Schadensteilung bei Zusammenstoß mit Gegenverkehr, der bei Rot in die Kreuzung einfährt - Schutz des Linksabbiegers durch Verkehrsampel
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
19. 05. 1981
Aktenzeichen
VI ZR 8/80 (Düsseldorf)
Zum Sachverhalt:
Im Februar 1976 kam es auf einer mit einer
Lichtzeichenanlage ausgestatteten Kreuzung zu einem Verkehrsunfall: Der Zweitkl.
fuhr mit dem Kleinkraftrad seines Vaters, des Erstkl., stadtauswärts und wollte
nach links abbiegen. Er fuhr bei grünem Lichtzeichen in den Kreuzungsbereich ein
und benutzte die für Linksabbieger markierte Fahrspur. Ihm entgegen kam der
Erstbekl. (im folgenden: Bekl.) mit seinem Pkw, der bei der Zweitbekl.
haftpflichtversichert ist. Er wollte die Kreuzung stadteinwärts in gerader Fahrt
überqueren. Im Kreuzungsbereich stießen beide Fahrzeuge zusammen. Hierbei wurde
der Zweitkl. schwer verletzt. Die Kl. haben mit der Behauptung, der Bekl. sei
mit übersetzter Geschwindigkeit und auf der für Linksabbieger bestimmten
Fahrspur in die Kreuzung eingefahren, die Hälfte des ihnen entstandenen
materiellen Schadens eingeklagt; der Zweitkl. (im folgenden: Kl.) hat zudem
Schmerzensgeld sowie die Feststellung begehrt, daß die Bekl. ihm allen weiteren
materiellen und immateriellen Schaden zur Hälfte zu ersetzen hätten.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. ist ohne Erfolg geblieben. Die - zugelassene - Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. lastet allein dem Kl. einen grob fahrlässig herbeigeführten Verursachungsbeitrag an, demgegenüber es der Betriebsgefahr des vom Bekl. gefahrenen Pkw keine ins Gewicht fallende Bedeutung beimißt.
Es hält für bewiesen, daß der Zusammenstoß auf der rechten, dem Geradeaus- und dem Rechtsabbiegerverkehr bestimmten Fahrspur der vom Bekl. benutzten Fahrbahn stattfand, der Kl. daher, nachdem er sein Kraftrad zuvor angehalten, jedenfalls dessen Geschwindigkeit stark herabgesetzt hatte, in die Fahrbahn des Bekl. hineingefahren war. Dagegen hält es nicht für bewiesen, daß die geringfügig übersetzte Geschwindigkeit des Bekl. von 76 km/h (eine solche von 70 km/h war erlaubt) unfallursächlich geworden war. Ferner, so führt es aus, sei nicht bewiesen, daß der Bekl. in oder vor dem Kreuzungsbereich - wenigstens teilweise - in die für Linksabbieger vorgesehene Spur geraten sei. Es läßt dahingestellt, ob er innerhalb seiner 4 m breiten Fahrspur gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 II StVO) verstoßen hatte, da es die Ansicht vertritt, daß der Zweck dieser Vorschrift nicht auch diejenigen Verkehrsteilnehmer schütze, die die Fahrbahn des Verpflichteten queren oder kreuzen. Auch bedürfe die von den Kl. (erstmals in der Berufungsinstanz) aufgestellte Behauptung, der Bekl. sei bei „Rot“ in die Kreuzung eingefahren, keiner Aufklärung, da ihm ein etwaiger Verstoß gegen § 37 II StVO jedenfalls im Verhältnis zum Kl. deshalb nicht zuzurechnen sei, weil es insoweit an dem erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle.
II. Das angefochtene Urteil mußte aufgehoben werden.
1. Zwar kann der Revision nicht darin gefolgt werden, daß die Vorschrift des § 2 II StV auch den Linksabbieger schützen will. Diese Vorschrift will nur den sich in Längsrichtung abwickelnden Begegnungs- und Überholverkehr schützen (s. Amtl. Begründung III, abgedr. bei Müller, StVR, 22. Aufl., § 2 StVO Rdnr. 2). Der Schutzzweck des Rechtsfahrgebots erstreckt sich nicht auf den Linksabbieger. Stößt dieser mit einem Verkehrsteilnehmer des Gegenverkehrs zusammen, dann hat sich nicht die Gefahr verwirklicht, zu deren Abwehr das Rechtsfahrgebot bestimmt ist. Diesen Grundsatz hat der BGH bisher allerdings nur für den einbiegenden Verkehr (s. VersR 1963, 163; VersR 1977, 524) und für querende Fußgänger (VersR 1964, 1069; 1975, 37 (39)) ausgesprochen. Dasselbe gilt aber für den abbiegenden Verkehr. Der Linksabbieger hat sich gem. § 9 I StVO nach links zunächst nur bis zur Fahrbahnmitte einzuordnen; noch weiter nach links darf und soll er sich nur dann einordnen, wenn ihm kein Gegenverkehr entgegenkommen kann (Richtungsfahrbahn, Einbahnstraße); auf die Einhaltung dieser Vorschriften darf der Gegenverkehr in der Regel vertrauen (s. Senat, VersR 1965, 811 (812)). Der Abbieger darf die Gegenfahrbahn nur überqueren, wenn kein Gegenverkehr oder anderer bevorrechtigter Verkehr (§ 9 III StVO) vorhanden ist. Dies gilt ganz besonders dann, wenn, wie im Streitfall, die einzelnen Fahrspuren markiert sind und damit den Geradeausverkehr und den wartenden Abbiegeverkehr eindeutig aneinander vorbeiführen.
2. Jedoch greift die zweite Rüge der Revision durch. Die Meinung des BerGer., daß es den Bekl. nicht belasten würde, wenn er trotz rotem Lichtzeichen noch in die Kreuzung eingefahren wäre, beruht auf rechtsirrtümlichen Erwägungen. Die Vorschrift des § 37 II Nr. 1 S. 6 StVO ordnet zwar in erster Linie deshalb „Halt vor der Kreuzung“ an, um dem anschließend durch „Grün“ freigegebenen Verkehr aus den Seitenstraßen das Überqueren der Kreuzung zu ermöglichen. Jedoch erstreckt sich diese Regelung durch Wechsel-Lichtzeichen auch auf den Linksabbieger, vor allem dann, wenn für diesen - wie im Streitfall - kein gesondertes Lichtzeichen besteht. Die Lichtphasen der Ampelanlagen dienen dazu, den Verkehr an Kreuzungen und Einmündungen zu regeln und einen gefahrlosen Ablauf der Verkehrsbewegungen zu ermöglichen. Dazu gehören auch die Links- und Rechtsabbieger. Richtig ist zwar, daß der bei „Grün“ in die Kreuzung eingefahrene Verkehrsteilnehmer, der nach links oder rechts abbiegen will, nach § 9 StVO - wie oben ausgeführt - verpflichtet ist, vorrangigen Verkehr, vor allem Gegenverkehr, im Kreuzungsbereich abzuwarten, daher aus dieser Wartestellung heraus, in der er (erlaubtermaßen) bereits etwas über die Ampeln hinausgefahren ist, im allgemeinen nicht mehr unmittelbarer Empfänger der Anordnungen der Wechsel-Lichtzeichen sein kann. Dennoch gibt auch ihm die Vorschrift des § 37 II Nr. 1 S. 4 StVO ein Gebot, nämlich - möglichst noch bei gelbem Lichtzeichen, notfalls auch bei „Rot“ - die Kreuzung zu räumen, und zwar vorrangig vor dem etwa schon einfahrenden Gegenverkehr (BGHZ 56, 146 = NJW 1971, 1407; Senat, NJW 1977, 1394 = VersR 1977, 154 m. w. Nachw.), dies allerdings unter Einhalten besonderer Sorgfalt (vgl. dazu auch BGH, VRS 55 (1978), 226). Infolgedessen müssen auch die Abbieger sich über den Phasenwechsel orientieren, was sie in der Regel durch Beobachtung des Verhaltens des Gegen- und Querverkehrs tun werden (falls nicht von der in der Verwaltungsvorschrift zu § 37 unter X Nr. 8 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist, den Linksabbiegern durch einen nach links gerichteten grünen Pfeil (Satz 3 des § 37 II Nr. 1 StVO) den Beginn der Rotphase für den Gegenverkehr anzuzeigen - abgedr. bei Müller, nach Gesetzestext § 37 StVO; ferner Rdnrn. 8, 22). Abbieger sind also insofern als Teilnehmer am Kreuzungsverkehr in die Phasenregelung der Wechsellichtzeichen einbezogen; sie sind mit ihrer Fahrweise von den Lichtzeichen unmittelbar abhängig. Daher werden auch sie durch diese geschützt, da der ihnen gegenüber zunächst bevorrechtigte Verkehr durch rotes Lichtzeichen zum Halten verpflichtet wird, was ihnen oft überhaupt erst das Abbiegen und damit das gebotene Räumen der Kreuzung ermöglicht. Die Ansicht des BerGer., „für den in der Kreuzung befindlichen Linksabbieger sei überhaupt keine Verkehrsampel maßgebend“, ist somit zu eng; daraus durfte es nicht schließen, daß zwischen dem durch „Rot“ verbotenen Weiterfahren des Bekl. und dem Zusammenstoß mit dem Kl. im Rechtssinne kein Zusammenhang bestehe.
3. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das BerGer., wenn es den Schutzzweck dieser Vorschrift richtig beurteilt haben würde, zu einer anderen Verteilung des Schadens gekommen wäre. Denn wenn der Bekl. trotz rotem Lichtzeichen noch in die Kreuzung eingefahren sein sollte, hätte er schuldhaft einen nicht unerheblichen Verursachungsbeitrag zu dem Unfall gesetzt. Daß freilich auch dann den Kl. ein Schuldvorwurf treffen mußte (vgl. OLG Hamm, VersR 1980, 722), hat dieser nicht geleugnet. Das BerGer. durfte darum nicht dahingestellt sein lassen, ob der Bekl. bei „Rot“ in die Kreuzung eingefahren war.
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