Vollstreckungsunterbrechung und Reststrafenaussetzung
Gericht
OLG Zweibrücken
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
15. 03. 2000
Aktenzeichen
1 Ws 125/00
Zur „hilfsweisen“ Einlegung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft durch Fernkopie eines maschinell erstellten, nicht unterschriebenen Schriftstückes.
Zum Verhältnis der Vollstreckungsunterbrechung gemäß § 455a StPO zur Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes gemäß § 57 StGB.
Gegen die Verurteilte ist ab dem 3. 1. 2000 eine Ersatzfreiheitsstrafe von 75 Tagen vollstreckt worden, die am 2. 3. 2000 zu zwei Dritteln und am 17. 3. voll verbüßt gewesen wäre. Nachdem die JVA eine bedingte Entlassung nach § 57 StGB befürwortet hatte, leitete die StA die Akten mit dem Antrag, die Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, der StVK zu, die am 3. 2. 2000 die bedingte Entlassung anordnete. Gegen diesen Beschluss richtete sich das eingegangene Rechtsmittel der StA, die die Auffassung vertrat, der Beschluss „gehe ins Leere“, weil die Verurteilte bereits am 16. 2. 2000 entsprechend der Weisung des Ministeriums der Justiz vom 2. 2. 2000 (bereits nach Verbüßung der Hälfte der Ersatzfreiheitsstrafe) gem. § 455a StPO aus der Haft entlassen wurde; es werde deshalb um Aufhebung des Beschlusses gebeten, hilfsweise sofortige Beschwerde eingelegt. Das nicht unterschriebene Schriftstück trug in Maschinenschrift den Namen des Staatsanwalts und den Vermerk, das Schreiben sei maschinell erstellt und werde nicht unterschrieben.
Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung des Beschlusses vom 3. 2. 2000.
Die Beschwerde ist formwirksam eingelegt. Die nach § 306 I StPO geforderte Schriftform wird durch die Einlegung per Telefax nicht in Frage gestellt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., Einl. Rdnr. 139 m.w. Nachw.). Ebenso wenig steht es dem Schriftformerfordernis entgegen, dass das Schreiben nicht unterschrieben ist. Zur Wahrung der Schriftform ist eine Unterschrift nicht zwingend erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn - wie hier - aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt (OLG Zweibrücken, VRS 64, 443; OLG Zweibrücken, NStZ 1984, 576); bei Rechtsmitteln der StA reicht es aus, wenn der Name des tätig gewordenen Beamten in Maschinenschrift wiedergegeben und mit einem Beglaubigungsvermerk - hier in Form des Hinweises auf die maschinelle Erstellung - versehen ist (GmS-OGB, NJW 1980, 172). Diesen Anforderungen entspricht die Rechtsmittelschrift der StA Koblenz.
Schließlich steht es der Zulässigkeit der Beschwerde auch nicht entgegen, dass die StA beantragt, den Beschluss aufzuheben und sofortige Beschwerde „hilfsweise“ eingelegt hat. Zwar sind Rechtsmittel grundsätzlich bedingungsfeindlich und dürfen insbesondere nicht von außerprozessualen Erwägungen abhängig gemacht werden. Anders als Bedingungen, die an den Eintritt oder Nichteintritt eines künftigen ungewissen Ereignisses anknüpfen, sind jedoch bloße Rechtsbedingungen unschädlich. Eine solche ist hier gegeben. Der Sache nach handelt es sich bei der primär beantragten Aufhebung des Beschlusses nicht um eine echte Bedingung, von deren Nichteintritt die Einlegung der sofortigen Beschwerde abhängig sein soll, sondern um einen Antrag auf (indes gem. § 57 StGB, §§ 454 I, III, 311 III 1 StPO unzulässige und daher von der StVK zu Recht unterlassene) Abhilfeentscheidung.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Zwar schließt die Vollstreckungsunterbrechung nach § 455a StPO eine Entscheidung nach § 57 StGB wegen der unterschiedlichen Reichweite der beiden Maßnahmen nicht grundsätzlich aus, ebenso wie der Strafaussetzungsbeschluss auch nicht durch die bereits vorher auf anderer Rechtsgrundlage beruhende Haftentlassung gegenstandslos wird oder gar ins Leere geht. Auch wenn sich hier der Zwei-Drittel-Zeitpunkt verschiebt, führt dies - anders als in Fällen, in denen eine solche Verschiebung auf eine nachträglich eingeleitete Anschlussvollstreckung zurückzuführen ist und deshalb eine isolierte, nicht alle Strafen betreffende Aussetzungsentscheidung wegen § 454b III StPO unzulässig wird (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl.v. 7. 6. 1993 - 1 Ws 294/93) - nicht bereits ohne weiteres zur Unzulässigkeit einer Entscheidung nach § 57 StGB, die sich auch von ihren Wirkungen her von der Vollstreckungsunterbrechung nach § 455a StPO unterscheidet. Während diese zunächst auf Fortsetzung der Strafvollstreckung nach dem Ende der Unterbrechung gerichtet ist (trotz der der Vollstreckungsbehörde allgemein erteilten Ermächtigung, nach deliktfreiem Ablauf eines Jahres die Reststrafe zu erlassen), lässt jene eine weitere Vollstreckung nur nach einem richterlicher Nachprüfung unterliegenden Widerruf der Strafaussetzung nach §§ 57, 56f StGB zu.
Die Verschiebung des Zwei-Drittel-Zeitpunktes veranlasst allerdings die Überprüfung, ob die Entlassung auf Grund der Entscheidung der StVK, die ja erst zum Tragen kommt, wenn die Vollstreckung in der Zukunft fortgesetzt werden sollte, noch eine solche Zeitnähe zur Aussetzungsentscheidung aufweist, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Zukunftsprognose i.S. des § 57 StGB möglich ist. Maßgebender Zeitpunkt einer Entscheidung nach § 57 StGB ist nämlich die voraussichtliche Entlassung der Verurteilten nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe auf Grund der Aussetzungsentscheidung (und nicht auf Grund der vorausgegangenen Vollstreckungsunterbrechung seitens der Vollstreckungsbehörde). Auf diesen, noch ungewissen zukünftigen Zeitpunkt bezogen muss eine günstige Prognose i.S. des § 57 StGB vorliegen. Dies setzt voraus, dass vor einer Reststrafenaussetzung der Entlassungszeitpunkt so nahe gerückt ist, dass eine die Prognose beeinflussende Entwicklung der Verhältnisse der Verurteilten nicht mehr zu erwarten ist (Gribbohm, in: LK-StGB, § 57 Rdnrn. 47, 49 m.w. Nachw.; OLG Zweibrücken, StV 1991, 430). Diese Zeitnähe ist im vorliegenden Fall nicht mehr gewährleistet, da der maßgebliche „2/3-Zeitpunkt“ infolge der Strafunterbrechung auf nicht absehbare Zeit hinausgeschoben wird. Der angefochtene Beschluss war deshalb ersatzlos aufzuheben. Über die Reststrafenaussetzung wird, sofern die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe fortgesetzt werden sollte, erneut und zeitnah zu entscheiden sein.
Ein Sonderfall, in dem aus wichtigem Grund, insbesondere zur erfolgversprechenden Resozialisierung, ausnahmsweise eine besonders frühe Aussetzungsentscheidung geboten wäre (vgl. OLG Zweibrücken, StV 1991, 430), liegt nicht vor.
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