Berechnung der Umsteigzeiten bei Flugpauschalreisen

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

10. 11. 1988


Aktenzeichen

58 S 210/88


Leitsatz des Gerichts

Bei der Zusammenstellung von Flugverbindungen innerhalb einer Pauschalreise hat der Reiseveranstalter die Flüge von Ankunfts- und Abflugsmaschine so zu wählen, daß der Reisende die Anschlußmaschine ohne zeitliche Schwierigkeiten erreichen kann. Maßgebend sind jedenfalls für den Charterflugverkehr nicht allein die vom Internationalen Luftverkehrsverband aufgestellten „miminum connecting times“, sondern unter anderem die besonderen örtlichen Verhältnisse auf dem jeweiligen Flughafen. Dabei muß der Reiseveranstalter auch die im Flugverkehr nicht unüblichen Verspätungen mit einem Sicherheitszuschlag bis zu 45 Minuten einkalkulieren.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl., der bei der Bekl. Reiseveranstalterin einen Flugpauschalurlaub auf Samos gebucht hatte, mußte, da er bei der Heimreise wegen einer Verspätung auf dem Flug Samos - Athen den vorgesehenen Anschluß in Athen nicht mehr erreichte, einen Linienflug nach Berlin-Schönefeld nehmen und macht die Mehraufwendungen als Schadensersatzanspruch geltend. Die Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

... Dem Kl. steht aus § 651f I BGB gegen die Bekl. ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zu, da die bei der Bekl. gebuchte Reise mit einem Mangel behaftet war, welchen die Bekl. als Reiseveranstalterin zu vertreten hatte. Bei der Zusammenstellung von Flugverbindungen innerhalb einer Pauschalreise traf die Bekl. die Verpflichtung zu einer terminlich angemessenen Anschlußplanung (vgl. Soergel-Mühl, BGB, 11. Aufl., § 651a Rdnr. 4). Sie mußte die Flüge von Ankunfts- und Abflugmaschine so wählen, daß der Reisende die Anschlußmaschine ohne zeitliche Schwierigkeiten erreichen konnte. Diese Verpflichtung hat die Bekl. im vorliegenden Fall verletzt. Die zwischen den beiden von ihr ermittelten Flügen liegende „Drehzeit“ von 135 Minuten (planmäßige Ankunft von Samos in Athen um 11.10 Uhr, planmäßiger Abflug von Athen nach Schönefeld um 13.25 Uhr) war in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nicht ausreichend.

Zwar schreiben die von dem Internationalen Luftverkehrsverband aufgestellten „minimum connecting times“ lediglich 90 Minuten für den internationalen Weiterflug von Athen aus vor. Diese Zeitspanne wird für den Linienflugverkehr in der Regel auch ausreichen. Bereits aus dem Begriff „minimum“ ergibt sich aber, daß es sich hierbei nur um die kleinste, noch vertretbare Drehzeitspanne handelt. Für den wesentlich zeitaufwendigeren Charterflugverkehr könne die „minimum connecting times“ nicht ohne weiteres übernommen werden. Neben der Art des Fluges sind ferner maßgebend die besondern örtlichen Verhältnisse auf dem Athener Flughafen sowie die von Jahreszeit und Wochentag abhängige unterschiedliche Auslastung des Flughafens. Diese Umstände hatte die Bekl. als Griechenlandexpertin bei der Planung des Anschlußfluges zu berücksichtigen.

Bei der Berechnung der angemessenen Drehzeit zwischen zwei Flügen ist zunächst die am Abflugschalter der Fluggesellschaft des Anschlußfluges zu erwartende sogenannte Eincheckzeit einzuplanen. Während der Kl. eine Eincheckzeit von 90 Minuten behauptet, geht die Bekl. von einer Eincheckzeit von 45 Minuten bei der Fluggesellschaft Interflug aus. Die tatsächliche Dauer der Eincheckzeit braucht in diesem Rechtsstreit nicht geklärt zu werden, da auch bei Ansatz von nur 45 Minuten sich die Anschlußplanung der Bekl. als terminlich nicht ausreichend erweist.

In örtlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, daß der nationale und internationale Flughafen von Athen aus zwei getrennt voneinanderliegenden Gebäuden besteht, in denen die Fluggäste jeweils vollständig separat ein- und ausgecheckt werden. Neben dem Zeitraum zwischen Landung und Eintritt der Passagiere in das Flughafengebäude muß der Reisende zunächst auf sein Gepäck warten, dieses dann aufladen, anschließend auf den Bus warten und mit ihm zum internationalen Flughafengebäude fahren, wo er dann noch den Abflugschalter der Fluggesellschaft Interflug aufsuchen muß. Dies alles nimmt erfahrungsgemäß einige Zeit in Anspruch, wobei dem Reisenden - insbesondere während seines Urlaubs - auch nicht zugemutet werden kann, sich hier einer besonderen Hast zu unterwerfen. Im Wege der Schätzung (entsprechende § 287 ZPO) ist insgesamt von einer Zeit von etwa 1 Stunde zwischen der Landung auf dem inländischen Athener Flughafen und dem Erreichen des Abflugschalters auf dem internationalen Flughafen auszugehen.

Darüber hinaus muß der Reiseveranstalter bei der Zusammenstellung von Flugverbindungen zumindest geringfügige Verspätungen einkalkulieren. Verspätungen aus wettertechnischen Gründen wie im vorliegenden Fall sind im Flugverkehr durchaus nicht unüblich. Insbesondere die Abfertigung von voll ausgelasteten Charterflügen ist erfahrungsgemäß zeitaufwendig. Im Vergleich zum Linienflugverkehr dauern die Kontrollen sowie das Einladen des Gepäcks in das Flugzeug erheblich länger. Auch die Sicherheitskontrolle der Reisenden sowie die Abwicklung sämtlicher Paßformalitäten erfordern größeren Zeitaufwand, als es bei den in aller Regel nicht vollausgelasteten Linienmaschinen, die zudem meist von Geschäftsreisenden ohne umfangreiches Gepäck benutzt werden, der Fall ist. Ebenso wie der Reisende für den zeitlichen Ablauf seiner Reise gewisse Toleranzen hinnehmen muß (LG Frankfurt, FVE 9, 173 (176)), muß auch der Reiseveranstalter bei der Auswahl einer zeitlich geeigneten Anschlußverbindung gewisse Verspätungen im Flugverkehr einkalkulieren. Mit einem Sicherheitszuschlag von 45 Minuten werden diejenigen Verspätungen, die jedenfalls nicht unüblich sind, weitgehend aufgefangen werden. Auf die Frage, ob es bei Reiseveranstaltern allgemein bekannt ist, daß die Flüge speziell der Fluggesellschaft OA insbesondere von den griechischen Inseln nach Athen, häufig Verspätungen aufweisen und ob und inwieweit die Bekl. auch erhebliche Verspätungen von bis zu 1 1/2 Stunden einplanen muß, kommt es daher nicht an. Schon unter Berücksichtigung der vorgenannten, nur minimale Sicherheitsaufschläge einkalkulierenden Zeiträume beträgt die von dem Reiseveranstalter bei der Vermittlung von mehreren Flugverbindungen für den Athener Flughafen einzuplanende Drehzeit 150 Minuten, so daß die Umsteigefrist zwischen den hier vermittelten Flügen von lediglich 135 Minuten zu knapp bemessen war.

An der Kausalität der Pflichtverletzung der Bekl. für den hier durch die Verspätung der Maschine der OA von 1 1/2 Stunden eingtretenen Schaden bestehen entgegen der Auffassung der Bekl. keine Bedenken, da unstreitig ca. 1 1/2 Stunden später eine weitere Interflugmaschine nach Berlin-Schönefeld startete. Diese Maschine hätte die Bekl. für den Kl. angesichts der örtlichen und zeitlichen Verhältnisse von vornherein buchen müssen. Dann hätte der Kl. trotz der 1 1/2 stündigen Verspätung der Maschine der OA die Anschlußmaschine aller Voraussicht nach erreicht, so daß er mit dem ihm durch die Buchung von Linienflügen entstandenen Mehraufwendungen nicht belastet worden wäre.

Rechtsgebiete

Reiserecht