Haftung eines Snowboardfahrers

Gericht

LG Traunstein


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

13. 07. 1994


Aktenzeichen

3 O 50/94


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Verhaltensregeln des Internationalen Skiverbandes für (Alpin-)Skifahrer (FIS-Regeln) gelten grundsätzlich auch für Snowboardfahrer.

  2. Aus einer Zusammenschau von FIS-Regel 2 und FIS-Regel 5 ergibt sich, daß derjenige Skifahrer, der eine Piste in der Fallinie geradeaus oder in kurzen Schwüngen herunterfährt, vor demjenigen Ski- oder Snowboardfahrer Vorfahrt hat, der in so großen Bögen über die Piste fährt, daß er deren ganze Breite oder doch deren Breite im wesentlichen ausnutzt, selbst wenn er die Piste nicht im eigentlichen Sinne traversiert.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. begehrt von dem Bekl. Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung seiner Haftung für künftige materielle und immaterielle Schäden aus einem Ski-Snowboard-Unfall. Beide Parteien trieben am Samstag, 1. 2. 1992, in B. Wintersport. Die Kl. fuhr in Begleitung des Zeugen E Ski. Der Bekl. fuhr in Begleitung der Zeugin MSnowboard. Gegen 15 Uhr stießen die beiden Prozeßparteien im mittleren Drittel der Abfahrt - von oben nach unten gesehen - zusammen. Dabei wurde die Kl. verletzt. Sie wurde von der Bergwacht mit einem Ackja geborgen. Der genaue Ort des Unfalls, der Unfallhergang sowie die Unfallfolgen sind zwischen den Parteien umstritten.

Das LG hat nach Beweisaufnahme der Klage dem Grunde nach stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

III. Die Ansprüche der Kl. auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung sind dem Grunde nach in vollem Umfang gerechtfertigt, weil der Bekl. die Kl. fahrlässig und widerrechtlich an ihrem Körper und ihrem Eigentum verletzt hat (§§ 823 I, II, 847 I, 276 I 2 BGB, §§ 223 I, 230 StGB). Der Bekl. hat die Kl. dadurch geschädigt, daß er gegen die auch für Snowboardfahrer geltenden Verhaltensregeln des Internationalen Skiverbandes (FIS-Regeln) fahrlässig verstoßen hat. Der Kl. sind demgegenüber keine Verstöße gegen die FIS-Regeln vorzuwerfen. Zu dem vorstehenden Ergebnis kommt die Kammer aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme:

1. Die Kl. trägt die Beweislast für den tatsächlichen Hergang des Unfalls, die Täterschaft des Bekl., sein Verschulden und die Ursächlichkeit seines Verhaltens. Dieser Beweislast ist die Kl. gerecht geworden.

2. Nach den Angaben der Zeugen B, H und E hat der Bekl. fahrlässig gegen die FIS-Regeln 1 und 2 verstoßen. Nach der FIS-Regel 2 muß jeder Skifahrer Geschwindigkeit und Fahrweise seinem Können und den Gelände- und Witterungsverhältnissen anpassen. Der Bekl. hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise nicht seinem Können angepaßt, weshalb er in die ordnungsgemäß am Pistenrand stehende Kl. hineingefahren ist und sie dabei verletzt hat. Der Bekl. hat durch sein Verhalten ebenfalls gegen die FIS-Regel 1 verstoßen. Danach muß sich jeder Skifahrer so verhalten, daß er keinen anderen gefährdet oder schädigt. Aufgrund der Beweisaufnahme steht fest, daß der Bekl. die Kl. sowohl an ihrem Eigentum als auch an ihrem Körper geschädigt hat. Bei seinem Verhalten hat der Bekl. die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen; er hat deshalb fahrlässig i.S. von § 276 I 2 BGB gehandelt.
Die Kl. trifft aufgrund ihres Verhaltens kein Mitverschulden an dem Unfall (§ 254 I BGB). Sie hat dadurch, daß sie am Pistenrand stehen blieb, nicht gegen die FIS-Regel 6 verstoßen. Danach muß es jeder Skifahrer vermeiden, sich ohne Not an engen oder unübersichtlichen Stellen einer Abfahrtsstrecke aufzuhalten. Aufgrund des Ortsaugenscheins steht fest, daß es sich bei der Stelle, an der die Kl. verweilte, nicht um eine enge oder unübersichtliche Stelle handelte. Vielmehr liegt diese Stelle oberhalb der bereits erwähnten Geländekante im abgeflachten Gebiet. Die Kl. konnte von dem Bekl. hier sehr gut gesehen werden.

3. Die Kl. kann aber auch aufgrund der Angaben der Zeugin Mden Tat-, Verschuldens- und Ursächlichkeitsbeweis zu Lasten des Bekl. führen. . . Auch aus der Schilderung der Zeugin M ergibt sich das Alleinverschulden des Bekl. an dem Unfall. Der Bekl. hat unbestritten angegeben, beim Snowboardfahren den linken Fuß vorn und den rechten Fuß hinten zu haben. Bei seinem Frontside-Turn beschrieb der Bekl. deshalb eine Rechtskurve. Nach dieser Rechtskurve fuhr er auf die oberhalb der Geländekante kniende Zeugin M zu. Um zu ihr zu gelangen, mußte er von der linken Seite der Abfahrt nahezu die gesamte Hangbreite überqueren. Nach den Feststellungen anläßlich des Augenscheins vom 22. 6. 1994 kniete die Zeugin M talwärts und - von rechts nach links gesehen - ungefähr an der Grenze vom ersten zum zweiten Drittel der Abfahrt. Der Bekl. mußte also, um von der linken Seite der Abfahrt zur Zeugin M zu kommen, zwei Drittel der Breite der Abfahrt überqueren. Demgegenüber fuhr die Kl. nach Angaben der Zeugin M in kurzen Schwüngen etwa in der Mitte der Abfahrt talwärts. Als beide auf gleicher Höhe waren, stießen sie zusammen.

Auch hieraus ergibt sich, daß der Bekl. den Unfall allein verschuldete. Durch sein Verhalten verstieß der Bekl. nicht nur gegen die bereits dargestellte FIS-Regel 1. Vielmehr verstieß er gleichzeitig gegen die FIS-Regeln 2 und 5. Nach der FIS-Regel 2 muß jeder Skifahrer seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände- und Witterungsverhältnissen anpassen. Nach der FIS-Regel 5 muß sich jeder Skifahrer, der in eine Abfahrtsstrecke einfahren oder ein Skigelände queren (traversieren) will, zuvor nach oben und unten vergewissern, daß er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann. Die Kammer verkennt nicht, daß der Bekl. den Hang nicht im eigentlichen Sinn traversiert hat oder in die Abfahrtsstrecke hineingefahren ist. Aus einer Zusammenschau von FIS-Regel 2 und FIS-Regel 5 ergibt sich jedoch, daß derjenige Skifahrer, der eine Piste in der Fallinie geradeaus oder in kurzen Schwüngen herunterfährt, vor demjenigen Skifahrer oder Snowboardfahrer Vorfahrt hat, der in so großen Bögen über die Piste fährt, daß er ihre ganze Breite oder doch ihre Breite im wesentlichen ausnutzt. Der auf diese Weise die Piste quasi traversierende Snowboardfahrer hat deshalb auf andere Ski- oder Snowboardfahrer, die die Piste in Fallinie mehr oder weniger geradeaus befahren, zu achten. Diese Pflicht hat der Bekl. fahrlässig nicht beachtet, obwohl er als erfahrener Ski-und Snowboardfahrer hierzu in der Lage gewesen wäre. Durch sein Verhalten hat der Bekl. die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet, somit fahrlässig i.S. von § 276 I 2 BGB gehandelt.

Auch bei dem von der Zeugin M geschilderten Unfallhergang trifft die Kl. kein Mitverschulden i.S. von § 254 I BGB, da ihr ein Verstoß gegen die FIS-Regeln nicht anzulasten ist. Aus der bereits dargestellten Zusammenschau aus den FIS-Regeln 2 und 5 ergibt sich, daß die Kl. gegenüber dem Bekl. vorfahrtsberechtigt gewesen ist. Die Zeugin M hat angegeben, daß der Unfall passierte, als beide Prozeßparteien auf gleicher Höhe waren. Es war deshalb nicht die Pflicht der Kl., nach links oder rechts Ausschau zu halten, ob ein anderer Ski- oder Snowboardfahrer die Piste kreuzt, vielmehr war es die Aufgabe des quasi traversierenden Bekl., auf die in Fallinie fahrende Kl. zu achten.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht

Normen

BGB §§ 276 I 2, 823 I, II, 847; StGB §§ 223, 230