Elternunabhängige Ausbildungsförderung

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

08. 06. 1994


Aktenzeichen

11 C 7/94 (Münster)


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Berücksichtigung einer Zeit der Arbeitslosigkeit als Zeit einer zur Gewährung elternunabhängiger Ausbildungsförderung führenden Erwerbstätigkeit setzt im Grundsatz voraus, daß der Betroffene während der Arbeitslosigkeit keiner förderungsfähigen Ausbildung nachgegangen ist.

  2. Ist ihm jedoch gem. § 103a II AFG der Nachweis gelungen, daß sein Ausbildungsgang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zuläßt, so hindert die Ausbildung die Einbeziehung des Zeitraums der Arbeitslosigkeit nicht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der 1967 geborene Kl. verließ im Juni 1985 das Gymnasium mit der Fachoberschulreife. In der Zeit vom 1. 9. 1985 bis 27. 6. 1988 absolvierte er erfolgreich eine Berufsausbildung zum Maschinenschlosser. In diesem Beruf war er anschließend vom 28. 6. 1988 bis zum 26. 10. 1990 in seinem Ausbildungsbetrieb als Montagearbeiter mit einem durchschnittlichen Bruttolohn von über 3000 DM monatlich tätig. Vom 27. 10. bis zum 31. 12. 1990 war der Kl. arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 3018,40 DM. Für eine Fortbildungsmaßnahme vom 2. 1. bis zum 26. 3. 1991 erhielt er Unterhaltsgeld in Höhe von insgesamt 4017,60 DM. Vom 27. 3. bis zum 12. 10. 1991 war der Kl. erneut arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 9329,40 DM. Bereits seit August 1988 besuchte der Kl. ein Abendgymnasium und erwarb dort Anfang Juli 1991 die allgemeine Hochschulreife. Mit Beginn des Wintersemesters 1991/92 nahm er ein Hochschulstudium der Sicherheitstechnik auf. Auf seinen Antrag vom August 1991 bewilligte der Bekl. dem Kl. Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum 1. 10. 1991 bis 30. 9. 1992 in Höhe von 211 DM monatlich, wobei er auf den Bedarf des Kl. in Höhe von 605 DM monatlich elterliches Einkommen von 393,82 DM monatlich anrechnete. Der Widerspruch, mit dem der Kl. geltend machte, ihm stehe elternunabhängige Förderung zu, blieb erfolglos. Die Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen der Kl. mit dem Besuch des Abendgymnasiums in den letzten drei Halbjahren eine förderungsfähige Ausbildung betrieben habe, könnten nicht als Zeiten einer Erwerbstätigkeit berücksichtigt werden. Das VG hat den Bekl. unter teilweiser Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zur Bewilligung von Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe ohne Anrechnung des Einkommens und/oder Vermögens seiner Eltern verpflichtet. Die dagegen gerichtete Berufung des Bekl. ist ohne Erfolg geblieben.

Die Revision des Bekl. wurde zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II....3. Daß der Kl. zwischen August 1988 und Anfang Juli 1991 ein Abendgymnasium besucht hat, steht der Einbeziehung dieser Zeiten in den nach § 11 III 1 Nr. 1 BAföG maßgeblichen Zeitraum nicht entgegen.

a) Soweit es um die Zeit geht, in der der Kl. in seinem erlernten Beruf tätig war, ergibt sich dies bereits aus der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG. Danach ist eine Erwerbstätigkeit bei der Anwendung des § 11 III 1 Nr. 4 BAföG auch dann zu berücksichtigen, wenn der Auszubildende gleichzeitig ein Abendgymnasium besucht, weil die Annahme, der Auszubildende habe mittels der bereits vorher abgeschlossenen Berufsausbildung eine ausreichende Lebensgrundlage gefunden und deshalb gegen seine Eltern keinen Anspruch auf Finanzierung einer weiteren Ausbildung mehr, dadurch nicht berührt wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13. 12. 1984 - 5 B 87/83, und BVerwG, FamRZ 1994, 127). Daran wird festgehalten.

b) Beizupflichten ist der angefochtenen Entscheidung auch darin, daß die Kombination der erörterten Gesichtspunkte - also der Arbeitslosigkeit und des Abendschulbesuchs - in der Person des Kl. für die Zeit nach dem 26. 10. 1990 keine andere Betrachtungsweise ermöglicht. Auch dadurch wird das mit der Berufsausbildung und Berufstätigkeit des Kl. verknüpfte Anzeichen, er habe keine Unterhaltsansprüche auf Finanzierung einer Ausbildung gegen seine Eltern mehr, nicht in Frage gestellt. Mußten die Eltern des Kl. auf der Grundlage einer objektivierten Betrachtungsweise wegen der Ausbildung und anschließenden Berufstätigkeit ihres Kindes auch bei Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht mit künftiger Unterhaltsverpflichtung für eine weitere Ausbildung rechnen, so änderte sich daran auch dadurch nichts, daß der Kl. die Abendschule besuchte. Dies gilt um so mehr, als der Kl. den Besuch der Abendschule bei Eintritt seiner Arbeitslosigkeit nicht aufgenommen, sondern lediglich fortgesetzt hat.

Soweit in der Rechtsprechung des BVerwG (Buchholz 436.36 § 11 BAföG Nr. 19 = NVwZ 1992, 1204; BVerwG, NVwZ 1995, 68 (in diesem Heft)) - worauf der Bekl. zu Recht hinweist - ausgeführt worden ist, die Einbeziehung von Zeiten der Arbeitslosigkeit in den Erwerbstätigkeitszeitraum nach § 11 III 1 Nr. 4 BAföG setze voraus, daß der Auszubildende keiner förderungsfähigen Ausbildung nachgehe, bedarf diese Voraussetzung, an der im Grundsatz festzuhalten ist, einer differenzierenden Einschränkung.

Gem. § 2 V 1 BAföG setzt die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung unter anderem voraus, daß die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im allgemeinen voll in Anspruch nimmt. In Übereinstimmung damit enthält § 103a I AFG die gesetzliche Vermutung, daß der Arbeitslose, ist er Schüler oder Student einer Schule, Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte, nur Beschäftigungen ausüben kann, die nach § 169b AFG beitragsfrei sind. Damit aber steht er gem. § 103 I Nr. 1 AFG der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung und erhält weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe (vgl. §§ 100 I, 134 I AFG). Bereits daraus ergibt sich, daß eine Zeit der Arbeitslosigkeit, die mit der Durchführung einer förderungsfähigen Ausbildung einhergeht, im Grundsatz nicht als Zeit der Erwerbstätigkeit nach § 11 III BAföG in Betracht kommt.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn der arbeitslose Schüler oder Student nach § 103a II AFG die Vermutung des § 103a I AFG dadurch widerlegt, daß er darlegt und nachweist, sein Ausbildungsgang lasse eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zu. Steht er unter dieser Voraussetzung trotz Ausbildung der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, so hindert die Ausbildung - auch wenn die Anforderungen des § 2 V 1 BAföG gleichwohl erfüllt sein sollten - nicht daran, Zeiten der Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen.

So liegt der Fall hier. Bei Eintritt seiner Arbeitslosigkeit war der Kl., der zu diesem Zeitpunkt die Ausbildung am Abendgymnasium über mehr als drei Semester betrieben hatte, gem. § 2 III der - nordrhein-westfälischen - Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung am Abendgymnasium (APO-AG) vom 23. 3. 1982 (NWGVBl, 180) nicht mehr zur Aufrechterhaltung einer Berufstätigkeit oder zur Registrierung beim Arbeitsamt als Arbeitssuchender verpflichtet. Er stand jedoch auch in dieser Zeit tatsächlich der Arbeitsvermittlung weiter zur Verfügung. Nach den unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsurteils nämlich hat der Kl. während der gesamten Dauer seiner Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld erhalten. Zu Recht haben deshalb die Vorinstanzen die Zeiten seiner Arbeitslosigkeit einbezogen.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

BAföG § 11 III 1 Nr. 4, S. 2