Nichtvereinbarung einer Stornopauschale durch Reisebüro

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

26. 10. 1989


Aktenzeichen

VII ZR 332/88 (München)


Leitsatz des Gerichts

Zum Schadensersatzanspruch des Reiseveranstalters, wenn ein Reisebüro entgegen der in einem Agenturvertrag übernommenen Verpflichtung vermittelten Reiseverträgen nicht die Reisebedingungen des Reiseveranstalters zugrunde legt und dieser daraufhin bei Rücktritt eines Reisenden vom Vertrag eine Entschädigung nur gem. § 651i II BGB verlangen kann.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Bekl., Veranstalter von Reisen, legt den Reiseverträgen „Reisebedingungen“ zugrunde, die unter anderem folgende Regelung enthalten: „Beim (jederzeit zulässigen) Rücktritt des Reisenden (maßgeblich ist der Eingang der Erklärung beim Reiseveranstalter) betragen die Stornogebühren jeweils pro Person: bis zu 60 Tage vor dem Reisebeginn DM 80, bis zu 45 Tage vor dem Reisebeginn 15 % des Reisepreises, bis zu 30 Tage vor dem Reisebeginn 50 % des Reisepreises, ab 30 Tage vor dem Reisebeginn 80 % des Reisepreises. ... Dem Veranstalter oder dem Reisenden bleibt es vorbehalten, den dem Veranstalter durch den Rücktritt entstandenen Schaden konkret zu berechnen." Die Kl. - ein Reisebüro - hat in einem mit der Bekl. geschlossenen Agenturvertrag vereinbart, bei der Vermittlung von Geschäften die Reisebedingungen der Bekl. zugrunde zu legen. Am 13. 10. 1987 bat die Kl. die Bekl., für ihren Kunden N sowie für vier weitere Personen eine Reise ab 23. 12. 1987 nach Mexiko zu buchen. Sie stellte N hierfür einen Gesamtbetrag von 31191 DM in Rechnung. Nachdem N mit Schreiben vom 26. 11. 1987 die Reise storniert hatte, erteilte die Bekl. eine Rechnung über 80 % Stornokosten in Höhe von 22108,18 DM. Da N nicht zahlte, ließ die Bekl. aufgrund der ihr erteilten Einzugsermächtigung den Betrag von 22108,18 DM von dem Konto der Kl. abbuchen.

Die Kl. verlangt Zahlung von 22108,18 DM nebst Zinsen. LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

...

I. Das BerGer. nimmt an, ein Reisevertrag über die von N stornierte Reise sei nicht zwischen den Parteien, sondern zwischen der Bekl. und N zustande gekommen. Die Kl. habe den Abschluß dieses Vertrags lediglich vermittelt; hierfür sei sie aufgrund des Agenturvertrags berechtigt gewesen. Mit der Vermittlung sei die Bekl., die die „Buchung“ der Kl. berücksichtigt habe, einverstanden gewesen. Das läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision auch nicht angegriffen.

II. Das BerGer. führt weiter aus, die Bekl. sei zur Einziehung des Klagebetrags nicht berechtigt gewesen, insbesondere könne sie nicht mit einem Schadensersatzanspruch gegen die Kl. aufrechnen. Zwar habe die Kl. gegenüber der Bekl. ihre Pflicht aus dem Agenturvertrag verletzt, bei jeder Vertragsvermittlung die AGB der Bekl. zum Gegenstand des Vertrags zu machen. In den Reisevertrag mit N seien diese Bedingungen nicht einbezogen worden. Die Bekl. könne deshalb den ihr durch den Rücktritt des N entstandenen Schaden nicht nach der - aufgrund des AGB-Gesetz wirksamen - Stornoregelung in ihren AGB geltend machen, sondern sei auf die gesetzlichen Ansprüche gem. § 651i II BGB beschränkt. Dadurch sei der Bekl. jedoch kein Schaden entstanden. Daß sich aufgrund der Beweislastverteilung gem. § 651i BGB, die gegenüber der in der Stornoregelung der AGB enthaltenen Beweislastverteilung für die Bekl. ungünstiger sei, ein unterschiedlicher Entschädigungsanspruch ergebe, könne nicht angenommen werden. Auch sei die Kl. nicht verpflichtet, der Bekl. anstelle des N eine Entschädigung im Rahmen der Stornoabrede oder der Regelung des § 651i BGB zu leisten. Eine solche Verpflichtung würde einen bezifferbaren Schaden durch den Verlust eines Rechts voraussetzen, daran fehle es jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt.

Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Der Bekl. steht gegen die Kl. - wie das BerGer. im Ergebnis zutreffend annimmt - kein Schadensersatzanspruch zu.

1. Die Kl. war nach dem mit der Bekl. abgeschlossenen Agenturvertrag verpflichtet, bei Vermittlung von Leistungsangeboten der Bekl. deren „Allgemeine Reisebedingungen" zugrunde zu legen. Dieser Verpflichtung kam sie nicht nach, als sie den Antrag des N auf Abschluß des gewünschten Reisevertrags entgegennahm. Die von der Bekl. in ihren Reisebedingungen unter Abschnitt VI für den Rücktritt des Reisenden getroffene Regelung wurde daher nicht Gegenstand des zwischen ihr und N zustande gekommenen Reisevertrags. Aufgrund der Vertragsverletzung der Kl. kann die Bekl. somit etwaige Ansprüche wegen des von N erklärten Rücktritts nicht auf ihre Reisebedingungen stützen. Vielmehr steht ihr gegen N lediglich ein Anspruch auf Entschädigung gem. § 651i II BGB zu.

2. Dadurch ist der Bekl. jedoch kein feststellbarer Schaden entstanden. Nach § 651i II 2, 3 BGB kann der Reiseveranstalter bei Rücktritt des Reisenden vom Vertrag eine angemessene Entschädigung verlangen, deren Höhe sich nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen bestimmt, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann. Der Anspruch der Bekl. gegen N richtet sich daher auf Zahlung einer konkret zu berechnenden Entschädigung. Eine gem. § 651i III BGB nach einem bestimmten Vomhundertsatz des Reisepreises festgesetzte Entschädigung kann sie nicht geltend machen, weil ihre Reisebedingungen in dem mit N abgeschlossenen Reisevertrag nicht einbezogen wurden.

Der der Bekl. durch die Pflichtverletzung der Kl. entstandene Schaden könnte daher allenfalls in dem Unterschiedsbetrag zwischen der von ihr verlangten „Stornogebühr“ und der ihr gegenüber N ohnehin zustehenden konkret zu berechnenden Entschädigung bestehen. Daß sie diesen Unterschiedsbetrag bei Einbeziehung ihrer Reisebedingungen in den Reisevertrag mit N hätte fordern können und er ihr deshalb jetzt entgeht, hat die Bekl. nicht dargetan, wie das BerGer. mit Recht annimmt.

a) Es ist schon zweifelhaft, ob die Stornoklausel überhaupt wirksam ist, weil der festgelegte Vomhundertsatz des Reisepreises zu hoch ist und die Bestimmung deshalb gegen § 11 Nr. 5a AGB-Gesetz i. V. m. § 651i III BGB verstößt. Dazu hat die Bekl. substantiiert nichts vorgetragen, obgleich die Kl. die Unangemessenheit der Pauschale behauptet hat und N das selbstverständlich auch im Prozeß der Bekl. gegen ihn eingewendet hätte. Die Stornopauschale ist aber nur wirksam, wenn der Vomhundertsatz des Reisepreises für die in Frage stehende Reiseart unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs festgesetzt ist. Dafür traf die Bekl. als Reiseveranstalterin die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Wolter, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 651i Rdnrn. 13, 16; Baumgärtel-Strieder, Hdb. d. Beweislast, Bd. 1, § 651i Rdnr. 3). Sie hätte sich dazu um so mehr äußern müssen, als schon der Vomhundertsatz von 80 % des Reisepreises, den sie bereits bei Rücktritt ab 30 Tage vor Reisebeginn verlangt, sehr hoch erscheint (vgl. Staudinger-Schwerdtner, BGB, 12. Aufl., § 651i Rdnr. 51 f.; Wolter, in: MünchKomm, Rdnrn. 10-13; Ulmer-Brandner-Hensen, AGB-Gesetz, 5. Aufl., Anh. §§ 9-11 Rdnr. 588; Wolf-Horn-Lindacher, AGB-Gesetz, 2. Aufl., § 9 Rdnr. 73).

Die Regelung läßt aber auch innerhalb der 30-Tagesfrist jede weitere Differenzierung vermissen, obwohl die vom Deutschen Reisebüro-Verband e. V. empfohlenen Allgemeinen Reisebedingungen 1984 in Nr. 5 Abs. 3, III 1 für Einzelpauschalreisen mit Linienflugzeugen, wie sie hier gebucht waren, zumindest eine weitere Staffel bis zum 15. Tage vor Reisebeginn vorsieht (vgl. auch Staudinger-Schwerdtner, BGB, § 651 Rdnrn. 56-58; Erman-Seiler, BGB, 7. Aufl., § 651i Rdnr. 6). Eine solche Staffel wäre N zugute gekommen, der am 27. Tage vor Beginn der gebuchten Reise zurückgetreten ist. Es hätte deshalb besonderer Anstrengungen der Bekl. bedurft, zu rechtfertigen, warum sie schon bei einem so frühen Rücktritt einen so hohen Vomhundertsatz des Reisepreises beanspruchen kann. Dazu fehlt es an jedem Vortrag.

b) Die Bekl. könnte sich aber sowieso nicht auf die Stornopauschale von 80 % des Reisepreises berufen. Denn sie berechnet den ihr konkret in diesem Fall entstandenen Schaden selbst mit nur 17710,80 DM, also rund 57 % des Reisepreises. Bleibt aber der tatsächlich durch einen Rücktritt entstandene Schaden so weit unter der Pauschale (hier mehr als 1/4), dann ist es unredlich, wenn der Reiseveranstalter gleichwohl den überhöhten Vomhundertsatz verlangt (ähnlich Hensen, in: Ulmer-Brandner-Hensen, AGB-Gesetz, § 11 Nr. 5 Rdnr. 22). Damit würde die Bekl. in einer gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßenden Weise von der Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs Gebrauch machen, deren Zweck, lediglich den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden festzulegen, verfehlt würde.

Das gilt hier um so mehr, als sich die Bekl. in ihren Reisebedingungen ausdrücklich selbst vorbehalten hat, den ihr durch einen Rücktritt entstehenden Schaden „konkret zu berechnen“. Das ist für sie natürlich nur von Vorteil, wenn der konkrete Schaden höher als die Pauschale ist (vgl. BGH, NJW 1982, 2316 (2317) = LM § 11 Ziff. 5 AGBG Nr. 2). Soll sie einen solchen Schaden ohne Rücksicht auf die Pauschalierung geltend machen können, dann darf sie redlicherweise auch nur den konkreten Schaden berechnen, wenn er so weit unter der Pauschale bleibt, wie das hier der Fall ist, was im einzelnen ohnehin nur sie selbst wissen kann.

c) Auf die Stornopauschale könnte sie schließlich auch deshalb nicht zurückgreifen, weil sie in ihren Reisebedingungen - der Rechtsprechung des BGH Rechnung tragend (vgl. BGH, NJW 1985, 633 (634) = LM § 11 Ziff. 5 AGBG Nr. 5; NJW 1986, 376 (377) = LM § 8 AGBG Nr. 7, jeweils m. w. Nachw.) - dem Reisenden selbst vorbehält, den ihr entstandenen Schaden „konkret zu berechnen“, also den Gegenbeweis zu führen, daß der konkrete Schaden geringer ist als die Pauschale (vgl. dazu auch Brandner, in: Ulmer-Brandner-Hensen, AGB-Gesetz, Anh. §§ 9-11 Rdnr. 588; Wolter, in: MünchKomm, § 651i Rdnr. 16; Baumgärtel-Strieder, Hdb. d. Beweislast Bd. I, § 651i Rdnr. 3; Wolf, in: Wolf-Horn-Lindacher, AGB-Gesetz, § 9 Rdnr. 75; anders Erman-Seiler, BGB, § 651i Rdnr. 8). N hätte sich darauf ebenso berufen, wie es die Kl. im vorliegenden Verfahren getan hat. Es ist jedoch davon auszugehen, daß ihm dieser Beweis jedenfalls bis zu dem von der Bekl. selbst als konkreten Schaden angeführten Betrag gelungen wäre. Denn N hätte sich auf dieselben - gerade von der Bekl. stammenden - Angaben einschließlich der Beweismittel stützen können.

Die Bekl. hält den von ihr konkret berechneten Schaden auch für beweisbar; dann kann aber für den von N zu führenden Gegenbeweis nichts anderes gelten. Daß weder sie noch N den - an sich entstandenen - Schaden nicht beweisen können, hat die Bekl. nie geltend gemacht. Dafür gibt es auch keinen Anhaltspunkt. Denn nach der Art des Schadens, der hier im wesentlichen in angeblichen Aufwendungen der Bekl. für Hotelreservierungen besteht, ist der Schaden durch geleistete Zahlungen der Bekl. nachzuweisen oder er ist in Wahrheit gar nicht entstanden, weil solche Zahlungen eben nicht geleistet worden sind und deshalb auch nicht belegt werden können.

3. Der Bekl. stünde also kein höherer Entschädigungsanspruch gegen N zu, wenn die Kl. ihre vertragliche Verpflichtung aus dem Agenturvertrag erfüllt und für die Einbeziehung der Reisebedingungen in den Reisevertrag gesorgt hätte. Durch die Vertragsverletzung der Kl. ist der Bekl. somit kein Schaden entstanden. Ein Schadensersatzanspruch der Bekl. gegen die Kl. aufgrund positiver Vertragsverletzung scheidet daher aus. Die Bekl. buchte die Stornogebühr ohne Rechtsgrund von dem Konto der Kl. ab; die Kl. kann deshalb die Rückzahlung dieses Betrags verlangen.

Davon geht zutreffend auch das BerGer. aus. Insbesondere verneint es einen Anspruch der Bekl. gegen die Kl. nicht etwa - wie die Revision irrig meint - wegen eines ihr gem. § 651i II BGB zustehenden Anspruchs gegen N. Vielmehr nimmt es mit Recht an, daß die Bekl. ihren Schaden nicht nach der in den Reisebedingungen vorgesehenen Stornoregelung geltend machen kann, sondern insoweit auf die gesetzlichen Vorschriften beschränkt ist. Die Grundsätze des § 255 BGB sind daher im vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

BGB §§ 651a, 651i