Rückwirkender Erlass einer Beitrags- und Gebührensatzung

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

15. 04. 1983


Aktenzeichen

8 C 170/81 (Münster)


Leitsatz des Gerichts

  1. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hindert den Ortsgesetzgeber nicht, eine wegen eines Fehlers im Beitragsmaßstab rechtsunwirksame Satzung durch eine neue Satzung mit geändertem Beitragsmaßstab rückwirkend zu ersetzen. Das gilt auch insoweit, als der neue Beitragsmaßstab zu höheren Beitragspflichten führt.

  2. Zur Frage des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes gegenüber der Veranlagung zu einem Beitrag, der ein den Beitrag niedriger festsetzender, wegen Rechtsfehlers wieder zurückgenommener Bescheid vorangegangen ist.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks an der B.-Str. In dieser Straße wurde in den Jahren 1976/77 ein betriebsfertiger Abwasserkanal verlegt. Mit Bescheid v. 3. 5. 1977 zog der Bekl. den Kl. aufgrund der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung v. 18. 12. 1973 zu einem Kanalanschlußbeitrag von 12567,50 DM heran. Der Bekl. nahm den Bescheid zurück, nachdem das VG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen diesen Bescheid mit der Begründung angeordnet hatte, das zugrundeliegende Ortsrecht sei wegen Fehler in der Verteilungsregelung der Satzung rechtsunwirksam. Der Bekl. veröffentlichte unter dem 12. 12. 1977 eine Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung und zog den Kl. auf deren Grundlage mit Bescheid v. 14. 3. 1978 zu einem Kanalanschlußbeitrag von 14117,50 DM heran. Nach erfolglosem Vorverfahren erhob der Kl. Anfechtungsklage.

Das VG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Das OVG hat die Klage demgegenüber abgewiesen. Die Revision des Kl. blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:
Das Berufungsurteil beruht in seinem ersten Teil auf der Annahme, die rückwirkende Ersetzung einer wegen Rechtsfehlers im Beitragsmaßstab (Verteilungsmaßstab) unwirksamen Satzungsvorschrift durch eine neue wirksame Satzungsvorschrift dürfe für Beitragspflichtige zu einer höheren Beitragspflicht führen, als die ursprüngliche unwirksame Satzungsvorschrift vorgesehen habe; ein angefochtener Bescheid werde durch das Nachschieben einer (rückwirkenden) Satzungsvorschrift geheilt. Diese Annahme entspricht der Rechtslage.

Der Kl. macht zu Unrecht geltend, daß der Satzung v. 4. 12. 1979 nicht habe Rückwirkung beigelegt werden dürfen und daß diese Satzung dem angefochtenen Bescheid eine tragfähige Rechtsgrundlage nicht verschaffe. Die Inanspruchnahme von Rückwirkung, d. h. der Umstand, daß die Satzung v. 4. 12. 1979 die Beitragspflicht als Rechtsfolge von einem Sachverhalt (Anschlußmöglichkeit des Grundstücks an die gemeindliche Abwasseranlage) abhängig macht, der schon vor Erlaß dieser Satzung bereits geraume Zeit gegeben war, erweist sich bei der hier gegebenen Sachlage als unbedenklich.
Die Rückwirkung kommunaler Satzungen wirft in erster Linie Zulässigkeitsfragen von Gesetzesrang auf. Dieses Fragen richten sich im kommunalen Abgabenrecht an das Recht der Länder; sie sind im vorliegenden Fall durch das angefochtene Urteil zugunsten der Unbedenklichkeit der Satzung v. 4. 12. 1979 irrevisibel vorentschieden (§§ 137 I, 173 VwGO, § 562 ZPO). Für die revisionsgerichtliche Beurteilung bleibt nur die Frage, ob die Rückwirkung dieser Satzung (bundes-) verfassungsrechtlich begründeten Bedenken begegnet. Das ist nicht der Fall.

Der Rückwirkung von Rechtssätzen sind durch das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG) verankerte Gebot des Vertrauensschutzes Grenzen gezogen (BVerfGE 13, 261 (171) = NJW 1962, 291). Diese Grenzen lassen sich nicht mit Hilfe nur eines einzigen Merkmals bestimmen; sie müssen vielmehr von Fallgruppe zu Fallgruppe festgelegt werden (BVerfG 13, 261 (272) = NJW 1962, 291 sowie BVerfGE 18, 429 (439) = NJW 1965, 1267 BVerfGE 24, 220 (230)). Die Fallgruppe, die hier zu würdigen ist, zeichnet sich dadurch aus, daß - überdies: bei der Erhebung gerade eines Beitrags - ein fortdauernder Zustand nicht wahrhaft erstmalig mit einer nachteiligen Rechtsfolge verknüpft wird, sondern daß dem ein gleichartiger Regelungsversuch vorangegangen ist. Diese Fallgruppe spielt praktisch eine wichtige Rolle, weil es immer wieder vorkommt, daß sich eine - ihrerseits nicht an "Vergangenes" anknüpfende und deshalb auch nicht mit Rückwirkung erlassene - Satzung später als nichtig erweist und dieser Mangel dann durch eine rückwirkende Satzung mit gleichem Inhalt behoben werden soll.

Da hier nach den Ausführungen zum irrevisiblen Landesrecht im Berufungsurteil davon auszugehen ist, daß das vorangegangene Ortsrecht unwirksam war, stellt sich erstens die Frage, ob ein etwaiges Vertrauen der Betroffenen, wegen der Unwirksamkeit der Ausgangssatzung von einer Beitragspflicht überhaupt verschont zu bleiben, verfassungsrechtlichen (Vertrauens-) Schutz genießt. Das ist ohne weiteres zu verneinen (vgl. BVerwGE 50, 2 (8) = NJW 1976, 115). Dem etwaigen Vertrauen der Betr., einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, fehlt die Schutzwürdigkeit, weil die Betr. mit der Heranziehung zu einem Beitrag rechnen müssen (BVerfG 13, 261 (272) = NJW 1962, 291; BVerwGE 37, 252 (253) u. BVerwG, Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 6, S. 9 (10)). Sie müssen damit nicht nur deshalb rechnen, weil Beiträge als Ausgleich für gewährte Sondervorteile erhoben werden und allenfalls unter ganz ungewöhnlichen Voraussetzungen schutzwürdig erwartet werden darf, daß eine nach ihrem Wesen beitragspflichtige Leistung gleichwohl beitragsfrei gewährt werden solle. Gegen die Rechtfertigung einer solchen Erwartung spricht vielmehr durchgreifend auch der vorangegangene Erlaß einer (wenn auch nichtigen) Satzung, weil diese unmißverständlich den Willen der Gemeinde zum Ausdruck bringt, daß ein Beitrag erhoben werden soll.

Beantwortet werden muß ferner zweitens die Frage, ob sich an dieser Beurteilung dann etwas ändert, wenn bzw. soweit die rückwirkende Satzung zu einer höheren Beitragspflicht führt, als sie durch die vorangegangene (nichtige) Satzung begründet zu sein schien. Diese Frage ist jedenfalls dann uneingeschränkt zu verneinen, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Nichtigkeit der Ausgangssatzung eine Folge von Mängeln des Beitragsmaßstabs (der Verteilungsregelung) war. Müssen die Betroffenen nämlich in solchen Fällen überhaupt mit einer (notfalls rückwirkend ermöglichten) Inanspruchnahme rechnen, dann schließt dies im Fall der Nichtigkeit des Beitragsmaßstabs der Ausgangssatzung ein, mit einer höheren Inanspruchnahme rechnen zu müssen. Denn die Notwendigkeit einer von der nichtigen Satzung abweichenden "Verteilung" des Aufwandes hat unausweichlich zur Folge, daß sich die Höhe der einzelnen Beitragspflichten ändert. Das gehört daher bei den Fallgestaltungen, von denen hier die Rede ist, zu den in der Natur der Sache liegenden und dementsprechend den Betr. als vorhersehbar anzulastenden Risiken.

Angesichts dessen folgt aus dem Gesagten, daß die Rückwirkung der Satzung v. 4. 12. 1979 das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip nicht verletzt. Der Bekl. hat diese Satzung rückwirkend erlassen, um das vorangegangene unwirksame Ortsrecht zu ersetzen.

Wie Fallgestaltungen zu beurteilen sind, in denen die erhöhte Inanspruchnahme ganz außer Verhältnis zu dem steht, was die Ausgangssatzung zu verlangen schien, kann auf sich beruhen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Ebensowenig bedarf der Prüfung, wie solche Sachverhalte zu beurteilen sind, in denen die Gemeinde die Ersetzung einer wegen fehlerhaften Beitragsmaßstabs unwirksamen Ausgangssatzung zum Anlaß nimmt, den Beitragssatz durch Einbeziehung bisher nicht berücksichtigter Aufwendungen zu erhöhen oder in denen aufgrund einer rechtswirksamen Ausgangssatzung Beitragspflichten entstanden waren und diese durch die rückwirkende Änderung des Beitragsmaßstabs oder des Beitragssatzes gesteigert werden. Fragen dieses Inhalts wirft der vorliegende Fall nicht auf.

Verstößt danach die materiellrechtliche Rückwirkung der Satzung v. 4. 12. 1979 nicht gegen Bundesrecht, so ist auch die in Anwendung und Auslegung irrevisiblen Landesrechts ergangene Entscheidung des BerGer., der angefochtene Beitragsbescheid sei durch das Nachschieben dieser Satzung mit verfahrensrechtlicher Rückwirkung geheilt worden, weil die Rückwirkung der Satzung zeitlich den angefochtenen Bescheid erfasse, bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

Das Berufungsurteil beruht in seinem zweiten Teil auf der Annahme, ein Vertrauensschutz des Kl., nicht mit einem höheren Beitrag belastet zu werden, als der Bescheid v. 3. 5. 1977 einen Beitrag festgesetzt habe, scheitere daran, daß der Bekl. diesen Bescheid zurückgenommen hat. Diese Auffassung verletzt Art. 20 GG.

Es steht außer Zweifel, daß sich auch an den Bescheid v. 3. 5. 1977 ein verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz anschließen könnte. Dem stünde nicht entgegen, daß es sich um einen nach seinem Tenor belastenden Bescheid handelt. Auch ein nach seinem Tenor belastender Bescheid kann ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein (vgl. BVerwGE 30, 132 (133 f) = NJW 1968, 2075 und dazu Schröcker, NJW 1968, 2037). Der Adressat eines solchen Bescheids könnte etwa die Gründe des Bescheids oder allein die Tatsache, nicht zu einem höheren Beitrag herangezogen worden zu sein, zum Anlaß eines Vertrauens nehmen, mit einem weitergehenden Beitrag nicht mehr belastet zu werden. Ein auf diese Weise etwa begründeter Vertrauensschutz entfiele nicht schon dadurch, daß die Behörde den Bescheid (mit ex-tunc-Wirkung) zurücknimmt und diese Rücknahme zusätzlich, wie das hier der Fall ist, bestandskräftig wird. Denn das etwa geschützte Vertrauen schließt sich der Tatsache an, daß der Bescheid erlassen worden ist, und diese Tatsache wird durch die Rücknahme des Bescheids nicht ungeschehen gemacht.

Das Berufungsurteil erweist sich aber insoweit aus anderen Gründen als richtig. Dahinstehen mag, ob ein Vertrauensschutz bereits deshalb entfällt, weil es an einer Vertrauensbetätigung fehlt. Das BerGer. hat nichts dafür festgestellt, daß der Kl. im Vertrauen auf den Bescheid v. 3. 5. 1977 etwas ins Werk gesetzt hätte. Darauf braucht indessen nicht näher eingegangen zu werden. Denn jedenfalls wäre eine Vertrauensbetätigung nicht schutzwürdig. Nicht jeder belastende Verwaltungsakt ist schon aus der Natur der Sache tragfähig für den - ein entsprechendes Vertrauen rechtfertigenden - Gegenschluß, daß von dem Betr. mehr als dies nicht verlangt werden solle. Im Gegenteil ist ein solcher Schluß in der Regel nicht gerechtfertigt, so daß besondere Umstände hinzutreten müssen, wenn er sich (zumal aus verfassungsrechtlichen Gründen) dennoch rechtfertigen soll. An solchen Umständen fehlt es hier. Der Tenor des Bescheids v. 3. 5. 1977 (... "wird der Beitrag für den Anschluß Ihres Grundstücks ... an die öffentliche Abwasseranlage hiermit auf ... DM festgesetzt") enthält keine Erklärung des Inhalts, eine weitergehende Beitragspflicht sei nicht entstanden, sie werde erlassen oder sie werde nicht mehr geltend gemacht. Ebensowenig ergeben sich aus der zur Begründung des Bescheids beigefügten Berechnung verläßliche Anhaltspunkte für die Aussage, der Kl. werde mit einem weitergehenden Beitrag nicht mehr belastet werden. Nach Lage der Dinge konnte der Kl. daher nicht einmal schlechthin sicher sein, daß es sich bei dem Bescheid v. 3. 5. 1977 um mehr als eine Teilveranlagung handele. Auch das mag jedoch im einzelnen auf sich beruhen. Selbst wenn der Bescheid v. 3. 5. 1977 nämlich als Vertrauensgrundlage inhaltlich an sich ausreichte, würde zu Lasten des Kl. die Zulässigkeit einer Verböserung (sog. reformatio in peius) durchgreifen und zur Folge haben, daß eine (bundes)verfassungsrechtliche Schranke für eine weitergehende Beitragsbelastung nicht besteht (vgl. dazu BVerwGE 14, 175 (179) u. BVerwGE 51, 310 (313, 315) = NJW 1977, 1894). Der Kl. hat den Bescheid v. 3. 5. 1977 mit dem Widerspruch angefochten. Damit hat er selbst die Aufrechterhaltung dieses Bescheides in Frage gestellt und ihm die Eignung als Grundlage eines schutzwürdigen Vertrauens genommen. Wer einen Bescheid anficht, muß - dies jedenfalls unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes - grundsätzlich auch die Verschlechterung seiner Position in Kauf nehmen und kann deshalb ein entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen aufgrund dieses Bescheids nicht bilden (vgl. BVerwGE 14, 175 u. BVerwGE 51, 310 = NJW 1977, 1894). Das gilt jedenfalls bis zu der hier nicht erreichten Grenze, daß die Verböserung "zu nahezu untragbaren Verhältnissen für den Betroffenen führen würde" (vgl. für den Fall der rechtswidrigen Zusage DVBl 1966, 857 (859)).

Rechtsgebiete

Steuerrecht