen beginnen soll, keinen Kündigungsgrund wegen höherer Gewalt.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl., die bei der Bekl. eine am 9. 10. 1999 beginnende Rundreise durch Mexiko gebucht hatten, haben mit Schreiben vom 8. 10. 1999 ihren Rücktritt von der Reise unter Hinweis auf die Regenfälle, Überschwemmungen und Erdbeben in Mexiko erklärt. Die Bekl. hat bei der Rückerstattung des Reisepreises 90% des Preises als Stornokosten einbehalten.

Das AG hat der Klage auf Rückzahlung des Restes des Reisepreises stattgegeben. Die Berufung der Bekl. führte zur Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Den Kl. steht kein Anspruch auf Rückerstattung des Reisepreises zu, nachdem der Kl. zu 1 mit Schreiben vom 8. 10. 1999 den Rücktritt vom Reisevertrag erklärte. Im Ergebnis kann dahinstehen, ob überhaupt eine formal wirksame Rücktrittserklärung - auch namens der Kl. zu 2 - vorlag, denn ein Anspruch auf Rückerstattung des Reisepreises nach den Grundsätzen der §§ 812, 651j, 651e III BGB kommt gleichwohl nicht in Betracht.

Die Kl. waren zwar auf Grund des § 651i I BGB berechtigt, jederzeit vor Reiseantritt vom Vertrag zurückzutreten, jedoch hat dies gem. § 651i II 2, III BGB grundsätzlich zur Folge, dass der Reiseveranstalter eine angemessene Entschädigung in Höhe der durch AGB vereinbarten Stornogebühren verlangen kann. Einen derartigen Anspruch hat die Bekl. auch geltend gemacht und lediglich einen geringen Teil des bereits vollständig entrichteten Reisepreises zurückgezahlt. Eine grundsätzlich vollständige Befreiung von der Verpflichtung zur Entrichtung einer Entschädigung kommt hingegen nur in Betracht, falls den Kl.gem. § 651j BGB ein Kündigungsrecht wegen höherer Gewalt zustand, denn einen Entschädigungsanspruch i.S. der §§ 651j II, 651e III 2 BGB hat die Bekl. jedenfalls nicht substanziiert dargetan.

Ein Kündigungsrecht gem. § 650j BGB bestand jedoch nicht, denn es fehlt zumindest an der erforderlichen konkreten Gefahr für die Durchführbarkeit der Reise im Zeitpunkt der Kündigungserklärung.

Ein Fall höherer Gewalt in dem von § 651j BGB vorausgesetzten Sinne liegt nach der objektiven Theorie in einem von Außen kommenden, unabwendbaren und unverschuldeten Ereignis (Kaller, ReiseR, Rdnr. 398). Heftige Regenfälle, Überschwemmungen und Erdbeben - wie sie circa eine Woche vor dem geplanten Reiseantritt in Mexiko aufgetreten waren - sind auch grundsätzlich als Fälle höherer Gewalt in diesem Sinne einzustufen. Erforderlich ist jedoch ferner, dass durch die höhere Gewalt eine konkrete Gefahr für die Durchführbarkeit der Reise entstand; subjektive Befürchtungen einzelner Reisender reichen insoweit nicht aus (Kaller, Rdnr. 399). Daran fehlt es. Es kann offen bleiben, ob jemals eine konkrete Gefahr für die Durchführbarkeit der Reise im vorstehend dargestellten Sinne etwa in dem Zeitpunkt bestand, als die Regenfälle hauptsächlich niedergingen und die Erdbeben auftraten. Darauf kommt es letztlich nicht an, denn zumindest im maßgeblichen Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bzw. des Beginns der Rundreise bestand eine derartige konkrete Gefahr jedenfalls nicht mehr.

Abflugtermin sollte erst der 9. 10. 1999 sein. Zu diesem Zeitpunkt kam es jedenfalls nicht mehr zu weiteren heftigen Regenfällen; auch ein weiteres Erdbeben wurde nicht gemeldet. Dafür, dass weitere Unwetter bzw. Erdbeben unmittelbar bevorstanden, ist auch nichts dargetan.

Im Zeitpunkt des Antritts der Reise lagen auch keine fortwirkenden erheblichen Gefährdungen bzw. Erschwerungen infolge der vorausgegangenen Naturereignisse - beispielsweise in Form von Überschwemmungen - vor. Zumindest objektiv gab es bei der Durchführung der Reise - wie auch der tatsächliche Ablauf der Ereignisse zeigt - keinerlei Schwierigkeiten. Die durch vorhergehende äußere Ereignisse und Pressemeldungen veranlassten Befürchtungen der Kl. reichten jedoch nicht aus, um gleichwohl ein Kündigungsrecht i.S. des § 651j BGB zu begründen.

Dabei kommt es zum einen auf den Zeitablauf an, der zwischen dem eine Erschwernis indizierenden Ereignis und dem Reisebeginn liegt. Je länger beispielsweise ein Naturereignis zurückliegt, desto mehr müssen derartige Befürchtungen zurücktreten.

Ferner muss sich der Reisende gegebenenfalls auf Informationen des Reiseveranstalters dazu verweisen lassen, inwieweit bei Reisebeginn noch mit Beeinträchtigungen zu rechnen sein mag. Damit korrespondierend besteht eine Informationspflicht des Reiseveranstalters über die Lage vor Ort. Zur Erfüllung dieser Verbindlichkeit kann sich der Veranstalter des Leistungsträgers vor Ort bedienen (Kaller, Rdnr. 401).

Grundsätzlich ist bei Naturkatastrophen jedenfalls davon auszugehen, dass deren Folgen schneller abklingen als beispielsweise eine politische Gefahrenlage. Nachdem seit den hauptsächlichen Regenfällen eine Woche verstrichen war, konnte bei normalem Ablauf damit gerechnet werden, dass die Hauptstraßen im fraglichen Gebiet geräumt seien. Da die Kl. als Pauschalreisende in Hotels untergebracht worden wären, dürfte sie die beklagenswerte Obdachlosigkeit von Teilen der Bevölkerung ebenso wenig tangiert haben wie eine mögliche Seuchengefahr. Davon konnten sie jedenfalls nicht ausgehen. Mangels konkreter Anhaltspunkte dafür, dass eine adäquate Unterbringung in Hotels infolge anhaltender Beeinträchtigungen nicht möglich sei bzw. die Straßen nach wie vor unpassierbar seien und auch Ausweichrouten nicht in Betracht kämen, waren die Kl. gehalten, den Informationen des Veranstalters Rechnung zu tragen.

Dieser Informationspflicht hat die Bekl. jedoch genügt. Sie hat bereits in erster Instanz hinreichend substanziiert vorgetragen, dass sie mehrfach mit den Reiseleitern vor Ort Kontakt - zuletzt noch am 8. 10. 1999 - aufgenommen und sich nach den örtlichen Verhältnissen erkundigt habe. Von diesen habe sie stets die Auskunft erhalten, dass die Durchführung der Reise ungefährdet möglich sei. Diesen Informationen ist besonderes Gewicht beizumessen, weil im fraglichen Zeitraum bereits eine Reisegruppe auf der gleichen Route unterwegs war, wie sie der von den Kl. gebuchten Reise entsprach. Die Mitteilungen jenes Reiseleiters sind daher als Informationen „aus erster Hand“ besonders aussagekräftig und verlässlich.

Die aus dieser Reisegruppe stammenden Informationen waren auch nicht etwa - wie das AG meint - deshalb ungeeignet, weil jene Reisegruppe im fraglichen Zeitpunkt noch nicht alle Zielgebiete bereist hatte, denn es war ja auch nicht im gesamten Reisegebiet mit Beeinträchtigungen zu rechnen.

Den Kl. war zuzumuten, diesen Informationen zu vertrauen, zumal auch in den Mitteilungen des Auswärtigen Amtes darauf verwiesen worden war, sich bei den jeweiligen Reiseveranstaltern nach den Auswirkungen im Zielgebiet zu erkundigen. Die Bekl. weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass angesichts der Größe Mexikos in einzelnen Teilen des Landes auftretende Unbilden nicht notwendig Auswirkungen auf eine Rundreise haben müssen. Die Verhältnisse im Einzelnen können von Deutschland aus nicht beurteilt werden, vielmehr ist auf Erkenntnisse zurückzugreifen, die an Ort und Stelle gewonnen worden sind. Es bleibt im Übrigen regelmäßig den Reiseleitern sowie den Fahrern vor Ort vorbehalten, gegebenenfalls die Reiseroute umzustellen oder eine andere Straßenführung zu wählen, um mögliche Behinderungen zu vermeiden. Angesichts der vorliegenden Informationen bestanden im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass maßgebliche Erschwernisse im Reisegebiet bestanden.

Die Kl. können sich im Übrigen nicht darauf berufen, die Bekl. habe ihnen von ihren vermeintlichen Erkenntnissen aus dem Zielgebiet keine Mitteilung gemacht. Die Bekl. hat bereits in erster Instanz hinreichend substanziiert dargetan, an welchen Tagen sie die Kl. mit welchem Inhalt telefonisch über die von den Reiseleitern stammenden Informationen in Kenntnis gesetzt haben will. Hierzu haben sich die Kl. nicht hinreichend substanziiert geäußert; sie haben lediglich vorgebracht, sie seien beschwichtigt und die Vorgänge seien verharmlost worden. Sie mögen die Auskünfte der Bekl. so gewertet haben, ein substanziiertes Bestreiten entsprechender Auskünfte liegt darin jedoch nicht.

Die Kl. können sich damit lediglich auf ihr allgemeines Kündigungsrecht gem. § 651i BGB berufen. Dies hat zur Folge, dass die Bekl. gem. § 651i III BGB für die bereits erbrachten Leistungen eine angemessene Entschädigung verlangen kann. Dies hat die Bekl. mit der Abrechnung vom 18. 10. 1999 getan und unter Berufung auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen 90% des Reisepreises als Entschädigung einbehalten. Bedenken gegen die wirksame Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, auf die in der Reiseanmeldung verwiesen wurde und die im Katalog abgedruckt sind, bestehen nicht.

Die Klausel ist auch wirksam. Die Rechtsprechung folgert aus § 651 III BGB zwar, dass Pauschalen nicht nur zeitlich gestaffelt, sondern auch für jede Reiseart differenziert festzulegen sind (LG Hamburg, NJW 1998, 3281). Nach dem gewöhnlichen Verlauf mag bei Städtereisen oder bei reinen Badeaufenthalten eine andere Einbuße zu erwarten sein, als dies bei (Fern-)Rundreisen der Fall ist. Anhand der nur auszugsweise vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann auch nicht nachvollzogen werden, ob die Bekl. derartige Differenzierungen vornimmt. Jedoch ist eine Differenzierung nur dann angezeigt und möglich, wenn der Reiseveranstalter überhaupt mehrere Reisearten anbietet. Hierzu ist keinerlei Vortrag erfolgt, so dass vor diesem Hintergrund Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel ausscheiden.

Ein Verstoß gegen § 10 Nr. 7 lit.b AGBG bzw. § 9 AGBG liegt ebenfalls nicht vor. Voraussetzung für eine wirksame Vereinbarung der Rücktrittspauschale ist, dass jene sich am Reisepreis unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung gewöhnlich möglichen Erwerbs orientiert. Die Pauschalierung an sich ist grundsätzlich zulässig, ebenso wie eine Staffelung in Abhängigkeit von dem Rücktrittstermin vor Reisebeginn (Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. [1999], § 9 Rdnr. 73). Nach der Rechtsprechung ist eine Stornogebühr von 80% in der Regel wirksam, wenn sie für einen Rücktritt erst wenige Tage vor Reisebeginn gelten soll. Je kürzer die Zeit zwischen der Rücktrittserklärung des Kunden und dem geplanten Reiseantritt ist, desto geringer sind die wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten des Reiseveranstalters für eine anderweitige Verwendung der für den Kunden vorgesehenen Reiseplätze (LG Hannover, NJW-RR 1987, 1079). Hingegen ist eine allgemein geltende Stornopauschale von 100% des Reisepreises unwirksam (OLG Nürnberg, NJW 1999, 3128).

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist die Vereinbarung einer Pauschale von 90% für den Fall des Rücktritts innerhalb von zwei Wochen vor Reisebeginn nicht zu beanstanden, zumal nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ersparte Aufwendungen und die gewöhnlich anderweitige Verwendung der Reiseleistungen zu berücksichtigen sind. Der Kreis der Interessenten an Fernrundreisen - zumal mit kulturellem Hintergrund - ist regelmäßig weitaus kleiner, als dies bei reinen Badeaufenthalten oder innereuropäischen Reisen der Fall ist. Kurzfristige Buchungen scheiden regelmäßig aus. Demgegenüber sind Flug- und Rundreisen regelmäßig mit einem größeren organisatorischen Aufwand verbunden, der eine Pauschale von 90% bei Rücktritt innerhalb von zwei Wochen - nachdem die Tickets regelmäßig bereits ausgestellt sind - rechtfertigt.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

BGB § 651j