Sprachaufenthalt als Berufsausbildung

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

09. 06. 1999


Aktenzeichen

VI R 33/98 (Thüringen)


Leitsatz des Gerichts

  1. Bei der Auslegung des steuerrechtlichen Begriffs der Berufsausbildung (§ 32 IV 1 Nr. 2 lit. a EStG) kann auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte zum Bundeskindergeldgesetz a.F. nur eingeschränkt zurückgegriffen werden, da das Kindergeld - ebenso wie der Kinderfreibetrag - seit der Systemumstellung zum 1. 1. 1996 in erster Linie der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern dient.

  2. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel und damit der Berufsausbildung dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sind.

  3. Sprachaufenthalte im Ausland können dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Erwerb der Fremdsprachenkenntnisse nicht dem ausbildungswilligen Kind allein überlassen bleibt, sondern Ausbildungsinhalt und Ausbildungsziel von einer fachlich autorisierten Stelle vorgegeben werden. Auslandsaufenthalte im Rahmen von Au-pair-Verhältnissen können daher regelmäßig als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn sie von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden. Der erforderliche Umfang der Ausbildung richtet sich dabei nach den Gesamtumständen des Einzelfalles.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die 1977 geborene Tochter des Kl. erwarb im Juni 1996 das Abitur und hielt sich vom 5.1. bis 15. 7. 1997 im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses in London auf. Sie besuchte vom 14.1. bis 10. 6. 1997 einen Englisch-Sprachkurs der Eurolingua-Sprachschule in London, den sie mit einem Zertifikat der University of Cambridge erfolgreich abschloß. Der Sprachkurs umfaßte von montags bis freitags täglich zwei Zeitstunden. Für Vor- und Nacharbeit wandte die Tochter mindestens zwei Stunden pro Tag auf; für den Hin-und Rückweg zur Schule benötigte sie täglich eine Stunde. Die Tochter erhielt freie Kost und Logis und ein Taschengeld. Am 1. 8. 1997 begann die Tochter eine Ausbildung an einer staatlichen Berufsakademie, an der sie Betriebswirtschaft (Fachrichtung Bank) studiert. Für den Zeitraum des Au-pair-Verhältnisses versagte das Arbeitsamt - Familienkasse - (der Bekl.) die Gewährung von Kindergeld mit der Begründung, die Tochter befinde sich nicht in Berufsausbildung.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das FG statt; die Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

1. Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird gem. §§ 62 I, 63 I 1 und 2 i.V. mit § 32 IV 1 Nr. 2 lit. a EStG i.d.F. vom 11. 10. 1995 (JahressteuerG 1996, BGBl I 1995, 1250) beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

a) Das Tatbestandsmerkmal „für einen Beruf ausgebildet„ wird vom Gesetz nicht näher umschrieben. Durch die Verweisung in § 63 I 2 EStG auf § 32 IV EStG hat der Gesetzgeber aber klargestellt, daß der steuerrechtliche Begriff der Berufsausbildung seit der Systemumstellung zum 1. 1. 1996 auch im Kindergeldrecht anzuwenden und somit eine einheitliche steuerrechtliche Auslegung geboten ist. Auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte zum Bundeskindergeldgesetz a.F. kann dabei nur eingeschränkt zurückgegriffen werden, da das Kindergeld - ebenso wie der Kinderfreibetrag - in erster Linie der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern dient (§ 31 S. 1 EStG). Nur soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 S. 2 EStG). Dieser nachrangige Förderzweck vermag jedoch an der einheitlichen steuerrechtlichen Beurteilung des Kindergeldes nichts zu ändern (vgl. § 31 S. 3 EStG).
Aus den vorgenannten Gründen besteht keine Veranlassung, wegen einer möglichen abweichenden Auffassung zur bisherigen Rechtsprechung des BSG den GmS-OGB anzurufen (vgl. § 2 I RsprEinhG; GmS-OGB, BGHZ 100, 277 [281] = NJW 1984, 2571 = NZA 1987, 663 = LM RsprEinhG Nr. 3, BGHSt 27,5 = NJW 1976, 2354 = LM § 7 StGB 1975 Nr. 1; BGHSt 23, 377 = NJW 1971, 104 = LM Nr. 1 zu § 68 StGB 1969 [L]).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu § 32 EStG a.F. ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen BFHE 142, 140 = BStBl II 1985, 91). In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (BFH, BFH/NV 1997, 655 m.w. Nachw.). Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind.

c) Entgegen der Auffassung des Bekl. kann aus der gesetzlichen Formulierung „für einen Beruf ausgebildet wird„ (§ 32 IV 1 Nr. 2 lit. a EStG) nicht gefolgert werden, daß die Ausbildungsmaßnahme in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein oder - mangels solcher Regelungen - jedenfalls dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienen muß, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind (vgl. zur Auffassung der Verwaltung R 180 I EStR, sowie DA-Fam-EstG 63.3.2 I 4 i.V. mit Anh. 6, DA 2215 V, BStBl I 1996, 723 [836], sowie DA-Fam-EStG 63.3.2.3 VI, BStBl I 1998, 413). Die Auslegung hat vielmehr den Sinn und Zweck des seit 1. 1. 1996 geltenden steuerrechtlichen Kindergelds zu berücksichtigen, das Existenzminimum eines Kindes von der Besteuerung auszunehmen, weil durch den kindbedingten Aufwand die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern gemindert wird (vgl. BVerfGE 82, 60 = NJW 1990, 2869). Die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern ist aber auch dann gemindert, wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Studiengängen in Ausbildung befinden und von ihren Eltern unterhalten werden (FG Nürnberg, EFG 1999, 295; FG Düsseldorf, EFG 1998, 103).

Das Berufsziel wird nach ständiger Rechtsprechung von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt (BFHE 142, 140 = BStBl II 1985, 91). Denn den Eltern und dem Kind kommt bei der Gestaltung der Ausbildung von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfG, NJW 1999, 557). Das Berufsziel ist nicht ohne weiteres dann als erreicht anzusehen, wenn das Kind die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des von ihm gewählten Berufs erfüllt (BFHE 107, 447 = BStBl II 1973, 138). Die technische und wirtschaftliche Entwicklung in praktisch allen Berufszweigen läßt es vielmehr als geboten erscheinen, Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die über das vorgeschriebene Maß hinausgehen (BFHE 107, 450 = BStBl II 1973, 139). Kindern muß daher zugebilligt werden, zur Vervollkommnung und Abrundung von Wissen und Fähigkeiten auch Maßnahmen außerhalb eines fest umschriebenen Bildungsgangs zu ergreifen (FG Nürnberg, EFG 1999, 295; FG Düsseldorf, EFG 1998, 103). Demgegenüber kann aus der Definition der Berufsausbildung im Berufsbildungsgesetz (BBiG) vom 14. 8. 1969 (BGBl I 1969, 1112) für die Auslegung des steuerrechtlichen Begriffs der Berufsausbildung in § 32 EStG nichts gewonnen werden (BFHE 142, 140 = BStBl II 1985, 91).

d) Entgegen der Auffassung der Verwaltung kann auch nicht gefordert werden, daß die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nehmen muß (vgl. zur Auffassung der Verwaltung R 180 I 3 EStR, sowie DA-Fam-EStG Anh. 6 DA 2215 I 1 und 2, BStBl I 1996, 835, ebenso DA-Fam-EStG 63.3.2.5, BStBl I 1998, 414, und für Au-pair-Verhältnisse DA-Fam-EStG Anh. 6 DA 2215 V 2, BStBl I 1996, 836, ebenso DA-Fam-EStG 63.3.2.3 VI 2, BStBl I 1998, 413). Ein solches einschränkendes Erfordernis läßt sich aus dem Gesetz nicht ableiten. Für eine einschränkende Auslegung besteht auch deshalb kein Anlaß, weil der Gesetzgeber den Umfang schädlicher berufsbegleitender Tätigkeiten typisierend über die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes (§ 32 IV 2 EStG) geregelt hat (Seewald/Felix, in: Kirchhof/Söhn, EStG, § 63 Rdnr. D 21).

2. Zur Berufsausbildung gehört auch der Erwerb von Sprachfertigkeiten (vgl. BVerfG, NJW 1999, 557).

a) Der erforderliche Bezug zu einem Beruf ist bei einer planmäßigen Sprachausbildung in aller Regel zu bejahen. Fremdsprachenkurse im Ausland sowie der Besuch von allgemeinbildenden Schulen im Ausland sind im Rahmen von Austauschprogrammen als Schulausbildung und damit auch als Berufsausbildung i.S. des § 32 EStG anerkannt (Kanzler, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 32 EStG Rdnr. 96, sowie DA-Fam-EStG, Anh. 6 DA 2211 I, BStBl I 1996, 723 [830]). Nichts anderes gilt für die Vervollkommnung bzw. Erweiterung fremdsprachlicher Kenntnisse im nachschulischen Bereich. Nach der Lebenserfahrung ist auch davon auszugehen, daß gute Fremdsprachenkenntnisse eine bessere Ausgangsposition sowohl für den Erwerb eines Ausbildungsplatzes als auch für das spätere berufliche Fortkommen schaffen (vgl. BFHE 70, 316 = BStBl III 1960, 118).

b) Dem Tatbestandsmerkmal „für einen Beruf ausgebildet wird„ ist allerdings zu entnehmen, daß das Gesetz nicht jeden Auslandsaufenthalt als Berufsausbildung anerkennt, auch wenn sich dadurch die Kenntnisse der jeweiligen Landessprache verbessern. Sprachaufenthalte im Ausland können vielmehr nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Erwerb der Fremdsprachenkenntnisse nicht dem ausbildungswilligen Kind allein überlassen bleibt, sondern Ausbildungsinhalt und Ausbildungsziel von einer fachlich autorisierten Stelle vorgegeben werden. Eine Ausbildung in diesem Sinne ist ohne weiteres dann anzunehmen, wenn der Sprachaufenthalt mit anerkannten Formen der Berufsausbildung verbunden wird, z.B. mit dem Besuch einer allgemeinbildenden Schule, eines Colleges oder einer ausländischen Universität. Darüber hinaus können Auslandssprachaufenthalte z.B. im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses regelmäßig nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn sie von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden.
Der erforderliche Umfang der Ausbildung richtet sich dabei nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. Ist beispielsweise der Sprachaufenthalt im Ausland in einer Ausbildungs-/Studienordnung vorgeschrieben oder empfohlen, so ist er in der Regel anzuerkennen. Ist der Auslandsaufenthalt dagegen nicht vorgeschrieben oder empfohlen, kann ein begleitender Sprachunterricht von wöchentlich zehn Unterrichtsstunden grundsätzlich als ausreichend angesehen werden, da die Zeit der Vor- und Nachbereitung sowie die praktische Anwendung der Fremdsprache außerhalb des Unterrichts in die Gesamtbetrachtung miteinbezogen werden müssen. Zehn Unterrichtsstunden je Woche können jedoch nur einen Anhaltspunkt für die Intensität der Sprachausbildung geben. So kann Einzelunterricht wegen der umfänglicheren Vor- und Nacharbeit möglicherweise auch dann als ausreichende Ausbildung angesehen werden, wenn er eine geringere Unterrichtsstundenzahl umfaßt. Desgleichen kann die Teilnahme an einem Sprachkurs mit einer geringeren Unterrichtsstundenzahl anerkannt werden, wenn er der üblichen Vorbereitung auf einen anerkannten Prüfungsabschluß dient und das Kind den Prüfungsabschluß anstrebt, oder wenn neben dem Sprachunterricht zusätzliche fremdsprachenfördernde Aktivitäten unternommen werden, z.B. die Teilnahme an Vorlesungen oder das Halten von Vorträgen in der Fremdsprache. Feste Vorgaben lassen sich für die Auslegung der Vorschrift des § 32 IV 1 Nr. 2 lit. a EStG nicht aufstellen. Vielmehr sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzuwägen und in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen.

3. Das FG hat im Streitfall in Gesamtwürdigung der Umstände im Ergebnis zutreffend das Vorliegen einer Berufsausbildung für den Zeitraum Januar bis Juni 1997 bejaht. Die Tochter des Kl. hat an einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht von zehn Zeitstunden je Woche mit dem Ziel eines anerkannten Prüfungsabschlusses teilgenommen. Sie hat den Sprachlehrgang zudem mit einem Zertifikat abgeschlossen und im Anschluß an den Englandaufenthalt ihre Ausbildung im Fach Betriebswirtschaft (Fachrichtung Bank) an der staatlichen Berufsakademie aufgenommen. Eine erste/zweite Fremdsprache ist darüber hinaus in der Ausbildungsordnung als Zusatzfach empfohlen.

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

EStG §§ 31 S. 1, 2 und 3, 32 IV 1 Nr. 2 lit. a und b, 32 IV 2, 62 I, § 63 I 1 und 2; RsprEinhG § 2 I; FGO § 126 IV