Kindergeld: Berufsausbildung bei parallel zu Zivildienst betriebenem Studium

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

14. 05. 2002


Aktenzeichen

VIII R 61/01


Leitsatz des Gerichts

Ein Kind wird auch dann i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet, wenn es neben dem Zivildienst ein Studium ernsthaft und nachhaltig betreibt.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

I. Neben dem Zivildienst (1. 9. 1999 bis 30. 9. 2000) nahm der Sohn (P) der Kl. und Revisionsklägerin (Kl.) ab 1. 9. 1999 - berufsbegleitend - das sechssemestrige Studium der Betriebswirtschaft an der Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie O (VWA) auf. Nach den eingereichten Unterlagen der VWA erfordert das Studium (einschl. Vor- und Nacharbeit) während der Vorlesungszeit einen Zeitaufwand von durchschnittlich mehr als 20 Wochenstunden, die Lehrveranstaltungen finden an zwei bis drei Tagen je Woche statt (werktags von 18.00 Uhr bis 21.15 Uhr; samstags von 8.00 Uhr bis 11.15 Uhr).

Den Antrag auf Gewährung von Kindergeld lehnte der Bekl. und Revisionsbeklagte (Bekl.) mit Bescheid vom 1. 12. 1999 ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG vertrat die Ansicht, der Gesetzgeber habe für Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes grundsätzlich nur die Verlängerung nach § 32 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG vorgesehen. Im Übrigen fehle es in diesem Zeitraum an der Unterhaltsbedürftigkeit des P (vgl. Veröffentlichung des Urteils der Vorinstanz in Entscheidungen der FG 2001, 1059).
Die Revisionsbegründungsschrift vom 17. 5. 2001 ist dem BFH erst am 28. 5. 2001 und damit nach Ablauf der Frist des § 120 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 1 der FGO (FGO) - 22. 5. 2001 - zugegangen.

Die Kl. beantragt sinngemäß,

1. ihr bzgl. der versäumten Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und
2. den Bescheid vom 1. 12. 1999 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10. 1. 2000 aufzuheben und für die Monate ab September 1999 Kindergeld in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Der Bekl. beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war stattzugeben. Die Kl. hat innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO u. a. durch die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen die ordnungsgemäße Ausgangskontrolle der zur Versendung vorgesehenen Schriftstücke glaubhaft gemacht. Zur Begründung verweist der erk. Senat auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 24. 4. 2001 (XI ZB 3/01 juris) sowie die Kommentierung in Gräber/Koch, FGO, 5. Aufl., § 56 Rz. 20 „Postausgangskontrolle“, m. w. N.

2. Die Revision ist begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Beurteilung darüber, ob P ab 1. 9. 1999 i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde. Sollte dies im zweiten Rechtsgang zu bejahen sein, wird die Vorinstanz zudem die Höhe der Einkünfte und Bezüge von P zu ermitteln haben. Das vorinstanzliche Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

Zeitliche Anforderungen an eine Berufsausbildung ...

a) Die Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, d. h. die Ausbildung zu einem künftigen Beruf, umfasst alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. z. B. BFH v. 14. 1. 2000, VI R 11/99, BFHE 191, 50, BStBl II 2000, 199, DStR 2000, 381). Hiervon ist nach ständiger Rechtsprechung selbst dann auszugehen, wenn die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht in überwiegendem Umfang in Anspruch nimmt (BFH v. 9. 6. 1999, VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701, DStR 1999, 1482), weil es beispielsweise neben einem Studium erwerbstätig ist (BFH v. 24. 5. 2000, VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473, DStR 2000, 1343; v. 23. 4. 1997, VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655, DStR 1997, 673). Demgemäß erfüllt auch ein berufsbegleitendes - d. h. neben einer Erwerbstätigkeit oder (wie im Streitfall) neben dem Zivildienst unternommenes- Studium grundsätzlich den Tatbestand der Berufsausbildung, wenn der Studierende diese Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betreibt, d. h. dem Studium tatsächlich nachgeht (vgl. BFH v. 29. 10. 1999 VI R 53/99, BFH/NV 2000, 431; v. 9. 6. 1999, VI R 92/98, BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708, DStRE 1999, 751, jeweils betr. Promotionsvorbereitung; in BFH/NV 1997, 655, DStRE 1997, 673: Studium neben Berufstätigkeit; v. 9. 6. 1999, VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710, DStRE 1999, 744: Fremdsprachenunterricht im Rahmen eines Au-pair-Aufenthalts i. V. m. erfolgreichem Prüfungsabschluss; v. 9. 6. 1999, VI R 34/98, BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705 DStRE 1999, 747: College-Besuch; in BFHE 191, 50, BStBl II 2000, 199, DStR 2000, 381: Fremdsprachenassistent).

... auch bei Studium neben dem Zivildienst erfüllt

aa) Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ergibt sich Abweichendes weder aus dem Umstand, dass der Zivildienst nicht in den Katalog des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG (Berücksichtigungstatbestände) aufgenommen wurde, noch aus der Vorschrift des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG, nach der Kinder, die den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst leisten, u. a. in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Berufsausbildung) über das 27. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer dieser Dienste entsprechenden Zeitraum berücksichtigt werden (sog. Verlängerungstatbestand). Zwar beruhen beide Regelungen auf der typisierenden Annahme des Gesetzgebers, dass Eltern von Kindern, die den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst leisten, wirtschaftlich nicht belastet sind und deshalb - mangels einer auf Grund von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Kind geminderten Leistungsfähigkeit - auch keinen Anspruch auf Kindergeld haben (vgl. hierzu - einschl. der zivilrechtlichen Rechtslage - BFH v. 4. 7. 2001, VI B 176/00, BFHE 196, 98, BStBl II 2001, 675, DStR 2001, 1603; BT-Drs. 13/1558, S. 155 f.). Ob diese gesetzliche Wertentscheidung auch den in § 27 Abs. 4 des Gesetzes über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz - ZDG -) angesprochenen Fall der Berufausbildung für Zwecke des Zivildienstes erfasst, kann offen bleiben. Jedenfalls ist sie keiner Weiterung i. S. einer verdrängenden Konkurrenz (hierzu allg. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 268 f.) mit der Folge zugänglich, dass für Zeiten des Zivildienstes eine Berücksichtigung des Kindes auch dann ausgeschlossen ist, wenn es -neben dem Zivildienst- ernsthaft und nachhaltig für einen Beruf ausgebildet wird.

Vergleich mit Berufsausbildung neben Erwerbstätigkeit

Dem widerstreitet nicht nur, dass das gesetzliche Merkmal der Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht unter dem (Negativ-)Vorbehalt des Nichtvorliegens der Tatbestände des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG (gesetzlicher Grundwehrdienst, Zivildienst) steht (vgl. auch FG Düsseldorf v. 14. 3. 2000, 14 K 5406/99 Kg, DStRE 2000, 798). Hinzu kommt vor allem, dass in systematischer Hinsicht kein Grund dafür ersichtlich ist, die typisierende Annahme des Gesetzgebers zur Unterhaltsbedürftigkeit des Kindes auf Grund der tatsächlich gegebenen Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; vgl. hierzu BFH v. 19. 10. 2001, VI R 39/00, BFHE 197, 92, BFH/NV 2002, 260) - und damit zur Unterhaltsbedürftigkeit auch auf Grund der hiermit verbundenen (ausbildungsbedingten) Aufwendungen (z.B. Studiengebühren, Kosten für Studienmaterial, zusätzliche Fahrtkosten; vgl. zur Berücksichtigung von ausbildungsbedingtem Mehrbedarf auch § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG sowie hierzu BFH v. 14. 11. 2000, VI R 62/97, BFHE 193, 444, BStBl II 2001, 491, DStR 2001, 206) - allein deshalb zu unterlaufen, weil das Kind nicht nur für einen Beruf ausgebildet wird, sondern zudem Zivildienst leistet. Vielmehr ist auch in diesem Fall - gleich dem Zusammentreffen von Berufsausbildung und zusätzlicher Erwerbstätigkeit (s. vorstehend) - die Unterhaltsbedürftigkeit des Kindes und damit die wirtschaftliche Belastung der Eltern nicht durch eine einschränkende Auslegung des Tatbestands der Berufsausbildung, sondern -entsprechend der Regelungskonzeption der Jahresgrenzwertermittlung (§ 32 Abs. 4 Satz 2 - ggf. i. V. m. Sätze 5 und 6 - EStG) - durch die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes typisierend zu bestimmen (BFH in BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710, DStRE 1999, 744, betr. Sprachaufenthalt; in BFH/NV 1997, 655, DStRE 1997, 673, betr. Halbtags-Erwerbstätigkeit; v. 16. 4. 2002, VIII R 58/01, betr. Offizieranwärter, zur Veröffentlichung bestimmt).

Abgrenzung zur Berufsausbildung neben Vollzeiterwerbstätigkeit

bb) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich ferner nicht aus der Rechtsprechung, nach der sich Kinder, die einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, (grundsätzlich) nicht in Berufsausbildung befinden (vgl. hierzu einschl. der gleichfalls nicht gegebenen Berücksichtigungstatbestände nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG BFH in BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473, DStR 2000, 1343; in BFHE 197, 92, BFH/NV 2002, 260; v. 19. 10. 2001, VI R 174/00, BFH/NV 2002, 338; v. 19. 2. 2002, VIII R 90/01, juris). Abgesehen davon, dass der BFH bisher ausdrücklich offen gelassen hat, wie zu entscheiden ist, wenn das Kind neben einer solchen Erwerbstätigkeit in eingeschränktem Umfang studiert (vgl. BFH v. 23. 11. 2001, VI R 77/99, BFHE 197, 383, DStR 2002, 301, mit krit. Urteilsanm. MIT), fußt diese Beurteilung vor allem auf dem Umstand, dass sich ein vollzeiterwerbstätiges Kind regelmäßig selbst unterhalten und demgemäß auch die Kosten einer zusätzlich durchlaufenen Ausbildung selbst tragen kann. Hiervon kann jedoch im Falle des Zusammentreffens von Zivildienst und einer ernsthaft sowie nachhaltig betriebenen Berufsausbildung nicht ausgegangen werden. Angesichts der aus der Dienstverpflichtung erhaltenen Geld- und Sachbezüge (vgl. § 35 ZDG) ist die Lebenssituation des Zivildienstleistenden - jedenfalls unter Berücksichtigung der typisierenden Betrachtung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG - vielmehr mit derjenigen vergleichbar, dass das Kind neben einer halbtags ausgeübten Berufstätigkeit für einen Beruf ausgebildet wird (vgl. hierzu vorstehend Abschn. 2 a/aa der Gründe).

cc) Ob, wozu der erk. Senat neigt, die dargelegten Grundsätze dazu führen können, dass sich der Verlängerungstatbestand nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG verkürzt (vgl. hierzu auch FG Baden-Württemberg v. 31. 3. 1998, 1 K 96/97, EFG 1998, 1068), bedarf im anhängigen Verfahren keiner Entscheidung.

Weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich

dd) Das FG hat bisher - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen dazu getroffen, ob P das (berufsbegleitende) Studium ernsthaft und nachhaltig betrieben hat. Dies wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen und hierbei insbesondere der bisherige Vortrag der Kl. (Studiengebühren, tatsächliche Kursteilnahme, abgelegte Studien-“Tests“) zu überprüfen sein. Angesichts des gegenwärtigen Verfahrensstands sieht der erk. Senat keine Veranlassung, dazu Stellung zu nehmen, ob das Studium des P der Genehmigungspflicht nach § 33 ZDG unterlag (verneinend Harrer/Haberland, Zivildienstgesetz, 4. Aufl., 1992, § 33 Anm. 5 für Abendschule; a. A. mutmaßlich Brecht, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, 4. Aufl., 1999, § 33 Anm. 1) und ob die Nichtbeachtung einer Genehmigungspflicht nach § 33 ZDG mit der Folgerung verbunden ist, dass hierdurch zugleich auch der Tatbestand der Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ausgeschlossen wird (BFH v. 16. 4. 2002, VIII R 89/01, n. v., betr. Studienleistungen während Kinderbetreuung).

b) Gelangt die Vorinstanz im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis, dass P i. S. der vorstehenden Grundsätze für einen Beruf ausgebildet wurde, so wird sie ferner die Höhe der von P erzielten Einkünfte und Bezüge festzustellen haben.

Rechtsgebiete

Steuerrecht