Tierhalterhaftung für Hunde 1

Gericht

OLG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

27. 05. 1999


Aktenzeichen

1 U 37/98


Leitsatz des Gerichts

Kommt ein Hundehalter durch das ruckartige Davonstreben seines angeleinten eigenen Hundes zu Fall, so tritt demgegenüber die Haftung des Halters eines weiteren Hundes für die durch den Sturz verursachten Verletzungen selbst dann zurück, wenn letzterer Hund durch sein Drohverhalten vor einem Knochen eine Mitursache für das Geschehen gesetzt hat.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. verlangt von den Bekl. Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung von deren Eintrittspflicht für die Zukunft. Am 2. 2. 1995 führte die Kl. gegen Mittag auf dem Gelände der Kleingartenanlage von H. ihren Hund aus. Dieser war angeleint. Zur gleichen Zeit ging dort auch die Bekl. zu 2 mit zwei Hunden, deren Halter die beiden Bekl. sind. Der eine Hund war angeleint, der andere lief frei herum. Kurze Zeit später stürzte die Kl., die ihren eigenen Hund zu diesem Zeitpunkt kurz an einer Schnappleine führte, eine Böschung hinab und verletzte sich dabei erheblich. Die Kl. behauptet, der nicht angeleinte Hund der Bekl., eine Retrieverhündin, habe sie und ihren Hund plötzlich und völlig ohne Vorwarnung angegriffen. Der Angriff sei derart unvermittelt gewesen, daß sie nicht mehr dazu gekommen sei, ihren eigenen Hund abzuleinen, um diesem die Flucht zu ermöglichen. Sie sei ruckartig umgerissen worden und den Hang hinuntergestürzt. Bei dem Unfall sei sie erheblich verletzt worden. Die Bekl. bestreiten, daß ihre Retrieverhündin den Sturz der Kl. verursacht habe. Vielmehr sei es so gewesen, daß die Retrieverhündin einen Knochen gefunden habe. Daraufhin sei der Hund der Kl., der von dieser an langer Leine geführt worden sei, zu dem Tier der Bekl. gegangen, um ebenfalls Anteil an dem Knochen zu haben. Die Kl. habe daraufhin ihren Hund zurückgerissen und die Leine ganz knapp verkürzt. Ihr Hund sei dabei ins Zappeln geraten, wodurch die Kl. das Gleichgewicht verloren habe und die Böschung hinuntergestürzt sei. Die Verletzungen der Kl. sowie die geltend gemachten Schadenspositionen bestreiten die Bekl. mit Nichtwissen.

Die Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Zu Recht hat das LG einen Anspruch der Kl. gegen die Bekl. auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gem. §§ 833, 847 BGB verneint.

Die Bekl. haften nicht für den Sturz, den die Kl. am 2. 2. 1995 erlitt. Selbst wenn der Sturz der Kl. durch das Verhalten der nichtangeleinten Retrieverhündin der Bekl. mitverursacht worden sein sollte, entfällt die Tierhalterhaftung der Bekl. wegen der weit überwiegenden Mitverursachung durch die Kl. und durch das ihr zuzurechnende Verhalten ihres Hundes (§ 254 BGB).

Es kann nicht festgestellt werden, daß der Sturz der Kl., der unmittelbar durch das Ziehen ihres eigenen Hundes an der Leine verursacht wurde, auch auf der von der Hündin der Bekl. ausgehenden Tiergefahr beruht. Es ist nicht bewiesen, daß sich die nicht angeleinte Retriever-hündin der Bekl. auf den angeleinten Hund der Kl. stürzte. (Wird ausgeführt.)

Kann demnach nicht festgestellt werden, daß sich die Retriever-hündin der Bekl. auf den Hund der Kl. gestürzt hat, so ist doch davon auszugehen, daß die Hündin eine Drohgebärde zeigte, indem sie sich tänzelnd vor einem aufgefundenen Knochen hin- und herbewegte und dabei den etwa sechs Meter entfernten Hund der Kl. anknurrte. Diese Darstellung der Bekl. macht sich die Kl. hilfsweise zueigen. Ausgehend von einem solchen Drohverhalten der Hündin der Bekl. kann indes nicht festgestellt werden, daß gerade deshalb der einige Meter entfernte Hund der Kl. loslief und hierbei durch das Ziehen an der Hundeleine die Kl. zu Fall brachte. Möglicherweise zog der Hund der Kl. an der Hundeleine, ohne durch das Verhalten der Hündin der Bekl. hierzu veranlaßt worden zu sein. Kann aber der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten der Hündin der Bekl. und dem Sturz der Kl. nicht festgestellt werden, ist eine Haftung der Bekl. als Tierhalter ausgeschlossen.

Die Bekl. haften aber selbst dann nicht für den Sturz der Kl., wenn das Verhalten des Hundes der Kl. eine Fluchtreaktion war, die auf der Drohgebärde der Retrieverhündin der Bekl. beruhte. Allerdings wirkte sich bei einer solchen Sachlage die Tiergefahr der Hündin der Bekl. als Mitursache für den Sturz der Kl. mittelbar aus. Die dann grundsätzlich zu bejahende Tierhalterhaftung der Bekl. tritt jedoch wegen der weit überwiegenden Mitverursachung des Sturzes durch den Hund der Kl. und durch die Kl. selbst zurück (§ 254 BGB). Die Kl. muß sich entsprechend § 254 BGB die von ihrem eigenen Hund ausgehende Tiergefahr anrechnen lassen (OLG Hamm, NJW-RR 1995, 598; Palandt/Thomas, BGB, 58. Aufl., § 833 Rdnr. 13). Das Verhalten ihres eigenen Hundes - das Ziehen an der Leine beim Loslaufen - war die unmittelbare und ganz im Vordergrund stehende Ursache dafür, daß die Kl. das Gleichgewicht verlor und stürzte. Außerdem hat die Kl. ihren Sturz auch selber mitverursacht, indem sie von dem Fußweg auf das angrenzende abschüssige und mit Gras bewachsene Gelände lief, um zu ihrem fortlaufenden Hund zu gelangen und die Leine von seinem Halsband zu lösen. Dort war der Boden infolge Nässe sehr glitschig, so daß die Kl. die Gefahr eines Sturzes durch ihr Verhalten erheblich erhöhte. Weil sie die Leine vom Halsband ihres Hundes lösen wollte - anstatt sie loszulassen - und weil sie deshalb über abschüssiges und glitschiges Gelände lief, brachte sich die damals 68jährige Kl. selber in eine Situation, in der sie dem Ziehen ihres Hundes an der Leine nicht standhalten konnte, sondern das Gleichgewicht verlor und stürzte. Demgegenüber erscheint die Mitverursachung des Sturzes der Kl. durch das vorausgegangene Drohverhalten der Hündin der Bekl. als vergleichsweise unbedeutend. Es tritt im Verhältnis zur weit überwiegenden Mitverursachung des Sturzes durch das Verhalten der Kl. und des ihr zuzurechnenden Verhaltens ihres eigenen Hundes so weit in den Hintergrund, daß eine auch nur teilweise Haftung der Bekl. für den Unfall der Kl. nicht gerechtfertigt erscheint.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht

Normen

BGB §§ 833, 254