Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes für arbeitslose Nichtkirchenmitglieder

Gericht

BVerfG


Datum

23. 03. 1994


Aktenzeichen

1 BvL 8/85


Leitsatz des Gerichts

Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß nach § 111 II 2 Nr. 2 AFG auch bei Arbeitslosen, die keiner Kirche angehören, bei der Berechnung des Nettoentgelts, nach dem sich die Höhe des Arbeitslosengeldes bestimmt, ein Kirchensteuer-Hebesatz zu berücksichtigen ist.

Entscheidungsgründe

Die Klin. des Ausgangsverfahrens gehörte keiner Kirche an. Zum 1. 1. 1983 meldete sie sich arbeitslos. Gegen den Bescheid des Arbeitsamtes wandte sich die Klin. mit der Begründung, dieses hätte bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage - der nach § 112 AFG berechnete Bruttoverdienst, vermindert um die gesetzlichen Abzüge, die gewöhnlich bei Arbeitnehmern anfallen - nicht "den im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz" (§ 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG) mitberücksichtigen dürfen. Das vom LSG nach Art. 100 Abs. 1 GG angerufene BVerfG hat nun die Vorlagefrage wie oben angegeben beantwortet. Das BVerfG knüpft an seine bisherige Rechtsprechung an und bejaht zum einen, dass das Arbeitslosengeld in den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt, und zum anderen, dass der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zu typisierenden Regelungen befugt ist. Typisierende Regelungen sind bei Arbeitnehmern zulässig, wenn aus statistischen Erkenntnissen hervorgeht, dass die "überwiegende Mehrheit" der Arbeitnehmer die Abgabe zahlt, und deren Abzug "nicht sehr stark ins Gewicht fällt". Für den streitbefangenen Zeitraum wird diese Grenze noch nicht überschritten. Angesichts der völlig anders gelagerten Situation im Beitrittsgebiet hat das BVerfG dem Gesetzgeber jedoch aufgegeben, überprüfen zu lassen, ob im Bundesgebiet noch eine "deutliche Mehrheit" von Arbeitnehmern Kirchensteuern zahlt. Das BVerfG sieht den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG als nicht berührt an und verneint eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG, da der Gesichtspunkt der Beitragsäquivalenz eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Höhe des geleisteten Arbeitslosengelds rechtfertigt. Denn sowohl kirchensteuerpflichtige als auch nichtkirchensteuerpflichtige Arbeitnehmer zahlen gleich hohe Beiträge. Zwar verfügt ein nichtkirchensteuerpflichtiger Arbeitnehmer über einen etwas höheren Lebensstandard als ein vergleichbarer kirchensteuerpflichtiger Arbeitnehmer. Das Lebensstandardprinzip ist jedoch kein Verfassungsgebot, das Vorrang vor der Beitragsäquivalenz hat.


Die Entscheidung hat auch Bedeutung für Kurzarbeitergeld, Unterhaltsgeld, Schlechtwettergeld und Arbeitslosenhilfe."

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

GG Art. 3 I, 4 I, 14 I 1; AFG § 111 II 2 Nr. 2