Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes für arbeitslose
Nichtkirchenmitglieder
Leitsatz des Gerichts
Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß nach § 111 II 2 Nr. 2 AFG auch
bei Arbeitslosen, die keiner Kirche angehören, bei der Berechnung des
Nettoentgelts, nach dem sich die Höhe des Arbeitslosengeldes bestimmt, ein
Kirchensteuer-Hebesatz zu berücksichtigen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klin. des Ausgangsverfahrens gehörte keiner Kirche an. Zum 1. 1. 1983
meldete sie sich arbeitslos. Gegen den Bescheid des Arbeitsamtes wandte sich die
Klin. mit der Begründung, dieses hätte bei der Berechnung der
Bemessungsgrundlage - der nach § 112 AFG berechnete Bruttoverdienst, vermindert
um die gesetzlichen Abzüge, die gewöhnlich bei Arbeitnehmern anfallen - nicht
"den im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz" (§
111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG) mitberücksichtigen dürfen. Das vom LSG nach Art.
100 Abs. 1 GG angerufene BVerfG hat nun die Vorlagefrage wie oben angegeben
beantwortet. Das BVerfG knüpft an seine bisherige Rechtsprechung an und bejaht
zum einen, dass das Arbeitslosengeld in den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt,
und zum anderen, dass der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität
zu typisierenden Regelungen befugt ist. Typisierende Regelungen sind bei
Arbeitnehmern zulässig, wenn aus statistischen Erkenntnissen hervorgeht, dass
die "überwiegende Mehrheit" der Arbeitnehmer die Abgabe zahlt, und deren Abzug
"nicht sehr stark ins Gewicht fällt". Für den streitbefangenen Zeitraum wird
diese Grenze noch nicht überschritten. Angesichts der völlig anders gelagerten
Situation im Beitrittsgebiet hat das BVerfG dem Gesetzgeber jedoch aufgegeben,
überprüfen zu lassen, ob im Bundesgebiet noch eine "deutliche Mehrheit" von
Arbeitnehmern Kirchensteuern zahlt. Das BVerfG sieht den Schutzbereich des Art.
4 Abs. 1 GG als nicht berührt an und verneint eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1
GG, da der Gesichtspunkt der Beitragsäquivalenz eine Gleichbehandlung
hinsichtlich der Höhe des geleisteten Arbeitslosengelds rechtfertigt. Denn
sowohl kirchensteuerpflichtige als auch nichtkirchensteuerpflichtige
Arbeitnehmer zahlen gleich hohe Beiträge. Zwar verfügt ein
nichtkirchensteuerpflichtiger Arbeitnehmer über einen etwas höheren
Lebensstandard als ein vergleichbarer kirchensteuerpflichtiger Arbeitnehmer. Das
Lebensstandardprinzip ist jedoch kein Verfassungsgebot, das Vorrang vor der
Beitragsäquivalenz hat.
Die Entscheidung hat auch Bedeutung für Kurzarbeitergeld, Unterhaltsgeld,
Schlechtwettergeld und Arbeitslosenhilfe."
Rechtsgebiete
Steuerrecht
Normen
GG Art. 3 I, 4 I, 14 I 1; AFG § 111 II 2 Nr. 2