Minderjähriger ohne Fahrschein I

Gericht

AG Köln


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

09. 07. 1986


Aktenzeichen

119 C 68/86


Leitsatz des Gerichts

Vergisst ein minderjährige seinen Fahrschein für die Kölner Verkehrsbetriebe zu lösen und liegt die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nur für Fahrten mit Fahrschein vor, dann ist er trotzdem zur Zahlung des erhöhten Entgelts verpflichtet.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Bekl. benutzte am 30. 5. 1985 gegen 7.40 Uhr die Straßenbahnlinie 1 der Kl. Bei der durch die Fahrausweisprüferin hinter der Haltestelle F. durchgeführten Kontrolle stellte diese fest, daß sich die Bekl. keinen gültigen Fahrausweis beschafft hatte. Die Bekl. befand sich auf dem Weg zur Schule. Erst in der Bahn hatte sie bemerkt, daß sie keinen unbenutzten Sammelkartenabschnitt und auch kein Geld zum Kauf eines Einzelfahrscheins bei sich hatte, setzte ihre Fahrt aber gleichwohl fort, um rechtzeitig in der Schule zu erscheinen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Bekl. 12 Jahre alt. Am 9. 9. 1985 um 13.15 Uhr auf dem Rückweg von der Schule und am 17. 1. 1986 um 16.20 Uhr auf einer nicht schulbedingten Fahrt wurde die Bekl. erneut ohne gültigen Fahrausweis angetroffen. Die Mutter der Bekl. - als alleinige gesetzliche Vertreterin - ist mit dem Benutzen der Bahn durch ihre Tochter grundsätzlich einverstanden. Ihre Einwilligung erstreckt sich nicht auf ein Fahren ohne Fahrausweis. Die Kl. ist der Ansicht, daß ihr ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 40 DM zustehe, daß die gesetzliche Vertreterin die generelle Genhmigung zu Fahrten dieser Art (Benutzung der Straßenbahn zum Schulbesuch) erteilt habe und folglich auch für die in Frage kommende Fahrt, bei der es sich nach der Schilderung des Beklagtenvertreters um eine solche gehandelt habe, ein Beförderungsvertrag zustandegekommen sei.

Die Bekl. beantragt Klageabweisung und erhebt Widerklage gegen die Festsetzung des erhöhten Entgelts bei Minderjährigen. Die Klage hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Bekl. ist gem. § 9 der Verordnung über die allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Omnibusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 27. 2. 1970 i. d. F. der Verordnung zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher Vorschriften vom 13. 5. 1981 in Verbindung mit den vom Regierungspräsidenten Köln genehmigten „Besonderen Beförderungsbedingungen der Verkehrs- und Tarifgemeinschaft Rhein-Sieg vom 2. 2. 1980“ verpflichtet, ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 40 DM zu zahlen.

Zwischen der Kl. und der Bekl. ist ein wirksamer Beförderungsvertrag zustandegekommen.

Die für die Wirksamkeit des Vertrages erforderliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin der minderjährigen Bekl. liegt vor. Diese ist, wie die Bekl. selbst vorträgt, mit dem Benutzen der Straßenbahn durch ihre Tochter einverstanden. Diese Form des Einverständnisses ist als Generaleinwilligung zu einem Kreis von zunächst noch nicht individualisierten Geschäften zulässig. Soweit die Bekl. erklärt, die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreterin erstrecke sich nicht auf ein Fahren ohne Fahrausweis, ist dies unbeachtlich, da eine entsprechende Einschränkung gegen Treu und Glauben verstößt und insoweit unwirksam ist. Die gesetzliche Vertreterin würde dann das Risiko, ob das Kind zahlt oder nicht, auf die Kl. abwälzen wollen.

Dies ist im Hiblick darauf, daß sie das Kind die Straßenbahn in Anspruch nehmen läßt, eine unzulässige Belastung der Kl., da sie dieser in diesem Fall jede Möglichkeit nehmen würde, über den Weg der Vertragsstrafe Einfluß auf ein positives Verhalten des Kindes zu nehmen. Dem steht auch nicht entgegen, daß die Kl. diesen Einfluß auch bei Wiedereinführung von Straßenbahnschaffnern ausüben könnte, da gerade die Einführung des weitgehend automatisierten Betriebs kostengünstige Auswirkung für die Allgemeinheit und damit auch die Bekl. hat. Mit der Wirksamkeit des Beförderungsvertrags hat die Bekl. auch die sich daraus für sie ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Einer ausdrücklichen Zustimmung zu einer einzelnen Vertragsbestimmung bedarf es daher nicht mehr. Sie hat auch insoweit die Bestimmung der Beförderungsbedingungen bezüglich des erhöhten Beförderungsentgeltes gegen sich gelten zu lassen, da auch Gesetzesverstoß nicht gegeben ist.

Eine Aushöhlung des im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Minderjährigenschutzes liegt nicht vor.

Auch bei anderen Rechtsgeschäften Minderjähriger, die zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedürfen, wird der Minderjährige bei Einwilligung zum Vertragsabschluß nicht vor den Folgen - etwa einer positiven Vertragsverletzung - geschützt. Es ist auch nicht unbillig, daß die Beförderung dadurch im Ergebnis davon abhängig gemacht wird, daß die Bestimmung des erhöhten Beförderungsentgelts akzeptiert wird.

Der Vorzug der Inanspruchnahme des Verkehrsmittels steht in angemessenem Verhältnis zur Belastung bei unentgeltlicher vertragswidriger Benutzung auch im Hinblick darauf, daß zur Erhaltung der vertraglichen Zahlungs- und Fahrausweispflicht des Fahrgastes die Vereinbarung der Vertragsstrafe unbedingt erforderlich ist, wie die Vielzahl der Schwarzfahrer trotz der bestehenden Bestimmung der Verpflichtung zur Zahlung des erhöhten Beförderungsentgeltes beweist. Die Bekl. kann sich auch nicht darauf berufen, daß dem gesetzlichen Vertreter die wirtschaftlichen Folgen der Ungehorsamkeit des Kindes auferlegt würden, da andernfalls die Abwälzung auf die Allgemeinheit die unausbleibliche Folge wäre, sei es durch Abstandnahme vom weitgehend automatisierten Betrieb des Unternehmens der Kl. und damit verbundene höhere Kosten für die Kl., die letztlich wieder die Allgemeinheit treffen, sei es durch die von der Bekl. geforderten erzieherischen Maßnahmen, die ebenfalls besonderer mit Kosten verbundener Einrichtungen beziehungsweise Erweiterungen bestehender Einrichtungen bedürften.

Im übrigen reicht auch, soweit das Minderjährigenrecht den gesetzlichen Vertreter indirekt vor wirtschaftlichen Nachteilen schützen will, dieser Schutz nur so weit, als Entscheidungsfreiheit, ob Einwilligung beziehungsweise Genehmigung erteilt wird, gewährt wird. Dies ist auch hier der Fall, da der gesetzlichen Vertreterin die Entscheidung verbleibt, ob sie der Bekl. jegliche Benutzung der Bahn erlaubt oder verbietet.

Auch soweit die Bekl. ausführt, daß mangels Ermäßigung für Kinder im Rahmen des erhöhten Beförderungsentgelts dieses für Kinder relativ höher wäre als für Erwachsene, liegt darin keine unangemessene Benachteiligung, da es sich bei der Ermäßigung des Beförderungsentgeltes für Kinder um eine Vergünstigung handelt, die nicht dazu zwingt, auch auf vertragswidriges Verhalten gleiche Vergünstigung zu gewähren. Da wie oben ausgeführt mit der Bestimmung bezüglich eines erhöhten Beförderungsentgeltes von den wesentlichen Grundgedanken des Minderjährigenschutzes nicht abgewichen wird, ist auch in § 9 der Besonderen Beförderungsbedingungen der Verkehrs- und Tarifgemeinschaft kein Verstoß gegen § 9 II Nr. 1 AGB-Gesetz enthalten.

Nach § 9 der vom Regierungspräsidenten Köln genehmigten Besonderen Beförderungsbedingungen in Verbindung mit Abschnitt IX/h der Tarifbestimmungen und Entgelte der VRS vom 1. 5. 1982 hat die Bekl. ein Bearbeitungsentgelt in Höhe von 10 DM zu zahlen. Die Kl. hat nach Wochenfrist die Bekl. zur Zahlung gemahnt. Die Feststellungswiderklage war abzuweisen. Sie ist unzulässig. Für das Feststellungsbegehren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, da die Frage, ob § 9 der Besonderen Beförderungsbedingungen ohne ausdrückliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters wirksamer Bestandteil eines Beförderungsvertrages werden kann, mit der Klage entschieden werden mußte und wurde.

Rechtsgebiete

Allgemeines Zivilrecht

Normen

BGB §§ 631, 823, 812