Stornopauschale bei Reiserücktritt
Gericht
LG Frankfurt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
15. 02. 1988
Aktenzeichen
2/24 S 12/87
Ist eine Stornoklausel in den Allgemeinen Reise- und Zahlungsbedingungen des Reiseveranstalters im Sinne von § 651i III BGB wegen Verstoßes gegen § 11 Nr. 5b AGB-Gesetz unwirksam, so kann zur Schätzung der dem Reiseveranstalter infolge des Rücktritts durch den Reiseteilnehmer vor Reisebeginn zustehenden angemessenen Entschädigung auf die allgemein in der Reisebranche üblichen Stornopauschalen zurückgegriffen werden (§ 287 ZPO).
Der Kl. macht gegen die Bekl. Rückzahlung des restlichen Reisepreises geltend, den die Bekl. als Stornogebühr für die vom Kl. nicht angetretene Reise einbehalten hat. Die Reise- und Zahlungsbedingungen der Bekl. sehen für den Fall eines Rücktritts von der Reise einen Anspruch der Bekl. auf Ersatz ihrer Aufwendungen vor. Zu der Höhe dieses Anspruchs heißt es unter 5. 3. „Die Höhe richtet sich nach dem Reisepreis. In der Regel belaufen sich die Rücktrittspauschalen, die wir im Falle Ihres Rücktritts von der Reise je angemeldeten Teilnehmer leider fordern müssen, wie folgt: ... Ab 6 Tage vor Reisebeginn 50% des Reisepreises, jeweils auf volle DM aufgerundet“. Die Bekl. hat 50% des im voraus entrichteten Reisepreises zurückgezahlt. Die Klage auf weitere Rückzahlungen hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.
...
Die Frage, ob die Stornoklausel wirksam ist, unterliegt der Prüfung auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen über den Verbraucherschutz (AGB-Gesetz). Die Meinungen, ob das AGB-Gesetz überhaupt im Reisevertragsrecht anzuwenden ist, sind geteilt (dafür: Tonner, Der Reisevertrag, 2. Aufl. (1986), § 651i Rdnr. 20; LG Braunschweig, NJW-RR 1986, 144; dagegen: Staudinger-Schwerdtner, BGB, 12. Aufl. 1983, § 651i Rdnr. 5; Eichinger, Der Rücktritt des Reisenden vom Reisevertrag vor Reisebeginn, 1984, S. 105 und 115 bezüglich § 11 Nr. 5 AGB-Gesetz). Die Kammer hat im Rahmen der Frage, ob Haftungsbeschränkungen des Reiseveranstalters durch AGB auf den dreifachen Reisepreis zulässig sind, die Korrektur des Reisevertragsrechts durch § 9 AGB-Gesetz verneint (Kammer, NJW-RR 1986, 214 (216)). Zur Prüfung der Angemessenheit von Storno-Klauseln i. S. von § 651i III BGB erscheint jedoch mit der herrschenden Meinung eine Wirksamkeitsprüfung nach § 11 Nr. 5 AGB-Gesetz zulässig.
Die vorliegende Stornoklausel hält der Prüfung nach § 11 Nr. 5b AGB-Gesetz nicht stand. Nach dieser Vorschrift sind Schadenspauschalen in AGB unwirksam, wenn dem anderen Vertragsteil der Nachweis abgeschnitten wird, ein Schaden oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale. Dem genügt die Formulierung in Nr. 5. 3. der Reise- und Zahlungsbedingungen, wonach sich die Rücktrittspauschale „in der Regel“ auf bestimmte Prozentsätze belaufe, nicht. Aus der maßgeblichen Sicht des Reiseteilnehmers ist diese Formulierung so zu verstehen, daß die Kalkulation der Pauschale im allgemeinen die unter Nummer 5. 3. der Reise- und Zahlungsbedingungen bezeichneten Kosten abdeckt. Dadurch entsteht nach Auffassung der Kammer der Eindruck beim Reiseteilnehmer, die Führung eines Gegenbeweises im Einzelfall sei nicht möglich; vielmehr müsse unter Umständen noch mit höheren Kosten gerechnet werden. Das reicht zur Annahme der Unwirksamkeit aus (LG Braunschweig, NJW-RR 1986, 145 im Anschluß an BGH, NJW 1985, 633). Da eine geltungserhaltende Reduktion der unwirksamen Klausel i. S. von § 651i III BGB nicht in Betracht kommt, ist nunmehr auf die gesetzliche Regelung des § 651i II 2 BGB zurückzugreifen, und dem Kl. war nunmehr die Beweisführung möglich, daß der Bekl. infolge seines Rücktritts überhaupt kein Schaden entstanden sei.
Auch wenn die Stornoklausel unwirksam ist, bedurfte es keiner konkreten Schadensberechnung (a. A. LG Braunschweig, NJW-RR 1986, 145). Ist eine Stornoklausel in den Allgemeinen Reise- und Zahlungsbedingungen des Reiseveranstalters im Sinne von § 651i III BGB wegen Verstoßes gegen § 11 Nr. 5b AGB-Gesetz unwirksam, so kann zur Schätzung der dem Reiseveransalter infolge des Rücktritts durch den Reiseteilnehmer vor Reisebeginn zustehenden angemessenen Entschädigung auf die allgemein in der Reisebranche üblichen Stornoklauseln zurückgegriffen werden (§ 287 ZPIO), ohne daß es hierfür der konkreten Schadensberechnung oder gar der Offenlegung der Buchhaltungsunterlagen des Reiseveranstalters bedarf, denn die üblichen Stornoklauseln berücksichtigen nach Auffassung der Kammer das beiderseitige Risiko der Vertragsparteien im Fall des Rücktritts vor Reisebeginn in angemessener Weise. Es ist allgemein üblich, daß Stornoklauseln - wie im vorliegenden Fall - ein umso größeres Ansteigen der Schadenspauschale vorsehen, je näher der Rücktritt zeitlich vor dem geplanten Reisebeginn liegt. Tritt der Reiseteilnehmer - wie hier der Kl. - einen Tag vor Reisebeginn zurück, erscheint es angemessen, die Entschädigung des Reiseveranstalters gemäß den üblichen Stornopauschalen mit 50% des Reisepreises anzunehmen.
Der dem Kl. infolge der Unwirksamkeit der Stornoklausel mögliche Gegenbeweis, daß der Bekl. infolge des Rücktritts überhaupt kein Schaden entstanden sei, weil die gebuchten Zimmer sofort anderweitig belegt worden seien, ist nicht geführt.
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