Zugverspätung begründet keinen Anspruch auf Entschädigung

Gericht

AG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

30. 03. 2000


Aktenzeichen

29 C 169/00 - 81


Leitsatz des Gerichts

  1. Verspätung oder Ausfall eines Zuges begründet keinen Anspruch auf Ersatz der daraus entstehenden Mehrkosten eines Reisenden.

  2. Die Beförderungsbedingungen der Eisenbahnverkehrsordnung sind keine Geschäftsbedingungen i.S. des AGBG. Als Rechtsvorschriften unterliegen sie auch nicht der Richtlinie 93/13/EWG.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. hatte zusammen mit ihrem Ehemann eine Reise in die Dominikanische Republik gebucht. Die Landung sollte auf dem Flughafen Puerto Plata erfolgen. Abflugzeit in F. war 11.45 Uhr. Die Kl. und ihr Ehemann wollten mit der Bundesbahn von ihrem Wohnort zum Flughafen F. fahren. Geplante Ankunftszeit des Zuges auf dem Flughafen war 10.02 Uhr. Auf der Strecke stoppte der Zug plötzlich. Die Reisenden wurden darüber informiert, dass es zu Verzögerungen kommen würde. Ihnen wurde vom Zugpersonal vorgeschlagen, zunächst abzuwarten und später mit der S-Bahn ab M. zum Flugplatz zu fahren. Der Zug fuhr verzögert mit Halt in M. weiter. Von dort benutzten die Kl. und ihr Ehemann die S-Bahn zum Flughafen, wo sie erst kurz vor 12.00 Uhr, also nach Abflug des Flugzeuges ankamen. Erst am nächsten Tag war ein anderer Flug in die Dominikanische Republik verfügbar, den die Kl. und der mitreisende Ehemann auch wahrnahmen. Hierdurch sind ihnen Kosten in Höhe von 1998 DM entstanden. Zielflughafen dieses Fluges war nicht Puerto Plata sondern Punta Cana. Der Ehemann der Kl. hat seine Ansprüche an die Kl. abgetreten. …

Die Kl. beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an sie 2476 DM nebst 4% Zinsen seit dem 8. 2. 2000 zu zahlen.

Das AG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Kl. steht kein Anspruch auf Zahlung von 2476 DM aus §§ 636 I 2, 286 I BGB gegen die Bekl.zu. Unabhängig von der Frage, ob Verzug mangels Verschulden bei der Bekl. überhaupt eingetreten ist, steht dem Schadensersatzanspruch jedenfalls § 17 EVO entgegen.

Der Beförderungsvertrag zwischen den Parteien stellt einen Werkvertrag im Sinne der §§ 631ff. BGB dar. Gemäß § 17 S. 1 Eisenbahnverkehrsordnung (EVO) begründen Verspätung oder Ausfall eines Zuges keinen Anspruch auf Entschädigung. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Diese Haftungsausschlussnorm ist auch anwendbar. Zunächst ist sie nicht wegen Verstoßes gegen § 11 Nr. 8b AGBG unwirksam, da das ABGB nicht anwendbar ist. Bei den Beförderungsbedingungen der EVO handelt es sich nicht um Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 AGBG, sondern vielmehr um zwingende Rechtsnormen. Eine vertragliche Einbeziehung, wie sie das AGBG voraussetzt, ist zu ihrer Geltung nicht erforderlich.

Auch steht die Richtlinie 93/13/EWG der Anwendbarkeit des § 17 EVO nicht entgegen. Diese verbietet missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dieser Regelung überhaupt um eine missbräuchliche Klausel im Sinne der Richtlinie handelt, da die EVO als zwingende Rechtsvorschriften nicht dem Regelungsbereich der Richtlinie unterfällt. Gemäß Art. 1 II der Richtlinie unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht den Anforderungen der Richtlinie. Der Begriff der Rechtsvorschrift umfasst dabei auch Gesetze im materiellen Sinne, so dass auch die EVO als zwingende Rechtsvorschrift nicht der Richtlinie zu unterwerfen ist (Staudinger, NJW 1999, 3664, 3665).

Weiterhin ist auch eine europarechtskonforme Auslegung des § 17 EVO weder geboten noch möglich. Voraussetzung hierfür wäre zunächst die Pflicht der nationalen Gewalten, diese Bestimmung wegen Verstoßes gegen die Richtlinie aufzuheben. Ein Mitgliedsstaat ist damit selber befugt, die Missbräuchlichkeit von Klauseln festzustellen und, wie sich aus dem Erwägungsgrund 14 ergibt, die vorgegebene Liste auch restriktiver zu formulieren (vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl., Art. 3 93/13/EWG Rdnr. 31f.; Remien ZeuP 1994, 69).

Dieser Beurteilungsspielraum wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Nr. 8b AGBG ein allgemeines Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit geschaffen hat und Luftfahrunternehmen ihre AGB´s an dieser Bestimmung ausrichten müssen. Dies ist eine Frage auf nationaler Ebene, die für die Frage nach der Auslegung einer europäischen Richtlinie und der Frage, ob diese einen zwingenden Regelungsauftrag enthält, nichts hergibt.

Dem nationalen Gesetzgeber steht danach ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Charakterisierung von Klauseln als missbräuchlich zu. Der Erwägungsgrund 14 kann daher keinen zwingenden Regelungsauftrag enthalten, sondern muss vielmehr so verstanden werden, dass der nationale Gesetzgeber verpflichtet ist, alle seiner Ansicht nach missbräuchlichen Klauseln auch aus zwingenden Rechtsnormen zu entfernen. Eine dem widersprechende Auslegung durch die Judikative würde diesem Beurteilungsspielraum entgegenstehen und würde sich quasi nicht als europarechtskonform, sondern vielmehr als dem Europarecht widersprechend darstellen.

Darüber hinaus ist eine richtlinienkonforme Auslegung auch ausgeschlossen, da die Richtlinie, wie sich aus Art. 1 II der Richtlinie ergibt, den Individualrechtsschutz gerade nicht gewährleistet. Die richtlinienkonforme Auslegung stellt eine Form des Individualrechtsschutzes dar, welcher in dem Verhältnis der Parteien zueinander durch Art. 1 II der Richtlinie ausgeschlossen ist. Eine solche Auslegung, die insbesondere auch wegen des eindeutigen Wortlautes des § 17 EVO problematisch ist, würde damit der Intention der Richtlinie selbst widersprechen.

Sämtliche weitere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen, die an die Verspätung des Zuges anknüpfen, werden auch durch § 17 EVG ausgeschlossen. Auch steht der Kl. kein Schadensersatzanspruch wegen vertaner Urlaubszeit aus § 651f II BGB zu, da es sich bei dem Beförderungsvertrag nicht um einen Reisevertrag im Sinne der §§ 651aff handelt.

Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch aus pVV des Beförderungsvertrages. Den Pflichten aus § 17 S. 2 EVO wurde genügt, da die Weiterbeförderung gewährleistet wurde. Auch kann die Beratung im Zug nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Über die Art des Vorfalles muss der Reisende nicht informiert werden. Auch war die Dauer der Verzögerung für das Zugpersonal nicht genau vorhersehbar.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

BGB §§ 286 I, 636 I 2; EVO § 17; Richtlinie 93/13/EWG