Begriff der weiteren Ausbildung in § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

12. 06. 1987


Aktenzeichen

5 C 2.83


Leitsatz des Gerichts

Der Begriff der weiteren Ausbildung in § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG umfaßt auch Ausbildungen, denen keine förderungsfähige Ausbildung vorangegangen ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kl. Ausbildungsförderung [Afö] ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Eltern zusteht.

Nach Ablegen der Reifeprüfung und anschließendem Grundwehrdienst unternahm der Kl. eine zweijährige Banklehre, die er berufsqualifizierend abschloß. Zum Wintersemester 1980/81 begann er das Studium der Rechtswissenschaften, für das er Afö beantragte. Der Bekl. entsprach dem für den Bewilligungszeitraum von Oktober 1980 bis September 1981 und rechnete dabei Einkommen der Eltern von monatlich 116,49 DM auf den Bedarf an.

Der Kl. ist demgegenüber der Meinung, ihm stehe nach § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG elternunabhängige Förderung zu, weil er bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen habe und seine Eltern ihm gegenüber ihre Unterhaltspflicht erfüllt hätten. Sein Widerspruch blieb ohne Erfolg. Die Widerspruchsbehörde vertrat die Auffassung, die Eltern des Kl. hätten ihre Unterhaltspflicht noch nicht erfüllt, weil die erste Ausbildung des Kl. auf einer deutlichen Fehleinschätzung seiner Begabung beruht habe.

Der Kl. hat daraufhin Verpflichtungsklage erhoben, die das VerwG Köln mit der Begründung abgewiesen hat: Es fehle an der in § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG ebenfalls geregelten Anspruchsvoraussetzung, daß der Auszubildende eine weitere in sich selbständige Ausbildung beginne. Es könne daher offenbleiben, ob die Eltern dem Kl. gegenüber ihre Unterhaltspflicht bereits erfüllt hätten. Das Tatbestandsmerkmal der "weiteren Ausbildung" in § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG sei deckungsgleich mit dem gleichlautenden Begriff in § 7 II BAföG. Die Vorschrift des § 7 BAföG sei von zentraler Bedeutung für das Ausbildungsförderungsrecht. Die darin aufgenommene Begriffsbestimmung sei für das gesamte Gesetz maßgebend. Von einer weiteren Ausbildung nach § 7 II BAföG könne nur dann ausgegangen werden, wenn dieser Ausbildung eine abgeschlossene förderungsfähige Ausbildung i. S. von § 7 I BAföG vorausgegangen sei. Das treffe auf die Banklehre des Kl. nicht zu, weil sie als betriebliche Ausbildung nicht mit dem Besuch einer der in § 2 BAföG genannten Ausbildungsstätten verbunden gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom VerwG zugelassene und mit Zustimmung des Bekl. eingelegte Sprungrevision des Kl., mit der er sein ursprüngliches Klagebegehren weiterverfolgt.

Der Bekl. beantragt, die Revision zurückzuweisen.


II.

Die Revision, über die im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 141 i. V. m. §§ 125 I, 101 II VwGO), führt zur Zurückverweisung der Sache an das VerwG.

Das Begehren des Kl., ihm für sein rechtswissenschaftliches Studium Afö ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen seiner Eltern zu gewähren, kann nicht aus den Gründen abgelehnt werden, die das VerwG angeführt hat. Ob die Anspruchsvoraussetzungen insgesamt erfüllt sind, bedarf jedoch weiterer tatsächlicher Feststellungen, die noch vom VerwG getroffen werden müssen.

Nach der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Regelung in § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG i. d. F. des 6. BAföG-ÄndG v. 16. 7. 1979 (BGBl I 1037) bleiben bei der Bewilligung von Afö Einkommen und Vermögen der Eltern unter zwei Voraussetzungen außer Betracht: Einmal ist erforderlich, daß der Auszubildende eine "weitere in sich selbständige Ausbildung" beginnt. Ferner müssen die Eltern dem Auszubildenden gegenüber vorher ihre Unterhaltspflicht erfüllt haben.

Entgegen der Meinung des VerwG kann, soweit es um die zuerst genannte Voraussetzung geht, der Begriff der weiteren Ausbildung nicht in dem Sinn verstanden werden, wie er in § 7 II BAföG verwendet wird. Legt man diese Vorschrift zugrunde, könnte von einer weiteren Ausbildung nur dann die Rede sein, wenn der Auszubildende zuvor eine Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen hat, welche die Voraussetzungen des § 7 I BAföG erfüllt, die also vor allem mit dem Besuch einer der in § 2 BAföG abschließend aufgeführten Ausbildungsstätten oder mit der Teilnahme an Fernunterrichtslehrgängen i. S. von § 3 BAföG verbunden gewesen ist. Dem VerwG ist zwar zuzugeben, daß grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, bei der Auslegung eines Gesetzes sei ein Rechtsbegriff, der in einer zentralen Vorschrift dieses Gesetzes, wie hier in § 7 BAföG, näher bestimmt ist, in gleicher Weise zu verstehen, wenn er in einer anderen Regelung desselben Gesetzes wortgleich wiederkehrt. Das trifft jedoch für den Begriff der weiteren Ausbildung, wie er in § 7 II BAföG einerseits und in § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG andererseits verwendet wird, nicht zu. Der Zweck, den der Gesetzgeber mit § 11 III BAföG verfolgt, zwingt vielmehr dazu, den Begriff der weiteren Ausbildung i. S. v. S. 1 Nr. 5 dieser Vorschrift umfassender zu verstehen. Er ist auch dann erfüllt, wenn der weiteren Ausbildung eine Berufsausbildung vorausgegangen ist, die nicht die Merkmale der in § 7 I BAföG definierten Ausbildung aufweist.

Wie das BVerwG bereits in früheren Entscheidungen ausgeführt hat, wollte der Gesetzgeber durch § 11 III BAföG Förderungsleistungen ohne die grundsätzlich gebotene Anrechnung elterlichen Einkommens und Vermögens (§ 11 II BAföG) in den Fällen gewähren, in denen die Eltern nach dem zivilen Unterhaltsrecht dem Auszubildenden gegenüber nicht mehr verpflichtet sind, die Kosten der unternommenen Ausbildung zu tragen (BVerwG, Urteil v. 7. 2. 1980 - 5 C 24.78 -, Buchholz 436.36 § 11 BAföG Nr. 3; ferner BVerwGE 60, 231, 232 f. = FamRZ 1980, 1168). Dies wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. BAföG-ÄndG, in dessen Fassung § 11 III BAföG hier anzuwenden ist, ebenfalls betont (BT-Drucks. 8/2467, S. 13). Für die Auslegung von § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG gewinnt damit Bedeutung, unter welchen Voraussetzungen die Eltern nach § 1610 II BGB nicht mehr verpflichtet sind, ihrem Kind eine weitere Berufsausbildung zu finanzieren. Diese Frage entscheidet sich allein danach, ob das Kind bereits über eine Berufsausbildung verfügt, "die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen ... am besten entspricht" (so BGHZ 69, 190, 192). Ob die bereits erworbene Berufsausbildung zugleich die Merkmale einer in § 7 I BAföG umschriebenen förderungsfähigen Ausbildung aufweist, kann angesichts der vielen davon abweichenden Berufsausbildungen, insbesondere im betrieblichen Bereich, keine rechtliche Bedeutung haben. Auch wenn das Kind eine betriebliche Ausbildung abgeschlossen hat, können die Eltern ihre Unterhaltspflicht nach § 1610 II BGB erfüllt haben. Dies führt dazu, daß im Regelungsbereich des § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG der Begriff der weiteren Ausbildung nicht, wie es dem gleichlautenden Begriff in § 7 II BAföG entsprechen würde, nur auf förderungsfähige Ausbildungen bezogen werden darf, denen bereits eine unter § 7 I BAföG fallende Ausbildung vorangegangen ist. Die vorangegangene Ausbildung kann vielmehr auch eine Berufsausbildung sein, die, wie im Fall des Kl. die Banklehre, nicht die Merkmale einer förderungsfähigen Ausbildung aufweist (so bereits ohne nähere Begründung Urteil des Senats v. 13. 11. 1980 - 5 C 21.79 -, FamRZ 1981, 404 = Buchholz 436.36 § 25 a BAföG Nr. 2; die gleiche Auffassung liegt Tz. 11.3.11 BAföGVwV 1980 bzw. BAföGVwV 1986 zugrunde; gleicher Meinung ferner Rothe/Blanke/Humborg, BAföG, 4. Aufl. 1986, § 11 Rz. 30.3).

Ist somit das rechtswissenschaftliche Studium des Kl. als eine weitere Ausbildung i. S. von § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG anzusehen, so handelt es sich dabei auch, wie es das Gesetz verlangt, um eine "in sich selbständige Ausbildung". Dieses Studium ist hinsichtlich seiner Zugangsvoraussetzungen und seiner Durchführung von der Banklehre, die der Kl. zuvor berufsqualifizierend abgeschlossen hat, völlig unabhängig. Es führt auch zu einem eigenständigen berufsqualifizierenden Abschluß.

Es läßt sich dagegen im Revisionsverfahren nicht sagen, daß auch die zweite in § 11 III S. 1 Nr. 5 BAföG geregelte Voraussetzung für eine elternunabhängige Förderung erfüllt ist. Ob die Eltern des Kl. mit dem Abschluß der Banklehre ihre Unterhaltspflicht dem Kl. gegenüber erfüllt haben, kann erst nach weiteren tatsächlichen Feststellungen entschieden werden. Diese Feststellungen kann das Revisionsgericht nicht treffen.

Hat der Auszubildende bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen, so können nach der Rspr. des BGH die Eltern gemäß § 1610 II BGB ausnahmsweise noch verpflichtet sein, ihrem Kind eine zweite Berufsausbildung zu finanzieren. Den entsprechenden Grundsätzen, die der BGH dazu entwickelt hat

(Urteil v. 29. 6. 1977 - IV ZR 48/76 -, BGHZ 69, 190; Urteil v. 24. 9. 1980 - IV b ZR 506/80 -, FamRZ 1980, 1115 und Urteil v. 14. 1. 1981 - IV b ZR 554/80 - FamRZ 1981, 346),

hat sich das BVerwG für den Regelungsbereich des § 11 III BAföG bereits in früheren Entscheidungen angeschlossen

(Urteil v. 7. 2. 1980, a.a.O.; BVerwGE 60, 231, 233; die Grundsätze sind ebenfalls nunmehr in Textziffer 11.3.14 und 11.3.15 BAföGVwV 1980 bzw. BAföGVwV 1986 übernommen).

Das VerwG hat, was von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig war, ausdrücklich davon abgesehen, auf die sich somit stellenden unterhaltsrechtlichen Fragen einzugehen. Es fehlt deshalb im Revisionsverfahren an tatsächlichen Feststellungen, die eine Entscheidung darüber zulassen, ob ein Ausnahmefall gegeben ist, in dem die Eltern des Kl. im Rahmen ihrer zivilrechtlichen Unterhaltspflicht dem Kl. eine zweite Berufsausbildung ermöglichen müssen. Von den Fällen, die nach der Rspr. des BGH für eine solche Ausnahme in Betracht kommen, läßt sich insbesondere nach dem jetzigen Sachstand nicht ausschließen, ob die erste Ausbildung des Kl. auf einer deutlichen Fehleinschätzung seiner Begabung beruhte (siehe dazu BGHZ 69, 190, 194) oder ob sich bis zum Ende der ersten Ausbildung des Kl. Anhaltspunkte für eine wesentlich höhere Ausbildungsfähigkeit ergeben haben (BGH, Urteil v. 14. 1. 1981, a.a.O.). Diese Fragen bedürfen einer weiteren Feststellung tatsächlicher Umstände und deren Würdigung; beides ist dem Tatsachengericht vorbehalten. Das gleiche gilt für die abschließend ebenfalls noch nicht geklärte Frage, ob die Hochschulausbildung des Kl. von vornherein beabsichtigt war. Auch für einen solchen Fall kommt in Betracht, daß die Eltern trotz des Abschlusses einer ersten Berufsausbildung ihrer Verpflichtung noch nicht voll entsprochen haben, die Kosten einer angemessenen Berufsausbildung zu tragen (BGHZ 69, 190, 195). Die Sache muß daher an das VerwG zurückverwiesen werden.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

BAföG §§ 7 II, 11 III S. 1 Nr. 5; BGB § 1610 II