Arbeitslosigkeit und Kirchensteuer I
Gericht
BSG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
08. 11. 2001
Aktenzeichen
B 11 AL 43/ 01 R
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld (Alg);
der Kläger macht geltend, bei der Bemessung hätte nicht eine tariflich
regelmäßige, sondern die tatsächliche Arbeitszeit als Fernfahrer berücksichtigt
werden müssen.
Der 1938 geborene, verheiratete Kläger, der seit dem 1.
Juli 1999 Altersrente bezieht, war von 1979 bis zum 31. Oktober 1997 als
LKW-Fahrer beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte die beklagte Bundesanstalt
für Arbeit (BA) mit Bescheid vom 25. November 1997 ab 1. November 1997 Alg für
832 Tage. Der Bemessung der Leistung legte sie den allgemeinen Leistungssatz
nach der Leistungsgruppe C sowie ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 960 DM
zugrunde, das zu einem Zahlbetrag von 408 DM führte. Mit dem Widerspruch machte
der Kläger geltend, ihm stehe höheres Alg zu, weil er in den letzten sechs
Monaten vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich in 1. 982
Arbeitsstunden ein Arbeitsentgelt von 31. 878 DM erzielt habe. Die BA wies den
Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1998 zurück und erläuterte
in den Gründen die Bemessung näher.
Im Klageverfahren hat das
Sozialgericht (SG) die Lohnbuchhalterin K. M. zur Arbeitsbescheinigung des
früheren Arbeitgebers und zur betrieblichen Tarifpraxis vernommen. Sie hat
darauf hingewiesen, nach § 5 Abs 4 des Bundes-Manteltarifvertrages könne ein
Fahrer insgesamt 70 Stunden in der Woche tätig sein. Mit Urteil vom 8. Juni 1999
hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, für
die Bemessung des Alg sei nicht eine tariflich zulässige Arbeitszeit, sondern
die im Tarifvertrag als regelmäßige Arbeitszeit vorgesehene Zeit maßgebend. Nach
dem Bundes-Manteltarifvertrag sei die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf
56, 5 Stunden festgelegt gewesen. Gegenteiliges ergebe sich nicht aus § 5 Abs 4
des Bundes-Manteltarifvertrages, weil dieser nicht die Arbeitszeit, sondern die
Schichtzeit und damit die Frage regele, wie innerhalb der tariflichen
regelmäßigen Arbeitszeit die Schichtzeiten verteilt werden könnten. Auch
Kabinenzeiten könnten die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit nicht
erhöhen.
Im Berufungsrechtszug hat sich der Kläger auf Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit der Bemessung
kurzfristiger Lohnersatzleistungen, die auf Einmalzahlungen zu leistende
Beiträge unberücksichtigt lasse, und eine Stellungnahme des Bundessozialgerichts
(BSG) zu § 134 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) bezogen,
wonach die Bemessung von Alg deutlich der Sicherung des bisherigen
Lebensstandards von Arbeitslosen diene. Danach gebe es keinen sachlichen Grund,
Arbeitsentgelt, auf das Beiträge entrichtet worden seien, unberücksichtigt zu
lassen. Der Kläger habe auf das von ihm durch Mehrarbeit erzielte Arbeitsentgelt
Beiträge entrichtet, so dass er gegenüber solchen Arbeitnehmern, die das gleiche
Monatsbruttogehalt erzielten, bei der Bemessung des Alg ungleich behandelt
werde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) hat die
BA anerkannt, das Bemessungsentgelt sei nach dem
Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz zu erhöhen. Der Kläger hat dieses
Teilanerkenntnis angenommen.
Mit Urteil vom 18. April 2001 hat das LSG
die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat durch Bezugnahme auf die
Entscheidungsgründe des SG festgestellt, dass der Kläger im Bemessungszeitraum
vom 1. Mai bis 31. Oktober 1997 Arbeitsentgelt in Höhe von 27. 483, 28 DM in 1.
624, 35 Stunden und damit einen Stundenlohn von 16, 92 DM erzielt hat.
Mehrarbeitszuschläge hat der Kläger nicht erhalten. Der Bezugnahme des
Individualarbeitsvertrages vom 8. Februar 1979 auf den
Bezirks-Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im privaten
Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1994 und auf den
Bundes-Manteltarifvertrag für den Güter- und Möbelfernverkehr vom 14. Juli 1998
hat das LSG als tarifliche regelmäßige Arbeitszeit die Höchstarbeitszeit von 113
Stunden in der Doppelwoche (56, 5 Stunden wöchentlich) entnommen. Im übrigen hat
es ausgeführt, für die Berücksichtigung einer wöchentlichen regelmäßigen
Arbeitszeit von 70 Stunden finde sich im Gesetz keine Grundlage. Nach dem
Bezirks-Manteltarifvertrag betrage die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 39
Stunden, zu denen für Kraftfahrer fünf Stunden wöchentlich Ein- und Ausfahrzeit
hinzu kämen. Diese regelmäßige Arbeitszeit könne im Hinblick auf § 7 der
Arbeitszeitordnung bis zu höchstens 56, 5 Stunden verlängert werden. Der
Bundes-Manteltarifvertrag enthalte keine Regelungen zur regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit, sondern nur zu den höchst zulässigen Zeiten sowie zur
höchst zulässigen Gesamtzeit. Dazu habe das BSG wiederholt entschieden, eine von
der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit abweichende tarifliche Arbeitszeit
sei bei der Bemessung des Alg nur heranzuziehen, wenn auch die längere
tatsächliche Arbeitszeit eine vom Tarifvertrag als regelmäßig vorgesehene oder
zugelassene Arbeitszeit anzusehen sei. Längere als die zulässigen Arbeitszeiten
seien für die Bemessung unerheblich. Die Bemessungsregelung sei
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das habe das BVerfG bereits in einem
Beschluss vom 3. April 1979 ausgeführt. Das Lebensstandardprinzip ergäbe sich
nicht aus der Verfassung. Die Bemessung des Alg stehe im Einzelfall
typischerweise nicht in einer Beziehung zur individuellen Beitragsleistung. Dies
beruhe auch darauf, dass alle Arbeitnehmer ohne Berücksichtigung ihres
individuellen Arbeitslosigkeitsrisikos gleichmäßig zur Beitragsleistung
herangezogen würden. Verfassungsrechtlichen Maßstäben entspreche es, wenn dem
Arbeitslosen für den Ausfall an Arbeitsentgelt ein Ersatz dafür geboten werde,
dass er gegenwärtig keinen tariflich bezahlten Arbeitsplatz finde. Diese
Rechtsprechung des BVerfG sei auch durch den Beschluss vom 24. Mai 2000 nicht
überholt. Sachliche Gründe für die vom Kläger beanstandeten Differenzierungen
ergäben sich aus den Erwägungen des Beschlusses vom 3. April 1979. Im übrigen
habe das BSG in Kenntnis der neueren Rechtsprechung des BVerfG die Anwendung des
§ 112 Abs 3 und 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für unproblematisch
gehalten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die
Verletzung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) und der §§ 2 und 5 Abs 4 des
Bundes-Manteltarifvertrages. Dazu führt er aus, wenn die tariflichen Regeln ohne
Allgemeinverbindlicherklärung überhaupt anzuwenden seien, müsse die Anwendung
konsequent erfolgen. Es sei zu berücksichtigen, dass unter Arbeitszeit nach § 2
Bundes-Manteltarifvertrag sämtliche Arbeiten einschließlich der
Arbeitsbereitschaftszeiten zu verstehen seien. Im übrigen ergäbe sich aus § 5
Abs 4 des Bundes-Manteltarifvertrages, dass die regelmäßige wöchentliche
Arbeitszeit 70 Stunden umfassen könne. Die Begrenzung der Leistungsbemessung
durch eine angebliche tarifliche Arbeitszeit von 56, 5 Stunden in der Woche
führe zu einem unangemessenen und unbilligen Ergebnis, das nur zu dem Schluss
führen könne, der § 112 Abs 3 AFG sei verfassungswidrig. Für unterschiedliche
Leistungen an Versicherte mit gleicher Beitragsbelastung bestehe kein
hinreichend sachlicher Grund. Dem habe der Gesetzgeber mit der Regelung des §
134 SGB III Rechnung getragen. Im übrigen sei zu berücksichtigen, dass im
Fernverkehr eingesetzte LKW-Fahrer an einem anderen Arbeitsplatz den gleichen
Lohn und damit den gleichen Lebensstandard erzielt hätten.
Der Kläger
beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18.
April 2001 und des Sozialgerichts Köln vom 8. Juni 1999 aufzuheben, den Bescheid
der Beklagten vom 25. November 1997 idF des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar
1998 und des Änderungsbescheides vom 18. Juli 2001 zu ändern und die Beklagte zu
verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung einer
wöchentlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 70 Stunden zu gewähren.
Die
Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf
höchstrichterliche Rechtsprechung und schließt sich der Rechtsansicht des LSG
an.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat eine Anfrage des 7.
Senats des BSG zum Anteil der Mitglieder von Kirchen, die zur Erhebung von
Kirchensteuer ermächtigt sind, an der gesamten Arbeitnehmerschaft vom 30. August
2001 und die Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 6.
November 2001 - II b2-25543 - in das Verfahren eingeführt und mit den
Beteiligten erörtert. Auf die als Anlage zur Sitzungsniederschrift genommenen
Unterlagen wird zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet, denn die Entscheidung des LSG
beruht nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§§ 170, 162
Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
1. Maßgebend für die Bemessung des dem
Kläger ab 1. November 1997 zustehenden Alg sind die §§ 111 ff AFG idF des
Gesetzes vom 22. Oktober 1997 (BGBl I 2486).
Nach § 111 Abs 1 AFG beträgt
das Alg für Arbeitslose ohne Kinder im Sinne des Einkommensteuerrechts 60 vH des
um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen,
verminderten Arbeitsentgelts. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger oder seine
Ehefrau ein Kind im Sinne des Einkommenssteuerrechts haben, sind nicht
ersichtlich. Solches macht der Kläger auch nicht geltend.
2.
Arbeitsentgelt iS des § 111 Abs 1 AFG ist das Arbeitsentgelt, das der
Arbeitslose in den abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen der letzten sechs
Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor dem Entstehen des
Anspruchs durchschnittlich in der Woche erzielt hat (§ 112 Abs 1 Satz 1 und Abs
2 Satz 1 AFG). Nach der Feststellung des SG hat der Kläger in der Zeit vom 1.
Mai bis 31. Oktober 1997 ein Bruttoarbeitsentgelt von 27. 483, 28 DM in 1. 624,
35 Arbeitsstunden erzielt. Der Stundensatz betrug damit 16, 92 DM. Diese
Feststellungen hat sich das LSG in den Entscheidungsgründen zu eigen gemacht.
Die Revision hat gegen sie Prozeßrügen nicht erhoben, so dass diese
tatsächlichen Feststellungen für den Senat bindend sind (§ 163 SGG).
2. 1
Für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts
wird das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte
Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden vervielfacht, die sich als
Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der
Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (§ 112 Abs 3 Satz 1
AFG). Als tarifliche regelmäßige Wochenarbeitszeit hat das LSG nach § 3 Abs 1
Bundes-Manteltarifvertrag die höchst zulässige Arbeitszeit von 113 Stunden in
der Doppelwoche, mithin 56, 5 Stunden in der Woche, zugrunde gelegt und nach dem
Stundensatz von 16, 92 DM ein wöchentliches Bruttoarbeitsentgelt von 955, 98 DM
ermittelt. Dieses Entgelt ist nach § 112 Abs 10 AFG auf den nächst höheren durch
10 teilbaren Betrag (960 DM) zu runden und führt nach der auf der Grundlage des
§ 111 Abs 2 AFG erlassenen AFG-Leistungsverordnung 1997 nach der der
Steuerklasse III entsprechenden Leistungsgruppe C zu einem wöchentlichen
Zahlbetrag von 408 DM. Diesen Betrag hat die BA dem Kläger
zuerkannt.
Soweit § 434c Abs 1 SGB III, eingefügt durch das
Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21. Dezember 2000 (BGBl I 1971), vorsieht,
dass § 112 AFG mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass das Bemessungsentgelt, das
sich vor der Rundung ergibt, um 10 Prozent zu erhöhen ist, hat die Beklagte den
Anspruch des Klägers anerkannt. Der Kläger hat das Anerkenntnis angenommen.
Weiteres ist hierzu nicht zu bemerken.
2. 2 Demgegenüber findet die
Ansicht der Revision, für die Leistungsbemessung sei eine tatsächliche
Arbeitszeit des Klägers von 70 Stunden in der Woche zu berücksichtigen, im AFG
keine Stütze. Auch die Rüge, aus den §§ 2 und 5 Abs 4 des
Bundes-Manteltarifvertrages ergäbe sich eine längere tarifliche Arbeitszeit,
greift nicht durch. Aus § 2 Bundes-Manteltarifvertrag ist lediglich eine
begriffliche Klarstellung zu entnehmen, welche Zeiten unterschiedlicher
Arbeitsintensität (Lenkzeit, Be- und Entladearbeiten, Reparaturarbeiten, Vor-
und Abschlussarbeiten, sonstige Arbeiten sowie die Arbeitsbereitschaftszeiten)
dem Begriff Arbeitszeit iS des Bundes-Manteltarifvertrages zuzuordnen sind. Eine
Regelung der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, auf die es nach
§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG für die Bemessung des Alg ankommt, enthält § 2 ebenso
wenig wie § 5 Bundes-Manteltarifvertrag, der die Dauer von Arbeitsschichten
betrifft. Der von der Revision herangezogene § 5 Abs 4 Bundes-Manteltarifvertrag
befasst sich dabei mit der Höchstdauer und Häufigkeit von Schichten innerhalb
der Woche. Die Berücksichtigung des Bundes-Manteltarifvertrages zur Feststellung
der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Dabei kommt es auf eine Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien oder die
Allgemeinverbindlicherklärung des Bundes-Manteltarifvertrages nicht an. Die
Berücksichtigung der Tarifvereinbarungen hat das LSG mit der Bezugnahme des § 9
des Individualarbeitsvertrages des Klägers auf die Tarifvereinbarungen
gerechtfertigt. Das ist nach dem Urteil BSGE 51, 64, 67 = SozR 4100 § 112 Nr 15
nicht zu beanstanden. Dort hat das BSG grundsätzlich ausgeführt, weshalb die
Begrenzung des für die Bemessung von Alg maßgeblichen Faktors "Arbeitszeit"
durch die Begriffe "durchschnittlich", "tariflich" und "regelmäßig" sachgerecht
ist. Sie soll Schwankungen der Arbeitszeit im Bemessungszeitraum ausgleichen und
ungewöhnlich hohe Verdienste durch Mehrarbeit von der Berücksichtigung
ausschließen. Die Höhe der Leistung ist zwar an den vor Beginn der
Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommensverhältnissen orientiert. Diese haben
aber lediglich Indizfunktion für den durch die Arbeitslosigkeit eingetretenen
Einkommensverlust, den das Alg ausgleichen soll (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111
Nr 3 mwN). Außerdem hat das BSG in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, die
Regelung verfolge auch die Absicht, das Verfahren zu vereinfachen, und hat auch
aus diesem Grunde die Begrenzung des Faktors "Arbeitszeit" auf einen
durchschnittlichen Mittelwert als sachgerecht angesehen (BSGE 51, 64, 66 = SozR
4100 § 112 Nr 15 mwN). Daran hat es auch in Kenntnis der neueren Rechtsprechung
des BVerfG zum Problem von Äquivalenzabweichungen in der
Arbeitslosenversicherung festgehalten (Beschlüsse vom 8. Februar 1996 - 11 BAr
183/ 95 -, 4. November 1999 - B 7 AL 66/ 99 B -, Urteil vom 14. Dezember 2000 -
B 11 AL 60/ 00 R - alle unveröffentlicht).
2. 3 Die Begrenzung des
Zeitfaktors auf die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG)
ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der erörterte Zweck
der Regelung ergibt bereits, dass die Vorschrift - entgegen der Ansicht der
Revision - nicht willkürlich ist. Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung
entschieden, der Gesetzgeber sei bei der Gestaltung sozialrechtlicher Systeme
nicht gehalten, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den
Beiträgen festzusetzen. Es hat dies unter anderem damit gerechtfertigt, dass
alle Arbeitnehmer ohne Berücksichtigung ihres individuellen
Arbeitslosigkeitsrisikos gleichmäßig zur Beitragsleistung herangezogen werden
(BVerfGE 51, 115, 124 ff = SozR 4100 § 112 Nr 10). Diesen Grundsatz hat das
BVerfG auch mit seinen Entscheidungen über die beitrags- und leistungsrechtliche
Behandlung von Einmalzahlungen im Arbeitsverhältnis nicht aufgegeben. Die
Entscheidungen vom 11. Januar 1995 und 24. Mai 2000 betreffen lediglich
Äquivalenzabweichungen bei Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung
(BVerfGE 92, 53, 71 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6; BVerfGE 102, 127, 142 = SozR
3-2400 § 23a Nr 1), nicht aber die Begrenzung des Alg der Höhe nach durch den
Zeitfaktor (tarifliche regelmäßige Arbeitszeit - § 112 Abs 3 Satz 1 AFG).
Ausdrücklich hat das BVerfG aaO hervorgehoben, von Verfassungs wegen sei es bei
der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen nicht geboten, eine
versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und
der Höhe der Leistungen herzustellen. Als Beleg hat es auf die für die hier zu
behandelnde Frage einschlägige Entscheidung BVerfGE 51, 115, 124 f = SozR 4100 §
112 Nr 10 Bezug genommen. Aus dem Umstand, dass für die Bemessung des Alg nach
dem SGB III auf den Zeitfaktor nicht mehr zurückzugreifen ist, lassen sich
Schlüsse auf die Verfassungswidrigkeit des § 112 Abs 3 Satz 1 AFG nicht ziehen.
Sofern Bemessungsvorschriften der §§ 129 ff SGB III dem "Lebensstandardprinzip"
entsprechen, ist dies nicht verfassungsrechtlich geboten (BVerfGE 51, 115, 125 =
SozR 4100 § 112 Nr 10). Vielmehr hat der Gesetzgeber insoweit von seiner
Möglichkeit Gebrauch gemacht, das System der Arbeitslosenversicherung ab 1.
Januar 1998 abweichend sozialpolitisch zu gestalten. Aus diesem Grunde bietet
auch das Gebot des sozialen Rechtsstaats keine Grundlage dafür, Leistungen bei
Arbeitslosigkeit entgegen der gesetzlichen Regelung zu bemessen (BVerfGE 51,
115, 125 = SozR 4100 § 112 Nr 10).
3. Die Verfassungswidrigkeit der
Bemessung des Alg im übrigen lässt sich auch nicht deshalb feststellen, weil
nach § 111 Abs 2 Nr 2 AFG bei der Ermittlung des Nettolohns der niedrigste in
den Ländern geltende Kirchensteuer-Hebesatz zu berücksichtigen ist. Allerdings
hat das BVerfG ausgesprochen, die im Interesse der Praktikabilität mit dieser
Vorschrift erfolgte verfassungsrechtlich zulässige Typisierung und
Pauschalisierung finde ihre Grenze am rechtsstaatlichen Gebot der
Rechtsklarheit, wenn nicht mehr davon auszugehen sei, dass "die überwiegende
Mehrheit der Arbeitnehmer" Kirchensteuer zu zahlen hat und "deren Abzug nicht
sehr stark ins Gewicht fällt". Es hat dem Gesetzgeber aufgetragen, "die weitere
Entwicklung zu beobachten", um die verfassungsrechtlichen Grenzen der
Typisierung zu wahren (BVerfGE 90, 226, 236 ff = SozR 3-4100 § 111 Nr 6). Der
Senat kann sich auf Grund des verfügbaren Zahlenmaterials nicht die Überzeugung
bilden, dass § 111 Abs 2 Nr 2 AFG nicht mehr dem Gebot der Rechtsklarheit
entspricht. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat auf Anfrage
unter dem 6. November 2001 mitgeteilt, der Anteil der Arbeitnehmer, die
Kirchensteuer zahlen, lasse sich nur über die Lohn- und Einkommensteuerstatistik
ermitteln. Diese werde in dreijährigem Turnus erstellt. Im Sommer 1999 sei die
Statistik für das Jahr 1995 erstellt worden; mit den Ergebnissen für 1998 werde
im Sommer 2002 gerechnet. Der Anteil Kirchensteuer zahlender Arbeitnehmer werde
in Anlehnung an den Anteil der Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung
ermittelt, dieser Unterschied werde als annähernd konstant betrachtet. Die Lohn-
und Einkommensteuerstatistik habe für 1995 30, 9 Millionen lohnsteuerpflichtige
Arbeitnehmer ausgewiesen, von denen 18, 4 Millionen Kirchenlohnsteuer
entrichteten. Nach Mitteilungen der Evangelischen Kirche Deutschlands und des
Verbands der Diözesen Deutschlands bzw der Deutschen Bischofskonferenz waren
1995 68 vH und 1999 65, 6 vH der Bevölkerung Deutschlands Mitglieder einer zur
Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche. Der Anteil der
Kirchenlohnsteuerzahler lag 1995 8 vH unter dem Anteil der Kirchenmitglieder der
Bevölkerung insgesamt. 1999 dürfte entsprechend der Anteil der Arbeitnehmer, die
Kirchensteuer zu zahlen hatten, noch etwa 57 vH (= 65, 6 vH - 8 vH) betragen
haben, der Anteil der Arbeitnehmer, die nicht kirchensteuerpflichtig waren,
dagegen 43 vH. Hiernach kann sich der Senat für die Zeit bis zum
Außerkrafttreten des AFG nicht die Überzeugung bilden, die überwiegende Mehrheit
der Arbeitnehmer gehöre keiner zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten
Kirche mehr an, so dass das Gebot der Normenklarheit beeinträchtigt
sei.
4. Auch für den Bezugszeitraum ab 1. Januar 1998 ergibt sich keine
für den Kläger günstigere Rechtslage.
Nach § 129 des mit dem
Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl I 594) erlassenen
SGB III, das am 1. Januar 1998 in Kraft getreten ist (Art 83 Abs 1 AFRG),
beträgt das Alg für Arbeitslose ohne Kinder im Sinne des Einkommensteuerrechts
60 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem
Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat
(Bemessungsentgelt).
4. 1 Wie das Übergangsrecht ergibt, finden die
Vorschriften der §§ 130 - 135 SGB III über das Bemessungsentgelt auf Ansprüche
auf Alg, die vor dem 1. Januar 1998 entstanden und bewilligt sind, für
Leistungszeiten nach dem 31. Dezember 1997 im Regelfall jedoch noch keine
Anwendung. Denn nach § 427 Abs 5 Satz 1 SGB III ist, wenn ein Anspruch auf Alg
vor dem 1. Januar 1998 entstanden ist, das Bemessungsentgelt nur dann neu
festzusetzen, wenn die Festsetzung aufgrund eines Sachverhaltes erforderlich
ist, der nach dem 31. Dezember 1997 eingetreten ist (vgl dazu BSGE 85, 123, 131
= SozR 3-4100 § 136 Nr 11). Das trifft hier nicht zu. Die konkrete Regelung
schließt den Rückgriff auf einen allgemeinen Grundsatz des Übergangsrechts aus,
wonach die Vorschriften des SGB III auch auf Leistungsansprüche anwendbar sein
sollen, die vor dem 1. Januar 1998 entstanden sind (vgl BSG SozR 3-4300 § 196 Nr
1). Da sämtliche für den Anspruch des Klägers auf Alg erheblichen Tatsachen vor
dem 31. Dezember 1997 eingetreten sind, ist das Arbeitsentgelt, das sich aus §
112 AFG ergeben hat, das Bemessungsentgelt für den Anspruch des Klägers nach dem
31. Dezember 1997 (vgl auch § 427 Abs 5 Satz 3 SGB III). Die Revision kann sich
deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, dass nach § 132 SGB III die Höhe des
Bemessungsentgelts nicht mehr durch tarifliche oder übliche regelmäßige
Wochenarbeitszeiten beschränkt ist.
Die Übergangsregelung ist mit dem
allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) vereinbar. Sie gewährleistet
gegebenenfalls den nach altem Recht erworbenen Besitzstand und dient der
Praktikabilität der Massenverwaltung (vgl BVerfGE 89, 132, 142 = SozR 3-4100 §
186c Nr 1; BSGE 85, 83, 86 = SozR 3-4100 § 186b Nr 1), die nicht alle vor dem 1.
Januar 1998 entstandenen Leistungsansprüche ohne besonderen - nach dem 1. Januar
1998 eingetretenen - Anlas neu zu bemessen hat. Die Übergangsvorschrift enthält
eine Stichtagsregelung, die sich im Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers hält
und sachlich begründet ist (BVerfGE 95, 64, 88 f). Eine Meistbegünstigung der
von der Rechtsänderung betroffenen Leistungsbezieher ist danach
verfassungsrechtlich nicht geboten. Im übrigen ergibt sich aus dem
Gleichheitsgrundsatz kein Anspruch auf die gerechteste, vernünftigste oder
zweckmäßigste aller denkbaren gesetzlichen Lösungen (BVerfGE 89, 132, 142 = SozR
3-4100 § 186c Nr 1; BSGE 85, 83, 86 = SozR 3-4100 § 186b Nr 1).
4. 2 Eine
günstigere Regelung für den Kläger ergibt sich nach dem SGB III auch nicht
hinsichtlich der Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes. Denn auch bei
der Bestimmung der pauschalierten Nettoentgelte (Leistungsentgelte), die in Höhe
der jeweiligen Nettolohnersatzquote als Alg geleistet werden, ist ein
Kirchensteuerhebesatz zu berücksichtigen. § 136 SGB III bestimmt, dass das
Leistungsentgelt "das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern
gewöhnlich anfallen, verminderte Bemessungsentgelt" ist (Abs 1) und zählt zu
diesen die Kirchensteuer, wie sich aus der Regelung zu deren Höhe (Abs 2 Nr 2)
ergibt. Auch diese Vorschrift ist verfassungsgemäß, soweit sie im Falle des
Klägers von Belang ist. Aufgrund der erörterten Zahlen ist der Senat auch für
1998 und 1999 nicht davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der
Arbeitnehmer zu keiner zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche mehr
angehört.
5. Unter diesen Umständen hat der Senat keinen Anlass, das
Verfahren auszusetzen und die Sache dem BVerfG zur verfassungsrechtlichen
Prüfung des § 112 Abs 3 Satz 1 AFG, des § 427 Abs 5 Satz 1 SGB III, des § 111
Abs 2 Nr 2 AFG oder des § 136 Abs 2 Nr 2 SGB III vorzulegen. Die Revision kann
keinen Erfolg haben, weil die Entscheidung des LSG nicht auf einer
Rechtsverletzung beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1
SGG
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