Elternunabhängige Ausbildungsförderung
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
16. 03. 1994
Aktenzeichen
11 C 19/93 (Münster)
Dem Begriff der Erwerbstätigkeit in § 11 III 1 Nrn. 3 und 4 BAföG sind Tätigkeiten innerhalb von Ausbildungsverhältnissen auch dann nicht zuzuordnen, wenn eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird (wie BVerwGE 60, 231).
Die nach § 11 III 1 Nr. 4 BAföG erhebliche Frage, wie lange die vorhergehende berufsqualifizierende Ausbildung bis zu ihrem Abschluß gedauert hat, beantwortet sich nicht danach, auf welche Dauer die jeweilige Ausbildung nach den dafür geltenden Bestimmungen in der Regel angelegt ist. Vielmehr kommt es darauf an, wieviel Zeit diese Ausbildung tatsächlich in Anspruch genommen hat.
Zeiten einer Arbeitslosigkeit können als Zeiten einer zur Gewährung elternunabhängiger Ausbildungsförderung führenden Erwerbstätigkeit in Betracht kommen, wenn der Betroffene nach Ausübung einer beruflichen Tätigkeit arbeitslos geworden ist und während der Zeit der Arbeitslosigkeit, ohne einer förderungsfähigen Ausbildung nachzugehen, finanzielle Leistungen erhielt, auf die er aufgrund der vorangegangenen Erwerbstätigkeit einen Rechtsanspruch hatte. Das gilt jedoch nur dann, wenn diese Leistungen eine solche Höhe erreichten, daß sie - ggf. zusammen mit ersparten Erträgen aus der vorangegangenen Erwerbstätigkeit - die laufenden Bedürfnisse des täglichen Lebens des Betroffenen deckten. Dabei ist auf die Maßstäbe zurückzugreifen, die das Sozialhilferecht für die Bemessung dieser Bedürfnisse enthält.
Bei der Berechnung der Dauer der Erwerbstätigkeit im Falle des § 11 III 1 Nr. 4 BAföG hat die Aufrundung einzelner Tage auf einen vollen Monat keine gesetzliche Grundlage.
Die Änderung des § 11 III BAföG durch das 12. BAföGÄnderungsgesetz vom 22. 5. 1990 (BGBl I, 936) ist nicht verfassungswidrig. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 I GG.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die 1966 geborene Kl. erwarb im Juni 1982 die Fachoberschulreife und ließ sich von September 1982 bis Januar 1985 zur Industriekauffrau ausbilden. Nach Abschluß dieser Ausbildung war sie von Februar 1985 bis Juni 1988 als kaufmännische Angestellte in ihrem Ausbildungsbetrieb tätig. Vom 21. bis 30. 7. 1988 erhielt sie Krankengeld von täglich 57,92 DM einschließlich 5,42 DM Beiträgen zur Rentenversicherung. Ab August 1988 besuchte sie eine einjährige hauswirtschaftliche Berufsfachschule und ließ sich anschließend zur Köchin ausbilden. Nach der Abschlußprüfung in diesem Ausbildungsberuf am 2. 7. 1991 bezog sie vom 3. bis 12. 7. 1991 Krankengeld in Höhe von insgesamt 205,40 DM sowie anschließend bis zum 2. 9. 1991 Arbeitslosengeld von werktäglich 17 DM. Im August 1991 beantragte die Kl. unter Vorlage von Einkommenserklärungen ihrer Eltern die Gewährung von Ausbildungsförderung für den Besuch einer Fachschulklasse für Ernährung und Hauswirtschaft ab 2. 9. 1991, um dort im Juli 1993 einen Abschluß als staatlich geprüfte Ökotrophologin zu erlangen. Der Besuch dieser Klasse setzte eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus. Der Bekl. gab diesem Antrag statt, wobei er das Einkommen der Eltern mit monatlich 431,96 DM auf den Bedarf der Kl. anrechnete. Hiergegen erhob die Kl., die inzwischen mit dem Besuch der Fachschulklasse begonnen hatte, Widerspruch und bat, den Bescheid auf elternunabhängige Förderung zu überprüfen. Das Landesamt für Ausbildungsförderung wies den Widerspruch zurück. Mit der daraufhin erhobenen Klage hat die Kl. ihr Begehren auf Ausbildungsförderung ohne Anrechnung des Einkommens ihrer Eltern weiterverfolgt. Das VGhat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Bekl. hat das OVG die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen.
Die Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Die Revision, mit der die Kl. die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt, ist zulässig, kann aber in der Sache keinen Erfolg haben. Das BerGer. hat die Klage deshalb für unbegründet gehalten, weil die nach dem festgestellten Sachverhalt dafür allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen des § 11 III BAföG hier in der Fassung des 12. BAföG-Änderungsgesetzes vom 22. 5. 1990 (BGBl I, 936) anzuwenden seien und es an den Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlagen fehle. Darin liegt kein Verstoß gegen revisibles Recht.
1. Nach § 11 II BAföG sind auf den in Abs. 1 definierten Bedarf, für den Ausbildungsförderung geleistet wird, nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Einkommen und Vermögen des Auszubildenden, seines Ehegatten und seiner Eltern anzurechnen. Abs. 2a S. 2 und Abs. 3 enthalten sodann Vorschriften, wonach unter dort im einzelnen bestimmten Voraussetzungen Einkommen und Vermögen der Eltern ausnahmsweise außer Betracht bleiben. Nach Abs. 3 S. 1 Nrn. 3 und 4 i.V. mit S. 2 ist dies der Fall, wenn der Auszubildende bei Beginn des zu fördernden Ausbildungsabschnitts (vgl. § 2 V 2 BAföG) entweder nach Vollendung des 18. Lebensjahres fünf Jahre erwerbstätig war (Nr. 3) oder nach Abschluß einer zumindest dreijährigen berufsqualifizierenden Ausbildung drei Jahre oder im Falle einer kürzeren Ausbildung entsprechend länger erwerbstätig war (Nr. 4) und in den Jahren seiner Erwerbstätigkeit in der Lage war, sich aus deren Ertrag selbst zu unterhalten.
Wie das BVerwG bereits mehrfach ausgeführt hat, ist unter dem in diesen Vorschriften verwendeten Begriff der Erwerbstätigkeit nicht jede Beschäftigung zu verstehen, durch die Einkommen erzielt wird. In der Absicht, die staatliche Ausbildungsförderung und die bürgerlichrechtlichen Ansprüche des Auszubildenden gegen seine Eltern auf Übernahme der Ausbildungskosten aufeinander abzustimmen, sollte mit dieser Regelung, die inhaltlich im wesentlichen auf das 2. BAföG-Änderungsgesetz vom 31. 7. 1974 (BGBl I, 1649) zurückgeht, der Überlegung Rechnung getragen werden, daß die Verpflichtung der Eltern, Ausbildungskosten zu tragen, mit zunehmendem Lebensalter und Ausbildungsstand des Kindes abnimmt. Eine elternunabhängige Förderung sollte für die Fälle vorgesehen werden, in denen regelmäßig davon ausgegangen werden kann, daß ein bürgerlichrechtlicher Anspruch des Auszubildenden gegen seine Eltern auf Übernahme der Ausbildungskosten nicht mehr besteht. Deshalb hat der Gesetzgeber in § 11 III 1 Nrn. 3 und 4 i.V. mit S. 2 BAföG typisierend Merkmale aufgestellt, deren Vorliegen geeignet ist, regelmäßig die Annahme zu rechtfertigen, das Kind habe eine ausreichende, auch seiner Neigung und Begabung entsprechende Lebensgrundlage gefunden. Nach diesem Sinn und Zweck des Gesetzes sind dem Begriff der Erwerbstätigkeit Tätigkeiten innerhalb von Ausbildungsverhältnissen auch dann nicht zuzuordnen, wenn eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird (vgl. BVerwGE 60, 231; BVerwG, FamRZ 1984, 314). Deshalb hat es das BerGer. zu Recht abgelehnt, die Zeit der Ausbildung der Kl. zur Köchin als Zeit der Erwerbstätigkeit anzuerkennen. Für die teilweise nach Vollendung des 18. Lebensjahres liegende Ausbildung der Kl. zur Industriekauffrau gilt nichts anderes. Das Erfordernis fünfjähriger Erwerbstätigkeit in § 11 III 1 Nr. 3 BAföG ist damit nicht erfüllt.
Ebenso fehlt es an den Voraussetzungen, die § 11 III 1 Nr. 4 i.V. mit S. 2 BAföG für die elternunabhängige Förderung aufstellt. Anhaltspunkte dafür, wie diese Regelung auszulegen ist, lassen sich in erster Linie der Systematik und Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie dem sich daraus ergebenden Sinn und Zweck der Vorschrift entnehmen. Durch das bereits erwähnte 2. BAföG-Änderungsgesetz war die elternunabhängige Förderung auf Auszubildende erstreckt worden, die nach Abschluß einer früheren berufsqualifizierenden Ausbildung entweder fünf Jahre erwerbstätig oder zwar nur drei Jahre erwerbstätig, aber bei Aufnahme der weiteren Ausbildung bereits 27 Jahre alt und in den Jahren ihrer Erwerbstätigkeit in der Lage waren, sich aus deren Ertrag selbst zu unterhalten. Durch das 6. BAföG-Änderungsgesetz vom 16. 7. 1979 (BGBl I, 1037) wurde der in § 7 I BAföG geregelte Grundumfang des Förderungsanspruchs, der sich in der ursprünglichen Fassung der Vorschrift auf eine erste förderungsfähige Ausbildung bis zu deren berufsqualifizierendem Abschluß beschränkte und sich damit je nach Art des gewählten Ausbildungsganges auf in der Regel zwischen zwei und sechs Jahren erstreckte, derart erweitert, daß er auch dann noch fortbesteht, wenn eine erste förderungsfähige Ausbildung in kürzerer Zeit als drei Jahre berufsqualifizierend abgeschlossen worden ist (vgl. Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Entw. eines 6. BAföG-ÄndG, BT-Dr 8/2868, S. 16f.). Gleichzeitig erweiterte der Gesetzgeber auch den Anspruch auf elternunabhängige Förderung, indem er die dafür maßgebliche, auf längere Erwerbstätigkeit gegründete Regelvermutung einer ausreichenden, der Neigung und Begabung des Betroffenen entsprechenden Lebensgrundlage in § 11 III BAföG nicht mehr nur an den Abschluß einer früheren berufsqualifizierenden Ausbildung knüpfte. Während dieser Anknüpfungspunkt in S. 1 Nr. 3 bei fünfjähriger Erwerbstätigkeit völlig aufgegeben und durch den Zeitpunkt der Volljährigkeit ersetzt wurde, verband ihn S. 1 Nr. 4 mit dem gewichtenden Zusatzkriterium, ob die Dauer der berufsqualifizierenden Ausbildung den nunmehr auch in § 7 I BAföG normierten Mindestumfang von drei Jahren erreichte. Die genannte Vermutung bei nur dreijähriger Erwerbstätigkeit nach Abschluß einer vorhergehenden berufsqualifizierenden Ausbildung sollte also nicht mehr - wie zuvor - von der Vollendung des 27. Lebensjahres, sondern statt dessen davon abhängig sein, daß die vorangegangene berufsqualifizierende Ausbildung ihrer Dauer nach dem Standard entsprach, den § 7 I BAföG jetzt auch für den Grundförderungsanspruch bei förderungsfähigen Ausbildungen vorgab. War dies nicht der Fall, sollte sich die Dauer der für die Begründung der Vermutung erforderlichen Erwerbstätigkeit entsprechend verlängern.
Daraus folgt, daß ebenso wie im Rahmen des § 7 I BAföG für die Frage, wie lange der Auszubildende bereits in berufsqualifizierender Ausbildung verbracht hat, nicht maßgebend sein kann, auf welche Dauer die jeweilige Ausbildung nach den dafür geltenden Bestimmungen in der Regel angelegt ist (so aber OVG Berlin,OVGE 20, 59). Vielmehr muß es darauf ankommen, wieviel Zeit die frühere berufsqualifizierende Ausbildung bis zu ihrem Abschluß tatsächlich in Anspruch genommen hat (dazu vgl. Urt. des erkennenden Senats, NVwZ 1995, 73 (in diesem Heft)). Dafür spricht auch die Parallelität der Ausdrucksweise in § 11 III 1 Nr. 4 mit § 7 II 1 Nr. 5 BAföG, den das BVerwG insoweit ebenso ausgelegt hat (vgl. BVerwG, Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 76 = NVwZ 1989, 368).
Die von der Kl. vor Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit abgeschlossene berufsqualifizierende Ausbildung zur Industriekauffrau hat nach den Feststellungen des BerGer. tatsächlich nur zwei Jahre und fünf Monate in Anspruch genommen. Erforderlich für eine elternunabhängige Förderung nach § 11 III 1 Nr. 4 BAföG war demnach eine nachfolgende Erwerbstätigkeit von insgesamt drei Jahren und sieben Monaten, während deren die Kl. gem. § 11 III 2 BAföG in der Lage gewesen sein muß, sich aus dem Ertrag ihrer Erwerbstätigkeit selbst zu unterhalten. Die Auffassung des BerGer., dieses Erfordernis habe die Kl. nicht erfüllt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Unstreitig ist insoweit, daß die Kl. in der Zeit von Februar 1985 bis Juni 1988, also drei Jahre und fünf Monate lang, erwerbstätig war und sich während dieser Zeit aus dem Ertrag ihrer Tätigkeit selbst unterhalten konnte. Streit besteht zwischen den Beteiligten insoweit nur darüber, ob die noch fehlenden zwei Monate durch die Zeiten des Bezugs von Kranken- und Arbeitslosengeld abgedeckt sind. Maßgeblich hierfür ist der Zweck des § 11 III 1 Nr. 4 BAföG, wonach eine Erwerbstätigkeit der dort festgelegten Dauer die Annahme rechtfertigen soll, der Betroffene sei auf der Grundlage seiner vorangegangenen berufsqualifizierenden Ausbildung in die Lage versetzt worden, sich eine ausreichende, seiner Neigung und Begabung entsprechende Lebensgrundlage zu verschaffen (vgl. BVerwGE 60, 231 (235)). Die Fähigkeit, sich aus dem Ertrag einer Tätigkeit selbst, d.h. unabhängig von Dritten, zu unterhalten, bedeutet im Hinblick darauf zumindest die Möglichkeit, die laufenden Bedürfnisse des täglichen Lebens ausschließlich aus eigenen Mitteln zu befriedigen (vgl. BVerwG, Buchholz 436.36 § 11 BAföG Nr. 19 = NVwZ 1992, 1204). Zwar können nach der Rechtsprechung des BVerwG auch Zeiten einer Arbeitslosigkeit als Zeiten einer zur Gewährung elternunabhängiger Ausbildungsförderung führenden Erwerbstätigkeit in Betracht kommen, wenn der Betroffene nach Ausübung einer beruflichen Tätigkeit arbeitslos geworden ist und während der Zeit der Arbeitslosigkeit, ohne einer förderungsfähigen Ausbildung nachzugehen, finanzielle Leistungen erhielt, auf die er aufgrund der vorangegangenen Erwerbstätigkeit einen Rechtsanspruch hatte (vgl. BVerwG, Buchholz 436.36 § 11 BAföG Nr. 19 = NVwZ 1992, 1204). Das kann jedoch nur dann gelten, wenn diese Leistungen eine solche Höhe erreichten, daß sie - ggf. zusammen mit ersparten Erträgen aus der vorangegangenen Erwerbstätigkeit - die laufenden Bedürfnisse des täglichen Lebens des Betroffenen deckten.
Das BerGer. hat dies für das Krankengeld von täglich netto 52,50 DM, das die Kl. nach ihrer Erwerbstätigkeit als kaufmännische Angestellte 10 Tage lang im Juli 1988 bezog, ohne Rechtsverstoß angenommen. Es hat dies jedoch für den Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 459 DM im August 1991 ebenfalls ohne Rechtsverstoß verneint. Da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, daß die Kl. in diesem Monat noch auf Ersparnisse aus ihrer früheren Erwerbstätigkeit zurückgreifen konnte, kommt es darauf an, ob der genannte Betrag ausreichte, um ihre laufenden Bedürfnisse des täglichen Lebens zu decken. Dabei liegt es nahe, im Interesse der Verwaltungspraktikabilität pauschalierend und typisierend auf die Maßstäbe zurückzugreifen, die das Sozialhilferecht für die Bemessung dieser Bedürfnisse enthält. Die in den Verwaltungsvorschriften vorgenommene Anknüpfung an den höheren Bedarf für Studierende wäre insoweit nicht sachgerecht; denn dieser Bedarf enthält auch Kosten der Ausbildung, die einem Erwerbstätigen regelmäßig nicht entstehen. Laufende Bedürfnisse des täglichen Lebens sind die Bedürfnisse, für die gemäß § 22 I BSHG laufende Leistungen zum Lebensunterhalt gewährt werden. Dabei werden die Kosten für Ernährung, hauswirtschaftlichen Bedarf einschließlich Haushaltsenergie, Beschaffung von Wäsche und Hausrat von geringem Anschaffungswert, Instandsetzung von Kleidung, Schuhen und Hausrat in kleinerem Umfang, Körperpflege und Reinigung sowie sonstige persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens nach Regelsätzen bemessen, die die tatsächlichen Lebenshaltungskosten und örtlichen Unterschiede zu berücksichtigen haben. Hinzu kommen laufende Leistungen für die Unterkunft, die im Regelfall in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt werden.
Ausgehend hiervon hat das BerGer. festgestellt, daß die von der Kl. im August 1991 bezogenen Sozialleistungen ihren nach den Maßstäben des Sozialhilferechts sachgerecht bemessenen Bedarf nicht deckten. Dabei ist es zu Recht in erster Linie von dem Regelsatz für einen Alleinstehenden ausgegangen. Denn der Umstand, daß die Kl. während ihrer Arbeitslosigkeit im August 1991 wieder bei ihren Eltern wohnte und von diesen möglicherweise Sachleistungen im Rahmen einer Haushaltsgemeinschaft unentgeltlich erhielt, muß bei der Prüfung, ob die Kl. sich aus dem Ertrag ihrer Erwerbstätigkeit selbst unterhalten konnte, außer Betracht bleiben. Da dieser Ertrag bereits unter dem vom BerGer. in Anwendung des Landesrechts mit 473 DM bezifferten Regelsatz lag, kommt es auf nähere Feststellungen über die nicht im Regelsatz enthaltenen Kosten der Unterkunft nicht mehr an.
Das BerGer. hat schließlich ohne Verstoß gegen revisibles Recht festgestellt, daß die Kl. ohne Anrechnung der im August 1991 verbrachten Zeit des Arbeitslosengeldbezugs die fehlenden zwei Monate der Erwerbstätigkeit nicht erreichen konnte. Die in den Verwaltungsvorschriften vorgesehene Aufrundung einzelner Tage auf einen vollen Monat hat im Gesetz keine Grundlage.
Daß die Kl. mit der Ausbildung zur Köchin eine weitere berufsqualifizierende Ausbildung abgeschlossen hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach Abschluß dieser Ausbildung war sie jedenfalls nicht drei Jahre erwerbstätig.
2. Nach § 11 III 1 Nr. 5 BAföG bleiben Einkommen und Vermögen der Eltern ferner außer Betracht, wenn der Auszubildende eine weitere in sich selbständige Ausbildung beginnt, nachdem seine Eltern ihm gegenüber ihre Unterhaltspflicht erfüllt haben, und die Voraussetzungen des S. 3 vorliegen. Der damit in Bezug genommene S. 3 beschränkt die Geltung des S. 1 Nr. 5 auf Auszubildende, deren Ausbildungsabschnitt vor dem 1. 7. 1990 begonnen hat, sowie - unter der weiteren Voraussetzung eines besonderen Antrags - auf Auszubildende, die zu diesem Zeitpunkt wegen der Ableistung eines der in § 66a IV Nrn. 1-4 genannten Dienste gehindert waren, den Ausbildungsabschnitt zu beginnen, aber in unmittelbarem Anschluß hieran diese Ausbildung aufnehmen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Kl., die den in Rede stehenden Ausbildungsabschnitt erst im September 1991 begonnen hat, ersichtlich nicht vor.
Revisionsrechtlich beachtliche Bedenken könnten insoweit lediglich dagegen bestehen, daß das Berufungsgericht § 11 III 1 Nr. 5 BAföG in der Fassung des 12. BAföG-Änderungsgesetzes angewandt und damit die Rechtsfolgen dieser Vorschrift von den Voraussetzungen des durch dieses Änderungsgesetz angefügten S. 3 abhängig gemacht hat, obwohl die darin liegende Beschränkung der Geltung des S. 1 Nr. 5 gegen das Grundgesetz verstoßen könnte. Die Änderung des § 11 III BAföG durch das 12. BA föG-Änderungsgesetz ist jedoch nicht verfassungswidrig. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 I GG.
a) Die Verfassungsnorm des Art. 3 I GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleichzubehandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Diesen Regelungsgehalt hat das BVerfG namentlich im Zusammenhang mit Versuchen hervorgehoben, aus einem Gesetzeswerk eine den Gesetzgeber bindende Sachgesetzlichkeit herzuleiten und eine Systemwidrigkeit als Verletzung des Gleichheitsatzes zu beanstanden (vgl. BVerfGE 55, 72 (88) = NJW 1981, 271; BVerfGE 63, 255 (261f.) = NJW 1983, 1899; BVerfGE 67, 231 (236) = NJW 1985, 477; BVerfGE71, 146 (154f.) = NJW 1986, 709).
Über das Verbot einer sachwidrigen Ungleichbehandlung von Normadressaten hinaus kommt in Art. 3 I GG ein allgemeines Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck, das auch der Gesetzgebung gewisse äußerste Grenzen setzt. Zwar hat der Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte und das Verhalten einer Person je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenzen des Willkürverbots werden jedoch dann überschritten, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden läßt. Dies gilt auch und gerade für die Beurteilung gesetzlicher Differenzierungen bei der Regelung von Sachverhalten; hier endet der Spielraum des Gesetzgebers erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein sachlich vertretbarer Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. BVerfGE 55, 72 (89f.) = NJW 1981, 271; BVerfGE 59, 52 (60); 65, 141 (148) = NVwZ 1984, 231; BVerfGE 84, 9 (23) = NJW 1991, 1602).
Was in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, läßt sich allerdings nicht abstrakt und allgemein, sondern stets nur in bezug auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhältnisses feststellen (vgl. BVerfGE 17, 122 (130) = RZW 1964, 90; BVerfGE 26, 72 (76) = NJW 1969, 2191; BVerfGE 46, 299 (312); BVerfGE63, 255 (262) = NJW 1983, 1899; BVerfGE 80, 297 (309) = NJW 1989, 1983). Dabei gebietet die Rücksicht auf die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besondere Zurückhaltung; eine gesetzliche Regelung kann deshalb nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann als willkürlich verworfen werden, wenn ihre Unsachlichkeit offensichtlich ist (vgl. BVerfGE 12, 326 (333); BVerfGE23, 135 (143) = NJW 1968, 931; BVerfGE 55, 72 (90) = NJW 1981, 271).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Änderung des § 11 III BAföG durch das 12. BAföG-Änderungsgesetz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hat sich der Gesetzgeber von seiner früheren Konzeption einer rein institutionellen Ausbildungsförderung abgewandt und ein neues System individueller Bildungshilfen geschaffen, das gem. § 1 BAföG auf dem Grundsatz einer sozial modifizierten Staatsfinanzierung beruht: Die Mittel für die Ausbildungsförderung werden aus allgemeinen Steuereinnahmen aufgebracht, die Leistungen sollen jedoch nur solchen Auszubildenden zufließen, die zur Durchführung ihrer Ausbildung hierauf angewiesen sind (vgl. BVerfGE 70, 230 (231) = NVwZ 1985, 731). Damit geht das Bundesausbildungsförderungsgesetz vom Prinzip der Bedürftigkeit aus (vgl.BVerfG, FamRZ 1987, 901). Dabei verwirklicht es den Nachrang der öffentlichenrechtlichen Ausbildungsförderung allerdings nicht so, daß diese an Bestehen und Umfang einer Unterhaltspflicht im jeweils zu entscheidenden Falle anknüpft. Vielmehr rechnet es in § 11 II nach Maßgabe der folgenden Vorschriften im Regelfall einen nach Einkommen und Vermögen des Ehegatten und der Eltern pauschalierten Betrag als zumutbaren Beitrag dieser Person zu den Ausbildungskosten auf den Bedarf des Auszubildenden an, ohne auf Bestehen und Höhe eines privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs abzustellen. Daß dies grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, hat das BVerfG bereits festgestellt (vgl. BVerfGE 71, 146 (155) = NJW 1986, 709).
Ein Grund für diese Konzeption war die vom Gesetzgeber im Jahre 1971 vorgefundene Lage, daß es herkömmlich weithin als Aufgabe der Eltern und notfalls des Auszubildenden selbst angesehen wurde, den finanziellen Bedarf für den Lebensunterhalt und die individuellen Ausbildungskosten während der Ausbildungszeit zu decken (vgl. Begr. z. RegE eines BAföG, BT-Dr 6/1975, S. 19 zu A 1). Der Gesetzgeber hielt das für unbefriedigend, weil so einer großen Zahl ausbildungswilliger und -fähiger junger Menschen, deren Eltern wirtschaftlich nicht in der Lage waren, die hohen Aufwendungen während der oft vieljährigen Ausbildungszeit zu tragen, eine gründliche qualifizierende Ausbildung versagt blieb (vgl. BT-Dr 6/1975, S. 19 zu A 2.1). Um diesen Zustand zu beenden, sollte durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz den Kindern aus Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen eine intensive Ausbildung durch individuelle Hilfen der öffentlichen Hand ermöglicht werden (vgl. BT-Dr 6/1975, S. 19 zu A 2.3). Deshalb sollte Ausbildungsförderung nur geleistet werden, wenn die für die Ausbildung erforderlichen Mittel dem Auszubildenden selbst nicht zur Verfügung standen und er sich auch nicht von seinen Eltern, seinem Ehegatten oder -nach anderen vorrangigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften -von öffentlichen oder nichtöffentlichen Leistungsträgern erhalten konnte (vgl. BT-Dr 6/1975, S. 20 zu § 1).
Wenn die Eltern den nach dem Förderungsrecht als zumutbar anzurechnenden, pauschalierten Unterhaltsbetrag tatsächlich nicht erbrachten und die Ausbildung dadurch gefährdet war, begründete allerdings § 36 BAföG einen Anspruch auf Ausbildungsförderung ohne Anrechnung dieses Betrages, um dem Auszubildenden die unbeeinträchtigte Durchführung seiner Ausbildung zu ermöglichen und zugleich die durch die unterschiedlichen Voraussetzungen entstehende Lücke zwischen dem bürgerlichen Unterhaltsrecht und dem Ausbildungsförderungsrecht zu schließen. In diesem Fall gab § 37 BAföG der Behörde die Möglichkeit, einen etwaigen Unterhaltsanspruch des Auszubildenden gegen seine Eltern bis zur Höhe des an sich anzurechnenden Betrages als eigenen Anspruch geltend zu machen, um den Nachrang der Ausbildungsförderung wiederherzustellen. Ergab sich bei näherer Prüfung, daß ein solcher Unterhaltsanspruch gar nicht bestand, so hatte die öffentliche Hand die dem Auszubildenden gezahlten Beträge nur scheinbar als Vorausleistung, tatsächlich jedoch endgültig als Zuschuß geleistet und dadurch im Prinzip Unterhalts- und Förderungsrecht nahtlos aneinander angeschlossen (vgl. BT-Dr 6/1975, S. 35 zu § 36).
Die damit geschaffene Konzeption einer grundsätzlichen, aber durch den Vorbehalt des § 36 BAföG für Fälle echter Gefährdung der Ausbildung abgeschwächten Bindung der Förderung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern wurde in § 11 III BAföG i.d.F. vom 26. 8. 1971 (BGBl I, 1409) zunächst nur zugunsten der Schüler von Abendgymnasien und Kollegs eingeschränkt, indem bei diesem bildungspolitisch als besonders förderungswürdig angesehenen Personenkreis Einkommen und Vermögen der Eltern von vornherein außer Betracht blieben. Schon durch das 2. BAföG-Änderungsgesetz vom 31. 7. 1974 (BGBl I, 1649) wurde diese von vornherein elternunabhängige Förderung auf andersartige Fälle erweitert, nämlich solche, in denen - wegen längerer Erwerbstätigkeit nach Abschluß einer früheren berufsqualifizierenden Ausbildung - typischerweise davon auszugehen war, daß ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch des Auszubildenden gegen seine Eltern auf Übernahme der Ausbildungskosten nicht mehr bestand. Indem dieser unterhaltsrechtlichen Situation schon bei der Berechnung der Förderung und nicht erst mittels scheinbarer Vorausleistungen nach § 36 BAföG Rechnung getragen wurde, sollte dem Auszubildenden die Durchsetzung seines Förderungsanspruchs erleichtert und ein verwaltungsökonomischeres Verfahren erreicht werden (vgl. Begr. zum RegE eines 2. BAföG-Änderungsgesetzes, BT-Dr 7/2098 S. 18f. zu Nr. 9 lit. b).
Mit dem 6. BAföG-Änderungsgesetz vom 16. 7. 1979 (BGBl I, 1037) ging der Gesetzgeber auf diesem Weg einer typisierenden Vorwegnahme des Verfahrens scheinbarer Vorausleistungen noch einen Schritt weiter: Die von vornherein elternunabhängige Förderung wurde durch § 11 III 1 Nr. 5 BAföG auf den Fall ausgedehnt, daß der Auszubildende eine weitere in sich selbständige Ausbildung begann, nachdem seine Eltern ihm gegenüber ihre Unterhaltspflicht erfüllt hatten. Damit sollten alle Fälle abgedeckt werden, in denen nach dem Urteil des BGH vom 29. 6. 1977 (BGHZ 69, 190 = NJW 1977, 1774 = LM § 1610 BGB Nr. 4) auszuschließen war, daß eine Verpflichtung der Eltern bestand, für die aufgenommene zweite Ausbildung ihres Kindes Mittel einzusetzen. Durch die offene Formulierung "nachdem seine Eltern ihm gegenüber ihre Unterhaltspflicht erfüllt haben" wollte der Gesetzgeber die Neufassung der Vorschrift bewußt darauf einrichten, auch nach einer etwaigen Korrektur dieser Rechtsprechung oder der unterhaltsrechtlichen Regelung ihre Funktion erfüllen zu können (vgl. Begr. des RegE eines 6. BAföG-ÄndG, BT-Dr 8/2467, S. 12f. zu A 5).
Diese Öffnung des Tatbestandes stellte einen Systembruch des Gesetzes dar, weil sie Ausbildungsförderungsbehörden und VGe erstmals dazu zwang, bei der Entscheidung über ein Förderungsbegehren rein zivilrechtliche Fragen des Unterhaltsrechts uneingeschränkt zu prüfen (dazu vgl. Humborg, in: Ausbildungsförderung und Familienlastenausgleich, 1989, S. 101 (116); ders., in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. (Stand: Oktober 1992), § 11 Rdnrn. 30ff.). Der mit der typisierenden Vorwegnahme des Verfahrens scheinbarer Vorausleistungen ursprünglich verfolgte Zweck der Verwaltungsvereinfachung wurde damit in sein Gegenteil verkehrt. Darüber hinaus wurde das nur als Ausnahme konzipierte Institut der elternunabhängigen Förderung nach § 11 III BAföG infolge der Entwicklung im Bildungsverhalten zahlenmäßig erheblich ausgeweitet: Ende der achtziger Jahre wurden nach dieser Vorschrift rund 16 % aller Geförderten elternunabhängig gefördert, wovon rund 40 % auf die Förderung nach § 11 III 1 Nr. 5 BAföG entfielen (vgl. Vorschläge zur Reform des BAföG, Bericht des Beirats für Ausbildungsförderung, hrsg. vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1988, S. 34, 64f.). Die Anknüpfung von § 11 III 1 Nr. 5 BAföG an die Erfüllung der Unterhaltspflicht von Eltern hatte dabei zur Folge, daß die Auszubildenden, die - bei wirtschaftlicher Zumutbarkeit für die Eltern - auch noch während einer Zweitausbildung unterhaltsberechtigt waren, weil sie ihre Ausbildung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 107, 376 = NJW 1989, 2253 = LM § 1610 BGB Nr. 18) planvoll anlegten und zielstrebig durchführten, nur eltern abhängig gefördert werden konnten. Dagegen erhielten andere Auszubildende nach § 11 III 1 Nr. 5 BAföG während ihrer gesamten Zweitausbildung eine eltern unabhängige Ausbildungsförderung, weil bei ihnen die Eltern ihre Unterhaltspflicht erfüllt hatten. Da der Gesetzgeber dieses Ergebnis als unbillig empfand, wurde die an die Erfüllung der Unterhaltspflicht geknüpfte elternunabhängige Förderung nach § 11 III 1 Nr. 5 BAföG durch das 12. BAFöG-Änderungsgesetz vom 22. 5. 1990 (BGBl I, 936) für die Zukunft - unter Einführung einer Übergangsregelung - gestrichen (vgl. Begr. des RegE eines 12. BAföG-ÄndG, BT-Dr 11/5961, S. 13f. zu A 1.2). Hinsichtlich der elternunabhängigen Förderung wurde damit im wesentlichen der Rechtszustand wiederhergestellt, der bis zum Inkrafttreten des 6. BAföG-Änderungsgesetzes bestanden hatte.
Gleichzeitig wurde allerdings der frühere Rechtszustand in einem anderen Punkt zu Lasten der Auszubildenden verändert: Der in § 36 BAföG normierte Anspruch auf "Vorausleistung" von Ausbildungsförderung, falls die Eltern den nach dem Förderungsrecht als zumutbar anzurechnenden pauschalierten Unterhaltsbetrag nicht leisteten und die Ausbildung gefährdet war, wurde durch § 36 S. 2 - vorbehaltlich der Übergangsregelung des S. 3 - auf diejenigen Auszubildenden beschränkt, die noch keine Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen hatten. Damit wurde die Förderung jeder weiteren Ausbildung ausnahmslos an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern gebunden. Grund dafür war die Befürchtung des Gesetzgebers, daß das mit der Änderung des § 11 III BAföG verfolgte Ziel anderenfalls unterlaufen würde, weil in Fällen des bisherigen § 11 III 1 Nr. 5 BAföG im Rahmen der "Vorausleistung" praktisch unverändert elternunabhängige Vollförderung gewährt werden müßte (vgl. BT-Dr 11/5961 S. 14 zu A 1.2 am Ende).
bb) Bei der Entscheidung über das Begehren der Kl. im vorliegenden Verfahren kommt es, wie bereits das BerGer. zutreffend hervorgehoben hat, allein auf die Gültigkeit der Änderung des § 11 III BAföG durch das 12.BAföG-Änderungsgesetz an. Ein auf die Gewährung von Vorausleistungen nach § 36 BAföG gerichtetes Begehren der Kl. läßt sich dem festgestellten Sachverhalt unter Berücksichtigung aller Umstände nicht entnehmen. Insbesondere hat die Kl. zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, daß ihre Eltern in dem in Rede stehenden Bewilligungszeitraum den nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leisteten und ihre Ausbildung gefährdet war. Im Gegenteil ergibt sich aus den von ihr eingereichten Prozeßkostenhilfeunterlagen, daß sie im streitigen Bewilligungszeitraum von ihren Eltern freiwillige Unterhaltsleistungen von monatlich 400 DM erhielt.
Allerdings kann nach der Rechtsprechung des BVerfG eine für verfassungswidrig erachtete Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt und bei der sich deshalb der etwa bestehende verfassungsrechtliche Mangel durch eine Nachbesserung bei der einen oder der anderen Einzelregelung beheben ließe, grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur Prüfung gestellt werden (vgl. BVerfGE82, 60 (84) = NJW 1990, 2869). Ein solches Normengeflecht besteht zwischen § 11 III und § 36 I BAföG jedoch nicht. Denn die von vornherein elternunabhängige Förderung nach § 11 III BAföG geht in Voraussetzung und Rechtsfolgen zugunsten des Auszubildenden wesentlich weiter als die an ein besonderes Verfahren und an die Glaubhaftmachung zusätzlicher Tatbestandsmerkmale im Einzelfall gebundene, für die Familie des Auszubildenden mit dem Risiko des Anspruchsübergangs nach § 37 I BAföG behaftete "Vorausleistung" von Ausbildungsförderung nach § 36 I BAföG. Im Hinblick darauf bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die praktische Bedeutung des Vorausleistungsanspruchs nach § 36 I BAföG a.F. derjenigen der von vornherein elternunabhängigen Förderung nach § 11 III 1 Nr. 5 BAföG a.F. gleichkäme. Vielmehr liegt es nahe, daß viele Auszubildende, die eine von vornherein elternunabhängige Förderung ohne weiteres entgegennähmen, nicht die Gewährung von Vorausleistungen beantragen würden, weil sie befürchten müßten, daß ihre Eltern möglicherweise aus dem übergegangenen Unterhaltsanspruch gem. § 37 I BAföG in Anspruch genommen würden. Außerdem ist damit zu rechnen, daß viele Eltern sich - wie etwa im Falle der Kl. - trotz einer tatsächlich oder vermeintlich fehlenden Unterhaltsverpflichtung freiwillig zur Leistung des angerechneten Unterhaltsbetrages oder entsprechender Sachleistungen bereit erklären, so daß eine Vorausleistungslage entfällt. Unter diesen Umständen kann die Frage der Verfassungswidrigkeit für § 11 III und § 36 I BAföG je gesondert und gegebenenfalls auch unterschiedlich beantwortet werden.
cc) Aus der dargelegten Konzeption des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ergibt sich, daß die Annahme, in der Nichtberücksichtigung eines fehlenden Unterhaltsanspruchs bei Gewährung elternunabhängiger Förderung nach § 11 III BAföG liege eine Systemwidrigkeit, nicht berechtigt ist. Die allgemeine Bedürftigkeitsprüfung, die im Rahmen der Berechnung der Förderung nach § 11 BAföG vorzunehmen ist, wird vielmehr von dem Grundsatz beherrscht, daß nicht ein möglicherweise bestehender Rechtsanspruch, sondern die wirtschaftliche Leistungskraft der Familie des Auszubildenden maßgebend ist. Ausnahmen sieht § 11 - abgesehen von der auslaufenden Übergangsregelung des Abs. 3 S. 1 Nr. 5 n.F. - nur für Fälle einer Familienzerrüttung (Abs. 2a S. 1) oder objektiver Unmöglichkeit einer Unterhaltsleistung (Abs. 2a S. 2) sowie zur Förderung der Ausbildung im klassischen Zweiten Bildungsweg (Abs. 3 S. 1 Nr. 1) und zur Verwaltungsvereinfachung bei bestimmten, für den Tatbestand scheinbarer Vorausleistungen typischen Fallgestaltungen (Abs. 3 S. 1 Nrn. 2-4) vor. Allenfalls mit letzteren kann der Fall des § 11 III 1 Nr. 5 BAföG a.F. verglichen werden. Dieser Vergleich ergibt jedoch - wie dargelegt -, daß der Tatbestand dieser Vorschrift innerhalb des Abs. 3 eine Sonderstellung einnahm, die das System des Gesetzes gerade durchbrach und den Zweck der Verwaltungsvereinfachung verfehlte.
§ 11 III 1 Nrn. 2-4 BAföG hat die Wirkung einer unwiderlegbaren Vermutung: Die Bedürftigkeit des Auszubildenden wird bei Vorliegen der dort bezeichneten Tatbestandsmerkmale unterstellt. Zwar ist typischerweise davon auszugehen, daß ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch des Auszubildenden gegen seine Eltern auf Übernahme der Ausbildungskosten in diesen Fällen nicht mehr besteht. Das ist jedoch nicht immer der Fall und vom Gesetz nicht zur Voraussetzung der elternabhängigen Förderung gemacht; die bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle und wird deshalb auch nicht erwähnt. Demgegenüber macht § 11 III 1 Nr. 5 BAföG a.F. die elternunabhängige Förderung tatbestandlich gerade davon abhängig, daß ein Unterhaltsanspruch des Auszubildenden gegen seine Eltern nicht mehr bestand, und zwang so die Verwaltung dazu, die Frage der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht in jedem Einzelfall zu prüfen. Zwischen der in § 11 III 1 Nrn. 2-4 BAföG angesprochenen Gruppe von Normadressaten -Auszubildende, bei denen aufgrund bestimmter Umstände typischerweise davon auszugehen ist, daß kein Unterhaltsanspruch gegen die Eltern mehr besteht - und der in § 11 III 1 Nr. 5 BAföG a.F. angesprochenen Gruppe - Auszubildende, bei denen mangels vergleichbarer Typik das Fehlen eines solchen Unterhaltsanspruchs im Einzelfall zu prüfen war - bestehen hiernach Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie es rechtfertigten, die 1979 eingeführte, von vornherein elternunabhängige Förderung für den letzteren Personenkreis durch das 12. BA föG-Änderungsgesetz - unter Einfügung einer Übergangsregelung - für die Zukunft wieder zu streichen und damit den bis 1979 bestehenden Rechtszustand insoweit wiederherzustellen.
Das ist auch sachgerecht. Denn für den Gesetzgeber lagen hinreichende sachliche Gründe vor, für die in § 11 III 1 Nr. 5 BAföG a.F. geregelten Sachverhalte wieder zum Grundsatz der Bindung der Förderung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern zurückzukehren. Seine dafür maßgebliche Auffassung, die Anknüpfung der von vornherein elternunabhängigen Förderung einer Zweitausbildung an die Erfüllung der elterlichen Unterhaltspflicht habe wegen der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BGH zu einer unbilligen Benachteiligung von planvoll angelegten und zielstrebig durchgeführten Ausbildungen geführt, ist sachlich vertretbar und keineswegs willkürlich. Daß auch nach § 11 III 1 Nr. 4 BAföG eine nicht zielstrebig geplante Ausbildung elternunabhängig gefördert werden kann, steht dem schon wegen des zusätzlichen Tatbestandsmerkmals der mehrjährigen Erwerbstätigkeit nicht entgegen.
Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob es verfassungsrechtlich geboten ist, den Grundsatz der Bindung der Förderung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern für Fälle echter Gefährdung der Ausbildung infolge Ausbleibens familiärer Unterstützung einzuschränken. Denn eine solche Einschränkung müßte keinesfalls so weit gehen, daß der Gesetzgeber verpflichtet wäre, Kindern gutverdienender oder vermögender Eltern beim Fehlen eines Unterhaltsanspruchs für eine Zweitausbildung von vornherein elternunabhängige Ausbildungsförderung zu gewähren, ohne im Einzelfall prüfen zu lassen, ob tatsächlich eine echte Gefährdung der Ausbildung vorliegt. Die Verfassungsmäßigkeit des § 36 I 2 BAföG, der für Zweitausbildungen auch in solchen Fällen die Leistung von Ausbildungsförderung ohne Anrechnung des Elterneinkommens ausschließt, ist - wie dargelegt - im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen.
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