Kein Schutz des Vertrauens auf Beibehaltung des steuerrechtlichen Kindbegriffs

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

14. 03. 2000


Aktenzeichen

X R 46/99


Leitsatz des Gerichts

Die Steuerermäßigung nach § 34f EStG ist nur für die Kinder zu gewähren, die den im jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Kindbegriff erfüllen. Dem Steuerpflichtigen steht daher für den Veranlagungszeitraum 1996 die Steuerermäßigung für über 18 Jahre alte Kinder in Berufsausbildung nur zu, wenn deren eigene Einkünfte und Bezüge 12000 DM im Kalenderjahr nicht übersteigen.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 berücksichtigte der Bekl. (das Finanzamt) einen Abzugsbetrag nach § 10e I EStG für das - durch notariellen Kaufvertrag vom 20.9.1993 und seit Ende 1994 zu eigenen Wohnzwecken genutzte - Einfamilienhaus der Kl. Für die Tochter der Kl. gewährte das Finanzamt antragsgemäß die Steuerermäßigung nach § 34f III EStG (sog. Baukindergeld) in Höhe von 1000 DM. Das im Einspruchsverfahren beantragte Baukindergeld für den am 30.5.1977 geborenen Sohn lehnte das Finanzamt ab, weil dieser im Rahmen seiner Berufsausbildung Einkünfte und Bezüge von mehr als 12000 DM gehabt habe und somit nach § 32 IV 2 EStG i.d.F. des Jahressteuer-Ergänzungsgesetzes (JStErgG) 1996 vom 18.12.1995 (BGBl I 1996, 1959 = BStBl I 1995, 786) - im Folgenden: EStG 1996 - steuerlich nicht mehr als Kind zu berücksichtigen sei.

Das FG (EFG 1999, 1183) hat die Klage abgewiesen. Die Revision der Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

III. 1. Nach § 34f III 1 EStG 1996 ermäßigt sich - unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen - die tarifliche Einkommensteuer um 1000 DM „für jedes Kind des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten i.S. des § 32 I bis V oder VI 7 EStG“ (redaktionell geändert durch das Jahressteuergesetz - JStG - 1997 vom 20.12.1996, BGBl I 1996, 2049 = BStBl I 1996, 1523, in „… Abs. 6 Satz 6“). Gem. § 32 IV 1 Nr. 2 lit.a, S. 2 EStG 1996 wird ein über 18 Jahre altes Kind steuerlich berücksichtigt, wenn

  • es für einen Beruf ausgebildet wird,

  • das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und

  • seine - zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten - Einkünfte und Bezüge nicht mehr als 12000 DM im Kalenderjahr betragen.

Da im Streitjahr 1996 die Einkünfte und Bezüge des Sohnes 12000 DM überstiegen haben, sind die Voraussetzungen des steuerrechtlichen Kindbegriffs nicht erfüllt, so dass den Kl. nach dem Wortlaut des § 34f III EStG kein Baukindergeld zusteht.

2. Entgegen der Auffassung der Kl. bietet § 52 XXVI EStG 1996 keine Rechtsgrundlage dafür, im Streitfall den Kindbegriff anzuwenden, der im Jahr 1994 - zu Beginn des Abzugszeitraums für die von den Kl. in Anspruch genommene Grundförderung nach § 10e EStG - gegolten hat. Nach § 32 IV Nr. 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1994 maßgebenden Fassung - im Folgenden: EStG 1994 - waren über 18 Jahre alte Kinder unabhängig von der Höhe ihrer eigenen Einkünfte und Bezüge steuerlich zu berücksichtigen, wenn sie für einen Beruf ausgebildet wurden und noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hatten. § 52 XXVI EStG 1996 enthält keine Übergangsregelung für eine weitere Anwendung dieser Vorschrift im Rahmen der Steuerermäßigung nach § 34f EStG.

Die unterschiedlichen Fassungen des mehrfach geänderten § 34f EStG sind in den einzelnen Absätzen der Vorschrift enthalten. Welcher Ansatz jeweils anzuwenden ist, wird in § 52 EStG geregelt und hängt davon ab, nach welcher Gesetzesfassung sich die Inanspruchnahme der Grundförderung nach § 10e EStG, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Baukindergelds ist, richtet. Verweisungen in den einzelnen Absätzen des § 34f EStG auf andere einkommensteuerrechtliche Vorschriften beziehen sich daher auf die aktuelle Fassung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum und nicht auf die Fassung, welche zu Beginn des Abzugszeitraums für die Grundförderung nach § 10e EStG anwendbar war.

Lediglich in § 52 XXVI EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 26.6.1985 (BGBl I 1985, 1153 = BStBl I 1985, 391) war angeordnet, dass § 34f EStG in der ursprünglichen Fassung und folglich auch der in Bezug genommene bisherige Kindbegriff (vgl. BT-Dr 10/3350, S. 37) weiterhin für Objekte gelten sollte, die vor einem bestimmten Zeitpunkt hergestellt oder angeschafft worden waren. Eine solche Anordnung enthält § 52 XXVI EStG 1996 dagegen nicht.
Da das Einfamilienhaus auf Grund eines nach dem 30.9.1991 und vor dem 1.1.1994 abgeschlossenen obligatorischen Vertrags angeschafft wurde und somit § 10e EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25.2.1992 (BGBl I 1992, 297 = BStBl I 1992, 146) anzuwenden ist (§ 52 XIV 3 bis 5 EStG 1996), bestimmen sich die Voraussetzungen für die Gewährung von Baukindergeld im Streitfall nach § 34f III EStG in der für den Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Fassung (§ 52 XXVI 4 EStG 1996).

Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber die durch die Änderung des Kindbegiffs notwendig gewordene Verweisung auf § 32 VI 7 EStG (Berücksichtigung eines in den Haushalt eines Stiefelternteils oder der Großeltern aufgenommenen Kindes) nicht nur in Abs. 3, sondern auch in den Abs. 1 und 2 des § 34f EStG vorgenommen hat. Wenn für die Gewährung des Baukindergelds § 34f EStG in der jeweiligen Fassung zu Beginn des Abzugszeitraums maßgebend wäre, hätten die Absätze 1 und 2 nicht geändert werden müssen; denn sie können nur Sachverhalte betreffen, in denen der Begünstigungszeitraum für die erhöhten Absetzungen nach § 15 BerlinFG (Abs. 1) oder die Grundförderung nach § 10e EStG (Abs. 2) bereits begonnen hatte.

3. Die Kl. haben auch aus Gründen des Vertrauensschutzes keinen Anspruch auf die weitere Anwendung des zu Beginn des Abzugszeitraums geltenden Kindbegriffs. Nicht jede nachträgliche Verschlechterung von Rechtspositionen verstößt gegen das auf dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG beruhende Verbot rückwirkender Gesetze.

a) Grundsätzlich unzulässig sind nachträgliche Eingriffe belastender Steuergesetze in abgeschlossene Tatbestände („echte Rückwirkung“ bzw. nach der neueren Terminologie des 2. Senats des BVerfG „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Die Rechtsfolgen eines belastenden Gesetzes dürfen regelmäßig nicht für einen Zeitraum vor Verkündung der Norm eintreten, da der Betroffene bis zum Zeitpunkt der Verkündung darauf vertrauen können muss, nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen zu werden (st.Rspr. des BVerfG, z.B. BVerfGE 72, 200 = BStBl II 1986, 628; BVerfGE 97, 67 [78ff.]). Gleiches gilt für die Aufhebung von Steuervergünstigungen. Die Änderung einer Vergünstigungsnorm bei periodisch veranlagten Steuern für einen vor Verkündung des Gesetzes liegenden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum ist daher nur in Ausnahmefällen mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar (vgl. auch Spindler, DStR 1998, 954 [956]).

Da die Neuregelung des Kindbegriffs in § 32 EStG durch das JStErgG 1996 gem. § 52 I EStG 1996 erstmals für den - nach Verkündung des Gesetzes am 30.12.1995 liegenden - Veranlagungszeitraum 1996 anzuwenden ist, treten die Rechtsfolgen nicht für einen Zeitraum vor Verkündung der geänderten Norm ein, so dass es sich nicht um eine grundsätzlich unzulässige „echte Rückwirkung“ bzw. „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“ handelt.

b) Einwirkungen eines belastenden Gesetzes auf noch nicht abgeschlossene Tatbestände („unechte Rückwirkung“ bzw. nach der neueren Terminologie des 2. Senats des BVerfG „tatbestandliche Rückanknüpfung“) ebenso wie der Abbau von Steuervergünstigungen für die Zukunft unterliegen dagegen weniger strengen Beschränkungen. Die Abschaffung einer Steuervergünstigung ist nach Auffassung des BVerfG nur dann unzulässig, wenn dadurch Grundrechte des Steuerpflichtigen oder ein rechtsstaatlich geschütztes Vertrauen verletzt werden (BVerfGE 72, 200 = BStBl II 1986, 628; BVerfGE 97, 67 [78ff.]). Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer begünstigenden Norm hat das BVerfG aber bisher im Regelfall nicht anerkannt. Der Bürger dürfe nicht darauf vertrauen, dass Steuervergünstigungen immer und uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrechterhalten würden.
In dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 97, 67 (80), deutet sich möglicherweise eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung an. Dieser Beschluss betraf den Wegfall von Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen, die entgegen der Ankündigung der Bundesregierung nicht erst für Aufträge nach dem 30.4.1996, sondern bereits für Aufträge nach dem 24.4.1996 abgeschafft worden waren. Zu entscheiden war, ob die Ankündigung der Bundesregierung ein schützenswertes Vertrauen des Steuerpflichtigen auf den Fortbestand der Sonderabschreibungen bei Schiffen begründete, die im Zeitraum 25.4. bis 30.4.1996 in Auftrag gegeben worden waren. In diesem Zusammenhang führte das BVerfG aus, das Angebot in einem Steuergesetz auf eine „Verschonungssubvention“, die der Steuerpflichtige nur während des Veranlagungszeitraums „annehmen“ könne, schaffe für dessen Disposition „in ihrer zeitlichen Bindung“ eine schutzwürdige Vertrauensgrundlage. Mit der Ankündigung des Wegfalls der Sonderabschreibungen durch die Bundesregierung sei das Vertrauen auf deren Fortbestand für künftige Erwerbe entfallen. Auf den angekündigten Zeitpunkt des Wegfalls habe der Steuerpflichtige aber nicht vertrauen dürfen.

c) Der Senat kann im Streitfall unerörtert lassen, ob die Ausführungen des BVerfG allgemein dahin zu verstehen sind, dass ein schützenswertes Vertrauen - wie im Schrifttum gefordert (vgl. z.B. Lang, in: Tipke/Lang, SteuerR, 16. Aufl., § 4 Rdnr. 179f.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 193f., jeweils m.w. Nachw.) - stets anzunehmen ist, wenn der Steuerpflichtige durch die weggefallenen oder geänderten Steuervergünstigungen zu Dispositionen veranlasst worden ist, die er aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr rückgängig machen kann. Denn ein schützenswertes Vertrauen kann nur durch solche steuerlichen Vergünstigungen entstehen, die ausschließlich den Zweck haben, den Steuerpflichtigen zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen(sog. Lenkungsnormen) und mit denen der Steuerpflichtige nach dem gesetzlichen Tatbestand für einen bestimmten Zeitraum sicher rechnen kann. Diese Voraussetzungen erfüllt § 34f EStG nicht.

Das Baukindergeld nach § 34f EStG als Teil der Wohneigentumsförderung dient zwar auch als Anreiz dafür, dass Familien mit Kindern Wohneigentum erwerben. Überwiegend soll § 34f EStG aber - wie alle übrigen kindbedingten Steuervergünstigungen - der durch den Unterhalt der Kinder eingeschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen Rechnung tragen (BFHE 159, 146 = BStBl II 1990, 216). Das Einkommensteuergesetz geht typisierend davon aus, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen steigt, sobald ein Kind nicht mehr die Voraussetzungen des einkommensteuerrechtlichen Kindbegriffs erfüllt. Aus diesem Grund ist trotz der weiter bestehenden finanziellen Belastung durch den Erwerb des Wohneigentums eine weitere Begünstigung nach Wegfall der Kindeigenschaft nicht erforderlich. Steuervergünstigungen für Kinder sind im Übrigen nach der durch das Prinzip der Abschnittsbesteuerung bedingten Systematik des Einkommensteuergesetzes nur zu gewähren, wenn die Voraussetzungen des einkommensteuerrechtlichen Kindbegriffs in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum erfüllt sind.

Zudem kann der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung mit dem Baukindergeld auf die Dauer der Wohneigentumsförderung nach § 10e EStG nur sicher für die Kinder rechnen, die das 18. Lebensjahr im Laufe des Abzugszeitraums nicht überschreiten. Denn über 18 Jahre alte Kinder werden steuerlich nur unter bestimmten Voraussetzungen berücksichtigt, deren Eintritt im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung nicht vorhersehbar ist. Da im Streitfall bei Erwerb des Einfamlienhauses z.B. ungewiss war, ob und ggf. wie lange sich der Sohn nach Ablauf des 18. Lebensjahres in einer Berufsausbildung befinden und steuerlich zu berücksichtigen sein würde, konnten die Kl. das Baukindergeld für Veranlagungszeiträume nach Vollendung seines 18. Lebensjahres nicht in die Finanzierung des Objekts einbeziehen und zur Grundlage ihrer Investitionsentscheidung machen. Insoweit fehlt es an einer schützenswerten Vertrauensgrundlage, die der Änderung des Kindbegriffs im Rahmen des § 34f EStG entgegenstehen könnte.

d) Auch der Wegfall der steuerlichen Entlastung für Kinder mit eigenen Einkünften und Bezügen in Höhe des Existenzminimums (vgl. BT-Dr 13/1558, S. 139) als solcher ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen auf eine Beibehaltung dieser steuerlichen Entlastung bestand nicht.

e) Durch die Änderung des Kindbegriffs werden auch keine Grundrechte der Kl. verletzt. In Betracht käme allerdings ein Verstoß gegen den - den Schutz von Ehe und Familie garantierenden - Art. 6 I GG. Diese Grundrechtsnorm gebietet zwar, die wirtschaftliche Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern bei der Einkommenbesteuerung zu berücksichtigen. Daher ist das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder und „der Betreuungsbedarf“ „als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums“ von der Einkommensteuer freizustellen (BVerfG, BStBl II 1999, 174; BStBl II 1999, 182). Der erhöhte Wohnbedarf durch Kinder ist aber mit der Freistellung des Existenzminimums durch das Kindergeld und die Kinderfreibeträge abgegolten. Zwar stehen den Kl. für den Sohn Kindergeld und Kinderfreibeträge für das Streitjahr 1996 nicht mehr zu. Einer Freistellung des Existenzminimums für ein Kind bedarf es jedoch nicht mehr, wenn das Kind über eigene Einkünfte in Höhe des Existenzminimums verfügt.

Rechtsgebiete

Steuerrecht