Kein erhöhtes Beförderungsentgelt bei Schwarzfahrt eines Minderjährigen

Gericht

AG Mühlheim a. d. Ruhr


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

14. 10. 1988


Aktenzeichen

12 C 17/88


Leitsatz des Gerichts

Benutzt ein Minderjähriger ohne Fahrausweis ein öffentliches Verkehrsmittel, kann von ihm nicht das erhöhte Beförderungsentgelt verlangt werden.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. macht gegenüber dem Bekl. einen Anspruch auf Zahlung von erhöhtem Beförderungsentgelt gem. den Beförderungsbedingungen des Verkehrsverbundes geltend. Sie behauptet, der Bekl. sei am 29.3., 14.11., 30.11.1986 und 8.2.1987 mit ihren Straßenbahnen bzw. Omnibussen gefahren, ohne im Besitz eines gültigen Fahrausweises zu sein. Für jeden dieser Fälle verlangt die KI, die Zahlung von 40 DM zuzüglich jeweils 10 DM Bearbeitungsgebühr. Der Bekl. weist darauf hin, daß er als 13- bzw. 14-jähriger Schüler keine Vertragsbeziehungen zu der Kl. habe herstellen können und wollen. Er behauptet, das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel sei ihm von seinem Vater als gesetzlichen Vertreter nicht gestattet worden.

Das AG hat der Klage nur in Höhe von 5,20 DM stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet ...

Der Anspruch der Kl. auf Zahlung des erhöhten Beförderungsentgeltes läßt sich nicht aus einem zwischen den Parteien abgeschlossenen Beförderungsvertrag i. V. mit den Beförderungsbedingungen der Kl. herleiten. Ein solcher Anspruch würde nämlich das Zustandekommen eines wirksamen Beförderungsvertrages voraussetzen. Die dogmatische Herleitung des Vertragsschlusses im täglichen Massenverkehr, zu dem auch die Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln zählt, ist umstritten. Teilweise wird in der Literatur und Rechtsprechung (vgl. z. B. LG Bremen, NJW 1966, 2360) ein Vertrag unabhängig von der Äußerung eines Vertragsangebotes bzw. seiner Annahme nach den Grundsätzen des sozialtypischen Verhaltens fingiert. Nach einer anderen Ansicht (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 47. Aufl., Vorb. § 145 Anm. 5b; Medicus, BGB AT, 2. Aufl. [ 19851, Rdnrn. 245 ff.) kommt es auf eine wirksame Willenserklärung an, die allerdings schlüssig aus dem Verhalten der Vertragsparteien gefolgert werden kann. Beide Meinungen führen vorliegend zu dem gleichen Ergebnis, denn grundsätzlich bedarf die Willenserklärung eines beschränkt Geschäftsfähigen gem. §§ 107, 108 BGB der Einwilligung bzw. der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters. Ein wie auch immer begründetes Vertragsverhältnis zwischen der Kl. und dem Bekl. wäre daher aufgrund des jugendlichen Alters des Bekl. jedenfalls schwebend unwirksam. Zu seiner Wirksamkeit hätte die Willenserklärung der nachträglichen Zustimmung des Erziehungsberechtigten bedurft. Eine solche liegt nach dem unbestrittenen Vortrag des Bekl. nicht vor. Der Vater des Bekl. hat diesem nach dessen unwidersprochenem Vortrag untersagt, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus diesem Grunde ist auch kein Raum für die Annahme einer konkludenten Genehmigung durch den Vater, wie sie in Literatur und Rechtsprechung (vgl. Winkler, v. Mohrenfels, JuS 1987, 692 ff.) für das Bahnfahren von jugendlichen auf dem Weg zur Schule in Betracht gezogen wird. Da mithin ein wirksamer Beförderungsvertrag zwischen den Parteien nicht zustandegekommen ist, kommen die allgemeinen Beförderungsbedingungen der Kl. als ergänzende Vertragsbedingungen nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht.

Ein Anspruch der Kl. auf Zahlung des erhöhten Beförderungsentgeltes läßt sich auch nicht aus § 9 der Verordnung über die allgemeinen Beförderungsbedingungen für Straßenbahn- und 0-Bus-Verkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 27. 2. 1970 (BGBl. I 1970, 330 ff.) herleiten, Diese Bestimmung stellt nicht auf das Zustandekommen eines wirksamen privatrechtlichen Beförderungsvertrags ab, sondern es kommt lediglich auf ein Benutzungsverhältnis an, welches durch das Betreten des Beförderungsmittels in Kraft gesetzt wird. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß eine uneingeschränkte Anwendung dieser Vorschrift auf jugendliche zu einer Einschränkung des Minderjährigenschutzes führen würde. Es bedarf daher einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, nämlich des Interesses der öffentlichen Hand an einer reibungslosen Durchführung der ihr übertragenen Aufgaben der Daseinvorsorge gegenüber dem Interesse des Minderjährigen, gegen Leichtsinn und Unerfahrenheit vor sich selbst geschützt zu werden. Die Kl. ist, wie auch alle anderen Betreiber öffentlichen Nahverkehrs, dazu übergegangen, durch Automaten den Fahrkartenschaffner von einst zu ersetzen, Diese im Hinblick auf die Flüssigkeit und Wirtschaftlichkeit des Verkehrs erforderliche Maßnahme kann allerdings nicht dazu führen, daß der Minderjährigenschutz ausgehöhlt wird. Die Kl. hat die Möglichkeit, gegenüber solchen Jugendlichen, die aus dem Wegfall der Kontrollfunktion des Schaffners ihren Vorteil ziehen und Verkehrsmittel ohne Fahrausweis benutzen, strafrechtlich vorzugehen, wie dies auch im vorliegenden Falle geschehen ist. Für eine Einschränkung des Minderjährigenschutzes besteht jedoch keine gesetzliche Grundlage (vgl. Medicus, Rdnr. 252; Flume, BGB AT II, § 13 S. 182 Fußn. 1).

Ein Anspruch der Kl. auf Zahlung des erhöhten Beförderungsentgeltes nach den Vorschriften der § 823 II BGB, § 265a StGB scheitert daran, daß der Kl. ein Vermögensschaden nicht entstanden ist. Der Kl. sind durch die Mitnahme des Bekl. keine zusätzlichen Kosten entstanden, denn ihre Fahrzeuge werden im Liniendienst eingesetzt und befahren ihre Route unabhängig von der Anzahl der Fahrgäste. Daß die Fahrzeuge voll besetzt gewesen seien und zahlungswillige Fahrgäste hätten zurückgewiesen werden müssen, wird von der Kl. nicht vorgetragen. Allein dies hätte einen ersatzpflichtigen Schaden der Kl. begründen können (vgl. BGHZ 55, 128 ff. = NJW 1971, 609).

Der Bekl. ist jedoch gem. §§ 812 I 1 Alt. 1, 818 II BGB verpflichtet, den tariflichen Fahrpreis an die Kl. zu entrichten. Der Bekl. hat nämlich eine Dienstleistung der KI., nämlich die Beförderung in einem Verkehrsmittel erlangt. Diese Leistung ist ohne Rechtsgrund erfolgt, da, wie oben dargelegt, ein Befkörderungsvertrag zwischen den Parteien nicht zustandegekommen ist. Gem. § 818 II BGB ist der Wert der Dienstleistung zu ersetzen, mithin der tarifliche Fahrpreis in der Preisstufe 1/2, der je Fahrt 1,30 DM beträgt, mithin insgesamt 5,20 DM.

Rechtsgebiete

Allgemeines Zivilrecht

Normen

BGB §§ 107, 108