Voraussetzungen für die Gewährung von sog. Baukindergeld
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 11. 1989
Aktenzeichen
IX R 56/88 (FG Rheinland-Pfalz)
Für die Steuerermäßigung nach § 34f EStG können nur die Kinder berücksichtigt werden, die im jeweiligen Veranlagungszeitraum den einkommensteuerrechtlichen Kindbegriff erfüllen.
Die Kl., zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute, sind Miteigentümer eines im Jahre 1983 angeschafften Zweifamilienhauses, in dem sie eine Wohnung bewohnen und für das sie erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG in Anspruch nehmen. Von ihren drei Kindern studierten die beiden 1960 und 1965 geborenen im Streitjahr 1985 auswärts; die 1962 geborene Tochter S hatte 1984 ihre Ausbildung beendet, eine Arbeit außerhalb des Wohnortes ihrer Eltern aufgenommen und war weggezogen. Das Finanzamt gewährte den Kl. bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1985 die von ihnen für zwei Kinder beantragte Ermäßigung nach § 34f EStG nur für ein Kind. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie § 34f EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung verletzt. Nach dieser Vorschrift ermäßigt sich bei Steuerpflichtigen, die erhöhte Absetzung nach § 7b EStG in Anspruch nehmen, die tarifliche Einkommensteuer auf Antrag um je 600 DM für das zweite und jedes weitere Kind des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten. Voraussetzung ist außer der - vorliegend gegebenen - Nutzung eines begünstigten Objekts zu eigenen Wohnzwecken durch den Steuerpflichtigen (S. 2 Nr. 1 der Vorschrift), daß es sich einschließlich des ersten Kindes um Kinder i. S. des § 32 IV 1, V bis VII EStG handelt, die zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehören oder in dem für die erhöhten Absetzungen maßgebenden Begünstigungszeitraum gehört haben, wenn diese Zugehörigkeit auf Dauer angelegt ist oder war (S. 2 Nr. 2 der Vorschrift). Der mögliche Wortsinn dieser Regelung ist nicht eindeutig.
In der Literatur wird er nach einer Meinung dahin verstanden, daß die Kindeigenschaft i. S. des § 32 IV 1, V bis VII EStG im maßgeblichen Veranlagungszeitraum gegeben sein muß (vgl. Frost, in: Frotscher, EStG, § 34f Anm. 17; Hennemann, BB 1983, 372; Herrmann-Heuer-Raupach, ESt- und KStG, § 34f KStG Anm. 42; Littmann-Bitz-Meincke, EinkommensteuerR, § 34f EinkommensteuerRichter-Winter, DStR 1982, 344; Schoor, Die Information über Steuer und Wirtschaft (Inf) 1983, 391; Stuhrmann, in: Hartmann-Böttcher-Nissen-Bordewin, EStG, § 34f Rdnr. 33). Nach der anderen Ansicht bezieht sich der Relativsatz in Satz 2 Nr. 2 auch auf die Kindschaftsverhältnisse mit der Folge, daß die Kinder auch weiterhin zu berücksichtigen sind, die zu Beginn des Begünstigungszeitraums den einkommensteuerrechtlichen Kindbegriff erfüllt haben und auf Dauer angelegt haushaltszugehörig gewesen sind (vgl. Boeker, in: Lademann-Söffing-Brockhoff, EStG, § 34f Anm. 17; Horlemann, DStZ 1982, 223 (227); Krudewig, BB 1982, 730; Schmidt-Drenseck, EStG, 8. Aufl., § 34f Anm. 4a).
Der erkennende Senat schließt sich der erstgenannten Meinung an. Er geht dabei von den für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift geltenden Grundsätzen aus. Danach ist der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Bei mehreren möglichen Auslegungen des Gesetzeswortlauts ist derjenigen der Vorzug zu geben, die dem im Wortlaut des Gesetzes in seinem Sinnnzusammenhang ausgedrückten Gesetzeszweck entspricht (vgl. BFHE 150, 130 = BStBl II 1987, 670 m. w. Rechtsprechungshinw.). Steuerbegünstigungsvorschriften sind unter sinnvoller Würdigung des mit ihnen verfolgten Zwecks auszulegen; es darf jedoch kein durch das Gesetz nicht belegter Begünstigungstatbestand geschaffen werden (vgl. BFHE 141, 241 = BStBl II 1984, 659 m. w. Hinw.).
Die Wortfassung „um Kinder ... handelt“ im Unterschied zu den im Relativsatz verwendeten zwei Zeitformen „zum Haushalt ... gehören oder ... gehört haben“ bzw. „auf Dauer angelegt ist oder war“, spricht dafür, daß die Kindeigenschaft im jeweiligen Veranlagungszeitraum gegeben sein muß; denn, um auszudrücken, daß auch der Wegfall der Kindeigenschaft unschädlich ist, hätte es nach den Regeln der Grammatik „um Kinder ... handelt oder gehandelt hat“ heißen müssen. Dieser „grammatikalischen“ Auslegung gebührt schon deshalb Vorrang, weil sie in Einklang mit der durch das Prinzip der Abschnittsbesteuerung bedingten Systematik des EStG steht, wonach für die Gewährung kindbedingter Steuervergünstigungen die Voraussetzungen des einkommensteuerrechtlichen Kindbegriffs in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum erfüllt sein müssen. Sie entspricht auch dem in der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Gesetzeszweck.
Zweck des § 34f EStG ist es, Familien mit Kindern, die wegen der Kinder einen erhöhten Wohnbedarf haben, bei der Anschaffung bzw. Herstellung von Wohneigentum zu begünstigen. Die Vorschrift ist durch das Zweite Haushaltsstrukturgesetz vom 22. 12. 1981 eingefügt worden. Sie geht auf den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Investitionstätigkeit im Baubereich und zum Abbau ungleichmäßiger Besteuerung in der Wohnungswirtschaft zurück (BT-Dr 9/843). Ziel dieses Entwurfs war es, die steuerlichen Regelungen für den Baubereich - insbesondere für den Wohnungsbau - wirksamer zu gestalten, um die private Bautätigkeit zu stärken und die Baunachfrage zu beleben. Durch die Einführung der Steuerermäßigung des § 34f EStG sollten Steuerpflichtige mit zwei oder mehr Kindern einen zusätzlichen Anreiz zum Erwerb von Wohneigentum erhalten (vgl. BT-Dr 9/843, S. 10). Die gesetzgeberische Absicht mag den Schluß nahelegen, daß für die Dauer des Begünstigungszeitraums die Kinder zu berücksichtigen sind, die die Investitionsentscheidung beeinflußt haben. Dies hat in der Vorschrift jedoch keinen hinreichend deutlichen Ausdruck gefunden. Dafür spricht zwar das Erfordernis der auf Dauer angelegten Haushaltszugehörigkeit; denn es bedeutet, daß ein durch die Kinder erhöhter Wohnbedarf bestehen muß. Entgegen steht aber, daß nach der - insoweit klaren - Fassung des Gesetzes die Steuerermäßigung nicht auf die Kinder beschränkt ist, deren Wohnbedarf für den Erwerb des Wohneigentums mitbestimmend war; denn es werden alle im Laufe des Begünstigungszeitraums haushaltszugehörigen Kinder berücksichtigt. Hieraus ergibt sich, daß § 34f EStG - wie alle übrigen kindbedingten Steuervergünstigungen - der durch den Unterhalt der Kinder eingeschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen Rechnung tragen soll. Im Hinblick auf diese Zielsetzung kann nicht angenommen werden, daß unabhängig vom Weiterbestehen der Kindeigenschaft während des Begünstigungszeitraums auch die Kinder berücksichtigt werden sollen, die die Investitionsentscheidung mitbestimmt haben; denn das Einkommensteuergesetz geht typisierend davon aus, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen steigt, sobald ein Kind nicht mehr die Voraussetzungen des einkommensteuerrechtlichen Kindbegriffs erfüllt. Aus diesem Grund ist trotz der weiter bestehenden finanziellen Belastung durch den Erwerb des Wohneigentums eine weitere Begünstigung nach Wegfall der Kindeigenschaft nicht veranlaßt.
Im übrigen sprechen auch folgende Erwägungen dagegen, Kinder, die die Investitionsentscheidung mitbestimmt haben, unabhängig von ihrer Kindeigenschaft im jeweiligen Veranlagungszeitraum während des Begünstigungszeitraums zu berücksichtigen. So bestimmen häufig noch nicht geborene Kinder die Investitionsentscheidung mit. Diese sind aber erst nach ihrer Geburt berücksichtigungsfähig. Andererseits müßten Kinder, die nach der Investitionsentscheidung sterben, weiterhin berücksichtigt werden.
Das gefundene Ergebnis beschränkt - entgegen der Auffassung des FG - den Anwendungsbereich des § 34f S. 2 Nr. 2 Alt. 2 EStG nicht auf einige Ausnahmefälle, die keiner besonderen Regelung bedurft hätten. In der heutigen Zeit bleibt häufig die Kindeigenschaft, nicht aber die Haushaltszugehörigkeit bestehen, wenn Kinder während ihrer Ausbildung nicht nur vorübergehend eine eigene Wohnung beziehen (vgl. zum Begriff der Haushaltszugehörigkeit BFHE 131, 514 = BStBl II 1981, 54).
Nach den vorgenannten Grundsätzen hat das Finanzamt den Kl. zu Recht die Steuerermäßigung nach § 34f EStG nur für ein Kind gewährt; denn die 1962 geborene Tochter S erfüllte im Streitjahr nicht mehr den einkommensteuerrechtlichen Kindbegriff.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen