Beschwerde des Harry Wörz vor dem OLG Karlsruhe erfolgreich - Unterbrechung der Strafvollstreckung angeordnet
Gericht
OLG Karlsruhe
Art der Entscheidung
Pressemitteilung
Datum
30. 11. 2001
Aktenzeichen
3 Ws 193/00
Der 3.Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat heute auf die
Beschwerde von Harry Wörz einen entgegenstehenden Beschluss des Landgerichts
Mannheim aufgehoben, die weitere Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens
angeordnet und bis dahin die Freilassung des Verurteilten verfügt.
Der
35jährige Installateur und Bauzeichner Harry Wörz wurde am 16.01.1998 vom
Schwurgericht des Landgerichts Karlsruhe wegen versuchten Totschlags seiner von
ihm getrennt lebenden Ehefrau Andrea Wörz zu einer Freiheitsstrafe von elf
Jahren verurteilt. Nach den gerichtlichen Feststellungen hatte er sich am
29.04.1997 gegen 2 Uhr morgens zu deren Wohnung nach Birkenfeld (bei Pforzheim)
begeben, die Eingangstür mit einem noch in seinem Besitz befindlichen Schlüssel
geöffnet und nach einer verbalen Auseinandersetzung diese mit einem Schal bis
zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Aufgrund des hierdurch eingetretenen
Sauerstoffmangels ist bei der Verletzten eine schwere Hirnschädigung
eingetreten, die sie noch heute in ihrer Bewegungsfähigkeit einschränkt und ihr
das Sprechen unmöglich macht.
Seinen am 03.05.2001 gestellten Antrag auf Zulassung eines Wiederaufnahmeverfahrens hatte das Landgericht Mannheim am 28.09.2001 zurückgewiesen. Die von seinem Verteidiger hiergegen eingelegte Beschwerde, die weitere ergänzende Ausführungen enthielt, war nun erfolgreich:
Der Senat hat zunächst ausgeführt, dass Harry Wörz seine Täterschaft stets bestritten habe und nur aufgrund mehrerer Indizien verurteilt worden sei. Alle Beweisanzeichen habe das Landgericht Karlsruhe in seinem Urteil als gleichwertig angesehen. Werde in einem Wiederaufnahmeverfahren eine solche „Stütze“ für die Täterschaft eines Angeklagten aber durch neue Beweisbehauptungen ernsthaft in Frage gestellt, so könne ein Einfluss auf die verurteilende Entscheidung grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Eine solche Fallgestaltung hat der Senat vorliegend bejaht.
Das Schwurgericht war davon ausgegangen, dass es sich um eine Beziehungstat handelt und nur Harry Wörz als getrennt lebender Ehemann der Verletzten als Täter in Betracht kam. Die Täterschaft dritter Personen hatte das Landgericht Karlsruhe ausgeschlossen. Nach den Behauptungen des Verteidigers im Wiederaufnahmeantrag sei es aber möglich, dass die Verletzte in ihrem früheren persönlichen Umfeld noch Kontakte zu Personen gehabt hatte, deren Täterschaft nicht auszuschließen sei. Außerdem wurde in einer Plastiktüte am Tatort eine mit sieben Amphetaminbeuteln gefüllte Zigarettenschachtel aufgefunden, welche das Schwurgericht auch wegen der benutzten Marke Harry Wörz zugeordnet hat. Nach dem Vortrag im Wiederaufnahmeantrag soll ein neu benannter Zeuge bekunden, dass die Verletzte diese Zigarettensorte früher selbst geraucht und zumindest in einem Falle eine leere Zigarettenschachtel dazu benutzt habe, um hierin „Haschisch“ aufzubewahren. Die vom Landgericht Karlsruhe vorgenommene Zuordnung sei daher fraglich. Insoweit hat es der Senat auch als bedeutsam angesehen, dass die von Harry Wörz angeregte Untersuchung von Haarproben der Verletzten auf Rauschgiftrückstände noch möglich sei.
Das Landgericht Mannheim muss nun untersuchen, ob die von Harry Wörz aufgestellten Behauptungen zutreffen und hierzu unter anderem die von der Verteidigung benannten Zeugen vernehmen. Danach wird vom Landgericht Mannheim zu entscheiden sein, ob die Hauptverhandlung neu durchgeführt wird.
Hinweis:
Die Wiederaufnahme eines durch Urteil rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens ist nur in Ausnahmefällen möglich. Diese sind im Gesetz im Einzelnen in § 359 StPO aufgezählt. Der in der Praxis wichtigste Grund, auf den wegen des Verfahrensbezugs nur hingewiesen werden soll, ist das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel durch den Verurteilten oder seinen Verteidiger, welche das frühere Strafgericht nicht kannte und daher bei seiner Urteilsfindung nicht verwerten konnte (§ 359 Nr. 5 StPO). Aber nicht jede neue Tatsache oder jedes neue Beweismittel, wie etwa bislang nicht bekannte Zeugen, rechtfertigen eine Wiederaufnahme. Erforderlich ist, dass diese neuen Tatsachen oder Beweismittel in Verbindung mit den früher erhobenen Beweismitteln vor allem die Freisprechung des Verurteilten begründen können. Hierzu muss das Wiederaufnahmegericht die früher erhobenen und die neu hinzugetretenen Umstände vollständig würdigen und zueinander in Bezug setzen.
Das Verfahren selbst gliedert sich in zwei Abschnitte:
Im Zulassungsverfahren (sog. Aditionsverfahren) wird nicht untersucht, ob die im Wiederaufnahmeantrag vorgebrachten Umstände zutreffen, diese werden zunächst als richtig unterstellt. Geprüft wird lediglich, ob diese Umstände, wenn sie denn zutreffen, überhaupt geeignet sind, ernste Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen zu können.
Im Begründetheitsverfahren (sog. Probationsverfahren) werden sodann vom Gericht die im Wiederaufnahmeantrag vorgebrachten „Beweise“ auf ihre Richtigkeit hin untersucht. In diesem Abschnitt wird die Hauptverhandlung aber nicht vollständig wiederholt, sondern das Gericht untersucht umfänglich, etwa durch Einvernahme der benannten Zeugen, ob die aufgeführten Umstände tatsächlich zutreffen. Finden die aufgestellten Behauptungen in der Beweisaufnahme „genügende Bestätigung“ (§ 370 StPO), dann erklärt das Gericht den Wiederaufnahmeantrag für begründet, andernfalls weist es ihn zurück. Im Falle der Begründetheit muss die Hauptverhandlung wiederholt werden.
Im Verfahren gegen Harry Wörz hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe den Wiederaufnahmeantrag nunmehr zugelassen. Ob das Begehren begründet ist, prüft wiederum das Landgericht Mannheim. Nach der gesetzlichen Regelung entscheidet über ein Wiederaufnahmeverfahren nämlich immer ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit (§ 140 a GVG). Da das erste Verfahren vorliegend vom Landgericht Karlsruhe geführt wurde, ist nunmehr die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Mannheim zuständig.
Hinweis auf den Gesetzestext:
§ 359 StPO
Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten eines Verurteilten ist zulässig,
...
5. wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Gesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind;
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