Unterhaltspflicht der Eltern für weitere Berufsausbildung

Gericht

OVG Münster


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

13. 06. 1989


Aktenzeichen

16 A 2726/86


Leitsatz des Gerichts

Keine Pflicht der Eltern zur Finanzierung eines Lehramtsstudiums, nachdem das Kind im Anschluß an das Abitur mit der Durchschnittsnote 2,8 eine Banklehre mit durchschnittlichen Noten abgeschlossen hatte.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. begehrt Ausbildungsförderung ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen seiner Eltern. Er erwarb im Jahre 1980 die allgemeine Hochschulreife mit der Durchschnittsnote 2,8 und absolvierte anschließend von August 1980 bis Januar 1983 eine Banklehre. Deren Prüfungsergebnis weist in je zwei Teilen die Noten "gut" und "befriedigend" aus. Die Noten der Berufsschulzeugnisse lauten in den beiden ersten Schuljahren "gut" und "befriedigend" und im Abschlußzeugnis je zweimal "sehr gut", "gut" und "befriedigend". Nach Ableistung seines achtzehnmonatigen Zivildienstes und einer Zeit von neun Monaten ohne Erwerbstätigkeit begann der Kl. zum Sommersemester 1985 das Studium des Lehramts Sekundarstufe II mit den Fächern Deutsch und Sozialwissenschaften. Den Antrag des Kl. auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für dieses Studium lehnte der Bekl. ab, weil das anzurechnende Einkommen der Eltern den Bedarf übersteige.

Die dagegen gerichtete, vom VG abgewiesene Klage hatte vor dem OVG Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. hat Anspruch auf elternunabhängige Förderung seines Studiums gem. § 11 III 1 Nr. 5 BAföG. Nach dieser Vorschrift bleiben Einkommen und Vermögen der Eltern außer Betracht, wenn der Auszubildende eine weitere in sich selbständige Ausbildung beginnt, nachdem die Eltern ihm gegenüber ihre Unterhaltspflicht erfüllt haben. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Das vom Kl. aufgenommene Lehramtsstudium ist im Verhältnis zur vorangegangenen Berufsausbildung zum Bankkaufmann eine weitere in sich selbständige Ausbildung. Die Tatsache, daß die frühere Ausbildung nicht nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähig war, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung (BVerwG, FamRZ 1987, 1089 (1090); vgl. bereits Senat, FamRZ 1986, 204). Durch die Finanzierung der Banklehre ist die Unterhaltspflicht der Eltern des Kl. erloschen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG (z. B. Buchholz 436.36 § 11 BAföG Nr. 12) und des Senats (z. B. FamRZ 1986, 204) beurteilt sich die Frage, ob die Eltern ihrer Unterhaltspflicht genügt haben, nach bürgerlichem Recht. Dabei sind die vom BGH entwickelten Grundsätze heranzuziehen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage, in welchem Umfang die Eltern ihre Unterhaltspflicht durch Finanzierung einer Ausbildung zu erfüllen haben, ist § 1610 II BGB. Nach dieser Vorschrift umfaßt der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Angemessen ist nach heute allgemein vertretener Ansicht die optimale berufsbezogene Ausbildung, d. h. die Ausbildung, die den Begabungen und Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des Kindes am ehesten entspricht und deren Finanzierung sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält (BGHZ 69, 190 = NJW 1977, 1774 = LM § 1610 BGB Nr. 4 = FamRZ 1977, 629; BGH, FamRZ 1980, 1115). Danach schuldet der Unterhaltspflichtige grundsätzlich nur eine erste angemessene Ausbildung. Eine Verpflichtung zur Finanzierung einer zweiten Ausbildung besteht nur in besonderen Fällen. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die Eltern die Kosten der ersten Ausbildung nicht bzw. nicht in vollem Umfang zu tragen hatten (BGH, FamRZ 1981, 437 f.). Es kann daher auf sich beruhen, in welchem Umfang die Eltern des Kl. finanzielle Beiträge zu dessen Bankausbildung geleistet haben.

Eine ausnahmsweise Verpflichtung zur Finanzierung einer Zweitausbildung besteht für die Eltern u. a. dann, wenn die erste Ausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung des Kindes beruhte. Das ist vorliegend nicht der Fall. Durch die Ausbildung des Kl. zum Bankkaufmann sind nämlich dessen Ausbildungsmöglichkeiten entsprechend seinen Fähigkeiten und seinem Leistungswillen sowie auch seinen damals erkennbaren Neigungen ausgeschöpft worden. Zwar berechtigte die Reifeprüfung den Kl. grundsätzlich zur Aufnahme (auch) eines wissenschaftlichen Hochschulstudiums. Die im Abiturzeugnis ausgewiesene Durchschnittsnote von 2,8 eröffnete ihm insoweit - auch unter Berücksichtigung der für einzelne Studiengänge damals bestehenden Zulassungsbeschränkungen - realistische Zulassungschancen. Angesichts der zunehmenden Vielfalt der Bildungsmöglichkeiten und der Arbeitsmarktlage kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß nur ein Hochschulstudium die Begabungsreserven eines Abiturienten ausschöpft. Vielmehr können die Fähigkeiten, die durch das Abiturzeugnis ausgewiesen werden, im Einzelfall auch durch eine vergleichbare nichtwissenschaftliche Ausbildung ausgenutzt werden. Dies gilt im besonderen für eine Banklehre, die im Rahmen der betrieblichen Ausbildungen eine hervorgehobene Stellung einnimmt. Sie wird deshalb von vielen Auszubildenden, auch von Abiturienten, als Sprungbrett für eine mit guten beruflichen Perspektiven versehene Tätigkeit im wirtschaftlichen Bereich angesehen (vgl. Senat, Urt. v. 28. 1. 1987 - 16 A 481/86; Urt. v. 18. 4. 1989 - 16 A 1560/87; die Kl. dieser Verfahren hatten die allgemeine Hochschulreife mit der Durchschnittsnote 2,6 bzw. 2,8 erlangt). Die Ausbildung zum Bankkaufmann entsprach auch den Neigungen des Kl. (Wird ausgeführt.)

Eine fehlende Ausschöpfung der Begabung des Kl. ergibt sich auch nicht daraus, daß während seiner ersten Ausbildung zum Bankkaufmann sich eine wesentlich höhere Ausbildungsfähigkeit gezeigt hätte. Denn die Noten, die der Kl. sowohl in der Abschlußprüfung zum Bankkaufmann als auch im Abschlußzeugnis der Berufsschule erzielt hat, sind entsprechend der Einschätzung des Kl. lediglich als durchschnittlich einzustufen. Sie lassen jedenfalls nicht den Rückschluß zu, daß den Fähigkeiten des Kl. nur durch ein Hochschulstudium hätte Rechnung getragen werden können.

Schließlich besteht auch keine Verpflichtung der Eltern nach der neuesten Rechtsprechung des BGH (NJW 1989, 2253 = NJW-RR 1989, 1156 L = FamRZ 1989, 857). Danach können die Eltern eines Abiturienten zwar zur Finanzierung eines Hochschulstudiums auch im Anschluß an das Erlernen eines praktischen Berufs unter weiteren hier nicht interessierenden Voraussetzungen verpflichtet sein, selbst wenn der Entschluß zur Aufnahme des Studiums erst nach der praktischen Ausbildung gefaßt worden ist. Eine solche Verpflichtung der Eltern ist aber nur gegeben, wenn die vom Gesetz vorausgesetzte Einheitlichkeit der Vorbildung zu "einem Beruf" in der Weise gewahrt wird, daß "die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen". Das ist hier hinsichtlich des sachlichen Zusammenhangs ersichtlich nicht der Fall. Denn das Lehramtsstudium mit der Fächerkombination Deutsch und Sozialwissenschaften hat keinerlei Bezug zur vorangegangenen Banklehre und baut auf dieser auch nicht im weitesten Sinne auf.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

BGB § 1610; BAföG § 11 III 1 Nr. 5